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Rundschreiben Soz Nr. 04/23 - Fachliche Hinweise zur Auslegung und Umsetzung der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.1.2001 (BGBl. I, 179)

p(. vom 11. September 2023

Paragrafen ohne Gesetzesnamen sind Paragrafen der DVO

1. Einleitung

1.1 Anspruchsvoraussetzungen

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (im Folgenden HzÜ genannt) ist eine im 8. Kapitel des SGB XII (§§ 67 ff.) normierte Leistung für Personen, die sich in besonderen Lebensverhältnissen befinden, die mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind und die diese Schwierigkeiten nicht aus eigener Kraft überwinden können.

Besondere Lebensverhältnisse bestehen bei fehlender oder nicht ausreichender Wohnung, bei ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage, bei gewaltgeprägten Lebensumständen, bei Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung oder bei vergleichbaren nachteiligen Umständen, die ihre Ursachen jeweils in äußeren Umständen oder in der Person der Leistungsberechtigten haben können (§ 1 Abs. 2).

Soziale Schwierigkeiten liegen vor, wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten der leistungsberechtigten Personen oder durch Dritte wesentlich eingeschränkt ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Erhaltung oder Beschaffung einer Wohnung, mit der Erlangung oder Sicherung eines Arbeitsplatzes, mit familiären oder anderen sozialen Beziehungen oder mit Straffälligkeit (§ 1 Abs. 3).

1.2. Die HzÜ als Leithilfe in Wohnungsnotfällen

Die HzÜ stellt vor allem in Wohnungsnotfällen die Leithilfe dar. Ihre Aufgabe als sogenannte „Elendshilfe“ ist es, in einem ersten Schritt die Existenz der leistungsberechtigten Personen zu sichern, indem sie die hierzu erforderlichen Hilfen erschließt.

Die HzÜ ist bei Vorliegen der Voraussetzungen sofort und unmittelbar zu gewähren, um einen meist dringend erforderlichen Hilfeprozess in Gang zu setzen. Auf etwaige Ansprüche auf Leistungen nach anderen Grundlagen kommt es nicht an. Allenfalls dann, wenn im weiteren Verlauf des Hilfeprozesses andere Hilfen hinzutreten und diese den individuellen Bedarf der leistungsberechtigten Person tatsächlich und vollständig decken, kann die HzÜ zurücktreten.

Andere Hilfen, z.B. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX bzw. Hilfe für junge Volljährige nach dem SGB VIII, formulieren andere Anspruchsvoraussetzungen und Hilfeziele. Die HzÜ stellt eine eigenständige Hilfe dar, die nicht durch andere Hilfen ersetzt werden kann. So soll der Sozialhilfeträger, falls ein anderer Sozialleistungsträger zur Bedarfsdeckung heranzuziehen ist, gem. § 2 Absatz 1 Satz 4 DVO auf die Erbringung dieser Leistung hinwirken. Insofern kann ein nach § 67 verbleibender Bedarf hinsichtlich der Koordinierung und Abstimmung der Leistungen verbleiben.

1.3 Leistungen der HzÜ

Als Hilfe kommen alle Leistungen in Betracht, die für die Abwendung und Beseitigung der Schwierigkeiten und – falls dies nicht möglich ist – für deren Milderung oder der Verhütung einer Verschlimmerung notwendig sind. Die HzÜ ist ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen der leistungsberechtigten Personen zu gewähren, soweit es sich um persönliche Hilfe in Form von Beratung und persönlicher Unterstützung (Soziale Arbeit) handelt. Die Leistung ist auch dann ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen zu erbringen, wenn die Dienstleistung nicht durch den Träger der Sozialhilfe selbst, sondern durch Dritte (z.B. Verbände der freien Wohlfahrtspflege) erbracht wird (SchlHOVG 7.8.2002 – 2 L 70/01, FEVS 54, 111). Denn die Hilfe verliert ihren Charakter als Dienstleistung (§ 10 Abs. 2 SGB XII) nicht dadurch, dass sie ein Dritter erbringt; aus der Sicht des Leistungsempfängers bleibt es eine Dienstleistung (Grube/Wahrendorf/Flint/Bieback, 7. Aufl. 2020, SGB XII § 68 Rn. 40-45).

Diese Anrechnungsfreiheit gilt jedoch grundsätzlich nicht bei materiellen Leistungen, d.h. bei der Leistungserbringung durch Dritte. Ausnahmen hiervon sind lediglich für den Fall der Gefährdung des Hilfeerfolges vorgesehen, bspw., wenn durch die Heranziehung des hilfebedürftigen Menschen dessen Bereitschaft zur Mitwirkung und Selbsthilfe ernsthaft beeinträchtigt wird oder die Heranziehung von Angehörigen die Integration des Hilfebedürftigen in die Familie beeinträchtigt.

Dabei hebt § 68 Abs. 1 S. 1 SGB XII die Hilfen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung als für die Führung eines menschenwürdigen Lebens von gleichermaßen existenzieller Bedeutung ebenso hervor wie die Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes.

Die Verpflichtung, in geeigneten Fällen einen Gesamtplan zu erstellen, macht deutlich, dass dieses Instrument nicht bloß zur Koordinierung der Aktivitäten verschiedener Stellen einzusetzen ist, sondern eine am Bedarf der einzelnen leistungsberechtigten Person orientierte Grundlage für die Entwicklung und Realisierung der zur Deckung ihres Hilfebedarfs notwendigen Leistungen bilden soll. Diese folgt aus dem Ziel der HzÜ, den verbundenen Einsatz der unterschiedlichen Hilfen nach dem SGB XII und nach anderen Leistungsgesetzen anzustreben (§ 2 Abs. 3 Satz 2 VO).

1.4 Die Mitwirkung/Mitarbeit der Leistungsberechtigten am Hilfeprozess

Art und Umfang der Leistungen richten sich nach dem Ziel, die leistungsberechtigten Personen zur Selbsthilfe zu befähigen, ihre Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu sichern. Dabei sind die leistungsberechtigten Personen verpflichtet, nach eigenen Kräften an der Überwindung der besonderen sozialen Schwierigkeiten mitzuwirken. Mitwirkung ist hier jedoch nicht im Sinne einer Mitwirkungspflicht wie beispielsweise gem. §§ 60 ff. SGB I bei der Feststellung von Sozialleistungsansprüchen oder gar einer Beteiligung am Gesamtplanverfahren gem. § 117 ff. SGB IX zu verstehen. Mitwirkung im sozialpädagogischen Sprachgebrauch meint Mitarbeit und Beteiligung am Hilfeprozess. Mitwirkung/Mitarbeit in der HzÜ zielt zunächst einmal auf die Annahme der Hilfe und die Entwicklung von Fähigkeiten zur weiteren Mitwirkung/Mitarbeit ab. Hierbei genügen bereits kleinste Schritte. Gelegentliche Stagnation im Hilfeprozess darf dabei nicht als fehlende Mitwirkung/Mitarbeit interpretiert werden. Ggf. müssen im Verlauf des Hilfeprozesses die Bereitschaft und die Fähigkeit an der Überwindung der Schwierigkeiten mitzuwirken, erst entwickelt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VO).

1.5 Dauer der HzÜ

Daraus folgt, dass die HzÜ solange zu gewähren ist, wie es erforderlich ist, die besonderen Lebensverhältnisse und die sozialen Schwierigkeiten zu überwinden bzw. nachhaltig zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten oder eine gem. § 67 Satz SGB XII vorrangige Hilfe tatsächlich greift und den Bedarf der leistungsberechtigten Person vollständig deckt. Interne Arbeitsanweisungen nach denen die HzÜ von vornherein zeitlich zu begrenzen ist, finden im Gesetz keine Grundlage. Maßnahmen der HzÜ sind dabei jedoch grundsätzlich nicht auf Dauer angelegt, sondern zur Überwindung einer aktuellen Problemlage und bedürfen daher einer ständigen Überwachung und Anpassung an den konkreten Bedarf. Zu diesem Zweck ist die Hilfe in zeitlich befristeten Abschnitten (in der Regel nicht länger als sechs Monate) zu bewilligen.

1.6 Vorrang der Beratung und persönlichen Unterstützung.

Vorrangig sind als Hilfe zur Selbsthilfe Dienstleistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung. Dazu gehört v.a., den Hilfebedarf zu ermitteln, die Ursachen der besonderen Lebensverhältnisse sowie der sozialen Schwierigkeiten festzustellen, sie bewusst zu machen, über die zur Überwindung in Betracht kommenden Leistungen und geeigneten Hilfeangebote und -organisationen zu unterrichten, diese (beispielsweise Schuldnerberatung, Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX, Hilfe für junge Volljährige nach dem SGB VIII, Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel SGB XII) soweit erforderlich zu vermitteln und ihre Inanspruchnahme und Wirksamkeit zu fördern.

Soweit im Einzelfall erforderlich können im Rahmen der HzÜ auch Geldleistungen, etwa zum Erhalt der Wohnung bei Personen die sich in Haft befinden (§ 4 Abs. 2 VO) gewährt werden. Die Aufzählung ist nicht abschließend, weitere Formen der Hilfe siehe unter § 4 Abs. 1.

1.7 Zusammenarbeit mit anderen am Hilfeprozess Beteiligten

Zur Sicherung des Hilfeerfolgs kommt einer engen Zusammenarbeit zwischen den bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle und den ggf. zu beteiligenden Leistungsträgern wie den Teilhabefachdiensten der Eingliederungshilfe, den bezirklichen Jugendämtern, den gemeinsamen Einrichtungen nach § 44 b SGB II, weiteren Leistungsstellen der bezirklichen Ämter für Soziales, sowie den beteiligten Diensten der bezirklichen Gesundheitsämter (Sozialpsychiatrische Dienste, Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung etc.) und den Leistungserbringern besondere Bedeutung zu. Bei leistungsberechtigten Personen vor Vollendung des 21. Lebensjahres ist ein Zusammenwirken mit den bezirklichen Jugendämtern erforderlich.

1.8 Rechtsbegriffe der HzÜ

Die Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten ist durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen, geprägt.

Nachstehend sollen diese im Sinne einer fachlichen Anleitung zur rechtskonformen Auslegung und Umsetzung erläutert werden, um die Entscheidungsfindung im Einzelfall zu erleichtern. Beispielhaft seien hier vorab genannt.

  • Gewaltgeprägte Lebensumstände (§ 1 Abs. 2 Satz 1*);
  • Nachhaltig (§ 2 Abs. 2 Satz 1);
  • Vorrang der Dienstleistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung im Verhältnis zu Geld und Sachleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2);
  • Betonung der Mitwirkungspflichten und der Verpflichtung zur Selbsthilfe der leistungsberechtigten Person (z. B. § 2 Abs. 1 Satz 3; § 2 Abs. 4);
  • Orientierung an den Erfolgsaussichten der Hilfe (z. B. § 2 Abs. 4);

2. Zur Auslegung der einzelnen Paragrafen

§ 1 Persönliche Voraussetzungen

Die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen folgt einer lebenslagenorientierten Betrachtung. Für den Nachweis der Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 67 SGB XII muss in den anspruchsbegründenden Unterlagen/standardisierten Hilfebedarfsermittlungen – sowie bei der Erstellung des Hilfeplans/der Hilfeplanfortschreibung – dargelegt werden, dass

  • besondere Lebensverhältnisse im Sinne von § 1 Abs. 2 bestehen,
  • soziale Schwierigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 3 vorliegen und
  • besondere Lebensverhältnisse und soziale Schwierigkeiten derart in einem komplexen Wirkungszusammenhang stehen, dass die isolierte Verhütung, Beseitigung oder Milderung eines der beiden Merkmale nicht automatisch zu einer wesentlichen und nachhaltigen Änderung des Tatbestandes bei dem anderen Sachverhaltsmerkmal führt und
  • die leistungsberechtigte Person nicht in der Lage ist, ihre besonderen Lebensverhältnisse und sozialen Schwierigkeiten aus eigenen Kräften zu überwinden.

Auf die Frage, ob und ggf. in welcher Art zwischen besonderen Lebensverhältnissen und sozialen Schwierigkeiten ein Kausalzusammenhang besteht, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Der Gesetzgeber hat dies bereits in seiner Reform der Hilfe im Jahre 1996 dadurch klargestellt, dass er im Gesetzestext die Tatbestandsmerkmale besondere Lebensverhältnisse und Soziale Schwierigkeiten getrennt aufgeführt hat, wobei sich das Wort „besondere“ ausschließlich auf die Lebensverhältnisse bezieht.

Liegen die vorstehend genannten Tatbestandsmerkmale bei Bekanntwerden des Bedarfs bzw. Einsetzen der HzÜ gem. § 18 SGB XII (Kenntnisgrundsatz) vor, so wird die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 67 SGB XII nicht dadurch berührt, dass möglicherweise im Verlauf der Hilfe und bei Umsetzung des Hilfeplanes die besonderen Lebensverhältnisse (z. B. durch Beschaffung einer Unterkunft; Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage durch Realisierung der Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII beseitigt werden, solange die sozialen Schwierigkeiten fortbestehen und deshalb nach fachlicher Kenntnis zu erwarten ist, dass bei Fortfall der HzÜ mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Entwicklung eintreten wird, die erneut zu besonderen Lebensverhältnissen führt.

Ebenso bleibt die Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis bestehen, wenn zwar die sozialen Schwierigkeiten durch Leistungen der HzÜ beseitigt oder erheblich gemildert werden können, aber die besonderen Lebensverhältnisse fortbestehen. In beiden Fällen sind die „Schwierigkeiten“ nicht überwunden. Die HzÜ wirkt vielmehr im Sinne der Rechtsprechung solange fort, wie der Hilfesuchende nicht in der Lage ist, ohne Leistungen der HzÜ die erreichte Lebenssituation selbständig zu erhalten.

Der Begriff der „nachgehenden Hilfe“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 der DVO ist im Rechtssinne zu verstehen. Insbesondere wenn es um die Leistung nur noch gelegentlich notwendig werdender persönlicher Hilfen im Anschluss an Leistungen der HzÜ geht, kann nachgehende Hilfe zum Bestandteil der Leistungen der HzÜ werden, soweit die in der DVO genannte Voraussetzung erfüllt ist, dass mit ihr der drohende Wiedereintritt besonderer sozialer Schwierigkeiten abgewendet werden kann. Auf § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB XII kann als eigenständige Leistungsnorm in diesem Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden, die Vorschrift muss als Grundsatznorm bei der Auslegung und Anwendung sämtlicher im Gesetz aufgeführter Hilfearten beachtet werden, findet in Verbindung mit der HzÜ jedoch Anwendung. 3

Für die Leistungen nachgehender Hilfen muss der Nachweis geführt werden, dass diese erforderlich sind, um den drohenden Wiedereintritt besonderer Lebensverhältnisse die mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind abzuwenden. Die Gefahr des drohenden Wiedereintritts muss konkretisiert werden. Die Prognose ist auf der Basis fachlicher Erkenntnisse über typische Abläufe zu stützen und muss durch die Darlegung der im individuellen Hilfefall vorliegenden Sachverhalte konkretisiert werden, die darauf schließen lassen, dass ohne nachgehende Hilfe dieser typische Verlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird.

In diesem Kontext ist es möglich, dass vom Berliner Rahmenvertrag (BRV) gemäß § 80 Abs. 1 SGB XII für Hilfen in Einrichtungen einschließlich Diensten im Bereich Soziales abweichende, atypische /abweichende Bedarfe auftreten können, die im Einzelnen geprüft werden müssen.

Die Aufzählung der besonderen Lebensverhältnisse in § 1 Abs. 2 Satz 1 ist nicht abschließend („oder bei vergleichbaren nachteiligen Umständen“). Sollen andere als die in der Verordnung ausdrücklich genannten besonderen Lebensverhältnisse zur Begründung der Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 67 SGB XII herangezogen werden, so ist folgendes zu beachten: Es muss sich um aktuelle Tatbestände handeln, die objektiv aufgrund äußerer Umstände erkennbar sind und die die physische oder soziale Existenz im gleichen Ausmaß wie die ausdrücklich genannten besonderen Lebensumstände unmittelbar bedrohen bzw. im erheblichen Ausmaße beeinträchtigen. Die Anforderungen an den Nachweis des Bestehens besonderer Lebensverhältnisse können unterschiedlich hoch sein. Grundsätzlich müssen aber die entsprechenden Darlegungen für Dritte nachprüfbar sein.

Beim Tatbestandsmerkmal der gewaltgeprägten Lebensumstände kann es sich grundsätzlich um jede Art von physischer oder psychischer Gewalt handeln. Entscheidend ist die Prägung der Umwelt der leistungsberechtigten Person durch Gewalt. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die leistungsberechtigte Person aktuell tatsächlich Gewalttätigkeiten ausgesetzt ist. Das Tatbestandsmerkmal ist nicht auf Gewalt in Familie oder Partnerschaft beschränkt. Gewaltgeprägte Lebensumstände liegen auch vor, wenn Personen in einer Lebensumwelt leben, für die die Ausübung von Gewalt typisch ist (z. B. Prostitution).

Soziale Schwierigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 3 sind wesentliche und nicht nur vorübergehende Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion. Auf die Ursache dieser Beeinträchtigungen, insbesondere darauf, ob sie auf das Verhalten der leistungsberechtigten Person oder Dritter zurückzuführen sind, kommt es nicht an. Sie müssen allerdings im Einzelfall konkretisiert werden. Insbesondere kann aus dem Vorliegen besonderer Lebensverhältnisse nicht ohne jede weitere Präzisierung auf das Bestehen sozialer Schwierigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 3 geschlossen werden. Dies ist in den standardisierten Hilfebedarfsermittlungen zu dokumentieren.

3 Armborst in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Sozialgesetzbuch XII, 12. Auflage 2020

§ 2 Art und Umfang der Maßnahmen

Zu § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2

Die Zielbestimmungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 stehen gleichrangig nebeneinander. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Leistungen reicht es aus, wenn eines der Ziele erreicht werden kann. Im Hinblick auf § 2 Abs. 1 Satz 2 wird allerdings bei der Entscheidung über die Maßnahmen das Ziel, die leistungsberechtigte Person zur Selbsthilfe zu befähigen, in allen Fällen vorrangig anzustreben sein, weil Fortschritte bei der Erreichung dieses Zieles automatisch auch eine Annäherung an die beiden übrigen Zielsetzungen nach sich ziehen. Überragende Bedeutung kommt hier dem Gestaltungsspielraum der leistungsberechtigten Person zu, ihr Leben entsprechend ihren Bedürfnissen, Wünschen und Fähigkeiten zu organisieren und selbstverantwortlich zu gestalten. Denn zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 05.11.2019 4 festgestellt, dass es keine „Vernunfthoheit“ staatlicher Organe gibt. Vielmehr fordert das Grundgesetz Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung der Einzelnen, ohne den hilflosen Menschen aber einfach sich selbst zu überlassen. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist. Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind. Dies gilt ohne Einschränkung für die HzÜ.

Zu § 2 Abs. 1 Satz 3

Zu den anspruchsbegründenden Merkmalen der HzÜ gehört die fehlende Fähigkeit der leistungsberechtigten Personen, ihre besonderen Lebensverhältnisse und sozialen Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu überwinden. Daraus ergibt sich bereits von vornherein, dass bei der Prüfung der Frage, ob die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung, nach eigenen Kräften an der Überwindung ihre besonderen Lebensverhältnisse und sozialen Schwierigkeiten mitzuwirken, erfüllen, nur an die im Einzelfall vorliegenden Selbsthilfefähigkeiten angeknüpft werden kann. Abstrakte Maßstäbe oder an den üblichen Selbsthilfefähigkeiten anknüpfende Forderungen an die Mitwirkung/Mitarbeit der leistungsberechtigten Person dürfen deshalb eine Entscheidung über die Frage, ob die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung/Mitarbeit nachkommt, nicht zugrunde gelegt werden. Bei der Prüfung der Erfüllung der sich aus § 2 Abs. 1 Satz 3 ergebenden Verpflichtung zur Mitwirkung /Mitarbeit ist auf die zum jeweiligen Zeitpunkt der Prüfung vorhandenen Möglichkeiten der leistungsberechtigten Person abzustellen. Es wird zumindest bei Beginn der Hilfen und für einen längeren Zeitraum danach in der Regel ausreichen, wenn sich die leistungsberechtigte Person überhaupt auf Leistungen nach § 3 der DVO einlassen und – soweit wie möglich – beteiligen kann. Als Motivation zur Mitwirkung /Mitarbeit ist bereits zu werten, wenn die leistungsberechtigte Person ihre aktuelle Lebenssituation als belastend wahrnimmt und sich dahingehend äußert. 5 Insoweit ist es folgerichtig, dass die HzÜ keine Sanktionen kennt.

Die Verpflichtung zur Mitwirkung/Mitarbeit bezieht sich ferner lediglich auf die Mitwirkung/Mitarbeit bei Leistungen, die zur Überwindung der sozialen Schwierigkeiten beitragen sollen. Mitwirkungsverpflichtungen in anderen Zusammenhängen und nach anderen Rechtsvorschriften bleiben außer Betracht. Letzteres bedeutet auch, dass selbst die beharrliche Verletzung von Mitwirkungspflichten nach anderen Rechtsvorschriften die Frage eines weiteren Anspruches auf HzÜ nicht berührt. Auf Nr. 1.5. wird verwiesen.

Zu § 2 Abs. 2 Satz 1

Der Begriff „nachhaltig“ ist hier ausschließlich als Maßstab für die Auswahl der geeigneten und notwendigen Leistungen der HzÜ zu verstehen. Aus der Stellung in der DVO ergibt sich, dass von allen in Betracht kommenden Leistungen, die auszuwählen sind, die nach der jeweils möglichen prognostischen Beurteilung die größte Wirksamkeit auch hinsichtlich der Beständigkeit der angestrebten Ziele haben. Eine Auslegung von § 2 Abs. 2 Satz 1 in dem Sinne, dass bei der prognostischen Beurteilung der Erfolgsaussichten der HzÜ hauptsächlich oder auch darauf abgestellt werden kann, was frühere Leistungen der HzÜ im Einzelfall bewirkt haben und wie lange diese angehalten haben, verbietet sich. Die Vorgeschichte lässt sich in diesem Zusammenhang allenfalls zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die früher gewählten Leistungen tatsächlich geeignet waren. Unter den vorstehenden Gesichtspunkten ist es ausreichend, wenn die in Aussicht genommenen Leistungen nach dem Stand der Fachkenntnisse und unter Berücksichtigung der Situation im Einzelfall grundsätzlich geeignet sind, eines der Ziele der HzÜ zu erreichen.

Bei der Gesamtabwägung im Rahmen der Entscheidung über die Hilfe sind einerseits die sozialen Rechte des einzelnen Menschen auf optimale soziale Hilfe (§ 2 SGB I) und andererseits das Interesse der Allgemeinheit an möglichst die öffentlichen Mittel schonende Hilfe, mithin Kostenerwägungen zu berücksichtigen.

Zu § 2 Abs. 2 Satz 2

Der in § 2 Abs. 2 Satz 2 normierte Vorrang der Dienstleistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung, schließt Geld- oder Sachleistungen als Bestandteil der HzÜ nicht aus. Diese sind zusätzlich zu gewähren, wenn nur mit deren Hilfe die Schwierigkeiten abgewendet, beseitigt, gemildert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden kann. Allerdings können in der Regel Geld- und Sachleistungen nur als Bestandteil eines Gesamtplanes, der auch die Erbringung von Dienstleistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung einschließt, als HzÜ qualifiziert werden. 6 Die Aufzählung der Bedarfssituation, bei denen Leistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung in Betracht kommen, ist im Übrigen nicht als abschließender Katalog zu bewerten; mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 67 ff. SGB XII („…alle Maßnahmen, die geeignet sind …“) können Dienstleistungen auch in anderen Zusammenhängen (z. B. Schuldnerberatung) in Betracht kommen.

Zu § 2 Abs. 2 Satz 3

Die Vorschrift erlangt vor dem Hintergrund der Berücksichtigung geschlechtlicher Diversität in unserer Gesellschaft zunehmende Bedeutung. Hieraus folgt, dass sich die HzÜ an den geschlechterspezifischen Bedarfen auszurichten hat.

Zu § 2 Abs. 3

In § 2 Abs. 3 wird der Begriff des Gesamtplanes sowohl für den individuellen Hilfeplan (Satz 1) als auch für die Gesamtplanung aller in Betracht kommender Hilfen unterschiedlicher Leistungsträger (Satz 2) verwandt.

Die Erstellung eines Gesamtplanes als individueller Hilfeplan ist keine zwingende Voraussetzung für einen Anspruch auf HzÜ. Zwar ist die Forderung zur Erstellung des Hilfeplanes als Sollvorschrift ausgestaltet; aber aus fachlichen Gründen und wegen der Erfolgsgebundenheit sollte dies unabhängig von der Rechtslage in jedem Falle geschehen. Wird davon (zunächst) abgesehen, sind die Gründe hierfür deutlich zu machen. An die Mitwirkung/Mitarbeit der leistungsberechtigten Person bei der Erstellung des Hilfeplanes dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Diese richten sich vielmehr nach den aktuell vorhandenen Selbsthilfekräften und den damit zumutbaren Anforderungen im Zusammenhang mit der Erstellung des Hilfeplanes.

Im Übrigen ist die Mitwirkung/Mitarbeit der leistungsberechtigten Person in diesen Fällen auf eine Beteiligung beschränkt. Dies bedeutet, dass je nach Situation im Einzelfall auch eine bloße Kenntnisnahme und Erklärung zur Akzeptanz des Hilfeplanes durch die leistungsberechtigte Person ausreicht. Bei der Fortschreibung des Hilfeplans ist entsprechend zu verfahren.

Zu § 2 Abs. 3 Satz 2

In dieser Vorschrift findet sich die Erkenntnis, dass bei Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, häufig weitere Bedarfe die sich beispielsweise aus gesundheitlichen Beeinträchtigungen, körperlichen bzw. seelischen Behinderungen, Ver- bzw.- Überschuldung, Pflegebedürftigkeit, Straffälligkeit etc. ergeben, bestehen, deren Deckung die Einbeziehung weiterer Leistungen erforderlich macht. Mit dem Begriff des „verbundenen Einsatzes der Hilfen“ wird klargestellt, das zur HzÜ weitere Leistungen hinzutreten können, mithin die gleichzeitige Gewährung von HzÜ und weiterer Leistungen nicht nur möglich, sondern in solchermaßen gelagerten Fällen geboten ist.

Dies wird mit dem Begriff „anzustreben“ unterstrichen. Aufgabe der HzÜ ist es, in solchen Fällen die weiteren Leistungen zu erschließen und im Rahmen des Gesamtplanverfahrens zu koordinieren.

Zu § 2 Abs. 3 Satz 4

Die in § 2 Abs. 3, Satz 4, zweiter Halbsatz festgelegte Verpflichtung, bei der Erstellung des Gesamtplanes für Personen vor Vollendung des 21. Lebensjahres mit dem Träger der Jugendhilfe (bezirkliche Jugendämter) zusammenzuarbeiten, richtet sich in erster Linie an den Träger der Sozialhilfe (bezirkliche Fachstelle für Wohnungsnotfälle). Für die leistungsberechtigte Person selbst ergeben sich daraus keine Verpflichtungen.

Losgelöst von dem Grad der Verpflichtung der leistungsberechtigten Person, sich an der Erstellung der Gesamtpläne zu beteiligen, haben leistungsberechtigte Personen in jedem Fall einen Rechtsanspruch darauf, bei der Erstellung der Gesamtpläne beteiligt zu werden, d. h. ihnen ist von der für die Gesamtplanung insgesamt federführenden bezirklichen Fachstelle für Wohnungsnotfälle die Möglichkeit zur Beteiligung einzuräumen. Auf die Wahrnehmung dieses Rechtes kommt es nicht an.

Zu § 2 Abs. 4

Die dort genannten Tatbestände führen zu einer Überprüfung des Gesamtplanes und der Leistungen. Die Vorschrift verlangt vom Hilfeangebot, dass die Hilfe dahingehend zu überprüfen ist, ob sie „nicht oder nicht mehr zielgerichtet ausgestaltet“ ist. Eine Sanktionierung der leistungsberechtigten Person bei fehlender Mitwirkung/Mitarbeit kommt nicht in Betracht.

Mithin kann aus dem Vorliegen der genannten Tatbestände, nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass ein Anspruch auf HzÜ nicht oder nicht mehr besteht. Erst wenn nach sorgfältiger Abwägung der Bedarfssituation, der Besonderheit des Einzelfalles und der noch zur Verfügung stehenden Leistungen und Möglichkeiten festgestellt werden muss, dass geeignete Leistungen tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stehen oder eine Mitwirkung/Mitarbeit der leistungsberechtigten Person in dem ihr zumutbaren Maße nicht erreichbar ist, kann dies zu einem Verlust des Anspruchs auf HzÜ führen. Dabei hat die bezirkliche Fachstelle für Wohnungsnotfälle zu begründen, weshalb weitere HzÜ nicht geboten ist oder keine Aussicht auf Erfolg bietet. Ebenso ist bei fortbestehendem Bedarf die bezirkliche Fachstelle für Wohnungsnotfälle verpflichtet darzulegen, mit welchen Leistungen der bestehende Bedarf in Zukunft gedeckt wird. Die leistungsberechtigte Person darf nicht in eine völlig leistungslose Lage entlassen werden.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die HzÜ mit Aussicht auf Erfolg fortzusetzen ist, können in der Vergangenheit geleistete, insbesondere fehlgeschlagene Leistungen der HzÜ bei einer Prüfung der Erfolgsaussichten nicht als ausschlaggebendes Kriterium für die Beurteilung herangezogen werden.

Zu § 2 Abs. 5

§ 2 Abs. 5 Satz 4 stellt klar, dass Frauenhäuser keine Einrichtungen im Sinne des vom Bundessozialgericht definierten Einrichtungsbegriff gem. § 13 Abs. 2 SGB XII sind. Dies trifft für die Berliner Frauenhäuser zu. Hierin können keine stationären Leistungen der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII erbracht werden. Durch den letzten Halbsatz wird klargestellt, dass durch den Aufenthalt in einem Frauenhaus der Anspruch auf Leistung der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII nicht berührt wird, wenn in der dort untergebrachten Person die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet, dass bei einem Aufenthalt in einem Frauenhaus, ggf. ambulante Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII möglich und bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu gewähren sind.

4 1 BvL 7/16 Rn. 127

5 Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zum Verständnis und zur Ausgestaltung der Mitwirkung in der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII.

6 Zu den Ausnahmen siehe unter: zu § 4 Abs. 2

§ 3 Beratung und persönliche Unterstützung (Soziale Arbeit)

§ 3 Abs. 1 formuliert, dass die Ermittlung des Hilfebedarfs und der Ursachen der besonderen Lebensverhältnisse sowie der sozialen Schwierigkeiten bereits Teil der Hilfe sind und hebt die Bedeutung der HzÜ als Hilfe zur Selbsthilfe (in diesen Fällen durch Inanspruchnahme spezialisierter Hilfeangebote) besonders hervor. Dabei muss die HzÜ spezialisierte Dienstleistungen wie z. B. die ausdrücklich genannte Schuldnerberatung nicht selbst anbieten, sondern die leistungsberechtigten Personen bei der Eröffnung des Zuganges und der Inanspruchnahme der spezialisierten Hilfeangebote unterstützen. Die Vorschrift korrespondiert mit § 2 Abs. 3 Satz 2 DVO (verbundener Einsatz der Hilfen).

§ 3 Abs. 2 macht deutlich, dass die Bereitschaft und Fähigkeit bei der Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse und sozialen Schwierigkeiten nach Kräften mitzuwirken ggf. erst entwickelt werden muss. Dies bedeutet, dass nicht von vorherein erwartet werden kann, dass eine hinreichende Fähigkeit zur Mitwirkung/Mitarbeit besteht. In derartig gelagerten Fällen hat die Beratung und persönliche Unterstützung zunächst darauf hinzuwirken, dass die zur Überwindung der besonderen sozialen Schwierigkeiten erforderliche Fähigkeit zur Mitwirkung/Mitarbeit entwickelt wird.

§ 4 Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung

Zu § 4 Abs. 1

§ 4 Abs. 1 betont den Vorrang der persönlichen Hilfe im Sinne von § 3, lässt aber nicht den Schluss zu, dass ausschließlich diese Form der HzÜ im Zusammenhang mit der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung in Betracht kommt. Dies ergibt sich aus der Formulierung: „vor allem“.

Zu § 4 Abs. 2

Zu den Leistungen zur Beschaffung einer Wohnung können auch die Übernahme von Kautionen, Genossenschaftsanteilen und Maklergebühren gehören. Die Übernahme von Maklergebühren 7 ist bereits gem. § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII 8 bzw. gem. § 22 Abs. 6 SGB II 9 möglich. Dies gilt insbesondere für Personen mit besonderen Vermittlungshemmnissen am Wohnungsmarkt. Näheres regelt die AV Wohnen in der jeweils geltenden Fassung.

Ferner sieht § 4 Abs. 2 vor, dass Geld- und Sachleistungen mit dem Ziel der Erhaltung oder Beschaffung einer Wohnung in der Regel nur in Betracht kommen, wenn gleichzeitig auch persönliche Hilfe geleistet wird. Möglich sind auch Leistungen in Verbindung mit dem Siebten bzw. Neunten Kapitel (§§ 61 ff., 70, 73) SGB XII, soweit diese nicht ohnehin vorrangig zu gewähren sind, wenn sich beispielsweise durch vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache (z.B. verwahrloste Wohnung) wohnungsgefährdende Tatbestände einstellen und die Vermietenden mit Kündigung und Räumung drohen.

Abweichend hiervon können ausschließlich Geldleistungen für den Erhalt von Wohnraum, durch Übernahme der Kosten der Unterkunft für inhaftierte Personen in Betracht kommen. In seinem Urteil vom 12.12.2013 10 hat das Bundessozialgericht hierzu ausgeführt, dass die von § 67 SGB XII erfasste Bedarfslage (soziale Schwierigkeiten bei Entlassung) nicht schon im Zeitpunkt der beantragten Leistung vorliegt, sondern erst zukünftig; vorbeugende Sozialhilfeleistungen zum Erhalt der Wohnung für die Zeit nach der Haftentlassung können aber ggf. nach § 15 SGB XII beansprucht werden. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift, die nicht zu Leistungen eigener Art berechtigt, sondern rechtlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Art der Hilfe steht, soll die Sozialhilfe vorbeugend gewährt werden, wenn prognostisch dadurch eine dem Einzelnen drohende Notlage ganz oder teilweise abgewendet werden kann. Auch im Rahmen des § 67 SGB XII ist der Träger der Sozialhilfe ermächtigt und verpflichtet zu prüfen, ob der Zweck dieser Art von Sozialhilfe (Vermeidung von Wohnungslosigkeit bei Haftentlassung) nicht dadurch besser erreicht werden kann, dass die danach in Betracht kommenden Leistungen bereits vor Eintritt der Notlage gewährt werden.

Die Leistung kann erbracht werden bei Untersuchungshaft, Ersatzfreiheitsstrafe und bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Begründete Übernahmen der Kosten der Unterkunft sind auch für Zeiträume von mehr als zwölf Monaten möglich, wenn in Abwägung der rechtlich gegebenen Ermessensspielräume zum Wohle der leistungsberechtigten Personen bzw. aus wirtschaftlichen Gründen entschieden wird. Dabei ist die jeweilige Lage am Wohnungsmarkt ebenso zu berücksichtigen wie die voraussichtlichen Möglichkeiten der leistungsberechtigten Person nach Entlassung aus der Haft neuen und angemessenen Wohnraum anmieten zu können. Ein möglicher Anspruch scheitert nicht von vornherein an der Haftdauer. 11
Voraussetzung für eine Übernahme der Kosten der Unterkunft ist, dass die leistungsberechtigte Person nicht über einzusetzende Eigenmittel für notwendige Mietzahlungen verfügt.

Soweit im Einzelfall tatsächlich einzusetzende Eigenmittel in Gestalt von Einkommen und Vermögen vorhanden sind, sind diese von der leistungsberechtigten Person einzusetzen. Denn die Freistellung des Einsatzes von Einkommen und Vermögen nach § 68 Absatz 2 Satz 1 SGB XII erstreckt sich nur auf Dienstleistungen (Soziale Arbeit) und nur für den Fall der unmittelbaren Gefährdung des Hilfeerfolges auch auf materielle Leistungen (vgl.1.3).

Bei der Ermittlung des ggf. einzusetzenden Einkommens, sind die §§ 82 ff. (Einkommensbegriff für das gesamte SGB XII und alle Arten der Sozialhilfe) bzw. §§ 85 ff. (Einkommensgrenzen für die Leistungen nach dem fünften bis neunten Kapitel) SGB XII anzuwenden. Für die Ermittlung ggf. einzusetzenden Vermögens gilt § 90 i.V.m. der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII.

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der für diesen Zweck aufzubringenden finanziellen Mittel sind die Richtwerte der AV-Wohnen in der jeweils geltenden Fassung und ggf. weitere personengruppenspezifische Regelungen zu beachten. Die Übernahme der Kosten der Unterkunft kommt in der Regel in die Zukunft gerichtet in Betracht. Deshalb ist es wichtig, dass die Sozialdienste der Justizvollzugsanstalten die Inhaftierten über die Möglichkeit zur Übernahme der Kosten der Unterkunft während der Haft kompetent beraten und dabei auch auf die notwendige und rechtzeitige Antragstellung hinweisen.

Im Einzelfall ist im Rahmen der Übernahme der Kosten der Unterkunft während der Haft auch die Übernahme von Mietrückständen in Fällen möglich, in denen Mietrückstände bereits bei Haftantritt bestehen. § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten sieht hier mit dem Verweis auf die Bestimmungen des § 36 SGB XII auch die Übernahme von Mietrückständen als Maßnahme zum Erhalt der Wohnung vor. 12
Zu § 4 Abs. 3

§ 4 Abs. 3 beschreibt das Verhältnis zwischen Maßnahmen der ordnungsrechtlichen Unterbringung nach dem ASOG und Leistungen der HzÜ. Leistungsberechtigte Personen im Sinne des § 67 SGB XII können zur Deckung ihrer Ansprüche auf HzÜ nicht unter Berufung auf den Nachrang der Sozialhilfe darauf verwiesen werden, dass durch eine ordnungsrechtliche Unterbringung in einer Notunterkunft, das besondere Lebensverhältnis des fehlenden Wohnraums beseitigt ist, denn Notunterkünfte zur ordnungsrechtlichen Unterbringung nach dem ASOG, sind als nicht ausreichender Wohnraum im Sinne der Bestimmungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 aufzufassen. Grundsätzlich gilt, dass das Ordnungsrecht gegenüber der HzÜ nachrangig ist. Mit der Formulierung „Maßnahmen der Gefahrenabwehr lassen den Anspruch auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung unberührt“ hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Anspruch auf HzÜ auch nicht teilweise entfällt.

7 Bieback in Grube/Wahrendorf/Flint, § 68 SGB XII, Sozialhilfe 7. Auflage 2020, RdNr. 21; ebenso Strnischa in Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, § 68 SGB XII RdNr. 20, Werkstand: 95. EL Januar 2022.

8 Berlit in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, § 35 Sozialgesetzbuch XII, 12. Auflage 2020, RdNr. 102

9 Berlit in Münder/Geiger, § 22 SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, 7. Auflage 2021, RdNr. 224

10 B 8 SO 24/12 R, RdNr. 18

11 B 8 SO 24/12 R, RdNr. 18

12 Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Prävention von Wohnungslosigkeit durch Kooperation von kommunalen und freien Trägern.

§ 5 Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes

Die Formulierung: „wenn andere arbeits- und beschäftigungswirksame Maßnahmen im Einzelfall nicht in Betracht kommen“ macht deutlich, dass Leistungen nach § 5 gegenüber anderen arbeits- und beschäftigungswirksamen Maßnahmen nachrangig sind. Vorrangig sind demnach insbesondere die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II. Im Einzelfall können bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen auch Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III in Betracht kommen.

Demgegenüber umfasst die Hilfe zur Ausbildung sowie zur Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes nach § 5, vor allem Leistungen, die darauf gerichtet sind, die Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Bereitschaft zu erhalten und zu entwickeln, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen und den Lebensunterhalt für sich und Angehörige aus Erwerbseinkommen zu bestreiten. Zu denken ist hier beispielsweise an Beschäftigungen in Zweckbetrieben von Einrichtungen der HzÜ. Im Berliner System der Leistungstypen der HzÜ sind derartige Maßnahmen nicht vorgesehen.

Gleichwohl werden die o.g. Eingliederungsmaßnahmen im Rahmen der HzÜ je nach Leistungstyp, in Gestalt von Beratung zu Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung, und ggf. Vermittlung an entsprechende Institutionen oder Anleitung bzw. Unterstützung beim Umgang mit Arbeitgebern und Ausbildungsstätten in ihrer Wirksamkeit unterstützt.

§ 6 Hilfe zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und zur Gestaltung des Alltags

Die Vorschrift ergänzt den Leistungskatalog der HzÜ und macht deutlich, dass die HzÜ auch die weitere gesellschaftliche Teilhabe der leistungsberechtigten Personen über die Existenzsicherung, Wohnraumversorgung, Arbeit und Ausbildung und ggf. weiterer in Frage kommender Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften hinaus, sicherzustellen hat. Dabei hat sie weitere Felder in den Blick zu nehmen, die im § 6 exemplarisch und nicht abschließend wie die Formulierung „vor allem“ im Satz 2 zeigt, dargestellt sind. Dies sind Leistungen die:

  • die Begegnung und den Umgang mit anderen Personen,
  • eine aktive Gestaltung, Strukturierung und Bewältigung des Alltags,
  • eine wirtschaftliche und gesundheitsbewusste Lebensweise,
  • den Besuch von Einrichtungen oder Veranstaltungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen,
  • eine gesellige, sportliche oder kulturelle Betätigung

fördern oder ermöglichen.

Sie greift damit die sich aus § 1 Satz 1 SGB XII ergebende Aufgabe der Sozialhilfe auf und stellt klar, dass Menschen erst dann ein Leben führen können, das der Würde des Menschen im Sinne von Art. 1 Abs.1 Satz 1 GG entspricht, wenn auch eine ausreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleisten ist. Zu denken ist hier auch an ein zivilgesellschaftliches Engagement im Rahmen ehrenamtlicher Betätigung beispielsweise in Sportvereinen, Nachbarschaftszentren, Stadtteilinitiativen etc. Eine derartige regelmäßige Betätigung führt zu Begegnung und Umgang mit anderen Menschen. Die Bedeutung einer solchen Form von Teilhabe hat der Gesetzgeber dadurch unterstrichen, dass er aus ehrenamtlicher Tätigkeit erzielte Aufwandsentschädigungen gem. § 3 Nr. 26 Satz 1 Einkommensteuergesetz bis zu einer Höhe von derzeit jährlich 3.000,00 € (250,00 € mtl.) steuerlich freigestellt hat (sogenannte Übungsleiterpauschale).

Für Personen, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bzw. SGB XII erhalten, bedeutet dies, dass Aufwandsentschädigungen aus ehrenamtlicher Tätigkeit bis zur genannten Höhe gem. § 11a Abs. 1 Nr. 4 SGB II bzw. § 82 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII anrechnungsfrei bleiben.

Aus einer Einbindung in zivilgesellschaftliches Engagement resultiert regelmäßig Anerkennung und Wertschätzung, was zu einer Stabilisierung der psychosozialen Situation der leistungsberechtigten Person führt. Dies fördert auch die Nachhaltigkeit der HzÜ im Sinne des sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergebenden allgemeinen Aufgabe der Sozialhilfe, wonach diese den leistungsberechtigten Personen die Führung eines Lebens zu ermöglichen hat, dass der Würde des Menschen entspricht.

3. Gültigkeit des Rundschreibens

Die Regelungen dieses Rundschreibens gelten ab Bekanntgabe.