Drucksache - 1185/V  

 
 
Betreff: Paul von Hindenburg endlich kritisch einrahmen – Informationstafeln und Zusatzschilder für den Hindenburgdamm
Status:öffentlichAktenzeichen:873/V
 Ursprungaktuell
Initiator:LinksfraktionLinksfraktion
Verfasser:1. Bader
2. Gruner
3. Krause
 
Drucksache-Art:AntragBeschluss
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf von Berlin Vorberatung
12.12.2018 
25. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf überwiesen   
Ausschuss für Schule, Bildung und Kultur Empfehlung
29.01.2019 
19. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Schule, Bildung und Kultur vertagt   
05.03.2019 
20. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Schule, Bildung und Kultur vertagt   
26.03.2019 
21. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Schule, Bildung und Kultur erledigt   
Ausschuss für Bildung und Kultur Empfehlung
24.04.2019 
22. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur vertagt   
05.06.2019 
23. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur im Ausschuss abgelehnt   
Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf von Berlin Entscheidung
19.06.2019 
31. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf in der BVV abgelehnt   

Sachverhalt
Anlagen:
Antrag vom 04.12.2018
Entscheidung ÄR vom 03.04.2019
BE BK vom 05.06.2019
Beschluss vom 19.06.2019

Die BVV möge beschließen:

 

Das Bezirksamt wird gebeten, an der Schloßstraße/Ecke Hindenburgdamm und an der Drakestraße/ Ecke Hindenburgdamm jeweils eine Hinweistafel anzubringen, die über das Leben und Wirken von Paul von Hindenburg (18471934) berichtet und seine Person kritisch in die Geschichte einordnet. Zudem sollen die Straßenschilder des Hindenburgdamms mit Zusatzschildern versehen werden, die deutlich machen, dass ca. 85 Jahre nach dem Tod Hindenburgs in Steglitz-Zehlendorf eine kritische Beurteilung dieser Person vorgenommen wird und mit der Straßenbenennung nicht länger eine Ehrerbietung des Militaristen und Menschen, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, verbunden ist. Die Texte der Hinweistafeln als auch der Zusatzschilder sollen von den Fraktionen der BVV gemeinsam unter Hinzuziehung von Expert*innen (u. a. Historiker*innen, Mitglieder der VVN/BdA und anderer Überlebenden- und Verfolgtenverbände) erarbeitet werden.

 

Begründung:

 

Seit dem 16. November 1914 trägt die Chausseestraße in Steglitz den Namen Hindenburgdamm. Am 20. April 1933 wurde Paul von Hindenburg zum 58. Ehrenbürger von Berlin ernannt (am gleichen Tag wurde Adolf Hitler 59. Ehrenbürger der Stadt). Beide Daten verraten auf den ersten Blick einiges über die Person Paul von Hindenburg und die Menschen, die ihn 1914 und 1933 mit einer Straßenbenennung bzw. Ehrenbürgerschaft in ein besonderes Licht rückten. Am 16. November 1914 dauerte der Erste Weltkrieg bereits über 100 Tage. Der 20. April 1933 war der erste Geburtstag Adolf Hitlers nach seiner Ernennung zum Reichskanzler durch Paul von Hindenburg. Mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde für Hindenburg und Hitler sollten beider "Verdienste um die nationale Wiedergeburt" gewürdigt werden. Der 16. November 1914 und der 20. April 1933 symbolisieren das, wofür Paul von Hindenburg heute den meisten Bürger*innen in Erinnerung ist: Als ein Soldat und militärischer Befehlshaber, der Zehntausende Soldaten für irrsinnige Schlachten opferte, als Begründer der Dolchstoßlegende und Tüffner des Deutschen Faschismus. Eine Straße, die im Jahr 2018/2019 ohne kritische Einordnung den Namen von Paul von Hindenburg trägt, ist für den Bezirk Steglitz-Zehlendorf ein beschämendes Aushängeschild. Allgemeinhin werden Straßennamen an Menschen vergeben, die durch ihr künstlerisches, wissenschaftliches und/oder politisches Wirken das Gemeinwohl gestärkt haben und Vorbilder r eine demokratische (!) Gesellschaft sind. Nichts davon kann Paul von Hindenburg für sich beanspruchen. Ganz im Gegenteil:

  • Hindenburg wurde am 29. August 1916 Chef des Feldheeres. Gemeinsam mit Erich Ludendorff war er Hauptverantwortlicher einer faktischen Militärdiktatur. Auf vielfache Art und Weise trug Hindenburg zur Eskalation und unnötige Verlängerung des Ersten Weltkriegs bei (uneingeschränkter U-Bootkrieg, Einsatz von Giftgasen sowie die Ablehnung eines Verständigungsfriedens usw.). Er zeigte keine Spur der Reue für das durch ihn verschuldete Leid und Elend. Vielmehr fand er Gefallen an dem Gemetzel: „Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur“.
  • Als einer der Erfinder der sogenannten „Dolchstoßlegende“ setzte Hindenburg eine Verschwörungstheorie in die Welt, die die Akzeptanz der Weimarer Republik und ersten deutschen Demokratie unterminierte und den Wunsch in Teilen der Bevölkerung wachsen ließ, die Niederlage des Ersten Weltkriegs ähnlich wie die Schlacht bei Tannenberg (1410 und August 1918 damals war Paul von Hindenburg Befehlshaber auf Seiten des Deutschen Reichs) nachträglich in einen „Sieg“ zu verwandeln.
  • Mit dem „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 ermöglichte Paul von Hindenburg eine Ablösung der geschäftsführenden Regierung Preußens. Gleichzeitig erklärte er alle Proteste und jedweden Widerstand für illegal. So schwächte er den Föderalismus und ebnete den Weg für die Zentralisierung der Macht unter faschistischer Herrschaft.
  • Bereits 1932 hatte die KPD im Wahlkampf mit dem Slogan „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ gewarnt. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Adolf Hitler trotz vorhandener Alternativen zum Reichskanzler. Am 1. Februar löste Hindenburg gemeinsam mit Hitler und Wilhelm Frick den Reichstag auf.
  • Am 4. Februar 1933 unterschrieb Hindenburg die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des Deutschen Volkes“. Am 28. Februar 1933 unterzeichnete er die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ (sogenannte Reichstagsbrandverordnung), am 24. rz 1933 das Ermächtigungsgesetz und am 7. April das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Hindenburg setzte damit die Bürger*innenrechte der Weimarer Republik außer Kraft und ermöglichte die Etablierung der faschistischen Diktatur. Die massenhaften Entlassungen, Festnahmen, Folterungen und Ermordungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und allen Menschen, die nicht in das Weltbild der deutschen Faschisten passten, waren Hindenburg ebenso bekannt wie die die Errichtung von Konzentrationslagern, die Lügen und Korruption der Nazi-Eliten, die Beseitigung der Pressefreiheit und die Zerschlagung der Gewerkschaften.
  • Im März und November 1933 wurden Wahlplakate der NSDAP mit Hitler und Hindenburg verbreitet („Nimmer wird das Reich zerstöret wenn ihr einig seid und treu“ / „Der Marschall und der Gefreite kämpfen mit uns für Frieden und Gleichberechtigung“). Ein Protest Hindenburgs ist nicht überliefert.
  • Am 21. März 1933 inszenierte Joseph Goebbels anlässlich der Eröffnung des neuen Reichstags die Herrschaft der NSDAP als Kontinuität zur Kaiserzeit. Hindenburg, der hohes Ansehen in der konservativen Bevölkerung genoss, ließ sich am „Tag von Potsdam“ bereitwillig für dieses Schauspiel einspannen.
  • Zum ersten Judenboykott der Nazis am 1. April 1933 schwieg Hindenburg erneut. Hindenburg als höchster Mann im Staat duldete damit die Jagd auf die Juden und die Aktionen der SA gegen jüdische Geschäfte. In den Monaten danach äerte er sich auf vielseitige Art und Weise positiv über Hitler und die NSDAP-Regierung.
  • Am 14. Juli 1933 unterzeichnete Hindenburg das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ und das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.
  • Im Sommer 1934 gratulierte Paul von Hindenburg Adolf Hitler zur Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches („Ohne Blutvergießen geht es nicht“). Er billigte dadurch die Ermordung zahlreicher oppositioneller Nazikader und verblieb mit „[t]ief empfunden Dank und aufrichtige[r ] Anerkennung“r Adolf Hitler.
  • Forschungen der letzten zehn bis zwanzig Jahre belegen, dass Hindenburg zur Zeit der Machtübergabe an die deutschen Faschisten mitnichten ein alter und verwirrter Greis war, der in seiner Eingeschränktheit „nur“ ein willfähriger Erfüllungsgehilfe Hitlers war. Hindenburg hat bis zu seinem Tod aktiv an der Etablierung des „Dritten Reichs“ mitgewirkt und sich vielfach positiv zum deutschen Faschismus positioniert.

Allein diese unvollständige Aufzählung veranschaulicht, dass eine Weiterführung des Straßennamens Hindenburgdamm ohne eine kritische und sichtbare Einordnung unerträglich ist. Der Bezirksverordnetenvorsteher Renégner-Francke (CDU) hat anlässlich des 9. November 2018 in der Novemberausgabe der „Gazette“ betont, dass es wichtig ist, „nie nachzulassen, Freiheit, Demokratie und Toleranz zu verteidigen und aufzuzeigen, was geschehen kann, wenn wir es nicht tun.“ Die Intention dieses Antrags eignet sich sehr gut, um ein Zeichen im Sinne des Bezirksverordnetenvorstehers zu setzen. Die Linksfraktion bittet daher die Fraktionen der CDU, SPD, Grünen und FDP um Zustimmung zu diesem Antrag.

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Der Antrag wurde am 03.04.2019 in der 59. Sitzung des Ältestenrats mit folgendem Ergebnis beraten:

 

Aufgrund der Umbildung des Ausschusses für Schule, Bildung und Kultur wurde der Antrag in den umbenannten Ausschuss für Bildung und Kultur überwiesen.

 

 

Rögner-Francke

Bezirksverordnetenvorsteher

 

 

Der Antrag wurde am 05.06.2019 in der 23. Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur beraten und mit 4 Ja-Stimmen und 7 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt.

 

Der Bezirksverordnetenversammlung wird die Ablehnung des Antrags empfohlen.

 

 

Specht-Habbel

Ausschussvorsitzende

 

 

Die BVV hat in ihrer 31. Sitzung am 19.06.2019 beschlossen:       

 

Der Antrag ist abgelehnt.

 

 

Rögner-Francke

Bezirksverordnetenvorsteher

 
 

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