02/2024-CHARKIW – „Café Kyiv“ diskutiert die Zukunft der Ukraine in Europa

Netzwerktreffen "Café Kyiv" am 19.02.2024 im "Colosseum", Prenzlauer Berg

Netzwerktreffen "Café Kyiv" am 19.02.2024 im "Colosseum", Prenzlauer Berg

Charkiw / Februar 2024

„Wir wählen die Freiheit“ hat der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wiederholt öffentlich gesagt, um seine politisch-ethische Richtschnur und christdemokratische Grundüberzeugung klarzumachen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges mündete damals sehr schnell in einen neuen, Jahrzehnte andauernden „Kalten Krieg“. Der Krieg, den sich die Ukraine im Jahr 2024 gegenübersieht, ist ein heißer Krieg, in dem es dem Aggressor darum geht, deren staatliche Existenz auszulöschen.

Nach ukrainischer Lesart hat der Krieg nicht erst am 24. Februar 2022 begonnen, sondern bereits mit der blutigen Zerschlagung des sogenannten „Euromaidan“ auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kyjiw Ende 2013/Anfang 2014. Diese Proteste nahmen Fahrt auf, nachdem sich die prorussische ukrainische Regierung geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Stattdessen strebte sie engere Beziehungen zur Russischen Föderation an. Am Ende gewann die europafreundliche Protestbewegung die Machtprobe, musste dafür aber einen hohen Blutzoll entrichten. Der vom Kreml protegierte Marionetten-Präsident Viktor Janukowitsch floh im Februar 2014 nach Moskau. Es folgte die Besetzung der ukrainischen Krim durch russische Truppen. Gleichzeitig zettelte Russland einen Krieg in der Ostukraine (Oblaste Donezk und Luhansk) an.

Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt.

Café Kyiv am 19. Februar 2024: Lasst Blumen sprechen!

Café Kyiv am 19. Februar 2024: Lasst Blumen sprechen!

Konrad-Adenauer-Stiftung lädt ins „Café Kyiv“

Die Ukraine sieht ihre Zukunft ganz klar in Europa, außerhalb einer wie auch immer gearteten russisch dominierten, postsowjetischen Einflusssphäre. Ukrainerinnen und Ukrainer wählen die Freiheit und möchten selbst über ihre Zukunft als Teil Europas und des Westens bestimmen. Weil dem so ist, lag das Motto des von der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (KAS) am 19. Februar 2024 organisierten, hochkarätig besetzten Ukraine-Netzwerktreffens „Café Kyiv“ nahe: „Die Zukunft der Ukraine in Europa“. Ein weites Themenspektrum abdeckend, wechselten im Verlauf des ganzen Tages Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen, informelle Gesprächsformate, Salons und Workshops einander in der Colosseum-Eventlocation (Prenzlauer Berg) ab. Hinzu kamen Foto- und Kunstausstellungen und ein temporärer Marktplatz, auf dem ukrainische Handwerkskunst und kreative Mode angeboten wurden. Abgerundet wurde das Menü durch Spezialitäten der ukrainischen Küche.

19. Februar 2024: "Café Kyiv" im Colosseum, Prenzlauer Berg

19. Februar 2024: "Café Kyiv" im Colosseum, Prenzlauer Berg

Kunstinstallation im Café Kyiv, nachempfunden dem mit Plakaten und Transparenten behängten Weihnachtsbaum während der Euromaidan-Proteste 2013/2014

Kunstinstallation im Café Kyiv, nachempfunden dem mit Plakaten und Transparenten behängten Weihnachtsbaum, der während der Euromaidan-Proteste 2013/2014 auf dem Charkiwer Freiheitsplatz stand

„Die Aggression Russlands ist nicht nur ein Angriff auf die Ukraine, sondern auch ein Angriff auf unsere vertraglich vereinbarte europäische Friedensordnung“, sagt Prof. Dr. Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es dürfte unter den laut KAS-Angaben rund 5.000 Veranstaltungsteilnehmern kaum einen gegeben haben, der dieser Einschätzung nicht aus voller Überzeugung zugestimmt hätte. Deshalb folgten dem Ruf der Stiftung auch etliche namhafte Politikerinnen und Politiker, darunter Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, Europaparlamentarier David McAllister, sowie Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine in Deutschland. Statt des Bürgermeisters von Kyjiw kam dessen jüngerer Bruder Wladimir Klitschko.

Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, ist Berlin am 14. September 2023 eine Städtepartnerschaft mit Kyjiw eingegangen. Damit ist die Bundeshauptstadt neben München (seit 1989) und Leipzig (seit 1956) die dritte deutsche Metropole, die eine vertraglich fixierte Partnerschaft mit der ukrainischen Hauptstadt unterhält.

Im Kreise der Podiumsteilnehmer: Olga PIschel (Moderation), Vorstandsmitglied des Partnerschaftsvereins Steglitz-Zehlendorf e.V., 2.v.l.

Im Kreise der Podiumsteilnehmer: Olga PIschel (Moderation), Vorstandsmitglied des Partnerschaftsvereins Steglitz-Zehlendorf e.V., 2.v.l.

Olga Pischel moderiert Podiumsdiskussion zum Wiederaufbau

Steglitz-Zehlendorf ist seit 1990 durch eine Städtepartnerschaft mit Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, verbunden. Im Stadtbild vereinen sich Bauwerke aus verschiedenen architektonischen Stilepochen zu einem unvergleichlichen Mix. Obwohl immer noch Krieg herrscht, ist es umso wichtiger, sich bereits jetzt Gedanken über den anstehenden Wiederaufbau und den Erhalt der historischen Bausubstanz zu machen.

Diesem Zweck diente eine Podiumsdiskussion unter dem Motto „Wiederaufbau der Ukraine: Urbane Räume, Städte der Zukunft“, zu der sich Moderatorin Olga Pischel, Vorstandsmitglied des Städtepartnerschaftsvereins Steglitz-Zehlendorf e.V. (SPV), mehrere Fachleute eingeladen hatte, darunter Kateryna Kublytska, aus Charkiw stammende Architektin und Denkmalschutzexpertin, und Robert K. Huber, deutscher Architekt mit Schwerpunkt Architektur der Moderne.

Podium zum Thema Wiederaufbau der Stadt Charkiw, moderiert von Olga Pischel (Städtepartnerschaftsverein Steglitz-Zehlendorf e.V.), 2.v.l.

Podium zum Thema Wiederaufbau der Stadt Charkiw, moderiert von Olga Pischel (Städtepartnerschaftsverein Steglitz-Zehlendorf e.V.), 2.v.l.

Das Podium war sich darüber einig, dass der Stadt Charkiw die Zerstörung ihres reichen kulturhistorischen und architektonischen Erbes droht. Rund 200 historische Gebäude aus verschiedenen Epochen – von Barock und Klassizismus bis zum sogenannten „Stalinistischen Realismus“ – gilt es aktuell zu stabilisieren und zu konservieren. Solche Maßnahmen sind unverzichtbar und unaufschiebbar, auch wenn die Stadt immer noch regelmäßig Ziel russischer Raketen- und Drohnenangriffe ist. Die Podiumsgäste sehen den Schlüssel für die aktuellen Herausforderungen in einem W-Dreiklang aus Wissen, Wahrnehmung und Wertschätzung. Charkiw müsse mit seinem baulichen und kulturellen Erbe in einer transeuropäischen Perspektive auch außerhalb des Landes wahr- und ernstgenommen werden.

Wie der SPV auf seiner Vereinswebseite mitteilt, sind auf dem von Olga Pischel initiierten Charkiw-Spendenkonto mittlerweile fast 133.000 Euro eingegangen (Stand: 31. Januar 2024). Die umfangreiche Netzwerkarbeit der aus Charkiw stammenden Aktivistin und Trägerin der Bezirksmedaille trägt Früchte.

Im Rahmen einer im Café Kyiv gezeigten Fotoausstellung war Charkiw etwas unterrepräsentiert. Es gab nur wenige Aufnahmen zu sehen, darunter das im Norden der Stadt gelegene Viertel Saltiwka, wegen der russischen Zerstörungswut als „Geisterviertel“ bezeichnet. Weitere Bilder zeigten die Schäden an diversen Studiengebäuden, Wohnheimen und sonstigen Einrichtungen der Karazin-Universität, sowie am sogenannten „Palast der Arbeit“.