02/2024 – Platzbenennung in Dahlem: Bezirksamt ehrt Oberkantor Estrongo Nachama

16.02.2024: Nach der Enthüllung des Platzschildes v.l.n.r.: BVV-Verordnete und Initiatorin Lehmann-Brauns, Alexander Nachama, Andreas Nachama, Gideon Joffe, Urban Aykal

16.02.2024: Nach der Enthüllung des Platzschildes v.l.n.r.: BVV-Verordnete und Initiatorin Lehmann-Brauns, Alexander Nachama, Andreas Nachama, Gideon Joffe, Urban Aykal

Februar 2024

Sicher war es nur Zufall, dass der Termin zur Benennung des bislang namenlosen Platzes vor der Gail-S.-Halvorsen-Schule just am zweiten Todestag von Gail S. Halvorsen (1920-2022), dem 16. Februar 2024, angesetzt wurde. Einen geeigneteren Platz zur feierlichen Ehrung des langjährigen Oberkantors der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hätte man sich nicht aussuchen können: Estrongo Nachama (1918-2000) und den beliebten „Rosinenbomber“-Piloten verbindet ihr Grundvertrauen in das Gute im Menschen, ihr Streben nach Versöhnung, Frieden und Menschlichkeit.

Doch der Reihe nach:

Initiiert von der Bezirksverordneten Dr. Sabine Lehmann-Brauns, geht die Einweihung auf einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf (BVV) von 2021 zurück. Dass die Umsetzung dieses Beschlusses gerade in einer Zeit erfolgt, in der der Antisemitismus aufgrund der Vorkommnisse in Israel und Palästina eine neue Qualität erreicht hat, ist besonders erfreulich. Die Wahl fiel auf den Platz im Straßenzug “Im Gehege”, Ortsteil Dahlem.

16.02.2024: Einweihung des Estrongo-Nachama-Platzes

16.02.2024: Einweihung des Estrongo-Nachama-Platzes

16.02.2024: Auftritt des Shalom-Chors Berlin

16.02.2024: Auftritt des Shalom-Chors Berlin

Zur Person: Wer war Estrongo Nachama?

Wenige Jahre vor der Geburt Estrongo Nachamas am 4. Mai 1918 in Thessaloniki hatte die Stadt ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erlangt und war Teil Griechenlands geworden. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Thessaloniki sehr stark vom sephardischen Judentum geprägt. Nach der Vertreibung aus Spanien im Jahre 1492 hatten viele Juden in Thessaloniki eine neue Heimat gefunden, so auch die Vorfahren Estrongo Nachamas.

Zusammen mit dem meisten Jüdinnen und Juden der Stadt wurde er 1943 nach Auschwitz deportiert. Dank seiner außergewöhnlichen Baritonstimme überlebte er und setzte sich nach der Befreiung 1945 in West- und Ostberlin für den interreligiösen Dialog und die Zusammenarbeit von Juden und Christen ein. 1999 wurde ihm dafür der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

16.02.2024: Nach der Enthüllung des Schildes v.l.n.r. BVV-Vorsteher Rögner-Francke, Bezirksstadträtin Richter-Kotowski (hinten), Alexander und Andreas Nachama; vorne Initiatorin Lehmann-Brauns

16.02.2024: Nach der Enthüllung des Schildes v.l.n.r. BVV-Vorsteher Rögner-Francke, Bezirksstadträtin Richter-Kotowski (hinten), Alexander und Andreas Nachama; vorne Initiatorin Lehmann-Brauns

Durch die wöchentlich im Hörfunksender RIAS übertragene Sabbatfeier und die jüdischen Gottesdienste für die amerikanischen Streitkräfte im Chaplain-Center am Hüttenweg war Nachama vielen Berlinerinnen und Berlinern ein Begriff. Von 1947 bis 2000 wirkte er als Kantor, später als Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Bis zu seiner Einberufung in die griechische Armee im Zweiten Weltkrieg war er bereits Kantor in der Synagoge seiner griechischen Geburtsstadt gewesen.

Seit 2013 hält die in Berlin ansässige Stiftung Meridian mit dem “Estrongo-Nachama-Preis für Toleranz und Zivilcourage” die Erinnerung an den Kantor lebendig.

16.02.2024: Grußwort des Gastgebers, Bezirksstadtrat Urban Aykal

16.02.2024: Grußwort des Gastgebers, Bezirksstadtrat Urban Aykal

Der für Ordnung, Umwelt- und Naturschutz, Straßen und Grünflächen zuständige Bezirksstadtrat Urban Aykal wies darauf hin, dass es „demokratischer Konsens in Steglitz-Zehlendorf“ sei, „die Erinnerungskultur überall im Bezirk sichtbar zu machen“. Innerhalb eines Jahres seien „gleich drei wichtige Zeichen in diesem Sinne gesetzt“ worden. Konkret nannte er die Umbenennung des Maerckerwegs nach Maria Rimkus, einer „Gerechten unter den Völkern“, am 17. Februar 2023, sowie die Aufstellung einer regionalhistorischen Informationsstelle zu Ehren des Filmpioniers Karl Wolfssohn am 13. Dezember 2023.

„Ich begrüße es sehr, dass wir durch die Platzbenennung einen Mann ehren, der sich durch sein jahrzehntelanges Engagement unschätzbare Verdienste im interreligiösen Dialog, vor allem zwischen dem Judentum und Christentum, erworben hat“, ergänzte Cerstin Richter-Kotowski, Bezirksstadträtin für Bildung, Kultur und Sport.

16.02.2024: Rede von Prof. Andreas Nachama, Sohn von Estrongo Nachama

16.02.2024: Rede von Prof. Andreas Nachama, Sohn von Estrongo Nachama

Rede von Prof. Andreas Nachama

Vor rund 200 Menschen hob Prof. Andreas Nachama, Sohn von Estrongo Nachama, die unermüdliche Einsatzbereitschaft seines Vaters für Versöhnung hervor. „Estrongo hat hier in Berlin eine neue Heimat gefunden“, führte er aus. „Sein Leben war Singen und Gebet“, fasste er dessen Leben prägnant zusammen. Mit einem Augenzwinkern erinnerte er an Heinz Galinski, den langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dieser habe einmal gesagt, die jüdische Gemeinde bestehe aus zwei Stimmen: einer mahnenden und einer betenden. Er selbst (Galinski) sei die mahnende gewesen.

Rabbiner Andreas Nachama war langjähriger geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors. Von 1972 bis 1981 hatte er an der FU Berlin Geschichte und Judaistik studiert. Sein Sohn Alexander Nachama, Estrongo Nachamas Enkel, amtiert seit September 2023 als Militärrabbiner bei der Bundeswehr in Potsdam. Er sprach im Rahmen der Einweihungszeremonie des Estrongo-Nachama-Platzes ein berührendes jüdisches Gebet.

16.02.2024: Rede von Dr. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

16.02.2024: Rede von Dr. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Rede von Dr. Gideon Joffe

“Wir gedenken heute eines Wunderkindes“, sagte Dr. Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. „Ich meine das nicht im genialen Sinne, sondern es ist ein Wunder, wie Estrongo Nachama sein Leben gelebt hat. Das erste Wunder ist, dass er überhaupt Auschwitz überleben konnte“. Auch seine Stimme sei ein Wunder gewesen, „denn eine professionelle Ausbildung im herkömmlichen Sinne konnte er ja nicht genießen“. Er habe nicht nur den Jüdinnen und Juden in Westberlin, sondern auch in Ostberlin und der der ehemaligen DDR Zuversicht gegeben. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt sei die Platzbenennung ein wichtiges Symbol der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft. „Noch sind wir nicht hoffnungslos, wir glauben an die Stärke Berlins und an die Stärke dieses Landes“, zog er ein vorsichtig optimistisches Fazit.

16.02.2024: Abordnung der Schülerschaft der Gail-S.-Halvorsen-Schule

16.02.2024: Abordnung der Schülerschaft der Gail-S.-Halvorsen-Schule

Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss der Veranstaltung war die feierliche Enthüllung des neuen Platzschildes. Neben der Familie Nachama und Dr. Joffe waren Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg, BVV-Vorsteher René Rögner-Francke, der Bundestagsabgeordnete Ruppert Stüwe, die Initiatorin Dr. Sabine Lehmann-Brauns, sowie zahlreiche Bezirksverordnete aus verschiedenen Fraktionen, darunter Katharina Concu, Vorsitzende des BVV-Ausschusses für Bildung und Kultur, Zeugen der feierlichen Zeremonie.

Einen besonderen Dank des Bezirksamts sprach Urban Aykal der Gail-S.-Halvorsen-Schule aus. Sie stellte die benötigte Technik für die Veranstaltung bereit und war mit zahlreichen Schülerinnen und Schülern präsent, die sich gerne mit einem Transparent ablichten ließen, auf dem das Logo der Integrierten Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe zu sehen war.