01/2025-KIRIAT BIALIK – Holocaust-Überlebender erzählt aus seinem Leben

29. Januar 2025: Bürgermeister Eli Dukorski (Kiriat Bialik) wendet sich in einer Videobotschaft an die Partnerstädte

29. Januar 2025: Bürgermeister Eli Dukorski (Kiriat Bialik) wendet sich in einer Videobotschaft an die Partnerstädte

Kiriat Bialik / Januar 2025

Seit 1996 ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Vor zwei Jahrzehnten, im Jahre 2005, erklärten die Vereinten Nationen den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, den 27. Januar, zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day). Im Jahr 80 nach der Befreiung von Auschwitz ist dieser Gedenktag besonders bedeutsam.

In diesem Wissen lud Eli Dukorski, Bürgermeister unserer israelischen Partnerstadt Kiriat Bialik, auch heuer zu einer internationalen Online-Konferenz ein. Wie schon in den Vorjahren kam ein hochbetagter Holocaust-Überlebender zu Wort und erzählte den zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 29. Januar 2025 seine berührende Geschichte. Eingangs wandte sich der gastgebende Bürgermeister an seine Zuhörerschaft und dankte für ihre (virtuelle) Anwesenheit. Die Jüdische Gemeinde Chemnitz veröffentlichte den Mitschnitt des auf Hebräisch vorgetragenen Grußworts auf ihrer Webseite (mit deutschen Untertiteln). Dukorski rief die Ereignisse des 7. Oktober 2023 in Erinnerung: „Auch in unserer Stadt Kiriat Bialik haben wir zwei unserer Söhne verloren und ein weiterer Sohn wird als vermisst gemeldet“.

Juli 2024: Fahne der Partnerstadt Kiriat Bialik (Israel) wurde vor dem Rathaus Zehlendorf gehisst.

Juli 2024: Fahne der Partnerstadt Kiriat Bialik (Israel) wurde vor dem Rathaus Zehlendorf gehisst.

Es folgte eine Stellungnahme von Oberbürgermeister Sven Schulze aus Chemnitz, der zweiten deutschen Partnerstadt von Kiriat Bialik. Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg ließ über ihre Referentin verlauten, wie wichtig es ihr sei, „zusammenzukommen, über die Shoah zu sprechen und der Opfer zu gedenken“. Sie erinnerte daran, dass Steglitz-Zehlendorf als „Zeichen der Solidarität“ die Fahnen der beiden israelischen Partnerstädte Kiriat Bialik und Sderot vor dem Rathaus gehisst habe. „Wir freuen uns darauf, unsere Beziehungen in Zukunft zu stärken und auszubauen, und hoffen auf viele weitere Gelegenheiten zur Zusammenarbeit“, erwiderte Dr. Alona Eisenberg, die auch für Städtepartnerschaften zuständige Sprecherin der Gemeinde Kiriat Bialik.

Der 1935 in Polen geborene Holocaust-Überlebende Zeev Gelernter sprach allen aus dem Herzen, als er den Holocaust als das größte Menschheitsverbrechen bezeichnete, „welches sich jemals auf dem Planet Erde ereignet hat“.

„Als Holocaust-Überlebender hatte ich den Traum, meine Lebensgeschichte in Bildern und Worten zu dokumentieren“, begann er zu erzählen. Er dankte seinen Großeltern, die ihre Familie bei Kriegsausbruch 1939 ins Ausland geschickt hätten, um ihnen das Leben zu retten. Etliche Angehörige seien nach Argentinien oder in die Sowjetunion geflüchtet, nur die Großeltern und deren älteste Tochter seien in Polen geblieben. Ganz besonders hing er an seinem Bruder Avramale, der anderthalb Jahre älter und seine wichtigste Bezugsperson war. Der Bruder, den er „meinen besten Freund“ nannte, verstarb 1941 in seinen Armen. Gemeinsam waren sie monatelang zu Fuß bei strenger Kälte, ständigem Hunger und widrigen sanitären Verhältnissen unterwegs. Beide konnten weder Kindergarten noch Schule besuchen. Nach einer mehrjährigen Odyssee durch zahlreiche Länder – Weißrussland, Russland, Armenien, Usbekistan, zuletzt Österreich – kam Zeev im Mai 1949 – gerade einmal vierzehnjährig – in Haifa an. Der Staat Israel hatte sich gerade erst konstituiert, als er zum ersten Mal einen Krieg zur Verteidigung seiner noch jungen Existenz führen musste.

März 2022: Anbahnungsbesuch Dreilinden-Gymnasium in Kiriat Bialik

März 2022: Anbahnungsbesuch Dreilinden-Gymnasium in Kiriat Bialik

Schließlich brachte Zeev Gelernter seine Genugtuung über die große Zahl an Zuhörerinnen und Zuhörern, vor allem auch junger Menschen, zum Ausdruck. Als er sich in eine israelische Staatsflagge hüllte und aus der Unabhängigkeitserklärung von 1948 zitierte, zeigte er sich als großer Patriot Israels. „Ich will meine Geschichte erzählen, denn es ist die Geschichte vieler, die sie nicht mehr erzählen können“, warnte er mit eindringlichen Worten.

Fast prophetisch wirkt sein abschließendes Plädoyer, gerichtet an die jungen Menschen:
„Ihr seid das Licht in der Dunkelheit. Ihr gebt uns die Kraft, auch die größten Schwierigkeiten zu überwinden. Ihr seid die Hoffnung, die weiterbrennt, wenn wir uns verloren fühlen. Eure Stärke und euer Mut sind das Licht, das uns den Weg in die Zukunft weist. Ihr seid die Helden der Hoffnung und des Willens. Euer Licht wird die nächsten Generationen leuchten lassen“.

In Kiriat Bialik hat Zeev Gelernter seine Heimat gefunden. Er ist 90 Jahre alt.

So lange es Holocaust-Überlebende gibt, so lange müssen sie ihre Geschichte erzählen. Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der das Wissen um das Grauen der Shoah bei jungen Menschen zunehmend zu schwinden scheint. Einer jüngsten Umfrage zufolge gaben rund 40 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland an, keine Kenntnis von der systematischen Ermordung von etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten zu haben. Dieses Nichtwissen ist erschreckend. Deshalb ist die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern des Dreilinden-Gymnasiums an der Online-Gedenkveranstaltung nicht hoch genug einzuschätzen.

Lehrerin Katharina Dannenberg setzt sich für eine Reaktivierung der vor einigen Jahren gestarteten (und derzeit ruhenden) Schulpartnerschaft zwischen dem Gymnasium und einer Partnerschule in Kiriat Bialik ein. Sie hatte sich mit ihrer 7. Klasse und einigen Schülerinnen und Schülern aus der 8. Jahrgangsstufe an der Sitzung beteiligt. „Da die Erlebnisse von Zeev vor allem die Jahre seiner Kindheit betrafen, war alles für die Kinder sehr gut nachvollziehbar“, sagt sie. Nach den Winterferien wird sie das Erlebte mit den Schülerinnen und Schülern nachbereiten. „Die Kinder haben spontan den Wunsch geäußert, Zeev einen Brief zu schreiben“, freut sie sich. Zusätzlich hatten Schulleiter Jens Stiller mit seinem Oberstufenkurs und ein Geschichtslehrer mit einer 10. Klasse an der Konferenz teilgenommen.

Antisemitismus-Wortwolke

Generationsübergreifend miteinander im Dialog zu bleiben, ist und bleibt die beste Arznei gegen Antisemitismus. Nebenwirkungen gibt es keine. Ihr Arzt, Ihre Ärztin oder Ihre Apotheke bestätigen das gerne.

Unterdessen hat Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg die bereits 2023 ausgesprochene Einladung an ihren Bürgermeisterkollegen Dukorski erneuert. Sofern der sich anbahnende Nahost-Friedensprozess es zulässt, wird mit einem Besuch der israelischen Delegation im Sommer 2025 gerechnet.

Beauftragter für Partnerschaften

Christian Urlaub