Auszug - Umgang mit Diskriminierung im Bezirk  

 
 
32. öffentliche Sitzung des Integrationsausschusses - Videokonferenz
TOP: Ö 3
Gremium: Integrationsausschuss Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 26.05.2021 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 19:20 Anlass: ordentliche Sitzung
Zusatz: Videokonferenz
 
Wortprotokoll

Das Thema wurde im Februar 2019 im Ausschuss behandelt und nun wieder aufgegriffen, um die Entwicklung im Bezirk zu beobachten. Als Gäste sind Frau Duval von der Registerstelle Steglitz-Zehlendorf sowie Herr Hizarci, ehemaliger Antidiskriminierungsbeauftragter der SenBJF, eingeladen.

 

Frau Duval stellt die Registerstelle Steglitz-Zehlendorf vor, die sie seit 2017 leitet. Die Recherche- und Dokumentationsstelle wird von der Landesantidiskriminierungsstelle gefördert. 2015 wurde in Pankow die erste Registerstelle eingeführt, im Jahr 2016 als letzter Bezirk auch in Steglitz-Zehlendorf. Seit 2019 ist der Träger der Mittelhof. Ziel sei es, eine Lageanalyse der Bezirke nach Jahren und im Berliner Vergleich darzustellen. Dazu werden Vorfälle und ihre Art, z.B. Angriffe, Sachbeschädigungen usw., und Motiv, wie z.B. Rassismus, erfasst. Die Vorfälle werden über die Anlaufstellen im Bezirk oder direkt von den Melder*innen gemeldet, eingepflegt und jährlich ausgewertet, die Chronik ist online einsehbar. Die Arbeit finde betroffenenorientiert statt, Anzeigen bei der Polizei würden z.B. nicht ohne Zustimmung der/des Betroffenen erstattet. Die Registerstelle schreibe jedoch keine Aktionspläne oder erarbeite Maßnahmen und Projekte. Es sei Aufgabe der Bezirksverordneten, Maßnahmen zu erarbeiten, die dazu führen, dass einerseits von Rassismus betroffene Menschen empowert und unterstützt und andererseits die Anzahl rassistischer Vorfälle eingedämmt werden. Auch ein Projekt der Bildungsarbeit, wie z.B. eine Partnerschaft für Demokratie, nnte diese Aufgabe übernehmen. Beratung biete die Registerstelle ebenfalls nicht an, hier verweise man auf Projekte wie ReachOut und OPRA. Als erste Anlaufstelle sei die Registerstelle jedoch sehr wichtig, damit Betroffene nicht alleine seien und ihnen zugehört werde. Betroffene werden an passende Beratungsstellen weitergeleitet und Öffentlichkeitsarbeit für das Thema geschaffen. Anschließend hrt sie die Zahlen der Vorfälle in Berlin und im Bezirk aus (siehe Präsentation im Anhang zum Protokoll). In Berlin habe es im Jahr 2020 im Schnitt 10 Vorfälle täglich gegeben, dies sei eine Steigerung um knapp 600 Vorfälle im Vergleich zu 2019. Gerade im Bereich Antisemitismus und NS-Verharmlosung gab es einen Anstieg. In Steglitz-Zehlendorf ist ein kleiner Rückgang zu beobachten, der darin begründet liege, dass bestimmte Zufallsbegegnungen im Zuge des Corona-Lockdowns minimiert wurden. Bemerkenswert sei jedoch, dass es 22 Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien und ebenso 9 Angriffe gab, die überwiegend rassistisch motiviert waren. Die Hälfte aller Angriffe sowie 77 % der Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien seien rassistisch motoviert gewesen. Im Bericht seien ebenfalls 90 Propagandavorfälle, dazu zählen Flyer, Schmierereien usw., sowie 13 Veranstaltungen und 7 Sachbeschädigungen aufgeführt. Die Kategorie Strukturelle Benachteiligung wurde neu eingeführt und soll strukturellen Rassismus z.B. in der Schule wiederspiegeln. Betrachtet man die verschiedenen Ortsteile im Bezirk, so wird deutlich, dass in belebten Ortsteilen, wo es sonst sehr viele Vorfälle gab, die Zahlen stärker zurückgegangen seien. Die Kategorie Bezirksweitndelt Vorfälle, die besonders schützenswert sind und wo auf Wunsch der Betroffenen Angaben wie z.B. Straße und Ortsteil nicht angegeben werden. Bei den Motiven liege Rassismus weiterhin auf Platz eins, hier werden mehrere Formen des Rassismus, wie antimuslimischer, antischwarzer oder Rassismus, der sich nicht gegen eine bestimmte Gruppe richtet, zusammengezählt. An zweiter Stelle stünde die Kategorie Rechte Selbstdarstellung. Darunter erfasse man vor allem die Verteilung von Propagandamaterial rechter Organisationen, Parteien und Gruppen, bei denen anhand von z.B. Parteiprogrammen die extrem rechte Gesinnung deutlich werde. An dritter Stelle stünde die Kategorie NS-Verharmlosung, die seit Jahren schon konstant eine Rolle im Bezirk spiele. Auch die NPD sei im vergangenen Jahr im Bezirk aktiv gewesen und es habe einige Vorfälle gegeben. Reichen- und Deutschenfeindlichkeit würde nicht aufgenommen, da die grundlegende strukturelle Diskriminierung, auf der Rassismus beruht, nicht gegeben sei. In diesem Jahr könne, dank eines zusätzlichen Pilotprojektes, finanziert durch die Landesantidiskriminierungstelle und dem Opferfonds, die Stadtteilkommunikation der Registerstelle intensiviert und Zielgruppen stärker adressiert sowie die Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung gestärkt werden. Mit der Ausstattung im Umfang einer knappen Vollzeitstelle könne die neue Kollegin nun mehr als bisher Kontakte pflegen, neue Anlaufstellen gewinnen und Projekte unterstützen. Mit Voranmeldung gebe es immer freitags über Zoom die Möglichkeit, mit ihr über Rassismuserfahrungen zu sprechen.

 

Herr Hizarci bedankt sich für die Einladung und lobt die konstante Bearbeitung des Themas durch den Integrationsausschuss. Leider gebe es auch in Steglitz-Zehlendorf keinen Anlass, in diesem Bereich nachlässiger zu werden, auch wenn Organisationen, wie z.B. das Willkommensbündnis, gute Arbeit machen. In seiner 13-monatigen Tätigkeit als Antidiskriminierungsbeauftragter, angesiedelt bei der Bildungsverwaltung, habe er auch Fälle aus Steglitz-Zehlendorf bearbeitet. Die Zahl an Meldungen, die bereits erschreckend hoch sei, würde zudem nur einen geringen Teil von dem abbilden, was tatsächlich passiere. Es sei wichtig zu überlegen, was auf struktureller Ebene getan werden kann, z.B. über eine*n Antidiskriminierungsbeauftragte*n auf bezirklicher Ebene. Aktuell würde der Antisemitismus zunehmen, der sich in den letzten Wochen beispielsweise in Form von der Verbrennung von Israel-Fahnen vor Synagogen dargestellt habe. Antisemitismus sei auch weiterhin ein sehr ernstzunehmendes Problem in Berlin und Deutschland. Diskriminierung habe auch immer mit Machtverhältnissen von Mehrheiten zu Minderheiten zu tun und ließe sich nicht nur auf Beleidigungen und Ausgrenzung reduzieren, sondern sei komplexer und vielschichtiger.

 

Es werden Fragen nach der Zunahme von anti-asiatischem Rassismus im letzten Jahr, Meldungen im Zusammenhang mit der sog. Querdenker-Bewegung und antisemitischen Vorfällen sowie Erfassung von Veranstaltungen der AfD gestellt. Ebenso werden die Referent*innen um eine Einschätzung zu den Gründen für die Zunahme von Rassismus gebeten. Das Thema Rassismus bzw. Diskriminierung in Schulen sei derzeit bei der SPD-Fraktion über Anfragen eingebracht worden und werde in der Fraktion diskutiert. Die SPD-Fraktion plädiert bei den anderen demokratischen Parteien dafür, über das Thema auch in größeren Runden zu diskutieren und Aktionspläne oder Maßnahmen zu entwickeln. Es solle insbesondere nach der Wahl im September und zu Beginn einer neuen Legislaturperiode als gemeinsames Thema bearbeitet werden. Auch müsse das existierende Bürgerschaftliche Engagement im Bezirk weitergefördert werden. Der Idee einer/eines Antidiskriminierungsbeauftragten stehe sie offen gegenüber, gemeinsam müsse aber geschaut werden, wie so eine Stelle ohne Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt finanziert werden könne. Aus Sicht der AfD-Fraktion sei es erfreulich, dass die Lage im Bezirk sehr stabil sei. Die Linksfraktion würde die Einrichtung einer/eines Antidiskriminierungsbeauftragten begrüßen und plädiert dafür, interfraktionell darüber zu beraten.

 

r die Zunahme von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung spielen laut Herrn Hizarci mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen sei es u.a. durch mehr digitale Möglichkeiten gelungen, die Bereitschaft, Vorfälle zu melden, zu erhöhen. Auch das Bemühen um Aufklärung und Sensibilisierung in diesem Bereich zeige Wirkung. Gleichzeitig sei auch das politische Bewusstsein über die Bedeutung solcher Meldungen in marginalisierten Communities gestiegen. Dies sei aber lediglich eine Tendenz, es gebe nach wie vor eine hohe Dunkelziffer. Der größte Faktor sei der seit Jahren andauernde kontinuierliche Rechtsruck und das Wirkens von rechten Strömungen in die sog. Mitte der Gesellschaft. Auch gebe es das Phänomen des sog.“Integrationsparadox, welches besagt, dass mit dem Grad der Integration auch das gesellschaftliche Reibungspotential steige.  

 

In Bezug auf die weiteren Fragen antwortet Frau Duval, dass im letzten Jahr keine anti-asiatischen Vorfälle erfasst wurden, was nicht daran läge, dass es solche Fälle nicht gegeben hätte. Anders als in anderen Bezirken gebe es in Steglitz-Zehlendorf jedoch keine organisierte asiatische Community, die um diese Meldemöglichkeit weiß. Die fehlenden Meldungen seien also dem Bereich der Dunkelziffer zuzuordnen. Zu der Frage nach Meldungen mit verschwörungstheoretischem Inhalt antwortet sie, dass es im letzten Jahr 25 Vorfälle gegeben habe, von denen 18 in der Chronik aufgeführt seien. Nicht alle Vorfälle konnten aufgenommen werden, da sie nicht direkt in den Erfassungshorizont fielen, wenn z.B. zu wenig Inhalt ein verschwörungstheoretisches oder rechtes Gedankengut offenbar7. Auch Veranstaltungen der AfD würden nicht prinzipiell aufgenommen, sondern es würde in jedem Fall nach dem Inhalt der Veranstaltung entschieden. In Bezug auf Schule, Arbeitsplatz, Universitäten und Wohnumfeld ergänzt sie, dass in diesen Bereichen sehr wenige Vorfälle gemeldet würden. Dies läge an dem sensiblen Feld, in dem Menschen mehr Angst hätten, z.B. Angriffe zu melden. Um dieses strukturelle Problem zu beheben, bedarf es gezielter Maßnahmen, um die Unterstützungsangebote und Präventionsarbeit zu erweitern, sind sich die Referent*innen einig.

 

BV Frau Wojahn führt aus, dass aus Sicht der GRÜNE-Fraktion viel mehr in Projekte der Präventionsarbeit, speziell im Bezirk, aber auch in die Verbesserung der Strukturen, die sich mit Antidiskriminierung beschäftigen, investiert werden müsse. Neben der Bekämpfung des institutionellen Rassismus sei es aber auch wichtig, ihn im Alltag zu bekämpfen, wo er die meisten Menschen betreffe. Vonseiten der GRÜNE-Fraktion setze man sich derzeit dafür ein, dass die Finanzierung von Integrationsfonds-Projekten nicht im beabsichtigten Umfang gekürzt werde. An das Bezirksamt richtet sie die Frage, ob die fehlenden Projekte im Bereich Antidiskriminierung im Bezirk an der Finanzierung scheitern und was von den Bezirksverordneten zusätzlich getan werden könne.

 

In Bezug auf die Einladung vonseiten der SPD-Fraktion zeigt auch die CDU-Fraktion Bereitschaft, über das Thema überparteilich ins Gespräch zu gehen. Siehrt aus, dass an den Schulen insbesondere die Präventionsarbeit in Sozialstationen wichtig sei. Sie plädiert dafür, mehr auf zivilgesellschaftliches Engagement und das polizeiliche Anzeigen von Fällen von Rassismus und Antisemitismus hinzuwirken.

 

Herr Schulze (Willkommensbündnis) erinnert an die Schwierigkeiten, die Registerstelle in den Bezirk zu holen. Anlass war die Feststellung, dass Steglitz-Zehlendorf damals unter den Westberliner Bezirken der mit den meisten Vorfällen gewesen sei, was insbesondere in Anbetracht der Lage am Stadtrand erstaunlich und bedauerlich sei. Auch in seiner Arbeit beobachte er, dass Rassismus und Diskriminierung in den letzten Jahren im Bezirk viel stärker geworden seien. Es sei fraglich, ob ein Projekt oder ein/e bezirkliche/r Beauftragte/r alleine reiche und mehr erreichen könne. Sehr lobend hebt er die langjährige Arbeit von Frau Duval hervor und erkundigt sich nach dem Unterstützungsbedarf und Wünschen, auch in Bezug auf Ansprechpartner*innen und der zukünftigen Arbeit der Registerstelle. Die SPD-Fraktion ergänzt, dass, im Gegensatz zu der AfD-Fraktion, sie nicht froh darüber sei, dass die Zahlen im Bezirk stabil seien. Das Ziel sollte sein, keine Registerstelle im Bezirk zu benötigen. Es sei noch viel im Bezirk zu tun und es sei gut, dass viele demokratische Fraktionen ihre Zusammenarbeit signalisieren.

 

Bezirksstadträtin Böhm führt aus, das Thema beschäftige sie persönlich schon seit über dreißig Jahren. Sie habe vor einigen Jahren den einjährigen Masterstudiengang „Interkulturelle Erziehung“ an der Freien Universität belegt, der sich insbesondere an Lehrkräfte richtete. Diskriminierungsfreie Umgangsweisen würden nicht in die Wiege gelegt, sondern müssten erarbeitet werden. In Bezug auf die Schulen sei jetzt verbindlich die Entwicklung von Kinderschutzkonzepten geregelt. Jede Schulgemeinschaft sse sich damit auseinandersetzen, wie sie Kinder vor Diskriminierung und Ausgrenzung schützen könne. Strukturellem Rassismus müsse begegnet werden, es brauche eine andere gesellschaftliche Haltung. Einzelne Projekte helfen da nicht weiter.

 

Laut der AfD-Fraktion gebe es eine zunehmende Spannung in der Gesellschaft, dies sehe man bei der objektiven Beobachtung anderer Bezirke und Städte. In Bezug auf die Zahlen rassistischer Überfälle könne niemals das Ideal von Null erreicht werden. Die Gesellschaft würde immer konfliktgeladener, vor diesem Hintergrund seien stabile Zahlen lobenswert. Zum Thema Integration und gemeinsames Miteinander in der Schule sei zu diskutieren, was das Vereinende angesichts unterschiedlicher Religionen sein könnte. Religion sei stärker als Loyalität zum Land oder Integrationsmaßnahmen, es sei viel zu tun und die AfD-Fraktion werde auch in Zukunft in diesem Bereich mithelfen. Die SPD-Fraktion ergänzt, dass Rassismus in Schulen ein sehr sensibles Thema sei. Sie kritisiert, dass seitens der AfD-Fraktion Rassismuserfahrungen negiert oder kleingeredet würden. Solche zu melden oder zur Anzeige zu bringen, erforderte von den Personen sehr viel Mut. Daher sei eine hohe Dunkelziffer zu vermuten. Frau Duval ergänzt, dass die Zahlen keineswegs stabil seien, zwar seien sie insgesamt im Jahr 2020 im Bezirk zurückgegangen, aber in einigen Bereichen wie Bedrohungen, Beleidigungen, Pöbeleien seien die Vorfälle gestiegen. Es sei eine Verschiebung von quantitativ zu qualitativ zu beobachten, dies könne man gut in der 5-Jahres-Broschüre nachlesen, die Ende des Jahres erscheine. Es brauche eine lösungs- und nicht problemorientierte Arbeit im Bezirk und konkret Bildungsarbeit an Schulen. Die Auswirkungen von rassistischen Mobbingerfahrungen bei Kindern seien nicht zu unterschätzen. Es brauche ein schul- und kiezübergreifendes Projekt, das Unterstützung an vielen Schulen leisten kann und ein Gesamtkonzept für den Bezirk habe. Zudem fehle eine bezirkliche Beratungsstelle, derzeit müsse auf berlinweite Beratungsstellen verwiesen werden.

 

Lehrer*innen und Schulen hätten eine große Verantwortung, führt Herr Hizarci aus. Er selbst habe als Lehrer auch schmerzliche Erfahrung gemacht, ein selbstreflektiertes Handeln sei wichtig. Der Staat, und das schließt die Polizei mit ein, habe die Aufgabe, den Menschen diskriminierungsfrei entgegen zu treten, dies passiere nicht. Er appelliert an die Politiker*innen, mehr aufeinander zuzugehen, es stimme ihn aber optimistisch, dass bei den demokratischen Parteien die Bereitschaft vorhanden sei, gemeinsam gegen das Virus des Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung vorzugehen.

 
 

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