Auszug - Vorstellung der Arbeit von ADAS - Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen durch Frau Aliyeh Yegane  

 
 
11. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Integration
TOP: Ö 3
Gremium: Ausschuss für Integration Beschlussart: erledigt
Datum: Di, 19.12.2017 Status: öffentlich
Zeit: 17:00 - 20:00 Anlass: ordentliche Sitzung
Raum: Rathaus Neukölln, Çigli-Zimmer, 1. Etage, Raum A104
Ort: Karl-Marx-Straße 83, 12040 Berlin
 
Beschluss


Die Anlaufstelle hat ihre Büroräume in den Vereinsräumen des Trägers Life e.V. in Schöneberg, Rheinstraße 45. Das Modellprojekt ADAS startete September 2015, wird finanziert von der Lotto Stiftung Berlin und endet April 2018. Ziel ist es Erfahrungen zu sammeln um konkrete Empfehlungen geben zu können sowie Strukturen und Netzwerke aufzubauen. Es braucht unabhängige nichtstaatliche Stellen (Empfehlung des Bundes). Im Juni 2016 wurde die unabhängige Beratungsstelle eröffnet, an die sich jeder wenden kann. Vier Mitarbeiterinnen informieren, beraten, begleiten und vermitteln weiter. In Neukölln erprobt ADAS seit Anfang 2016 das sog. Neuköllner Clearingverfahren. Es werden Fälle von Diskriminierung an Schulen in einer Expertengruppe besprochen, die sich zusammensetzt aus wichtigen schulrelevanten Akteur*innen in Kooperation mit der Schulaufsicht, dem Bezirksamt (Frau Tanana, Herr Atashgahi, Herr Mengelkoch) bezirklichen Migrant*innen und Selbsthilfeorganisationen. Am Ende der Projektzeit wird es einen Erfahrungsbericht geben, Fälle werden anonymisiert ausgewertet und Empfehlungen werden in einer Broschüre für Schulen, Schüler und Eltern veröffentlicht.

Die Anlaufstelle arbeitet berlinweit. Ca. 20/30 % der Fälle die in Antidiskriminierungsstellen gemeldet werden, kommen aus dem Bildungsbereich/Schule. Dies sind auch die schwerwiegenderen Fälle. Daher wird in dem Modellprojekt ein eigener schulspezifischer Beratungs- und Interventionsansatz entwickelt, um in Schulen nachhaltig wirksame Antidiskriminierungsstellen zu installieren. Gearbeitet wird zu allen Merkmalen der Diskriminierung, Geschlechteridentität, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuelle Identität, Behinderung, Lebensalter und sozio-kultureller Status.

Die antidiskriminierungsrrechtlichen Grundlagen sind u.a. die Menschenrechte, das Grundgesetz und das AGG-Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das noch nicht direkt für Schulen gilt. Die BRD konnte es nicht umsetzen, da der Bildungsbereich Ländersache ist. Was ist Diskriminierung? Es herrscht viel Unsicherheit bei Lehrern, Eltern und Schülern.

Die Ergebnisse des Modellprojekts ADAS sollen zur Problemlösung beitragen.

 

Die Anlaufstelle hat inzwischen 123 Meldungen erhalten. Über die Hälfte der Menschen, die Fälle gemeldet haben, suchen Unterstützung und Begleitung.

Es ergibt sich ein hoher Beratungs- und Betreuungsbedarf. 95 % der Meldungen beziehen sich auf Diskriminierung von Schülern hauptsächlich zum Bereich ethnische Herkunft in Kombination mit sozio-kulturellem Status. Diese Erfahrung deckt sich mit dem Ergebnis einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wonach 23 % der bundesweit eingegangenen Meldungen auf den Bildungsbereich entfallen und sich ebenfalls hauptsächlich auf die Merkmale ethnische Herkunft und sozio-kultureller Status beziehen. 50 % der Meldungen bei ADAS sind Mehrdimensional.

Es gibt kaum Schüler*innen, die sich selbst melden. Das zeigt, wie wichtig das Umfeld ist, im Nahkontakt etwas mitzubekommen und zu unterstützen. Zum Umfeld gehören Schulsozialarbeiter, Lehrer, Eltern, Stadtteilmütter, Personal der Flüchtlingsunterkünfte. Ratsuchende wollen in der Regel zunächst einen informellen Kontakt zu einer unabhängigen Stelle, da sie kein Vertrauen mehr haben zur Schule. Sie suchen einen empathischen sensiblen Umgang, wollen nicht herabgewürdigt werden. Vertraulichkeit muss sein, also keine Datenweitergabe ohne Absprache.

Der Ratsuchende behält die Kontrolle des Prozesses. Teilweise haben die Eltern wenig Infos zu den Strukturen in Schulbereich. Das SIBUZ-Schulpsychologisches und inklusionspädagogisches Beratungszentrum, das es in jedem Bezirk gibt, ist oft nicht bekannt. Selten sind Fälle mit formalem Verlauf, z.B. Dienstaufsichtsbeschwerde. Ratsuchende wünschen sich, dass sofort etwas geschieht und dass sie keine Nachteile in der Schule haben werden. Emotionen müssen versachlicht werden, das ist unsere Arbeitsweise. Wir vertreten die Interessen der Ratsuchenden aber auch die Schule muss angehört werden.

Auch hier muss der Vertrauensschutz gewährleistet sein.

 

Frau Yegane schildert einige Einzelfälle.

 

Fall I: eine iranischstämmige Gymnasiastin, seit zwei Jahren in Deutschland, fühlt sich von ihrer Physiklehrerin gemobbt. Beim unangemeldeten Test verstand sie das Wort „geringste“ nicht und bat um Erklärung. Diese wurde ihr verweigert. Am Ende der Testzeit hielt die Lehrerin (Quereinsteigerin) das leere Blatt der Schülerin hoch und erklärte der Klasse, dass die Schülerin nicht gelernt habe und wer die deutsche Sprache nicht könne, der solle auch nicht hier sein. Es folgte ein Gespräch mit Schulleitung, Lehrerin, Eltern und Schülerin. Die Lehrerin entschuldigte sich.

Die Schulleiterin bedankte sich. Die Schülerin wechselte die Schule.

 

Fall II: ein herkunftsdeutscher Inklusionsschüler der Oberstufe mit Herzfehler darf aus medizinischer Sicht am Sportunterricht teilnehmen, wenn er auf bestimmte Dinge achtet. Die Schule hat ihn jedoch generell vom Sportunterricht ausgeschlossen.

Der Schüler fühlt sich diskriminiert. Ein Gutachten wird in Auftrag gegeben um Wunsch nach Sport und Risiko für den Sportlehrer miteinander abzuwägen.

 

Fall III: zwei Oberstufenschülerinnen tragen Kopftuch. Die Lehrerin verlangte während einer Klausur vor der Klasse von beiden das Kopftuch seitlich zu lüften.

Sie wolle kontrollieren, ob gemogelt werde. Das empfanden die Schülerinnen als entwürdigend. Beim Elternsprechtag hat die Mutter einer der Schülerinnen die Lehrerin daraufhin angesprochen und wurde barsch zurückgewiesen mit dem Hinweis, sie könne sich ja an den Direktor wenden. Die Mutter wendete sich an ADAS. Es folgte ein Gespräch mit dem Schulleiter und später ein gemeinsames Gespräch mit allen Beteiligten. Die Lehrerin holte sich zusätzliche Unterstützung durch die Frauenvertreterinnen der Schule und des Bezirksamtes. Es folgte ein sehr langes Gespräch mit dem Ergebnis, dass die Lehrerin vor der Klasse richtig stellen sollte, dass es keinen Täuschungsverdacht gab. Der Schulleiter übernahm Verantwortung. Die Schülerin war unzufrieden über den Gesprächsverlauf.

Die Lehrerin meldete sich zunächst krank. Inzwischen ist die Schülerin zufrieden und will nicht mehr die Schule wechseln.

Häufig haben die Lehrer nicht im Blick, was ihre Worte und ihr Verhalten bei Schülern emotional auslösen können. Es wird für die Schüler sehr schwer, wenn der Direktor „es“ nicht zu seiner Sache macht.

 

Viele Meldungen bundesweit weisen darauf hin, dass Schulen aktiver gegen Diskriminierung vorgehen und es für Betroffene Beschwerdemöglichkeiten geben sollte. Da müssen wir dran arbeiten. ADAS hält viele Vorträge berlinweit auch Workshops mit Schülern werden durchgeführt. ADAS verschickt auf Bestellung Flyer und Plakate für Eltern in verschiedenen Sprachen. Neukölln wird einen Flyer in seine Broschüre zur Übersicht der Oberschulen einlegen. Der Berliner Bildungssenat hat die Stelle einer Antidiskriminierungsbeauftragten eingerichtet und besetzt. Bestandteil der Koalitionsvereinbarung ist die Umsetzung des AGG auf Landesebene. Life e.V. hat die Verlängerung des Modellprojekts ADAS beantragt. Die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg sind interessiert das Clearing-Verfahren auch in ihrem Schulbereich zu testen.

 

Frau Schoenthal fragt nach, ob es Bezirke gibt, aus denen die ADAS häufiger Meldungen erhält. Frau Yegane informiert, dass die Daten hierzu bisher nicht ausgewertet wurden. Sie gibt zu bedenken, dass man hier vorsichtig sein müsse, da die Zahlen nicht repräsentativ sind und nichts über das tatsächliche Ausmaß von Diskriminierung aussagen und dadurch leicht  Bezirke stigmatisiert werden könnten.

 

Frau Gloeden gibt zu bedenken, dass der normale Beschwerdeweg innerhalb von Schulen, also das Ansprechen der Klassen- und Vertrauenslehrer, der Elternvertreter und der Schulleitung doch gute Praxis sei und das nur in bestimmten Fällen außenstehende Dritte einbezogen werden müssten. Frau Yegane erklärt, dass die in Schulen vorgesehenen Verfahren gut funktionieren, wenn Diskriminierung zwischen Schülern zu regeln ist. Bei Diskriminierung zwischen Schülern und Lehrern wird es schon schwieriger. Da hängt viel von der Schulleitung ab. Auch die Schulaufsicht spielt eine große Rolle. Es gilt darauf hinzuwirken, dass die Schule ein eigenes Beschwerdemanagement entwickelt und nachhaltige Lerneffekte erzielt. Es wird noch zu viel vertuscht. Best-Practice Beispiele können Schulen Orientierung geben.

 

Herr Abed erwähnt das Neutralitätsgesetz und fragt, ob es Fälle gibt, dass Lehrer ihren Schülerinnen sagen, dass sie mit Kopftuch keine Chance hätten Lehrerin zu werden. Frau Yegane antwortet, dass die Diskriminierung wegen des Tragens von Kopftüchern vorkomme, dies jedoch als eine untere vielen Varianten von rassistischer Diskriminierung.

 

Herr Abed fragt auch, ob ADAS Kontakt habe zur Jugendberufsberatung. Frau Yegane informiert, dass der Verein Lokales berufliches Orientierungszentrum im Verein Alte Feuerwache e.V. mit seinem Projekt „Zugänge für Alle“ gute Arbeit leistet, sich speziell auf Diskriminierungsfälle bei der Berufsausbildung konzentriert und Beratung und Begleitung anbietet, http://www.lbo-alte-feuerwache.de/aktuelle-projekte/zugang-fuer-alle Die Projektmitarbeiterinnen haben auch Kontakte zu Neuköllner Schulen.

 

Frau Schoenthal erwähnt, dass jede Schule ihren guten Ruf schützen will. Wie kann ADAS da ansetzen? Frau Yegane antwortet, dass ein gutes Beschwerdemanagement den positiven Ruf einer Schule nur steigern kann.

 

Herr Szczepanski gibt zu bedenken, dass unter Schülern Diskriminierung eher als Mobbing betitelt wird und fragt, ob ADAS sich auch mit solchen Fällen beschäftigt. Frau Yegane antwortet, dass die Mitarbeiterinnen hier eher von Vorfällen aus der Presse erfahren. So sei ADAS involviert in der Friedenauer Schule, in der ein jüdischer Schüler von Mitschülern gemobbt wurde. Im geplanten Leitfaden werde ADAS auch einen Fall von Diskriminierung zwischen Schülern darstellen und auch den Unterschied sowie die Schnittstellen von Diskriminierung und Mobbing erläutern.

 

Herr Szczepanski fragt auch ob ADAS auf Fälle von institutioneller Diskriminierung aufmerksam wurde, wenn z.B. bestimmte Ethnien in bestimmten Klassen konzentriert würden, weil dann der Unterricht einfacher zu organisieren sei. Frau Yegane antwortet, dass ADAS Mitarbeiterinnen ethnische segregierende Praktiken berichtet wurden, bisher jedoch keine Schüler oder dessen Eltern sich bei ADAS gemeldet bzw. beschwert hätten. Wohl aber nehme ADAS solche Hinweise auch als anonyme Meldung auf.

 

Frau Bayraktar informiert, dass die Zahl der türkischen Mütter zunehme, die Unzufriedenheit mit der Benotung durch die Schule äußern. Frau Yegane erwähnt die Ergebnisse der aktuellen Studie des Sachverständigenrats für Migration (SVR 2017: Vielfalt im Klassenzimmer), die besagt, dass Schüler mit Migrationshintergrund in der Klasse seltener aufgerufen werden und kürzere Redezeit erhalten.

 

Frau Yegane erklärt sich bereit, nach Abschluss der Projektzeit, die Ergebnisse den Ausschüssen Integration und Bildung, wie von Herrn Atashgahi und Herrn Schulze vorgeschlagen, in einer gemeinsamen Sitzung vorzustellen.

 

In der Anlage zum Protokoll wird die PPP von Frau Yegane zur Verfügung gestellt.

 

Frau Tanana bedankt sich im Namen der Ausschussmitglieder für die ausführliche Darstellung der Projektarbeit und wünscht dem Träger weiterhin viel Erfolg bei seiner schwierigen Arbeit.


 
 

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