Bezirksamtsbeschluss 199/17

Drucksachen der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin
XX. Wahlperiode

Sitzung am:
Drs. Nr.: 0367/XIX
Lfd. Nr.:

Vorlage zur Kenntnisnahme

-Schlussbericht -
(letzter Zwischenbericht am 18.09.2013)

Gedenkraum an der Clay-Schule

Zur Einleitung

In Berlin als Reichshauptstadt und bedeutender Rüstungsmetropole existierten zwischen 1939-1945 vermutlich mehrere tausend Lager mit über einer Million ausländischer Zwangsarbeiter*innen. Genauere Zahlen konnten bis heute nicht ermittelt werden. Die Lager waren im gesamten Stadtraum verteilt und fassten von einigen wenigen bis über tausend Personen. Eines der größeren Lager war das Barackenlager der Arbeitsgemeinschaft Rudow in der Köpenicker Straße 39-45. Zwischen 1941-1942 entstanden hier drei Lagerbereiche (Lager I-III), die zusammen über eine Kapazität von 1.047 Personen verfügten. Schätzungen zufolge waren jedoch bis zur Ankunft der Sowjetarmee am 26. April 1945 insgesamt mehr als 2.000 Zwangsarbeiter*innen (Männer, Frauen, Kinder) auf dem Gelände untergebracht, mehrheitlich polnische Zivilist*innen und Sowjetbürger*innen (sogenannte „Ostarbeiter*innen“). Das Gelände des Lagers in der Köpenicker Straße wurde von der Deutsche-Asbest-Zement-AG (DAZAG, später Eternit AG) an die Arbeitsgemeinschaft verpachtet. Weitere Betreiberfirmen waren u.a. Wintershall/Fusor, Krone, Ehrich & Graetz, Flugzeugwerk Johannisthal, Flugzeugreparaturwerk Rudow GmbH und die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL). Die Nutzung in der direkten Nachkriegszeit ist nicht eindeutig geklärt, wahrscheinlich wurden die Baracken zunächst als Flüchtlingslager weitergenutzt und bald danach abgerissen und die Rohstoffe anderweitig verbaut. Allein die Wirtschaftsbaracke (Lager III) blieb erhalten und wurde in den 1950er Jahren von der Firma Thiemann als Sitz ihres Hoch- und Tiefbaubetriebs umgebaut und weitergenutzt. 1957 erwarb die Eternit AG das Gelände, welche ihren Betrieb nach Süden vergrößerte. In der ehemaligen Wirtschaftsbaracke entstand zunächst eine Farbenfabrik, die ab 1968 der Abteilung Chemie-Forschung weichen musste.

Abriss der ehemaligen Wirtschaftsbaracke

Die detaillierte Dokumentation des Abrisses der Wirtschaftsbaracke und die Durchführung von Grabungen auf dem Gelände wurden zur Auflage für die Abrissgenehmigung durch das Landesdenkmalamt. Das Museum Neukölln wurde mit der Ausschreibung für die Dokumentation und die Grabungen sowie der Koordination der weiteren Maßnahmen zur Einrichtung eines Informations- und Gedenkortes für die Zwangsarbeit in Rudow (IGZR) beauftragt. Im Juni und Juli 2014 erfolgte schließlich der Abriss des schadstoffbelasteten Gebäudes.

Die Dokumentation des Gebäudes wurde durch die Firma Schulz und Drieschner im Mai 2014 vorgenommen. Der Abschlussbericht lag zum 30.11.2016 vor. Ein Wandstück der Wirtschaftsbaracke wurde als Teil der originalen Holzbaracke herausgetrennt und eingelagert und ist somit ein historisches Monument des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers. Als Kernstück des Lagerlebens und zentrales Objekt des Gedenkortes in dem Neubau der Clay-Oberschule erinnert es stellvertretend an den Alltag und die Lebensumstände der Zwangsarbeiter*innen.

Die archäologischen Grabungen

Bei der ersten Ausgrabung auf dem Gelände durch die Firma archaeofakt vom 20.08.2014 bis 17.10.2014 wurden über 1.000 Objekte und Fragmente aus dem Lageralltag und dem Privatbesitz der Lagerbewohner*innen gefunden. Die zum Teil im sogenannten Splittergraben und überwiegend in den Abfallgruben des Lagers gefundenen Objekte sind authentische Zeugnisse des Alltagslebens der Zwangsarbeiter*innen. Die Reste des Splittergrabens, die gesichert werden konnten, zeigen die ständige Bedrohung durch den Krieg und die Luftangriffe der Alliierten und den meist nur unzureichenden Schutz, den die Zwangsarbeiter*innen erhielten. Eine erste Auswertung ergab, dass sich die Zeugnisse des Lagers in der Köpenicker Straße in besonderer Weise zur Einrichtung eines Informations- und Gedenkortes zur Zwangsarbeit in den zukünftigen Räumlichkeiten der Clay-Oberschule eignen. Neben den Funden aus der Lagerzeit wurden auch zahlreiche Funde aus der Römischen Kaiserzeit und davor gemacht. Das Landesdenkmalamt verfügte daraufhin, dass eine zweite Grabung zur Sicherung der frühgeschichtlichen Siedlungsfunde durchgeführt wird.

Im Rahmen der zweiten Grabung, die von der Firma archaeofakt nach einer erneuten Ausschreibung vom 19.10.2015 bis zum 04.03.2016 durchgeführt wurde, sind umfangreiche Funde gemacht worden, die auf eine hohe Besiedlungsdichte des Gebietes schließen lassen. Einzelne Fundstücke weisen bis in die Steinzeit zurück. Ein ausführlicher Grabungsbericht liegt mittlerweile vor. Einige der Ergebnisse wurden im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung an der Clay-Oberschule präsentiert. Dabei wurden auch die Schülergruppen miteinbezogen, die unter Aufsicht der Archäologen an den Grabungen in Rudow mitwirken konnten.

Der Informations- und Gedenkort zur Zwangsarbeit in Rudow (IGZR)

Die Anforderungen an das IGZR für die Ausschreibungsunterlagen des Architekturwettbewerbs für den Neubau der Clay-Oberschule wurden vom Museum Neukölln gemeinsam mit der Clay-Oberschule formuliert und abgestimmt. Die durch den Wettbewerbssieger Staab Architekten vorgeschlagene Einrichtung des IGZR in Form eines Geschichtslabors im Eingangsbereich der Schule wurde von Museum und Schule als zweckmäßig und sinnvoll erachtet. In insgesamt drei Workshops von Mai bis Juni 2016 wurden die Gestaltungsideen für die Vorplanungsunterlage (VPU) konkretisiert und in einem Gestaltungsentwurf vorgelegt. Aktuell wird die Bauplanungsunterlage (BPU) erstellt. Für die inhaltliche Erarbeitung einer Konzeption und zur Kuratierung des Geschichtslabors hat das Museum Neukölln eine Historikerin beauftragt. Sie wird die Konzeption in enger Abstimmung mit Lehrer*innen der Clay-Oberschule erarbeiten, um alle erforderlichen pädagogischen und didaktischen Aspekte zu berücksichtigen.

Durch das Geschichtslabor soll vornehmlich Schüler*innen der Clay-Oberschule, aber auch externen Besucher*innen am authentischen Ort die Möglichkeit zum forschenden Lernen über dieses wichtige Kapitel der Geschichte des Nationalsozialismus gegeben werden. Zugleich wird den

Zwangsarbeiter*innen dieses für lange Zeit vergessenen Lagers eine Stimme gegeben und ihr Schicksal anhand von Dokumenten und Objekten erfahrbar gemacht. Auch im Hinblick auf die multikulturelle Einwanderungsgesellschaft in Berlin und die aktuelle Flüchtlingskrise ist die Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Diskussionen und Gespräche.

Das Bezirksamt sieht den BVV-Beschluss damit als erledigt an.

Berlin-Neukölln,

Bezirksbürgermeisterin Bezirksstadtrat
Dr. Franziska Giffey Jan-Christopher Rämer