Handlungsfeld Audismus

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Warum ist dieses neue Handlungsfeld wichtig?

Audismus bezeichnet die Diskriminierung Tauber Menschen. Der Begriff beschreibt die Diskriminierung von Gehörlosenkultur und Gebärdensprachen, die bis heute als weniger wert betrachtet und marginalisiert werden. Es ist eine Abwertung Tauber Menschen als “defekt” und legt eine höhere Wertschätzung von Hören und Sprechen voraus. Folgen sind unter anderem Stigmatisierung, Ausgrenzung und Ungleichbehandlung. Das führt zur Abwertung von der Gehörlosenkultur, der Gebärdensprache und das Zugehörigkeitsgefühl als ethnische Gruppe. Bereits in der Schule werden Taube Menschen gezwungen Lautsprache zu erlernen und der Unterricht wird nicht in ihrer Muttersprache der Deutschen Gebärdensprache angeboten.

Zugänge zu Veranstaltungen und Ausbildungen werden verwehrt, weil keine Dolmetscher*innen für Deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache mitgedacht und bereitgestellt werden. Informationen, beispielsweise im Internet werden nur zu einem geringen Teil in Deutscher Gebärdensprache angeboten. Dies ist die Realität für viele Taube, da sie in einem hörenden Umfeld aufwachsen.

Was genau bedeutet Audismus?

Tom L. Humphries ist ein US-amerikanischer Wissenschaftler, Autor und Dozent für Gehörlosenkultur und Gehörlosenkommunikation. Er ist Professor an der University of California in San Diego und prägte 1975 den Begriff Audismus in seiner Doktorarbeit. Seine Idee dahinter war es, ein gleichwertiges Wort zum Begriff Rassismus zu haben.

Die Wissenschaft unterscheidet vier Formen von Audismus:

  • Ideologische Ebene (Geschichte, Sprache, Gesellschaft, Religion)
    Hinter dem Begriff Audismus steht eine unhinterfragte, als selbstverständlich angenommene Weltanschauung / Wertesystem, das die Sicht auf Taube Menschen in den westlichen Gesellschaften prägt. Das System ist geprägt von dem Irrtum, der das Menschsein mit der Fähigkeit zu sprechen gleichsetzt. (H.-Dirksen L. Baumann, 2004). Die Folge daraus ist, dass die Unterdrückung Tauber auf allen Ebenen universell akzeptiert wird.
  • Institutionelle Ebene (Gesetze, Medien, Bildung/Schule, Kliniken, Behörden):
    Hörende Menschen sind in unserer Gesellschaft systematisch privilegiert, Taube werden in genau diesem System ausgegrenzt. Institutioneller Audismus benennt den Bevormundungsapparat der Mehrheitsgesellschaft der Hörenden über die taube Minderheit: Durch Institutionen werden Taube bevormundet: sie haben kein Mitspracherecht bei Angelegenheiten, die sie selbst betreffen
  • Individuelle Ebene (Freunde, Familie, Kolleg*innen)
    Es ist wichtig, dass mehr Gebärdensprache erlernt wird, doch das Problem ist in beiden Fällen die Geringschätzung der Deutschen Gebärdensprache und das Ausruhen auf einer lautsprachlichen Kommunikation. Oftmals wachsen Taube Menschen in einem hörenden Umwelt auf, das eine geringe gebärdensprachliche Kompetenz hat und dadurch sind sie gezwungen lautsprachlich mit ihren Familienmitgliedern zu kommunizieren.
    Ähnlich wie im Familienkontext können Taube Menschen oftmals wenig bis gar nicht mit ihren Kolleg*innen kommunizieren, da diese nicht Gebärdensprache lernen. So erfolgt oft der Ausschluss von Tauben Menschen innerhalb eines kollegialen Umfeldes am Arbeitsplatz.
  • Unbewusste Ebene (das stillschweigende Akzeptieren dominierender Normen Hörender und ihrer Privilegien)
    Die Unbewusste Ebene bezeichnet eine internalisierte Form von Audismus. Manche Taube übernehmen Werte und Sichtweisen der hörenden Mehrheitsgesellschaft. Es entsteht durch ein fortwährendes Einwirken von Audismus auf Taube. Sie werden als behindert wahrgenommen, Wichtigkeit von Sprechen und Lippenlesen wird ihnen aufgezwungen, Erziehung tauber Kinder ist hörgerichtet und Taubsein wird defizitär betrachtet. Die Identität der Tauben wird angegriffen und versucht zu beeinflussen.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Wörterbuch Audismus von Diversity, Arts, Culture

Audismus und Sprachliche Diskriminierung

In unserer Gesellschaft herrschen noch immer sehr viele sprachliche Barrieren und dadurch erfolgt Diskriminierung. Beispiele hierfür sind Behörden wie die Polizei, Ämter der Verwaltungen, öffentliche Verkehrsmittel, aber auch Institutionen im Bildungsbereich. Linguizismus bezeichnet Vorurteile, Geringschätzung oder eine nicht sachlich begründete Ablehnung gegenüber Sprachen und ihren Sprechern. Oft handelt es sich dabei um Minderheitensprachen oder Sprachen bzw. Ausdrucksweisen bestimmter sozialer Gruppen. Auch zweisprachige Menschen im Allgemeinen können betroffen sein.

Dies wird unteranderem bedingt durch den Phonozentrismus. Phonozentrismus bedeutet eine Überbetonung der gesprochenen Sprachen und die Abwertung der anderen Sprachen, wie beispielsweise Schriftsprache und Gebärdensprache. Die Stimme ist für die Menschen ein wichtiges Merkmal und so bedeutet sie für viele auch ein Maßstab für Intelligenz und Macht. Die Gleichsetzung zwischen Sprache und Stimme gehört zu den historischen Missverständnissen der Menschheit. Die Sprache ist gleichbedeutend mit der Stimme und dies führt dazu, dass die Gebärdensprache lange als eine minderwertige Sprache angesehen wurde.

Sprachliche Diskriminierung und die Kategorie Sprache wird auch im Landesantidiskriminierungsgesetz unter § 2 erwähnt, bisher fehlt es aber an konkreten Umsetzungen die sich spezifisch mit dieser Diskriminierungsform auseinandersetzen und die Schnittstellen aufzeigen.

Wichtig zu wissen:

  • Die Deutsche Gebärdensprache wurde 2002 in Deutschland anerkannt und ist ein eigenes Sprachsystem mit Handzeichen, Mimik und Körperhaltung.
  • Deutsche Gebärdensprache wurde 2021 ebenfalls ins UNESCO Nationale Weltkulturerbe aufgenommen.
  • Nicht alle Menschen, die Gebärdensprache als Erstsprache haben, können ohne Schwierigkeiten Schriftsprache lesen und schreiben, da diese nach anderen Regeln funktioniert und wie eine Zweitsprache erlernt werden muss.

Falls Sie Interesse haben, sich tiefergehend über das Thema zu informieren, lesen Sie gerne folgende Publikationen oder folgen Sie den Links:

  • Deaf Studies im 21. Jahrhundert: „Deaf-gain“ und die Zukunft der menschlichen Diversität

    PDF-Dokument - Stand: 2014

  • Infobrief der LADS, Ausgabe 45 "Antidiskriminierung und Inklusion"

    PDF-Dokument (1.2 MB) - Stand: Dezember 2021