Bezirksamt Pankow von Berlin | .09.2020 |
An die Bezirksverordnetenversammlung | In Erledigung der Drucksache-Nr.: VIII-1022 |
Vorlage zur Kenntnisnahme für die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 13 BezVG
Schlussbericht |
Unzulässige Hartz-IV-Sanktionen stoppen! BVerfG-Urteil vom 05.11.2019 sofort umsetzen! |
Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:
In Erledigung des in der 29. Sitzung am 22.01.2020 angenommenen Ersuchens der Bezirksverordnetenversammlung – Drucksache Nr.: VIII-1022
Das Bezirksamt wird aufgefordert, gemeinsam mit dem Jobcenter Pankow im Rahmen seiner Möglichkeiten (u.a. in der Trägerversammlung) die unverzügliche Anwendung des BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16, welches u.a. Kürzungen von über 30% des Hartz-IV-Regelsatzes für verfassungswidrig erklärt, sicherzustellen. Sanktionen wegen Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen dürfen nicht addiert werden. Sie sind auf max. 30 % zu begrenzen. Die Umsetzung des Gerichtsurteils ist vollumfänglich ebenfalls für alle Betroffenen unter 25 Jahren anzuwenden. Zusätzlich sollen alle laufenden verfassungswidrigen Sanktionsmaßnahmen durch Rücknahme des Sanktionsbescheides sofort beendet werden.
Weiter sollten Maßnahmen entwickelt werden, die eine Wahrnehmungsquote von Terminen durch Leistungsbeziehende im Jobcenter erhöhen.
Dabei sollten u.a. folgende Punkte bei der Einladungspraxis Berücksichtigung finden und geprüft werden:
- Berücksichtigungen von Terminwünschen von Kundinnen und Kunden
- Angabe eines möglichst konkreten Termingrundes in der Einladung
- Beachtung des BSG-Urteils vom 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R: Ermessensfehlgebrauch bei gleichlautenden Serieneinladungen ab dem dritten Meldeversäumnis
- Terminverschiebung ohne Prüfung eines wichtigen Grundes
- Hinweis an Kundinnen und Kunden in Bezug auf die Voraussetzungen für einen zulässigen Antrag auf Terminverschiebung sowohl in der Eingliederungsvereinbarung als auch der Einladung zum Meldetermin
Minderjährige sollen grundsätzlich ohne Sanktionsandrohung eingeladen werden.
wird gemäß § 13 Bezirksverwaltungsgesetz berichtet:
Wie bereits im 2. Zwischenbericht zur Drucksache VIII-1022 dargestellt, wurde die vollständige Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.11.2019 zu den Minderungsvorschriften des SGB II in den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit für alle Jobcenter verbindlich geregelt. Die Jobcenter setzen die Regelungen der Weisungen um. Eine entsprechende gesetzliche Neuregelung wird erwartet.
Die aktuelle und künftige Einladungspraxis sowie die Möglichkeiten, Meldeversäumnisse zu vermeiden, wurden im Rahmen der 45. Sitzung der Trägerversammlung des Jobcenters Berlin Pankow am 04.09.2020 erörtert.
Lt. dem Bericht der Geschäftsführung des Jobcenters hat sich die Kommunikation mit den Kund/innen des Jobcenters bedingt durch die Corona-Pandemie grundlegend geändert und konzentriert sich derzeit auf zwei Standardkanäle:
- Online (jobcenter.digital, E-Mail, postalisch über Scancenter, Online-Terminbuchungssystem des Jobcenters),
- Telefonisch ggf. mit Hinzuschaltung der Dolmetscherhotline.
Diese elektronischen Zugangskanäle werden von den Kund/innen deutlich intensiver genutzt als vor der Krise und haben sich bewährt. Viele Kund/innen haben ein positives Feedback zu den neuen Kommunikationsformaten mit dem Jobcenter gegeben. Es ist davon auszugehen, dass die elektronische Kommunikation bei der schrittweisen Aufnahme eines neuen Regelbetriebes beibehalten wird.
Die Erfahrungen aus der Krise haben gezeigt, dass ein offener, von Empathie geprägter Umgang ohne Belehrung zu den Rechtsfolgen die Zusammenarbeit und Alternativlösungen befördern kann.
Die Beratung über alternative Kommunikationswege hat jedoch auch Grenzen, z.B. bei Sprachdefiziten, bei Kund/innen mit multiplen Problemlagen, im beschäftigungsorientierten Fallmanagement oder bei fehlenden Kontaktdaten. Das Risiko, die Gruppe passiver Kund/innen nicht mehr adäquat betreuen zu können, steigt deutlich. Hier wird die Notwendigkeit persönlicher Kontakte, auch mit der Möglichkeit, Konsequenzen für eine fehlende Mitwirkung aufzuzeigen und zu prüfen, sehr deutlich.
Für terminierte persönliche Beratungsgespräche wurden Beratungsbüros eingerichtet, in denen die Abstands- und Hygienevorschriften eingehalten werden können. Termine für persönliche Beratungsgespräche werden auf Wunsch der Kund/innen vereinbart oder wenn eine persönliche Beratung aus Sicht der Mitarbeitenden notwendig ist. Die Notwendigkeit für eine persönliche Beratung ist in folgenden beispielhaft aufgeführten Fallgestaltungen gegeben: Eingangszonen: - Vorprüfung finanzieller Notlagen
- Ausgabe Neuanträge
- Miet- und / oder Energieschulden
- Wohnungsangebote
Leistungsgewährung: - Notlagen
- drohende Obdachlosigkeit (Erstzuweisung Wohnheim und Räumungsklage)
- Kund/innen, denen objektiv eine telefonische oder elektronische Kontaktaufnahme nicht möglich ist
- kurzfristige Energieabschaltung
Integration und Beratung: - Kund/innen mit Sprachproblemen
- Kund/innen, bei denen ein persönliches Gespräch den Integrationsfortschritt deutlich verbessert (höhere Verbindlichkeit herstellen)
- Kund/innen mit umfangreichen Beratungsbedarf bzgl. Förderung, z.B. Umschulung
- Kund/innen ohne alternative Kontaktmöglichkeiten
- Erstgespräche nach Übernahme ins Team
- Erstgespräche nach Überstellung ins Fallmanagement
- Folgegespräche mit Kund/innen des Fallmanagements im Einzelfall
- Kund/innen, bei denen die Identitätsprüfung erfolgen muss
- Kund/innen mit explizitem Wunsch zur persönlichen Beratung (Prüfung Einzelfall)
Beratungstermine werden derzeit in der Regel telefonisch oder per E-Mail vereinbart. Die Zusendung der Einladung erfolgt im Nachgang ohne Rechtsfolgenbelehrung (RFB) bzw. als Terminbestätigung per E-Mail bei kurzfristigen Terminen. Terminwünsche der Kund/innen finden dabei Berücksichtigung. Auch dort, wo keine Telefon- oder E-Mail-Kontaktdaten vorliegen, aber eine Beratung als zwingend erforderlich erscheint, erfolgt die Einladung zunächst ohne RFB. Im Einladungsschreiben werden die Kund/innen gebeten ihre Kontaktdaten mitzuteilen sowie über Kontaktmöglichkeiten zum Jobcenter informiert (z.B. E-Mail-Postfach des Teams). Bei eventuellem Nichterscheinen zum Beratungstermin und nicht erfolgter Rückmeldung wird per E-Mail oder Telefon erneut durch die Mitarbeitenden des Jobcenters versucht, Kontakt aufzunehmen. Sollte diese Kontaktaufnahme erfolglos sein, kann im Einzelfall und bei dringlicher Erforderlichkeit die 2. Einladung mit RFB erfolgen. Bei erneutem Nichterscheinen ist die Sanktionsprüfung durchzuführen. Hierbei werden die persönliche Situation (z.B. Gesundheitsschutz, Zugehörigkeit zur Risikogruppe, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, Zumutbarkeit) sowie eine eventuell vorliegende Härte im Rahmen der Anhörung bzw. bei erfolgter Sanktion im Rahmen des Widerspruchsverfahrens angemessen berücksichtigt. Mit der Aussetzung der Erteilung von RFB bei Ersteinladungen und der weiteren Öffnung für terminierte persönliche Beratungen in den Beratungsbüros sammeln die Mitarbeitenden des Jobcenters Berlin Pankow derzeit Erfahrungen, die bei der Festlegung der weiteren Vorgehensweise beachtet werden. Angesichts der beschriebenen Kontaktformate und der Einladungspraxis ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Meldeversäumnisse und der zu verhängenden Sanktionen weiter reduzieren wird. Wir bitten, die Drucksache damit als erledigt zu betrachten. |
Haushaltsmäßige Auswirkungen
keine
Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen
keine
Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung
keine
Kinder- und Familienverträglichkeit
Mit dem Ziel der Vermeidung von Sanktionen wird Familien- und Kinderarmut entgegengewirkt.
Sören Benn Bezirksbürgermeister | Rona Tietje Bezirksstadträtin für Jugend, Wirtschaft und Soziales |