Geschichte Rathaus 6. 1945

Die schweren Nachkriegsjahre (1945-1949)

Abriß des ehemaligen Lokals "Zum Kurfürsten" im Oktober 1950 in der Berliner Str. 101

Abriß des ehemaligen Lokals "Zum Kurfürsten" im Oktober 1950 in der Berliner Str. 101

Die ersten Anschläge der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) für die Bevölkerung forderten unter anderem zur Abgabe von Waffen, Radios und Fotoapparaten auf; Schreibmaschinen waren anzumelden. Auf den Rathausstufen sollen sich die abgelieferten Geräte aufgetürmt haben. Noch während der Kämpfe in Berlin fanden sich in dem Lokal Wollank-/Ecke Schulzestraße verantwortungsbewusste Menschen zusammen, die die Grundlage der neuen Verwaltung schaffen wollten. Sie bildeten ein Volkskomitee, siedelten in die Florastraße 79 über und nahmen Verbindung zur sowjetischen Kommandantur auf, die sich inzwischen im Rathaus eingerichtet hatte. Auf Anordnung des ersten Bezirkskommandanten, Oberstleutnant Petkun, wurde noch in den Apriltagen aus den Trümmern der zusammengebrochenen Verwaltungsbehörde eine Körperschaft gebildet, die es zu übernehmen hatte, den sowjetischen Befehlen gemäß die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren. Im Treppenhaus Neue Schönholzer Straße 6 begann diese Körperschaft ihre Arbeit.

Am 2. Mai 1945 hatte das Volkskomitee einen Aufruf erlassen, in dem es hieß: “Der von der Hitlerclique vom Zaun gebrochene Krieg neigt sich seinem unvermeidlichen Ende zu. Dennoch: Wir wollen leben, und wir werden leben! Wir wollen und werden aufbauen! Zu diesem Zweck hat sich aus Einwohnern aller nichtfaschistischen Kreisen ein Volkskomitee gebildet, das in Zusammenarbeit mit der Kommandantur Ordnung schaffen will und alle gutwilligen Kreise zur Mitarbeit aufruft. Die vordringlichsten Aufgaben sind: 1. Sicherstellung der Ernährung, 2. Sicherstellung des Sanitätswesens, 3. Unterbringung der Flüchtlinge, 4. Beseitigung der Verkehrshindernisse. Zur Feststellung der Esser findet eine Zählung der Einwohnerschaft statt. Häuser, Luftschutzkeller, Höfe, Straßen und Plätze sind gründlich zu säubern, um Seuchen vorzubeugen. Zwecks Wiederaufnahme des Verkehrs sind Barrikaden und Verkehrshindernisse abzutragen. Gräben und Trichter werden mit Schutt aufgefüllt. Im Übrigen verweisen wir auf die einschlägigen Kommandanturbefehle, deren strengste Befolgung im ureigensten Interesse der Einwohnerschaft liegt.”

In Pankow und in den Ortsteilen Niederschönhausen, Buchholz, Blankenfelde, Buch sowie Blankenburg und Karow waren zunächst provisorische Gemeindeverwaltungen eingerichtet worden. Das von diesen Ausschüssen vorgeschlagene Bezirksamtskollegium wurde von der Bezirkskommandantur genehmigt: 1. Bürgermeister Mätzchen (KPD), 2. Bürgermeister Schmidt (SPD) , 3. Bürgermeister Reuter (parteilos). Es konnte am 1. Juni seine Tätigkeit beginnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Bezirksamt das Gebäude der ehemaligen “Erziehungsanstalt von Waisenknaben jüdischer Religion”, Berliner Straße 121 (Ecke Hadlichstraße), zur Verfügung gestellt, das seit Mitte der 30er Jahre anderweitig genutzt worden war.

Waren es in diesen Tagen etwa 40 Angestellte, außer den Mitarbeitern, die in den Ortsamtsstellen ehrenamtlich wirkten, so wuchs deren Zahl in den folgenden Monaten auf rund 1.800. Meistens brachten sie mehr Mut, Willen und Hoffnung als Fachwissen mit, so dass vieles nur improvisiert und doch irgendwie gemeistert werden konnte. So musste die Bevölkerung auf schnellstem Wege mit Lebensmitteln versorgt werden, da Hunger und Not die Menschen auf die Straße trieben. Organisierte Plünderungen fanden statt. Es wurden besondere Stellen für Verbrauchsregelung und für Bedarfsdeckung geschaffen. Später konstituierte sich ein Ernähungsausschuss der BVV. Das Verkehrswesen war ein weiteres Problem: die Oberleitungen der Straßenbahnen waren zerstört, die U-Bahn durch Volltreffer in der Schönhauser Allee lahmgelegt, die S-Bahn mehrfach unterbrochen, Busse waren ohne Reifen und hatten keinen Treibstoff.

Verständlich, dass die erste Fahrt der Straßenbahn von Nordend zum Rathaus Pankow am 9. Juni 1945 von der Bevölkerung begrüßt wurde. Ein paar Tage später fuhr die Linie 23 von Rosenthal zum Rathaus, im August die Linie 49 von Buchholz. Ab 13. August fuhr die S-Bahn in 120-Minuten-Abstand vom oberirdisch gelegenen Vorortbahnhof, Stettiner Bahnhof (der Nord-Süd-Bahntunnel stand unter Wasser), nach Blankenburg.

Einer Zeitungsnotiz ist zu entnehmen, welchem Problem zum Beispiel die Mitarbeiter des Versorgungsamtes gegenüberstanden: Noch Anfang 1948 fehlten etwa 250.000 Quadratmeter Fensterglas. Die Bürger behalfen sich mit Bilderrahmenglas und Igelit. Unfiltriertes Leitungswasser gab es erst Mitte Juli. Die Abwasser wurden ungeklärt in die Panke geleitet, da das Kanalpumpwerk in der Bahnhofstraße (Nähe Friedhof III) noch wenige Tage vor der Kapitulation durch Bombentreffer schwer beschädigt worden war. Ende Mai flammte zum ersten Male in Pankow das elektrische Licht auf, doch waren die Sperrstunden länger als die Stunden mit Licht. Gas gab es in Pankow erst ab Februar 1946, denn die meisten Rohrleitungen waren zerstört und mussten entsprechend den Möglichkeiten repariert werden. Die Versorgung mit Brennstoffen war katastrophal. Trafen Waggons mit Kohlen auf dem Güterbahnhof ein, mussten sie bewacht werden. Überall fielen Bäume Axt und Säge zum Opfer.

An dieser Stelle soll an den Schulrat Walter May, einen Lehrer aus Niederschönhausen, erinnert werden. Ihm war es zu verdanken, dass Pankow der erste Berliner Bezirk war, in dem die Kinder zum Schulbesuch aufgerufen wurden. Sie kamen bereits am 16. Mai das erste Mal mit Lehrern zusammenkamen. An einen geregelten Unterricht war nicht zu denken, denn nur wenige Räume standen zur Verfügung. So fanden die Zusammenkünfte auf Wiesen und Plätzen oder auf den Treppenstufen der Schulen statt. Manche Lehrer trafen sich mit den Mädchen und Jungen in ihren Wohnungen. Walter May wurde später Stadtrat für Kultur, er hatte maßgeblich Anteil am Berliner Schulgesetz von 1948.

Im Herbst 1945 wurde die Aktion “Rettet die Kinder” erfolgreich durchgeführt: 16.300 Kinder bekamen Spielzeug auf den Weihnachtstisch gelegt, sie konnten sogar mit Kaffee und Kuchen bewirtet werden. Furchtbar war es um die Flüchtlinge aus den Ostgebieten bestellt, die seit Juli in Pankow eintrafen. In den folgenden drei Monaten gingen 142.000 Heimat- und Wohnungslose durch die schnell eingerichteten Lager in der Kissingenstraße (Eosanderschule), am Stiftsweg sowie in den Schulen Wollankstraße und Thulestraße.

“Das Haus am Stiftsweg, das als einziges Lager im Winter noch zur Verfügung stand, war zeitweise mit 2.000 Personen belegt. Die vorhandenen, aus Luftschutzbunkern geholten Bettstellen reichten nicht annähernd aus. Bei bitterer Kälte mussten die Flüchtlinge in Räumen ohne Fenster, auf Korridoren und Treppen auf Stroh liegen. Die Krankenstation arbeitete Tag und Nacht. Daneben wurde auch für die auf den Pankower Bahnhöfen durchlaufenden Transporte ein Verpflegungs- und Gesundheitsdienst organisiert”, berichtet Rudolf Dörrier.

Das von den Gemeindeausschüssen vorgeschlagene und von der Pankower sowjetischen Bezirkskommandantur am 1. Juni 1945 bestätigte Bezirksamtskollegium beendete im Oktober 1946 seine Tätigkeit. Am 20.10.1946 fanden einheitlich in ganz Berlin die ersten freien demokratischen Wahlen zu den Bezirksvertretungen seit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur statt.

Auf der Grundlage dieses Wahlergebnisses konnte der von der SPD-Fraktion nominierte Erich Ryneck seine Amtsgeschäfte als Bürgermeister von Pankow aufnehmen. Zu dieser Zeit war Berlin Vier-Sektoren-Stadt und hatte bis Herbst 1948 eine einheitliche Verwaltung. Der Verwaltungsbezirk Pankow mit seinen nun 128.563 Einwohnern gehörte zum sowjetischen Sektor der Vier-Sektoren-Stadt.

Am 23. Oktober 1947 begann im Rathaus Pankow vor einem sowjetischen Militärgericht ein Prozess gegen den Lagerkommandanten sowie 15 Angehörige des Bewachungskommandos im KZ Sachsenhausen. Wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren sie angeklagt, und 14 von ihnen wurden zu lebenslanger Haft mit Zwangsarbeit verurteilt.

Der Aufbauwille der Pankower in den ersten Jahren nach dem Krieg kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Mitarbeiter des Bezirksamtes sicherten mit der pünktlichen Ausgabe der Lebensmittel-, Kleider- und Kohlenkarten und anderer Bezugsscheine die Versorgung der Bevölkerung. Ende 1948 gab es dann die ersten Läden der staatlichen Handelsorganisation (HO), in denen es markenfreie Waren zu kaufen gab.

Mit Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurde der Ostteil Berlins Hauptstadt des zentralistischen SED-Staates.

(Aus: Rathaus Pankow 1903-1993, Arwed Steinhausen, Dieter Geisthardt, Hans Klockmann. Herausgegeben vom Freundeskreis der Chronik Pankow e.V., 1993. Aktualisierte Fassung. Für das Internet überarbeitet und gekürzt. Foto: Chronik Pankow/Trümmerfrauen in der Berliner Straße)

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