3. Teil der Veranstaltungsreihe »Politische Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft«
Deutschland war und ist eine Migrations- und Einwanderungsgesellschaft – die zentrale Frage ist, wie diese Realität politisch gestaltet wird. Die Lehre aus zehn Jahren „Sommer der Migration“ ist eindeutig: Migration ist Teil der Lösung für eine demokratische und gerechte Gesellschaft. Demokratie ist im Kern die gemeinsame Aushandlung gesellschaftlichen Zusammenlebens unter Vielen. Es geht um eine Gesellschaft, die auf Inklusion und Solidarität basiert und in der alle mitbestimmen können.
Multidirektionale Solidarität überwindet konkurrierende Opferhierarchien. Anstatt sich in Identitätspolitik zu zersplittern, entwickelt sie gemeinsame Bezugnahmen auf verschiedene Kämpfe gegen Diskriminierung. Dies erfordert komplexere Analysen von Herrschaftsverhältnissen und die Überwindung simplifizierender Freund-Feind-Schemata. Diejenigen, die – sichtbare oder unsichtbare – Grenzen überschreiten, um ihre Ausgrenzung zu überwinden, sind Pionier:innen der Demokratie. Sie sollen nicht nur gehört, sondern zu zentralen Akteuren politischer Veränderung werden. Politische Bildung kommt dabei die Rolle zu, diese Prozesse der Selbstermächtigung zu unterstützen.
Den Impuls zur Diskussion gibt Dr. Massimo Perinelli, Rosa Luxemburg Stiftung.
Erst mit den erneuten Anpassungen des Staatsbürgerschaftsrechts unter der Ampel-Regierung hat Deutschland vollständig anerkannt, ein Einwanderungsland zu sein, in dem die Frage der politischen Teilhabe keine der Abstammung (mehr) sein soll. Gleichwohl bleibt die Ausgestaltung noch in vielen Bereichen ungeklärt und politisch umkämpft. Erst nach dem langen Sommer der Migration 2015/16 wurde die Frage der Bedeutung der politischen Teilhabe für die Gestaltung der „Integration“ auf die Tagesordnung gesetzt, vorher war die politische Teilhabe erst als Endpunkt eines Integrationsprozesses konzipiert. Ungeklärt bleibt jedoch, wie politische Teilhabe für die Einwohnerschaft ohne deutsche Staatsbürgerschaft ausgestaltet werden soll. In deutschen Großstädten ist dies meist mehr als ein Viertel der Bewohner:innen.
Zugleich ist bei allen Modernisierungsprozessen nicht zu übersehen, wie sehr die historischen Prägungen fortwirken, warum sich auch etliche Debatten in Deutschland deutlich von jenen in anderen westeuropäischen Ländern unterscheiden.
Ob politische Bildung will oder nicht: Schon alleine die Thematisierung der mit dem Wandel hin zu einer postmigrantischen Gesellschaft verbundenen gesellschaftspolitischen Verschiebungen macht die politische Bildung selbst zu einem Akteur in den offenen Aushandlungsprozessen. Daher ist die politische Bildung gefordert, sich in diesem Kontext selbst zu verorten und kritisch eigene Prägungen als Profession und Akteure der Profession zu reflektieren.