Jüdisches Leben mit pluralen Solidaritäten seit dem 7. Oktober: Lorie Quint, Christina Brüning, Amir Theilhaber
In den meisten Veranstaltungen sowohl an Schulen wie auch an Orten politischer Bildung fällt auf, dass Lernen über jüdisches Leben Heute und Damals eher ein Sprechen ÜBER statt ein Sprechen MIT oder gar ein Sprechen SEITENS Jüdinnen und Juden ist. Vermittlungsarbeit zu Antisemitismus aber auch Gedenkveranstaltungen meinen immer noch ohne Innenperspektiven auszukommen. Jüdische Wissenschaftler:innen werden immer noch als Betroffene wahrgenommen, denen die nötige ‚Objektitvität‘ fehle, um sich wissenschaftliche mit Antisemitismus und Erinnerungskultur zu beschäftigen. Dass dieser Zustand zu einem Hierarchie- und Empathiegefälle führt, liegt nahe. Die vorliegende Workshopreihe will versuchen, einen Gegenakzent zu setzen, indem in einem interaktiven Setting authentische, erfahrungsbasierte Angebote für Perspektivkoordinationen gemacht werden, die bei den Teilnehmenden Aha-Momente und Irritationen auslösen. Über das Ins-Gespräch-Kommen miteinander erhoffen wir uns ein vertieftes emotionales und empathisches Verstehen von Themen, Perspektiven und Alltagskämpfen, die unseres Erachtens viel zu selten auf individuell-emotionaler Ebene behandelt werden, sondern meist abstrakt und kognitiv bleiben.
Der Angriff der Hamas und der darauffolgende Krieg in Gaza hat zweifelsohne auch hier in Deutschland die politischen Einstellungen und Sprechweisen vieler Jüdinnen und Juden verändert. Linke Demos gegen die israelische Justizrefom lagen brach, neue Nationalismen und Solidaritäten mit der Armee wurden geäußert, Friedenskonzepte und -hoffnungen teils begraben. Gleichzeitig sind viele Diskussionen und heikle Themen noch viel mehr als zuvor ins Private verschoben worden. Teilweise gehen die Risse mitten durch die Familie. Und im Hoffen auf Kriegsende und Befreiung aller Geiseln fragen wir immer wieder: Vor wem wollen (und dürfen) wir unsere ‚dreckige Wäsche‘ waschen? Ist berechtigte Kritik an der rechten Regierung Israels, die zuvor bedenkenlos geäußert wurde, nun Wasser auf Mühlen von Israelhassern und daher innerjüdisch und auch von linken Israelis bspw. in Berlin zu unterlassen? Wie wollen wir umgehen mit dem Erstarken rechten und konservativen Gedankenguts auch bei unseren eigenen Kindern, unter jungen Jüdinnen und Juden, die nicht mehr als eine Zweistaatenlösung oder ein friedliches Miteinander glauben können? Dieser Workshop versucht zu zeigen, wie jüdische Menschen in ihrem Alltag, in Wissenschaft und Bildungskontexten diese multiplen Solidaritäten navigieren.
Methode: Im Workshop werden wir gemeinsam Situationen und Fallbeispiele diskutieren, um Perspektivkoordinationen zu ermöglichen. Die Teilnehmenden werden in Kleingruppen oder Partnerarbeit eigene Fragen und Fallbeispiele entwickeln und gegebene diskutieren und mit den Refereierenden darüber ins Gespräch kommen. Arbeitsphasen werden dabei versetzt mit kurzen Inputs, die als Food for Thought ein einsteigender Überblick und Einladung zum Weiterlesen und -lernen gleichermaßen sein werden.