ARD-Doku: »Der lange Weg der Sinti und Roma«

Schätzungen zufolge sind europaweit bis zu 500.000 Menschen dem Völkermord an den Sinti und Roma zum Opfer gefallen. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde das Geschehene aus der öffentlichen Erinnerung verbannt. Sinti und Roma wurden in der Bundesrepublik weiter stigmatisiert und ausgegrenzt. Für die Betroffenen war es ein weiter Weg bis zur Anerkennung ihres Leides. Erst 1982 wurde er anerkannt, am 17. März jährte sich dieser Tag zum 40. Mal.

Die Dokumentation »Der lange Weg der Sinti und Roma« des Hessischen Rundfunks zeigt die Geschichte von Deutschlands größter Minderheit und macht bisher nicht erzählte Perspektiven sichtbar. Sie ist heute um 23.35 Uhr in der ARD und bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen.

Jùlie Halilić

Der Film lässt zum Beispiel Jùlie Halilić zu Wort kommen. Ihr Großvater, Wallani Georg, erkämpfte gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern, dass der Massenmord an den Sinti und Roma 1982 als Völkermord anerkannt wurde. Begonnen hatte es mit einer Besetzung der KZ-Gedenkstätte Dachau. Elf Sinti traten dort 1980 in den Hungerstreik, weil die Verfolgung für Angehörige ihrer Minderheit mit der Befreiung nicht endete, weil der Rassismus gegen Sinti und Roma ungebrochen fortbestand. Die Aktion in Dachau markierte den Beginn der Bürgerrechtsbewegung, eines langen Weges der Emanzipation.

Gianni Jovanovic

Gianni Jovanovic

Und die Geschichte von Gianni Jovanovic zeigt, dass die Verfolgung auch mit der Anerkennung des Völkermords nicht endete. Nachdem er 1982 einen Bombenanschlag in Darmstadt überlebt hatte, wurde wenig später das Haus seiner Verwandten in einer Nacht- und Nebelaktion von der Stadt abgerissen.

Individuelle Geschichten und bisher kaum gezeigtes Archivmaterial nehmen mit in eine Zeit, in der Sinti und Roma weiter diskriminiert wurden und in der sie sich schließlich zur Wehr setzten. Unter den historischen Aufnahmen aus den ARD-Archiven fand Filmautor Adrian Oeser viele Szenen, die deutlich machen, wie stark der Rassismus gegen Sinti und Roma nach 1945 fortdauerte – und auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder befeuert wurde. Mit ihrer Dokumentation »Der lange Weg der Sinti und Roma« verbindet die ARD damit auch eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte.

Zilli Schmidt

Die Auschwitz-Überlebende Zilli Schmidt kämpfte viele Jahre um Anerkennung ihrer Verfolgung aus rassischen Gründen.

Der Film zeigt darüber hinaus, dass eine Aufarbeitung in vielen gesellschaftlichen Bereichen bis heute notwendig ist. Bis in die 1980er-Jahre arbeiteten Landeskriminalämter und Forscher in ganz Deutschland mit den Akten der Rassenhygieniker aus der Nazizeit weiter, um Sinti und Roma systematisch zu erfassen. Erst die Bürgerrechtler konnten diese Aktenbestände in den 1980er-Jahren freipressen. Beeindruckendes Archivmaterial zeigt, wie sie die Dokumente ihrer Verfolgung fast vierzig Jahre nach der Befreiung erstmals in den Händen halten. Zu realisieren, dass die systematische Stigmatisierung so lange andauerte, belastet den Bürgerrechtler Rudko Kawczynski bis heute.

»Dass der Rassismus gegen Sinti und Roma so ungebrochen fortgesetzt wurde, dass Landeskriminalämter in der Bundesrepublik mit NS-Rasseakten systematisch weiterarbeiteten, hätte ich mir nicht vorstellen können«, sagt Adrian Oeser. »Besonders beeindruckt hat mich, wie dieser Skandal ans Tageslicht gekommen ist: Durch den Mut und die Kämpfe von Sinti und Roma. Im Film wollte ich beides zeigen: Die fortgesetzte Verfolgung, aber auch den aufrechten Gang der Verfolgten.«