Umfrage: Ein Drittel der Deutschen stellt demokratisches System in Frage

Meinungen, die die demokratische Grundordnung in Deutschland infrage stellen, sind weiter verbreitet als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine bundesweite, repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag des SWR. Das Institut analysierte für die SWR Doku »Mord an der Tankstelle – Vom Protest zur Gewalt?«, inwieweit rechtsradikale Gesinnung, Verschwörungstheorien und demokratiegefährdende Meinungen im Zusammenhang mit dem Protest gegen Corona-Maßnahmen verbreitet sind.

Die Allensbach-Umfrage zum Demokratieverständnis der Bürger:innen und ihrer möglichen Forderung nach Änderungen im politischen System kommt zu beunruhigenden Ergebnissen: »Wir leben in einer Scheindemokratie, in der die Bürger nichts zu sagen haben«, meinen 31 Prozent der deutschen Bevölkerung. Auffällig dabei ist der Ost-West-Unterschied: Im Westen sind 28 Prozent der Meinung, in einer Scheindemokratie zu leben; im Osten ist es fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent). Dass unser demokratisches System gleich »grundlegend geändert« gehöre, meinen 28 Prozent aller Deutschen. Beide Ergebnisse werten die Forschenden als Anzeichen dafür, dass fast ein Drittel der Deutschen unser demokratisches System infrage stellt, wenn nicht gar abschaffen würde.

BKA-Präsident: Bedrohung durch politisch motivierte Kriminalität mit Covid-19-Bezug
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, ob sich die bürgerliche Mitte gefährlich radikalisiert hat. Thomas Petersen, Projektleiter der Allensbach-Studie, zeichnet in der Doku ein differenziertes Bild: »Unter den Corona-Leugnern sind auffallend viele Rechtsradikale. Sicher ist nicht jeder, der da marschiert, ein Nazi. Aber es gibt doch Zusammenhänge. Wir sehen ziemlich deutlich, dass Rechtsradikale weitaus häufiger Corona-Verschwörungstheorien anhängen wie Nicht-Rechtsradikale – und AfD-Anhänger weitaus häufiger als Anhänger aller anderen Parteien«, so Petersen. Die Doku berichtet auch über das neue Meldesystem im Bundeskriminalamt (BKA), das politisch motivierte Kriminalität mit Covid-19 Bezug erfasst. BKA-Präsident Holger Münch: »Das Bild, das wir jetzt haben ist, dass wir einen deutlichen Anstieg dieser Delikte haben. Achteinhalbtausend – mehr als verdoppelt. Ganz wesentliche Rolle spielen Beleidigungen bei diesen Delikten. Sachbeschädigungen haben sich verdreifacht. Gewaltdelikte auch verdoppelt, d.h. hier sieht man sehr wohl, dass sich aus diesem Aggressionspotential, das sich ja insbesondere auch im Netz entlädt, auch in der realen Welt dann Dinge entladen. Und man kann an den Zahlen wirklich erkennen, welche Bedrohung dahintersteckt.«

*Ein Mord wegen Hygienevorschriften? *
Zum ersten Mal in Deutschland tötete im September 2021 ein Mensch einen anderen aus Frust über Hygienevorschriften. In einer Tankstelle erschießt Mario N. einen Angestellten, weil der ihn auffordert, eine Maske zu tragen. Wie konnte es so weit kommen? Die investigative Doku »Mord an der Tankstelle – Vom Protest zur Gewalt?« hat nachgeforscht, wie sich der Täter konkret radikalisiert hat, bis er sich im legitimen Widerstand gegen staatlichen Zwang und Bevormundung sah – so seine Aussagen vor der Polizei. Die Recherche führt in die verstörende Parallelwelt der Corona-Leugner, in der sich Mario N. bewegte, und auch in die ganz persönliche Welt von Mario N., die für die Tat genauso wichtig war. Erstmals wird analysiert, in welchen Kanälen, auf welchen Plattformen und von welchen Personen der Täter beeinflusst wurde, bevor er mit einem großkalibrigen Revolver den Studenten erschoss.

Gewaltpotenzial in der Mitte der Gesellschaft
Gleichzeitig taucht der Film in die Szene ein, die Mario N. applaudiert und immer gewaltbereiter wird. Die Recherche führt nicht nur an die Ränder, sondern auch in die Mitte der Gesellschaft, etwa zu einer mitten im Leben stehenden Unternehmerin und zu einer bodenständigen Kommunalpolitikerin – beide Mittelständler:innen, die sich in derselben Gedankenwelt bewegen wie Mario N. Kann sich also die Tat von Idar-Oberstein wiederholen? Die ARD-Doku will das herausfinden und stößt auf ein Gewaltpotenzial, das ausgerechnet dort aufkeimt, wo wir es am wenigsten vermutet hätten: in bürgerlichen Kreisen.