Drucksache - VIII-0761  

 
 
Betreff: Ausübung des Vorkaufsrechts für das Grundstück Berliner Straße 84, 13189 Berlin
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
   
Drucksache-Art:Vorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVGVorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVG
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
27.03.2019 
23. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlagen:
VzK§15 BezVG BA, 23. BVV 27.03.19

Siehe Anlage


Begründung:

Bezirksamt Pankow von Berlin

.2019

An die
Bezirksverordnetenversammlung

Drucksache-Nr.:

 

Vorlage zur Kenntnisnahme
r die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG

Betr.: Ausübung des Vorkaufsrechts für das Grundstück Berliner Straße 84,

13189 Berlin

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Gemäß § 15 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) wird berichtet:

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am            .2019 folgenden Beschluss gefasst:

  1. Das Bezirksamt beschließt, für das Grundstück Berliner Straße 84, 13189 Berlin, gemäß §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Alt. 2, Abs. 3 Satz 1, 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB das Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesobau AG auszuüben.
  2. Mit der Durchführung dieses Beschlusses wird die Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste beauftragt.

Begründung

Mit Kaufvertrag vom 26. November 2018 (UR-Nr. 711/2018 der Notarin Massih, Berlin) hat die derzeitige Eigentümerin des Grundstücks Berliner Straße 84, 13189 Berlin, das Grundstück verkauft. Mit Schreiben vom 21.12.2018, Posteingang 27.12.2018, reichte die Notarin Massih den vollständigen und rechtswirksamen Kaufvertrag mit der Bitte um Erteilung eines Negativattestes beim Bezirksamt ein. Das im Auftrag des Bezirksamts erstellte Verkehrswertgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert nicht in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. Damit ist die Ausübung des Vorkaufsrechts nur in der in § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB genannten Weise möglich.

Das Grundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung „Pankow Süd“ vom 14.11.2017 (GVBl. S. 634 gemäß 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB, so dass dem Bezirksamt Pankow von Berlin gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB in Verbindung mit § 1 AG BauGB beim Verkauf eines Grundstücks ein Vorkaufsrecht zusteht.

Das Erhaltungsgebiet „Pankow Süd“ unterliegt gemäß Ergebnisbericht der S.T.E.R.N. GmbH vom Juni 2017 als lagegünstiger Wohnstandort, bedingt durch die Nähe zu attraktiven Wohngebieten des Ortsteils Prenzlauer Berg sowie eines guten Anschlusses an den ÖPNV einem sich verstärkendem Aufwertungsdruck  (S.T.E.R.N. aaO, S. 12). Dieser zeigt sich insbesondere in den Wohnungsbeständen, die vor 1920 gebaut worden sind und die sich vornehmlich im westlichen Teil des Untersuchungsgebiets befinden. Hierzu zählt auch das Grundstück Berliner Straße 84, welches um ca. 1905 erbaut wurde.

Eine rege Bautätigkeit, insbesondere an gründerzeitlicher Bebauung im westlichen Teil sowie bauliche Aufwertungspotentiale in diesem Bestand, deuten darauf hin, dass der vorhandene Aufwertungsspielraum genutzt wird und dass der Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stark gefährdet ist. Der Anteil von Wohnungen mit einfacher Ausstattung (66 % im Untersuchungsgebiet) und der Anteil an Wohnungen in Gebäuden ohne Fassadendämmung (52,1 %) verdeutlichen nochmals das große Aufwertungspotential.

Zwar existiert in dem Gebiet bereits eine wirtschaftlich überdurchschnittlich leistungsfähige Bewohnerschaft und der Anteil an Niedrigverdiener ist im Vergleich zu den anderen Untersuchungsgebieten und zu Pankow insgesamt sehr gering. Dem steht allerdings umgekehrt ein höherer Anteil an Erwerbslosen (15 %), als im übrigen Stadtgebiet (6 %) gegenüber. Neben diesen Haushalten, die auf den preiswerten Wohnraum angewiesen sind, zählen im Weiteren Familien mit Kindern, deren Anteil ebenfalls überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Untersuchungsgebieten ist. Letztere sind besonderes auf Bestände mit größeren Wohnflächen angewiesen, die sich größtenteils in den gründerzeitlichen Altbaubeständen finden.

Als weiterer Haushaltstyp sind noch die alleinstehenden Senioren zu nennen, die über ein vergleichsweise niedriges Äquivalenzeinkommen verfügen und somit ebenfalls auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind (S.T.E.R.N. aaO, S. 37).

Dieser Haushaltstyp bildet einen Teil der „Stammbevölkerung“ mit der längsten durchschnittlichen Wohnungsdauer im Untersuchungsgebiet ab und ist, mit steigendem Alter, weniger mobil als andere Haushaltstypen.

Mit einer mittleren Netto-Kaltmiete von 4,80 € pro m² bieten die Wohnungsbaugenossenschaften den mit Abstand preiswertesten Mietwohnungsbestand in dem Untersuchungsgebiet an. Das höchste Mietniveau mit 7,11 € pro m² wird von den privaten Einzeleigentümern und  Eigentumsgesellschaften verlangt. Die städtischen Wohnungsunternehmen liegen mit 6,32 € pro m² dazwischen.

Zusätzlich zu der oben dargestellten abstrakten Gefahr für das Allgemeinwohl durch den bereits aus dem im Erhaltungsgebiet „Pankow Süd“ festgestellten Verdrängungsdruck für Teile der Wohnbevölkerung besteht auch die konkrete Gefahr der Verdrängung durch den Verkauf des Grundstücks Berliner Straße 84.

Die derzeitigen Bestandsmieten der Wohneinheiten liegen im Durchschnitt bei 3,28 € pro m² Kaltmiete. Lediglich eine Kaltmiete im Objekt liegt mehr als 10 % über der durchschnittlichen Gebietsmiete in Höhe von 6,74 € pro m² Kaltmiete. Im Besonderen sei noch zu erwähnen, dass vier Mieten sogar unterhalb von 4 € pro m² Kaltmiete liegen.

Zum anderen führen die derzeitigen Bestandsmieten dazu, dass der vereinbarte Kaufpreis beim ca. 45-fachen der Jahresnettokaltmiete liegt. Dies begründet einen starken Zwang zur Refinanzierung des Kaufpreises durch eine möglichst gewinnbringende Verwertung der Immobilie. Hierzu wäre als erstes die Realisierung diverser baulicher Maßnahmen zu nennen.

Der Zustand des Gebäudes lässt es zu, dass neben dem Anbau von Aufzügen und Balkonen am Vorderhaus und am Quergebäude auch ein Wärmedämmverbundsystem angebracht werden kann. Daneben sind weitere energetische Maßnahmen, welche umlagefähig sind, durchführbar. Im Konkreten betrifft dies den teilweisen Austausch der im Objekt vorhandenen Fenster sowie die Umrüstung der Heizungs-anlage. Die Umlage der baulichen Maßnahmen auf die Mieten würde einen enormen Anstieg der bisher geringen Durchschnittsmiete (3,28 €) zur Folge haben und zur Verdrängung der Bewohner mit größtenteils geringem Einkommen beitragen.

Da es sich bei der Käuferin um ein „privatwirtschaftliches, nicht gemeinnütziges Unternehmen [handelt, steht zudem zu erwarten, dass dieses] versuchen wird, einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften“ (vgl. insoweit VG Berlin, Urteil v. 17.05.2018, VG 13 K 724.17).

Zum anderen weigert sich die Käuferin, die ihr angebotene Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Die angebotene Abwendungsvereinbarung enthält Verpflichtungen der Käuferin, die dazu dienen, die Gefahr einer städtebaulich negativen Veränderung der Bevölkerungsstruktur abzuwenden und die Erreichung des Schutzziels zu erleichtern und zu unterstützen.

Hierzu war die Käuferin bis zur angebotenen Frist nur zum Teil bereit. Vielmehr bot die Käuferseite den Abschluss einer ihrerseits geänderten Fassung der Abwendungsvereinbarung vor. Dabei sollte der Bezirk auf den vollständigen Verzicht der grundbuchlichen Sicherung eingehen sowie einer verkürzten Weitergabeverpflichtung auf fünf Jahre, für die in § 1 und § 2 der Abwendungsvereinbarung angegebenen Pflichten, zustimmen.

Gerade dies sind jedoch zentrale Elemente, um die baulichen Verpflichtungen aus § 1 der Abwendungsvereinbarung zu sichern und deren Einhaltung zu gewährleisten. Da die Käuferin nicht gewillt ist diese grundlegenden Verpflichtungen zur Erreichung des Schutzzieles der Erhaltungsverordnung einzuhalten, muss davon ausgegangen werden, dass die JFT Grundbesitz Nr. 25 GmbH letztlich genau diese Bedingungen nicht einhalten will und versuchen wird, alle Möglichkeiten einer Aufwertung der Immobilie auszuschöpfen, die die §§ 172, 173 BauGB ihr lassen.

in der Folge würde es zu einer Anpassung der Mieten und einer Verdrängung der dort ansässigen Bevölkerung kommen.

Diese Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hätte deutliche negative städtebauliche Folgen, weshalb das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll.

Der Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit durch die Verdrängung von Bewohnern des Erhaltungsgebiets und den daraus resultierenden städtebaulich negativen Folgen, stehen die privaten Interessen des Verkäufers und der Käuferin gegenüber.

Die Privatnützigkeit des Eigentums wird durch die Ausübung des Vorkaufsrechts gar nicht, die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nur unwesentlich eingeschränkt.  Der Eigentümer kann nach wie vor entscheiden, ob und zu welchem Preis er sein Grundstück verkaufen will und wird lediglich in der Freiheit der Wahl seines Vertragspartners beschränkt. Der obligatorische Eigentumsverschaffungsanspruch der Käuferin ist von vornherein mit dem öffentlich-rechtlichen Vorkaufsrecht belastet.“ (vgl. insoweit VG Berlin Urteil v. 17.5.2018, VG 13 K 724.17).

Dem steht die oben dargelegte Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit gegenüber. Die zu befürchtende Verdrängung einer Vielzahl von Bewohnern hat nicht nur für diese negative Auswirkungen, wie den Verlust der Wohnung, sondern auch für die Gemeinde, die anderenorts preiswerten Wohnraum  und auch Infrastruktur schaffen muss. Dies bindet darüber hinaus öffentliche Mittel, die nicht mehr zur Verfügung stehen, um Aufwendungen für die gesamte Bürgerschaft der Gemeinde zu tätigen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat zuletzt mit Urteil vom 17.05.2018 (VG 13 K 724/17) bestätigt, dass den Berliner Bezirken unter den Voraussetzungen der §§ 24 ff. BauGB ein Vorkaufsrecht in sozialen Erhaltungsgebieten zusteht. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist rechtmäßig, wenn das Allgemeinwohl ohne sie gefährdet wäre. Das Verwaltungsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen, die seitens des dortigen Käufers auch eingelegt wurde, so dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Die Ausübung erfolgt zu Gunsten der Gesobau AG, die sich in einer schriftlichen Verpflichtungserklärung gegenüber dem Land Berlin bzw. Bezirksamt Pankow von Berlin dazu bereit erklärt hat, das Gebäude als Mietshaus im Bestand zu halten, also kein Wohn- oder Teileigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz zu begründen. Ferner hat sie sich verpflichtet, das Gebäude nicht zurückzubauen, die bestehenden Nutzungen nicht zu verändern und bauliche Maßnahmen in Gestaltung des Anbaus von Balkonen, des An- bzw. Einbaus von Personenaufzügen sowie der energetischen Sanierung über die Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung hinaus zu unterlassen. Die Verpflichtungen gelten, solange die Erhaltungsverordnung „Pankow Süd“ in Kraft ist. Die Gesobau AG ist darüber hinaus Mitglied des Berliner Mietenbündnisses und hat mit dem Land Berlin eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Als reines landeseigenes Wohnungsunternehmen unterliegt die Gesobau AG zudem der vollständigen Weisungsbefugnis des Landes, so dass die erhaltungskonforme Verwendung der Immobilie durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu ihren Gunsten sichergestellt ist.

Die Zahlung des Kaufpreises trägt die Gesobau AG.

Das Land Berlin bzw. das Bezirksamt Pankow von Berlin haftet gemäß § 27a Abs. 2 Satz 2 BauGB für die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag neben der Gesobau AG als Gesamtschuldner.

Haushaltsmäßige Auswirkungen

derzeit nicht bezifferbar

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

keine

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

keine

Kinder- und Familienverträglichkeit

entfällt

ren Benn
Bezirksbürgermeister
 

Vollrad Kuhn

Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste

 

 
 

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