Drucksache - VIII-0574  

 
 
Betreff: Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Alt. 2, Abs. 3 Satz 1, 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB für das Grundstück Gleimstraße 56
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
   
Drucksache-Art:Vorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVGVorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVG
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
12.09.2018 
18. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlagen:
VzK§15 BezVG BA 18. BVV am 12.09.18

Siehe Anlage


Begründung:

Bezirksamt Pankow von Berlin

.2018

An die
Bezirksverordnetenversammlung

Drucksache-Nr.:

 

Vorlage zur Kenntnisnahme
r die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG

Betr.: Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Alt. 2, Abs. 3 Satz 1, 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1  BauGB  für das Grundstück

Gleimstraße 56

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Gemäß § 15 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) wird berichtet:

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am 04.09.2018 folgenden Beschluss gefasst:

  1. Das Bezirksamt beschließt, für das Grundstück Gleimstraße 56, 10437 Berlin, gemäß §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Alt. 2, Abs. 3 Satz 1, 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1  BauGB das Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesobau AG auszuüben.
  2. Mit der Durchführung dieses Beschlusses wird die Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste beauftragt.

Begründung

Mit Kaufvertrag vom 06.06.2018 (UR-Nr. S 293/2018 des Notars Schröter, Berlin) hat die derzeitige Eigentümerin des Grundstücks Gleimstraße 56, 10437 Berlin, das Grundstück verkauft. Mit Mail vom 10.07.2018 reichte der Notar Schröter den vollständigen und seit 07.06.2018 rechtswirksamen Kaufvertrag mit der Bitte um Erteilung eines Negativattestes beim Bezirksamt ein. Das im Auftrag des Bezirksamts erstellte Verkehrswertgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert nicht in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. Damit ist die Ausübung des Vorkaufsrechts nur in der in § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB genannten Weise möglich.

Das Grundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung „Falkplatz“ vom 09.12.1997 (GVBl. S. 641) gemäß 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB, so dass dem Bezirksamt Pankow von Berlin gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB in Verbindung mit § 1 AG BauGB beim Verkauf eines Grundstücks ein Vorkaufsrecht zusteht.

Das Erhaltungsgebiet „Falkplatz“ unterliegt gemäß Nacherhebung der S.T.E.R.N. GmbH vom Mai 2017 „durch seine Baustruktur und attraktive Lage schon seit eini-gen Jahren einem konstant hohen Aufwertungsdruck“ (S.T.E.R.N. aaO, S. 8). Unter anderem bedingt durch den hohen Anteil gründerzeitlicher Bebauung (81,5 % der gesamten Wohngebäude, S.T.E.R.N. aaO, S. 12), so dass der Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stark gefährdet ist.

Im Zeitraum von 2010 bis 2015 wurden für 19 % des Wohnungsbestandes im Erhaltungsgebiet Falkplatz von 2009 Grundbuchumschreibungen zur Begründung von Wohnungseigentum durchgeführt. Dieser Anteil liegt deutlich über dem gesamten Berliner Wohnungsbestand von 2,8 %. Insbesondere in den vier Jahren von 2012 bis 2015, demnach kurz vor Einführung der Umwandlungsverordnung, sind mit insge-samt 17 % ein hoher Anteil des Wohnungsbestandes umgewandelt worden.

Vornehmlich im nordwestlichen Teil des Erhaltungsgebiets Falkplatz, in dem auch das Grundstück Gleimstraße 56 liegt, besteht noch ein hohes Aufwertungspotenzial (S.T.E.R.N. aaO, S. 16). „Einige Gebäude, die augenscheinlich in den letzten Jahren modernisiert wurden, deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach hochwertigem Wohnraum bedient [also der vorhandene Aufwertungsspielraum hier auch genutzt] wird.“(S.T.E.R.N. aaO S. 16).

Zwar existiert in dem Gebiet bereits eine junge, wirtschaftlich überdurchschnittlich leistungsfähige Bewohnerschaft. So hat die Bevölkerung im Gebiet im Schnitt ein höheres Einkommen, als im Bezirk Pankow oder auch in Berlin. Dem steht allerdings umgekehrt ein höherer Anteil an Erwerbslosen, als im übrigen Stadtgebiet gegenüber. Diese Haushalte sind auf den preiswerten Wohnraum angewiesen. Hierzu zählen insbesondere alleinstehende Senioren, Bezieher staatlicher Transferleistungen und Alleinerziehende. An der unteren Einkommensskala liegen mit niedrigeren Einkommen junge Alleinstehende, die Senioren- und Alleinerziehenden-Haushalte“. (STERN aaO, S. 25f.). Sie sind einerseits in hohem Maße sozialräumlich an das Gebiet gebunden, andererseits akut von Segregationsprozessen bedroht.

Die deutliche Erhung des Mietniveaus seit 2010 zeigt, dass sich diese Gefahr, trotz der erlassenen Erhaltungsverordnung, schon teilweise realisiert hat.

Das mit Abstand höchste Mietniveau wird für die vermieteten Eigentumswohnungen verlangt, das im Mittel ca. 1,70 €/m² über dem der städtischen Gesellschaften liegt“. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bieten mit einer „mittleren Netto-Kaltmiete von 5,17 €/m² den mit Abstand preiswertesten Mietwohnungsbestand im Erhaltungsgebiet Falkplatz“ an. Auch die Mieten der stark nachgefragten großen, familiengerechten Wohnungen sind in den Jahren 2010 bis 2016 um 23,2 % gestiegen (S.T.E.R.N. aaO, S. 36).

Es zeigt sich also, dass gerade die Begründung von Wohnungseigentum im sozialen Erhaltungsgebiet Falkplatz Verdrängung bewirken kann und auch schon bewirkt hat.

Zusätzlich zu der oben dargestellten abstrakten Gefahr für das Allgemeinwohl durch den bereits aus dem im Erhaltungsgebiet „Falkplatz“ festgestellten Verdrängungsdruck für Teile der Wohnbevölkerung besteht auch die konkrete Gefahr der Verdrängung durch den Verkauf des Grundstücks Gleimstraße 56.

Diese ergibt sich zum einen aus dem vereinbarten Kaufpreis, der gemäß dem im Auftrag des Bezirksamtes angefertigten Verkehrswertgutachtens beim ca. 41-fachen der marktüblichen Jahresnettokaltmiete liegt (vgl. S. 31 und 37 des Verkehrswertgutachtens vom 06.08.2018). Dies begründet einen starken Zwang zur Refinanzierung des Kaufpreises durch eine möglichst gewinnbringende Verwertung der Immobilie. Da es sich bei der Käuferin um einprivatwirtschaftliches, nicht gemeinnütziges Immobilienunternehmen handelt, steht zudem zu erwarten, dass dieses versuchen wird, einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften“. (VG Berlin, Urteil v. 17.05.2018, VG 13 K 724.17).

Zum anderen weigert sich die Käuferin, die ihr angebotene Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Die angebotene Abwendungsvereinbarung enthält Verpflichtungen der Käuferin, die dazu dienen, die Gefahr einer städtebaulich negativen Veränderung der Bevölkerungsstruktur abzuwenden und die Erreichung des Schutzziels zu erleichtern und zu unterstützen. Zwar hat sie den Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern ihrerseits eine geänderte Fassung vorgeschlagen. Die Änderungen zeigen allerdings eindeutig, dass sie nicht gewillt ist, die grundlegenden Verpflichtungen zur Erreichung des Schutzzieles der Erhaltungsverordnung zu akzeptieren. So will sie die Verpflichtung, für die Dauer der Festlegung der Erhaltungsverordnung kein Wohneigentum zu begründen, noch nicht einmal für den in § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 BauGB normierten Zeitraum von 7 Jahren, sondern nur für 5 Jahre einhalten. Gerade die Begründung von Wohnungseigentum ist eine der Hauptursachen für die zu befürchtende Verdrängung. Ein anderes Beispiel ist, dass lediglich auf den „Anbau von Balkonen auf der Straßenseite“ verzichtet wurde, obwohl hier schon Balkone vorhanden sind. Es wäre also im Wesentlichen  um die Verpflichtung zum Verzicht des hofseitigen Balkonanbaus gegangen. In die gleiche Richtung weisen u.a. die vorgeschlagene Reduzierung der Vertragsstrafen um den Faktor 10 und die Weigerung, Verpflichtungen grundbuchlich zu sichern. All dies lässt nur den Schluss zu, dass der Eigentümer genau das beabsichtigt, was mit der Abwendungserklärung vermieden werden soll.

Das Indiz für eine Verdrängungsgefahr, das im Erlass der Erhaltungsverordnung  liegt, wird im konkreten Fall zusätzlich noch durch die im Gebäude angetroffene Mieterstruktur verstärkt. Es gibt bei den zurzeit belegten 29 überwiegend kleineren Wohnungen (25 2-Zimmer-Wohnungen) einen hohen Anteil von Geringverdienern (17), darunter Alleinerziehende (4), Rentner (5) und Studenten (7), davon wiederum einige Transferleistungsbezieher*innen. Dies spiegelt die Struktur der verdrängungsbedrohten Bewohner im Erhaltungsgebiet wieder. Überdies wäre bei einer Verdrängung eines Teils der Mieterschaft der soziale Zusammenhalt dieser stark gefährdet, was zu den städtebaulich negativen Folgen einer Zerstörung nachbarschaftlicher Verhältnisse beitragen könnte.

Die Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hätte deutliche negative städtebauliche Folgen, weshalb das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll.

Der Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit durch die Verdrängung von Bewohnern des Erhaltungsgebiets und den daraus resultierenden städtebaulich negativen Folgen, stehen die privaten Interessen des Verkäufers und der Käuferin gegenüber.

Die Privatnützigkeit des Eigentums wird durch die Ausübung des Vorkaufsrechts gar nicht, die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nur unwesentlich eingeschränkt. Der Eigentümer kann nach wie vor entscheiden, ob und zu welchem Preis er sein Grundstück verkaufen will und wird lediglich in der Freiheit der Wahl seines Vertragspartners beschränkt. Der obligatorische Eigentumsverschaffungsanspruch der Käuferin ist von vornherein mit dem öffentlich-rechtlichen Vorkaufsrecht belastet.“ (vgl. VG Berlin Urteil v. 17.5.2018, VG 13 K 724.17).

Dem steht die oben dargelegte Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit gegenüber. Die zu befürchtende Verdrängung einer Vielzahl von Bewohnern hat nicht nur für diese negative Auswirkungen, wie den Verlust der Wohnung, sondern auch für die Gemeinde, die anderenorts preiswerten Wohnraum und auch Infrastruktur schaffen muss. Dies bindet darüber hinaus öffentliche Mittel, die nicht mehr zur Verfügung stehen, um Aufwendungen für die gesamte Bürgerschaft der Gemeinde zu tätigen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat zuletzt mit Urteil vom 17.05.2018 (VG 13 K 724/17) bestätigt, dass den Berliner Bezirken unter den Voraussetzungen der §§ 24 ff. BauGB ein Vorkaufsrecht in sozialen Erhaltungsgebieten zusteht. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist rechtmäßig, wenn das Allgemeinwohl ohne sie gefährdet wäre. Das Verwaltungsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen, die seitens des dortigen Käufers auch eingelegt wurde, so dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Die Ausübung erfolgt zu Gunsten der Gesobau AG, die sich in einer Erklärung gegenüber dem Land Berlin bzw. Bezirksamt Pankow von Berlin dazu verpflichtet hat, das Gebäude als Mietshaus im Bestand zu halten, also kein Wohn- oder Teileigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz zu begründen. Ferner hat sie sich verpflichtet, das Gebäude nicht zurückzubauen, die bestehenden Nutzungen nicht zu verändern und bauliche Maßnahmen in Gestaltung des Anbaus von Balkonen, des An- bzw. Einbaus von Personenaufzügen sowie der energetischen Sanierung über die Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung hinaus zu unterlassen. Darüber hinaus verpflichtet sich die Gesobau AG den Mietvertrag mit der Kita möglichst über den Verpflichtungszeitraum zu erhalten. Die Verpflichtungen gelten, solange die Erhaltungsverordnung „Falkplatz“ in Kraft ist. Die Gesobau AG ist darüber hinaus Mitglied des Berliner Mietenbündnisses und hat mit dem Land Berlin eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Als reines landeseigenes Wohnungsunternehmen unterliegt die Gesobau AG zudem der vollständigen Weisungsbefugnis des Landes, so dass die erhaltungskonforme Verwendung der Immobilie durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu ihren Gunsten sichergestellt ist.

Die Zahlung des Kaufpreises trägt die Gesobau AG.

Das Land Berlin bzw. das Bezirksamt Pankow von Berlin haftet gemäß § 27a Abs. 2 Satz 2 BauGB für die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag neben der Gesobau AG als Gesamtschuldner.

Haushaltsmäßige Auswirkungen

Nicht bezifferbar

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

keine

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

keine

Kinder- und Familienverträglichkeit

entfällt

ren Benn
Bezirksbürgermeister
 

Vollrad Kuhn

Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste

 

 

 
 

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