Drucksache - 2252/XVIII  

 
 
Betreff: Klage auf Wiederherstellung der Rechtssicherheit bei der Gewährung/Versagung so genannter sozialer Transferleistungen auf der Grundlage von Bundes- oder Landesgesetzen
(Antrag der Fraktion der GAL vom 10.05.2010)
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:GALBzBm Birkholz
Verfasser:BzBm Birkholz 
Drucksache-Art:AntragVorlage - zur Kenntnisnahme -
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
19.05.2010 
öffentliche/nichtöffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Spandau von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Kenntnisnahme
17.11.2010 
öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Spandau von Berlin überwiesen   
Geschäftsordnungsausschuss Kenntnisnahme
29.11.2010    nichtöffentliche Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses      

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Antr. GAL v. 10.05.2010
Vorl. z. K. v. 04.11.2010

Das Bezirksamt wird beauftragt zu prüfen, auf welcher Rechtsgrundlage das Bezirksamt gegen das Land Berlin Klage auf Schaffung der Voraussetzungen einreichen kann, die es dem Bezirksamt ermöglichen,

Das Bezirksamt nimmt zu dem o.g. Antrag wie folgt Stellung:

 

Eine Klage des Bezirksamtes gegen das Land Berlin "auf Schaffung der Voraussetzungen, die es dem Bezirksamt ermöglichen,

 

-          die Gewährung/Versagung von sog. genannten sozialen Transferleistungen
nach Bundes- oder Landesgesetzes ausschließlich nach Ausübung des gesetzlich oder dienstrechtlich verankerten pflichtgemäßen Ermessens im Einzelfall sicherzustellen,
 

 

 

-          die für die Erfüllung der Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Ein-richtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen und hierbei auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie als Auftraggeber die Pflicht zur Wahrung sozialer und arbeitsrechtlicher Standards entsprechend der rechtlichen Vorgaben einzuhalten"
 

ist unzulässig.

 

1              Der Grundgesetzgeber hat mit Art. 20 Abs. 3 die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht, nämlich den Vorrang der Verfassung und die Bindung an förmliche Gesetze (Vorrang des Gesetzes) formuliert. Damit ist nicht nur die Bindung an förmliche Gesetze, sondern auch an alle anderen Rechtsvorschriften, insbesondere an Rechtsverordnungen und Satzungen sowie an Gewohnheitsrecht und auch an das unmittelbar anwendbare EG-Recht gemeint.

Die Verwaltung ist außerdem gehalten, bei dem Erlass eigener Normen das höher-rangige Recht zu beachten und darf nicht gegen höherrangige Normen verstoßen. Hierzu gehören auch die von der Verwaltung erlassenen Verwaltungsvorschriften.

 

Die Überprüfung der Handlungen/Unterlassungen der Verwaltung obliegt den dafür vorgesehenen Gerichten bzw. den Gerichtsbarkeiten, so z.B. der Verwaltungsge-richtsbarkeit oder der Sozialgerichtsbarkeit. Die Rechtsweggarantie ist in Art. 19 Abs. 4 verankert. Danach steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dies bedeutet in der Praxis, dass dem betroffenen Bürger/der betroffenen Bürgerin die Möglichkeit gegeben werden muss, gegen Akte der öffentlichen Verwaltung Rechtsschutz zu beanspruchen.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich jedoch grundsätzlich nicht auf die Grundrechte berufen. Sie sind Adressaten und nicht Träger der Grundrechte. Allerdings wird in der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes geregelt, welche Aufgaben der Bund und welche Aufgaben die Länder wahrzunehmen haben (Art. 70 ff. GG).

 

Berlin als Stadtstaat bietet im Gegensatz zu den Flächenstaaten hinsichtlich des Aufbaus der Verwaltung und der damit verbundenen Kompetenzverteilungen Be-sonderheiten. Nach Art. 66 VvB erfüllen die Bezirke ihre Aufgaben nach den Grund-sätzen der Selbstverwaltung (Art. 66 Abs. 2 Satz 1).

 

Dabei umfasst die Verwaltung die gesamte unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung im Land Berlin. Das Land Berlin ist als Träger der Verwaltung eine juristische Person des öffentlichen Rechts in Form einer Gebietskörperschaft. Das bedeutet zur Klarstellung, dass nicht etwa jeder Bezirk als Gemeinde und damit selbständige Gebietskörperschaft anzusehen wäre, sondern das Land Berlin der einzige Träger der Verwaltung ist. Dies drückt sich darin aus, dass ein Bescheid des Landes Berlin, vertreten durch das Bezirksamt ... von Berlin gegenüber der/dem Bürger/in erlassen wird. Anders als die Gemeinden, die ihre Rechtsposition aus Art. 28 Abs. 2 GG herleiten, können dies die Berliner Bezirke nicht. § 2 Abs. 2 BezVG definiert daher Bezirke als "Selbstverwaltungseinheiten ohne Rechtspersönlichkeit".

 

Dennoch stellt sich die Frage, was dann unter dem Begriff der bezirklichen Selbst-verwaltung zu verstehen sein könnte. Nach einer Entscheidung des Berliner Ver-fassungsgerichtshofs (LVerfGE 1, 33, 37 zitiert nach Musil.Kirchner "Das Recht der Berliner Verwaltung" 2. Auflage 2007 Rnr. 33) wurde festgestellt, dass es kein ver-fassungskräftiges Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung gebe.

Dies würde durch den Grundsatz der Einheitsgemeinde ausgeschlossen und die Bezugnahme auf die Grundsätze der Selbstverwaltung stelle lediglich für den Gesetzgeber (hier ist der Landesgesetzgeber gemeint) ein verbindliches Organisationsprinzip der Berliner Verwaltung auf.

 

Zwei wesentliche Merkmale der Selbstverwaltung fehlen in den Bezirken nämlich, so etwa die Finanzhoheit, also die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahme- und Ausgabenwirtschaft, und die Personalhoheit.

 

Eine Klagebefugnis des Bezirksamtes Spandau von Berlin würde also bereits daran scheitern, dass diese Klagebefugnis einem Bezirksamt nach der Verfassung von Berlin aufgrund der verfassungsrechtlichen Konstruktion der Bezirksämter als Teil des Landes Berlin nicht zustünde. Es würde sich um einen sogenannten In-Sich-Prozess handeln, d.h. ein Teil des Landes Berlin würde gegen einen anderen Teil des Landes Berlin klagen.

 

 

 

 

 

2.              Eine Antragsbefugnis zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes wird den Bezirken nach Art. 84 Abs. 1 Nr. 3 VvB nur dann eingeräumt, wenn Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Vereinbarkeit der im Gesetz geregelten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken mit der Verfassung von Berlin bestehen.

 

3.              Im Bereich der Leistungsverwaltung, genauer der Sozialleistungen, ist die Abgrenzung der Zuständigkeiten dahingehend geregelt, dass die Leistungen an den Bürger von den jeweils zuständigen Bezirksämtern zu erbringen sind. Eine Ausnahme bildet zurzeit noch das SGB II, bei dem aufgrund der Konstruktion der Arbeitsgemeinschaft Leistungen sowohl von der Bundesagentur für Arbeit als auch vom Land Berlin erbracht werden. Die Kompetenzverteilung ist verfassungsrechtlich in Art. 67 Abs. 1 für den Senat und in Art. 67 Abs. 2 für die Bezirke geregelt. Einfach gesetzlich ausgestaltet sind die verfassungsrechtlichen Normen durch das Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung (AZG) und dem dazu erlassenen Zuständigkeitskatalog als Anlage zum AZG. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG Berlin) und die Anlage zum allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Zuständigkeitskatalog Ord.

 

Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gleichbehandlung bei der Anwendung von Gesetzen innerhalb der Berliner Verwaltung können die Bezirke dann nehmen, wenn z.B. eine Verwaltungsvorschrift in einem Bereich erlassen wird, so z.B. die Ausführungsvorschriften Wohnen zum SGB II und SGB XII. Hier bietet Art. 68 VvB die Möglichkeit, zu den grundsätzlichen Fragen der Verwaltung Stellung zu nehmen und im Rat der Bürgermeister Positionen der Bezirke einzubringen. Zudem wird in der Praxis bei Erlass der o.g. Ausführungsvorschrift der Sachverstand der Bezirke von der zuständigen Senatsverwaltung abgefragt und Änderungen berücksichtigt. Soweit ein Gesetz der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt, sich also z.B. eine sogenannte Kann-Vorschrift im Gesetz befindet, sind die Anwender gehalten, nach den für das Ermessen festgelegten Ermessensgrundsätzen das Ermessen auszuüben.

 

Ob das Ermessen seitens der Verwaltung rechtmäßig ausgeübt worden ist, wird dann durch das zuständige Gericht überprüft.

 

 

 

Kostenregelungen, die aufgrund von Vereinbarungen zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken getroffen wurden, sind dabei für die Gerichte kein Kriterium der rechtsgemäßen Anwendung des konkreten Gesetzes. Besteht ein Anspruch, so ist er, außer in den Fällen eines im Gesetz verankerten Finanzvorbehaltes, von der zuständigen Behörde unabhängig davon, ob Mittel bereit stehen oder nicht, zu erfüllen.

 

Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass die normative Kraft des Faktischen als normative Kraft der Finanzierung eine erhebliche Rolle zwischen der Haupt- und der Bezirksverwaltung spielt. Zudem sind hier die einschlägigen Vorschriften zum Haushalt zu beachten. Primär hat das Abgeordnetenhaus über den Haushalt zu entscheiden. Dabei ist dem Parlament auch zuzugestehen, dass es Entscheidungen treffen kann, die zu Einschränkungen in bestimmten Bereichen führen. Gedacht ist hier z.B. an die personelle Ausstattung etwa bei der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, im Bildungsbereich oder auch im Sozialbereich.

 

Hier bestehen für die Bezirke zwar Einwirkungsmöglichkeiten, die allerdings dadurch stark eingeschränkt werden, dass die Bezirksämter keine Finanzhoheit haben.

So obliegt selbstverständlich die Verpflichtung, z.B. tarifrechtliche Vorschriften zu beachten, den Tarifvertragsparteien. Verstöße hiergegen können dann wiederum nur durch die Betroffenen selber "gerügt" werden, auch durch ein Bezirksamt gegenüber der Hauptverwaltung. Auch hier besteht jedoch keine Klagebefugnis eines Bezirksamtes auf Einhaltung bestimmter Normen vor dem Landesverfassungsgericht Berlin.

 

Ebenso besteht vor diesem Hintergrund seitens des Bezirksamtes keine rechtliche Möglichkeit für die Erfüllung der Aufgaben die erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen, wenn hierzu nicht die entsprechenden finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

 

 

                                          Berlin - Spandau, den 04. November 2010

 

 

                                                                      Birkholz

                                                        Bezirksbürgermeister

Begründung:

 

 
 

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