Drucksache - 1349/VI  

 
 
Betreff: Zum Stand der Sonderschulen in Marzahn-Hellersdorf
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion der SPDBzStR SchulSportFin
Verfasser:Komoß, Stefan 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beantwortung
30.04.2009 
Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf beantwortet   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Große Anfrage PDF-Dokument
2. Schriftliche Beantwortung PDF-Dokument

Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf gibt wie folgt Auskunft:

Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf gibt wie folgt Auskunft:

 

Die Beantwortung der Fragen erfolgte gemeinsam mit der  Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Außenstelle Marzahn-Hellersdorf, und wird hiermit zur Kenntnis gegeben:

 

  1. Wie schätzt das Bezirksamt die Arbeitsmarktchancen von Schülerinnen und Schülern mit Schulabschlüssen an den Marzahn-Hellersdorfer Sonderschulen, vornehmlich jenen mit den Förderbedarfen Sprache und Lernen, ein?

            Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Schülerinnen und Schüler, die einen Schulabschluss eines sonderpädagogischen Förderzentrums aufweisen, haben auf dem ersten Arbeitsmarkt schlechtere Chancen, als Schülerinnen und Schüler einer Regelschule, die einen entsprechenden Schulabschluss vorweisen können.

            Besonders Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf „Lernen“ haben auch in unserem Bezirk nicht die günstigsten Bedingungen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Ausbildung zu erhalten. Dem Bezirk ist hier keine statistisch relevante Zahl bekannt, die es deutlich machen könnte, dass ein großer Anteil der Absolventen der Förderzentren mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ nach der Schule in eine entsprechende Ausbildung wechseln.

 

            Als Beispiel sei auf die vorliegende Statistik über den Verbleib der 36 Schüler/-innen der Abschlussklassen im Schuljahr 2007/2008 der Dahlmann-Schule vom Juli 2008 verwiesen.

            Demnach haben lediglich 5 Schüler/-innen, d.h. ca. 14 % der Abgänger/-innen der Dahlmann-Schule, eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen. 

 

 

  1. Welche Lernerfolge (Abschlüsse) haben diese Schülerinnen und Schüler statistisch gesehen an den Marzahn-Hellersdorfer Sonderschulen in den letzten Jahren erzielt?

            In Marzahn-Hellersdorf haben im Schuljahr 2006/07 von 192 Schüler/-innen, die ein Förderzentrum „Lernen“ besucht haben, 61 Schüler/-innen, d.h. ca. 32%, die Schule ohne Sonderschulabschluss verlassen. 79 Schülerinnen/-innen haben einen entsprechenden Sonderschulabschluss erreicht. 52 Schülerinnen bzw. Schüler haben die Schule mit einem dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Abschluss abschließen können. Das heißt in der Folge, dass kein/e Schüler/in einen erweiterten Hauptschulabschluss bzw. einen mittleren Schulabschluss vorweisen konnte.

Eine Diskussion dieser Ergebnisse kann im Bezirk nur bedingt erfolgen, da diese Ergebnisse nur schwer mit den Gesamtberliner Ergebnissen in Beziehung zu setzen sind. Erst seit dem letzten Jahr gibt es auch für den Förderschwerpunkt „Lernen“ standardisierte Vergleichsarbeiten.

 

Grundsätzlich kann über den Lernerfolg aber die wissenschaftliche Literatur in die Diskussion einbezogen werden. Nach Klemm und Preuss-Lausitz liegen zur Beantwortung dieser Frage jedoch zahlreiche Studien vor, die einen deutlichen Leistungsvorsprung von Förderschülern in integrativen Settings belegen (Haeberlin  u. a. 1990; Bless, 1995, Hildeschmidt/Sander 1996). Tent u. a. (1991) stellen fest, dass die Intelligenzentwicklung und die Leistungsentwicklung desto ungünstiger verläuft, je länger Schüler/innen in Sonderschulen unterrichtet werden, und desto günstiger, je länger sie in Regelschulen verbleiben. Diese Ergebnisse der späten 1980er Jahre werden von Wocken (2007) für Hamburg, Brandenburg und Niedersachsen bestätigt. Wocken hat außerdem festgestellt, dass die in Förderschulen unterrichteten Kinder überwiegend sozial (und ethnisch) stark ausgelesen sind. „Der durchschnittliche sozioökonomische Status von Förderschulfamilien liegt unterhalb des Niveaus der Arbeiterschicht; mit einigem Recht könnte man das Herkunftsmilieu durchaus als Sub-Proletariat kennzeichnen“ (Wocken 1007, 47)7. Die differenziert dargelegten Ergebnisse „sprechen unzweifelhaft gegen eine kompensatorische, rehabilitative Wirksamkeit der Förderschule“ (ebda., 55). Wocken erklärt dieses Ergebnis nicht etwa durch „schlechten“ Unterricht, sondern durch die fast unvermeidliche „reduktive Didaktik“: Lehrer passen sich durch Senkung der Anforderungen den Schülern an, und diese haben wenig Peer-Zugpferde, die sie motivieren könnten. Daher sei die Förderschule durch eine vierfache Reduktion gekennzeichnet: eine curriculare (Senkung der Ansprüche), eine methodische (Kleinschrittigkeit), eine soziale (bildungsfernes soziales Milieu) und eine zeitliche (häufige Störungen und Absentismus). Wocken plädiert aus diesem Grund für eine allgemeine Auflösung der Sonderschule für Lernbehinderte bzw. der Allgemeinen Förderschule – aufgrund ihrer Lern-Ineffektivität, der Verstärkung sozialer Auslese und der Kumulation sozial unerwünschter Orientierungen und Verhaltensformen.

Bekanntlich schneiden Förderschulen bei Studien zur Schülergewalt am ungünstigsten ab (vgl. Holtappels u.a. 1997). Eine mehrjährige Studie über die Sozial- und Leistungsentwicklung verhaltensauffälliger SEN-Kinder im GU zeigt dagegen nach drei Schuljahren eine deutliche Leistungsstabilisierung (und verbesserte Sozialprognosen) (vgl. Klemm/ Preuss-Lausitz; Berlin,Essen 2008).

 

 

  1. Welche Möglichkeiten sieht das Bezirksamt, sowohl die Arbeitsmarktchancen als auch die erreichten Abschlüsse der Schülerinnen und Schüler mit den entsprechenden Förderbedarfen zu verbessern?

            Die Antwort auf diese Frage ergibt sich eigentlich bereits durch die Antwort auf die vorherige Frage. Es ergeben sich wesentliche Schwerpunkte:

Ø      Steigerung der Förderfähigkeit der Allgemeinen Schulen zum Nutzen aller Kinder; im Bezirk durch INKA umgesetzt.

Ø      Von der selektiven Förderdiagnostik zur Lernerfolgsdiagnostik für alle Kinder.

Ø      Deutliche Flexibilisierung und Regionalisierung sonderpädagogischer Leistungen, Verzicht auf Behinderung ausgerichteter Aussonderung.

Ø      Intensivierung des dualen Lernens in der Sekundarstufe, eine Möglichkeit bietet hier das Lernarrangement „Schülerfirma“.

      Enge Kooperation und Bündelung aller Ressourcen, um eine entsprechende Berufsorientierung an den Schulen intensiver zu unterstützen – Stärkung der Regeleinrichtung – keine konkurrierende Parallelunterstützungen

 

 

  1. Teilt das Bezirksamt die Ansichten der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung bezüglich der Gründe für den überdurchschnittlich hohen Anteil von Sonderschüler/innen in Marzahn-Hellersdorf, als auch die Auffassung, dass eine die spätere Chancengleichheit der Sonderschüler/innen deutlich verbesserte Möglichkeit in der Integration in eine so genannte Regelschule anstelle der bisherigen Separation an Sonderschulen bestehe? (Vgl. dazu die Drucksache 16/12835 des Berliner Abgeordnetenhauses)

 

            Er wurden keine Gründe genannt. Insofern ist die Frage missverständlich.

            Dem Bezirksamt ist keine Untersuchung bekannt, in der die Gründe analysiert werden. Hier könnten am ehesten entsprechende Thesen formuliert werden, die es zu untersuchen gilt. Die angesprochene Aussage der Senatsverwaltung, dass soziale und pädagogische Prozesse Zeit benötigen, um erfolgreich umgesetzt werden zu können, findet auch auf bezirklicher Ebene fachliche Zustimmung.

Der zweite Teil der Frage wurde durch die Erkenntnisse folgender Studien wissenschaftlich diskutiert (vgl. bereits Antwort auf die Frage 2 und Tent, Wocken u.a).

 

 

Komoß

 
 

Legende

Ausschuss Tagesordnung Drucksache
Bezirk Aktenmappe Drucksachenlebenslauf
Fraktion Niederschrift Beschlüsse
Kommunalpolitiker Auszug Realisierung
   Anwesenheit Kleine Anfragen

Kontakt

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin

Büro der Bezirksverordnetenversammlung

Leiterin:
Anne Nentwich, BVV L

Postanschrift:
12591 Berlin