Drucksache - DS/1540/VI  

 
 
Betreff: Keine Kooperation mit Mietpreistreibern
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BVO Christian PetermannBVO Christian Petermann
   
Drucksache-Art:Antrag zur BeschlussfassungAntrag zur Beschlussfassung
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin Entscheidung
17.12.2009 
36. Sitzung in der VI. Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin in der BVV abgelehnt   

Sachverhalt
Anlagen:
Antrag BVO WAS-B PDF-Dokument

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

 

Das Bezirksamt wird ersucht nur noch mit solchen Wohnungsunternehmen werbewirksame Kooperationen einzugehen, die eine bürgerfreundliche Mietpreispolitik nachweisen können.

 

Bürgerfreundliche Mietpreispolitik wird dabei folgendermaßen definiert:

 

  1. Das Unternehmen muss nachweisen, dass der durchschnittliche Mietpreis (Kaltmiete) seiner Wohnflächen nicht über dem Durchschnittswert des Berliner Mietspiegels liegt (beim gegenwärtigen Mietspiegel 2009 beträgt dieser Wert 4,83 Euro je m²).

 

  1. Das Unternehmen muss nachweisen, dass die durchschnittliche Mietpreissteigerung (Kaltmiete) seiner Wohnflächen in den jeweils letzten 5 Jahren, für die entsprechende Vergleichszahlen vorliegen, nicht über dem Anstieg des mittleren Pro-Kopf-Einkommens des Landes Berlin im gleichen Zeitraum liegt. Relevant für die Ermittlung des mittleren Pro-Kopf-Einkommens sind die verfügbaren Daten des Mikrozensus des Statistischen Landesamts Berlin (derzeit letzte Daten: Mikrozensus 2007: 950 € mittleres Pro-Kopf-Einkommen, Mikrozensus 2002: 925 € => Anstieg: 2,8 %).

 

Das Bezirksamt wird ersucht solchen Wohnungsunternehmen, die mindestens eines der beiden Kriterien verletzen, insbesondere zu untersagen:

 

  1. das Schalten von Anzeigen in sämtlichen Presseerzeugnissen und Online-Portalen, die in der Verantwortung des Bezirksamts liegen (u. a. "Lichtenberger Rathausnachrichten", "www.buergerhaushalt-lichtenberg.de", "www.berlin.de/ba-lichtenberg", "www.kiezatlas.de/lichtenberg/")
  2. das Auslegen von Broschüren und sonstigem Werbematerial in öffentlichen Einrichtungen des Bezirks (insbesondere Bibliotheken und Bürgerämter)
  3. das Anbringen von Werbeflächen jeglicher Art an und in öffentlichen Einrichtungen des Bezirks
  4. das Ausrichten von Veranstaltungen des Bezirksamts als (Co-)Sponsor
  5. die Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Wettbewerben, die vom Bezirksamt initiiert werden.

 

Bezüglich 1.-4. bestehende Verträge zwischen Bezirksamt und Kriterien verletzenden Wohnungsunternehmen sind vom Bezirksamt zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen.

 

Das Bezirksamt wird ersucht die BVV mindestens einmal im Jahr über bestehende Verträge zwischen Wohnungsunternehmen gemäß 1.-4. zu informieren, einschließlich Vertragsbeginn, Vertragsende und Kündigungsfristen.

 

Begründung:

Die jetzige Praxis von ansässigen, oftmals landeseigenen Wohnungsunternehmen wie etwa die HOWOGE oder die DEGEWO, bei Bestandsmieten den Spielraum, den der Mietspiegel bietet, bis zur Kante auszureizen und bei Neuvermietungen deutlich drüberzulegen, führt zu einer selbstinduzierten Mietpreis-Spirale, die den Wert für die Vergleichsmieten, der alle 2 Jahre festgestellt wird, nach oben schraubt.

 

Diese Praxis beschleunigte nachweislich die Gentrifizierung und Ghettoisierung von Straßenzügen (letzteres z. B. Löwenberger Str. 2-4, Weißenseer Weg 1-2) und ganzen Stadtteilen auch in Lichtenberg und führt neuerdings zu einer unangemessen hohen Inanspruchnahme von Subventionen für überteuertes Wohnen (Wohngeld). Lichtenberg ist neben Friedrichshain-Kreuzberg derzeit unter den Bezirken Spitzenreiter bei der Wartezeit zwischen Wohngeld-Antrag und Bescheid.

 

Mit dem Kriterium 1 wird sichergestellt, dass solche Unternehmen keine Zusammenarbeit mit dem Bezirk bei ihrer PR-Arbeit mehr erwarten können.

 

Um sicherzustellen, dass mit dem Bezirk kooperierende Wohnungsunternehmen die Einkommensentwicklung der Berliner Bevölkerung nachhaltig berücksichtigen und spontane Schwankungen in dieser Entwicklung nicht überbewertet werden, ist die Betrachtung über einen Fünfjahreszeitraum gemäß Kriterium 2 angemessen.

 

Die BVV Lichtenberg beschloss im Dezember 2007 mit dem Antrag DS/0623/VI, dass sich das Bezirksamt gegenüber dem Senat dafür einsetzen soll, dass landeseigene Wohnungs-baugesellschaften sich verpflichten bei Mieterhöhungsbegehren die Entwicklung der mittleren Haushaltsnettoeinkommen der einzelnen Berliner Bezirke zu berücksichtigen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lehnte in ihrem Antwortschreiben das Ansinnen u. a. mit der Begründung ab, dass der Mietspiegel ausreichend Schutz vor übermäßigen Mietsteigerungen biete - obwohl schon damals die stark aufklaffende Lücke zwischen Mietpreis- und Einkommensentwicklung sowohl bezirks- als auch berlinweit festzustellen war. Während seit der Jahrtausendwende in Lichtenberg zweistellige Steigerungen der durchschnittlichen Kaltmieten durchgesetzt wurden, verharrte das Lichtenberger Haushaltsnettoeinkommen im selben Zeitraum konstant bei etwa 1500 Euro und das mittlere Pro-Kopf-Einkommen bei etwa 900 Euro.

 

Der wichtigste Vermieter und hauptsächliche Mietpreistreiber im Bezirk, die HOWOGE, hat im selben Zeitraum jedes Jahr zweistellige Millionengewinne für den Senat eingefahren. Innerhalb von vier Jahren konnte das Unternehmen dabei seinen Reingewinn verdoppeln.

 

HOWOGE-Entwicklung von Mietpreis und Gewinn

 

 

2008

2007

2006

2005

2004

Kaltmiete/m²

5,11

5,02

4,94

4,81

4,64

Ist-Miete (Mio. €)

181,87

177,36

173,53

170,23

167,2

Gewinn (Jahresergebnis in Mio. €)

32,45

33,44

18,28

21,53

16,04

Gewinnabführung

--

--

--

--

--

 

 

Vergleich Netto-Kaltmieten Wohnungsbaugesellschaften und insgesamt Berliner Wohnungsmarkt

 

Preis je m² (2008)

Mietpreis-Steigerung von 2006 zu 2008

HOWOGE

5,11 €

3,4%

DEGEWO

4,87 €

2,5%

Berlin gesamt (Mietspiegel 2009)

4,83 €

1,7%

Stadt und Land

4,63 €

5,9%

GESOBAU

4,36 €

6,6%

Tabelle 2: Staatliche Unternehmen ziehen überdurchschnittlich die Mieten an

 

Quelle Tabelle 1 und 2: Eigene Zusammenstellung aus Daten vom Beteiligungsbericht 2009:

http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/finanzen/vermoegen/beteiligungsbericht_2009_band_1.pdf

 

Mit ihrer Mietpreispolitik leistet die HOWOGE einen wichtigen Beitrag dafür, dass Lichtenberg von allen Bezirken den momentan dritthöchsten Anstieg der Mietpreise bei Neuvermietungen verzeichnet.

 

Bezirk

Neumieten (2008-Q1/2009) €/m²

Bestandsmieten €/m²

Änderung in %

1. Mitte

5,47

4,79

14%

2. F'hain-Kreuzberg

5,58

4,94

13%

3. Lichtenberg

5,49

4,95

11%

...

...

...

...

10. Spandau

4,85

4,60

5%

11. Neukölln

4,71

4,54

4%

12. Reinickendorf

4,52

4,39

3%

Tabelle 3: Ranking Bezirke nach Mietpreissteigerung (letzte Spalte), Spitzenwert fettgedruckt; Spitzenwert Bestandsmieten: Steglitz-Zehlendorf mit 5,13 – Quelle: BBU, Berliner Morgenpost 28./29.11.2009

 

Region

Anzahl Angebote

durchschn. Mietpreis/m² (kalt)

Jahr Sanierung (Durchschnitt)

Diffz. zu Miet-spiegel-Referenz (4,83€/m²)

Karlshorst            

10

6,64

2003

1,81

Friedrichsfelde      

80

5,78

2000

0,95

H'hausen-Alt         

70

5,62

1998

0,79

Lichtenberg Nord/Süd 

76

5,49

2000

0,66

H'hausen Süd         

144

5,12

1999

0,29

H'hausen Nord        

200

5,06

1999

0,23

Tabelle 4: Wohnangebote der HOWOGE zum Stichtag 24.11.2009; Quelle eigene Berechnungen aus Daten abgerufen von http://www.howoge.de/mietwohnungen/index.html

 

Einen kleinen Bruchteil der Gewinne nutzt sie für imagefördernde Charity-Aktivitäten im Bezirk, wie das Sponsern ansässiger Sportvereine und Sozialeinrichtungen oder   Patenschaften im Tierpark Friedrichsfelde. Damit verhält sie sich wie ein geltungsbedürftiger Feuerwehrmann, der selber Brände legt, um sie hinterher teilweise zu löschen.

 

Hier muss der Bezirk ein eigenes Druckmittel aufbauen und die Zusammenarbeit für solche Charity-Aktivitäten und sonstige PR-Arbeit so weit wie möglich aufkündigen, solange das Unternehmen eine segregationsfördernde Mietpreispolitik betreibt.

 

Hoffen und Bitten, dass auf Landes- oder Bundesebene Rahmenbedingungen für eine bürgerfreundliche und segregationshemmende Mietpreispolitik in Berlin geschaffen werden, haben sich in jüngster Vergangenheit als vergebliche Liebesmüh erwiesen.

 

 
 

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