Prokop Bowtromiuk berichtet aus Bozen

Pressesaal der Landesverwaltung

Pressesaal der Landesverwaltung Bozen

Hallo erstmal. An dieser Stelle möchte ich in den kommenden Wochen aus Südtirol berichten. Ich habe die Gelegenheit bekommen im Rahmen des Hospitationsprogramms LoGo-Europe vier Wochen lang in der Landesverwaltung der Autonomen Provinz Bozen -Südtirol direkt vor Ort in Bozen zu arbeiten und zu lernen. Ich bin 33 Jahre alt und seit drei Jahren im Bezirksamt Lichtenberg als Pressereferent des Bezirksbürgermeisters und als kommissarischer Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Bei uns in der Pressestelle in Lichtenberg dreht sich alles um Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Pressemitteilungen des Bezirksamtes, der Austausch mit Medienvertreter:innen, Pressegespräche, öffentliche Auftritte, die Rathausnachrichten, Presseanfragen und seit neuestem auch die Social-Media-Arbeit.

Es gibt so viel aus Bozen zu berichten, auch abseits der Arbeit. Die kommenden Beiträge sind deshalb kein Protokoll meiner täglichen Tätigkeiten, sondern große Gedankenhappen zur Arbeit und zum Ort.

Der holprige Start: Alle guten Dinge sind wirklich drei!

Es hat ein bisschen gebraucht, bis dieser kleine Traum von einer Hospitation in der Landesverwaltung der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol wahr geworden ist – exakt drei Anläufe. Erst war es ein personeller Engpass, der mich in Berlin hielt, dann die weltweite Corona-Pandemie, sogenannte systemrelevante Tätigkeiten und geschlossene Grenzen. Jetzt, beim dritten Mal, hat es endlich geklappt und ich bin im malerischen Bozen in Südtirol angekommen. Es ist famos!

Für Bozen hatte ich mich Anfang 2019 beworben, weil ich vor allem an einer Hospitation interessiert war, in der auch deutsch gesprochen wird. Wien kam für mich nicht in Frage. Nichts gegen Wien, wir kennen uns privat ganz gut und haben uns auch gern. In der langen LoGo-Europe-Liste blieb dann nur Bozen. Südtirol war mir bis dahin völlig unbekannt. Obwohl es der Sehnsuchtsort von gefühlt 80 Millionen Deutschen ist, war ich nie da, bin nie durchgefahren, hatte keine Bilder vor dem inneren Auge und tatsächlich keinen Schimmer, vor welch einem Paradies ich mich verschlossen hatte. Nach einer kurzen Recherche war mir klar, ja ich will. Das i-Tüpfelchen setzte dann auch noch die Tourismuskampagne des Landes Südtirol in Berlin. Glückliche Menschen, Wanderschuhe, Berge, Wasser, Wälder und dazu Worte wie Freiheitsdrang und Sehnsuchtsort.

Kaltern in Südtirol

Es waren aber nicht (nur) pittoreske Landschaftsfotografien von Bergpanoramen, Bilder von Speckplatten, Weinreben bis zum Horizont, Apfelhaine und Käseteller, die mich überzeugt haben. Es waren zu einem großen Teil die kulturellen, historischen und sprachlichen Besonderheiten des Landes.
Am Ende ist es Bozen geworden, weil die Hospitation mir einen besonderen Einblick in eine sehr professionelle und gut aufgestellte Öffentlichkeitsarbeit ermöglicht. Sie ist anders aufgebaut, anders strukturiert und muss mit den lokalen Herausforderungen umgehen. Von der Hospitation erhoffe ich mir wichtige Erfahrungen für die Arbeit in der Pressestelle in Berlin. Bereits nach einer Woche ist klar: ich bereue nichts.

Am Ende ist es aber auch Bozen geworden, weil mich meine Kolleg:innen in Berlin, meine Tutorin und der Chefredakteur in Bozen, mein Vorgesetzter und unsere Lichtenberger Europa-Beauftragte über anderthalb Jahre unterstützt haben. Ohne diese Unterstützung und die Vertretung durch Kolleg:innen würde niemand eine Hospitation machen können. Auch das ist LoGo-Europe!

Palais Widman

Die Ankunft

Nach 8,5 Stunden Zugfahrt wird man in Bozen sehr herzlich willkommen geheißen: Sonnenschein und frische Bergluft zaubern einem ein Lächeln ins Gesicht. Das Wochenende vergeht mit Ankommen und Akklimatisieren, ersten ausgedehnten Spaziergängen, Bienenstich (der Kuchen!), Apfelstrudel, Seilbahnfahren, Schloss Runkelstein bewundern (was für ein Klischeename) und in einem Bergsee abbaden. Hätte ich Wanderstöcke dabei und würde es statt leckerem italienischem Espresso leckeren Berliner Filterkaffee geben, würde ich mich vollends gediegen fühlen. So bleibt noch das bisschen Rebellion in mir.

Und dann, dann ist da schon der erste Arbeitstag. Früh am Morgen, ins Detail möchte ich lieber nicht gehen, denn das würde viel über mich verraten, treffe ich meine Tutorin und eine Kollegin aus Friedrichshain-Kreuzberg, die quasi meine Vorgängerin im Programm war. Sie war hier im Urlaub. Ein Phänomen: wer mal hier war, kommt meist wieder. Immer und immer wieder.

Pressekonferenz im Palais Widman

Die Begrüßung ist herzlich und meine Tutorin Extraklasse. In den kommenden Stunden lerne ich die Kolleg:innen der Personalentwicklung kennen und im Anschluss wechseln wir in die Agentur für Presse und Kommunikation der Landesverwaltung im wunderschönen Palais Widman, mein Arbeitsplatz für die kommenden Wochen. Ich werde vom ersten Tag an eingebunden. Dabei habe ich genug Zeit, um auf eigene Initiative über die hiesigen Strukturen zu recherchieren, darf Pressekonferenzen und Meetings besuchen, nehme an Redaktionssitzungen teil und werde von den Kolleg:innen mitgenommen. Wir gehen zusammen essen und ich bereite erste Presseaussendungen vor, habe Auswärtstermine, besuche ein Pop-Up-Repaircafé in Bozen, erfahre mehr über die Länderzusammenschlüsse der Alpen, bin bei der Verleihung des Mobilitätspreises dabei, hole O-Töne ein, telefoniere mit Salzburg, bekomme mein eigenes Kürzel für die Öffentlichkeitsarbeit (ja, das ist schon etwas, das einen in der ersten Woche stolz macht), bringe die eine oder andere Idee ein, höre unendlich viel zu, beobachte und frage. Fragen sind das Hamsterrad der LoGo-Hospitation. Man kann gar nicht so viel fragen, wie man wissen will, es ist ein Universum, das man ergründen möchte. Und das wirklich beeindruckende ist, dass man immer eine Antwort erhält. Das bewundere ich sehr an meinen Tutor:innen. Diese Engelsgeduld. Es gehört sehr viel dazu sich in seinem eigenen Arbeitsalltag die Zeit für Hospitant:innen zu nehmen. Ich lerne den Landeshauptmann und Landesräte kennen, das deutsche Pendant wären der Regierende Bürgermeister bzw. Ministerpräsident:innen und Senator:innen bzw. Landesminister:innen. Zwischendurch wird es plötzlich Herbst und es regnet. Aber das geht vorbei erzählt man sich.

Arbeiten in Corona-Zeiten

Arbeiten in Corona-Zeiten

In der ersten Woche fallen bereits viele Dinge auf, über die ich noch berichten werde. Eigentlich wäre es schön, dieses eine Thema links liegen lassen zu können, doch es geht nicht. Deshalb eine Sache vorab. Südtirol war eine Region, die sehr stark von der Corona-Pandemie betroffen war. Sie gehörte zu einer der ersten Regionen, die abgeriegelt wurden und Bergamo, das schöne Bergamo, das 2020 unweigerlich mit der Pandemie in Verbindung gebracht wird, liegt nur zwei und halb Stunden Autofahrt entfernt.
Die Zeit war und ist für viele Menschen hier eine unheimliche Belastung, wirtschaftlich, familiär, gesundheitlich und beruflich. Diese Pandemie ist hier an niemandem spurlos vorbeigegangen. Die Bilder von Großdemonstrationen aus Berlin gegen die Corona-Maßnahmen hatten hier noch einmal eine ganz andere Wirkung.

Die Fallzahlen steigen hier wieder, wie in ganz Europa. Das alles beeinflusst auch die Art wie gearbeitet wird. Immer mit Maske, immer mit Abstand, Desinfektionen und Fiebermessungen. Es verändert, ähnlich wie bei uns, die Art wie Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit funktionieren. Preisverleihungen finden nur im kleinen Rahmen statt und Pressekonferenzen werden gestreamt. Es ist auch hier zunehmend schwieriger die Bevölkerung auf die ernster werdende Lage hinzuweisen und auf die Bereitschaft zur Kooperation zu setzen, wie zu Anfang der Pandemie. Aus den Lockerungen des Sommers zurück in die Beschränkungen scheint für viele unmöglich. Deshalb macht sich auch die Landesverwaltung immer wieder Gedanken, wie man die Bürger:innen erreichen kann. Die Öffentlichkeitsarbeit wird dabei konstant justiert. Ich bin gespannt welchen Weg Südtirol hier kommunikativ einschlagen wird.

Was mir auffällt ist, dass die Verwaltung hier sehr schnell auf die veränderten Bedingungen reagiert hat. An jedem Arbeitsplatz, den ich bisher gesehen habe, gibt es eine Webcam. Dienstberatungen und viele Meetings werden online abgehalten und Chatprogramme ermöglichen Absprachen, ohne sich physisch begegnen zu müssen. Cloud-Lösungen sind die Regel und Smart-Working, also die Arbeit von Zuhause, ist Standard und viele Kolleg:innen nutzen sie. Aus Gesprächen erfahre ich, dass diese Maßnahmen sehr schnell ergriffen wurden und sich bewährt haben. Hier hat die Landesverwaltung sehr effektiv zusammengearbeitet, um auf eine neue Situation zu reagieren. Ein Vorbild für Berlin.

Das Logo der Verwaltung in drei Sprachen

Die Zwei- bis Dreisprachigkeit

Berlin ist ja, zumindest statistisch betrachtet, kein Dorf. Die Hauptstadt spricht viele Sprachen. Deshalb habe ich angenommen, dass mich sprachlich wenig in Bozen überraschen könnte. Außerdem dachte ich: wer schon einmal Urlaub in Italien machen durfte, kennt die Mischung aus Deutsch und Italienisch ja auch zu gut, denn auf der Straße wird dort in der Saison gefühlt nur das Eine oder das Andere gesprochen. La Deutsche Vita eben.

Hier in Südtirol ist es anders, es ist nicht saisonal bedingt. Es ist Alltag und es ist beeindruckend, existenziell und heikel.
In der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol gibt es nicht nur einen Namen für Bozen, sondern drei. Die Hauptstadt heißt auch Bolzano oder Bulsan. Je nachdem welche Sprache man spricht, ist sie das Zentrum der Provincia Autonoma di Bolzano – Alto Adige oder der Provinzia Autonoma de Bulsan – Südtirol. Drei Namen für ein und dieselbe Region und dieselbe Stadt, das ist der Anfang eines komplexen Sprachengewirrs. Denn in Südtirol spricht man offiziell drei Sprachen: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Wann genau welche Sprachen gesprochen werden müssen, wann eine weggelassen werden darf und unter welchen Bedingungen, das begreife ich noch nicht ganz. Ich versuche es zusammenzufassen: Italienisch und Deutsch sind ein Muss, Ladinisch wohl nicht immer. Das gilt für die öffentlichen Einrichtungen, ihre Publikationen, Straßennamen, Ortsnamen, Gesetze, Verlautbarungen und vieles mehr. Und es wird konsequent umgesetzt.

Mehrsprachigkeit als Grundlage der Autonomie

Der geschichtliche Exkurs dazu ist ungeheuer spannend und dramatisch zugleich. Es geht um zwei Weltkriege, die Umsiedlung von Sprachengruppen, Verbote von Sprachen, sogenannte Katakombenschulen, Optionen zur Wahl der zukünftigen Heimat, Anschläge und viele Verhandlungen sowie Einigungen. Die Mehrsprachigkeit ist das Resultat der konfliktreichen europäischen Geschichte und dem Ringen um nationale Identitäten und Grenzziehungen. Die Mehrsprachigkeit ist aber auch ein Resultat von diplomatischen Bemühungen, dem jahrzehntelangen Kampf um Autonomie und dem Versuch, den kulturellen Status quo abzubilden. Denn am Ende der komplizierten und langen Geschichte ist es so gekommen, dass in Südtirol vor allem Menschen leben, die entweder Deutsch, Italienisch oder Ladinisch als Erstsprache, quasi als Muttersprache, erlernt haben. Das macht sie keineswegs automatisch zu Italiener:innen und ganz bestimmt nicht zu Deutschen. Ein gängiger Irrtum, denn wenn man in Südtirol von deutsch spricht, meint man deutschsprachig und wirklich nur das. Meine Kollegin zum Beispiel spricht italienisch als Erstsprache und sagt sie ist aus Bozen und Europäerin. Mehr nicht. Punkt. Ganz einfach?

Sprache war und ist eben ein entscheidendes Element der eigenen kulturellen Identität. Es scheint so, als ob die Angst, dass einem die Sprache genommen wird, gleichbedeutend ist mit der Angst seine Identität aufgeben zu müssen. Darum wurde und wird die „eigene“ Sprache verteidigt. Ein Kollege bezeichnet die Sprachtoleranz als die Grundlage für die Autonomie Südtirols. Die Autonomie im Gegenzug ist die friedliche Lösung des Konflikts zwischen den Sprachgruppen und die Entität zum Schutz der kulturellen Eigenheiten. So gibt es zum Beispiel in der Landesverwaltung drei Kulturabteilungen, eine deutsche, eine italienische und eine ladinische. Das betrifft ebenso die Schulverwaltungen. Und es gibt das Amt für Landessprachen und Bürgerrechte. Es ist unter anderem zuständig für Beschwerden hinsichtlich der Verletzung des Rechts auf Gebrauch der Muttersprache oder der gewählten Sprache in der Kommunikation zwischen Bürger:innen und öffentlicher Verwaltung.

Pressesaal in drei Sprachen

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in drei Sprachen

Über was ich eigentlich berichten wollte, ist die zwei- bis dreisprachige Öffentlichkeitsarbeit. Alles hier wird in mindestens zwei Sprachen absolviert. Die dritte, das Ladinische, ist größtenteils keine Pflicht. Ladinisch wird besonders dann angewendet, wenn es explizit Belange der Sprachgruppe tangiert. Eine heikle Regelung.

Jede Pressekonferenz wird erst in der einen, dann in der anderen Sprache absolviert, jede Presseaussendung wird in zwei Sprachen publiziert. Das eigene Magazin, die lp gibt es online auf Deutsch und auf Italienisch. In der gedruckten Form findet sich eine Mischung aus beiden Sprachen. Eine immer wieder übliche Lösung ist, dass einzelne Aspekte in jeweils nur einer Sprache kommuniziert werden und das Ergebnis wird als Gesamtwerk stehengelassen. Man sollte auf jeden Fall nicht das Wort „übersetzen“ verwenden. Denn man legt großen Wert darauf, dass in der journalistischen Arbeit nicht einfach übersetzt wird, sondern in der jeweiligen Sprache geschrieben wird. Die Begriffe „Übersetzung“ und (sprachliche) „Gleichberechtigung“ vertragen sich offensichtlich schlecht. In den Redaktionssitzungen wird zwischen deutsch und italienisch im Tiefflug gewechselt, ohne zu überlegen. Die Entscheidung, wann welche Sprache zum Einsatz kommt, erfordert meist keiner Absprachen und scheint intuitiv zu geschehen. Die Menschen nehmen beim Sprechen Rücksicht aufeinander.

Mehrsprachige Zeitungen

Wer in der Landesverwaltung arbeiten möchte, muss außerdem je nach Arbeitsgebiet eine Zwei- bis Dreisprachigkeitsprüfung ablegen. Das ist im Autonomiestatut gesetzlich festgelegt. Die Bürger:innen sollen die Möglichkeit haben, in beiden Sprachen mit der Verwaltung zu kommunizieren und auch eine Antwort auf die Frage in der Sprache zu bekommen, in der sie gestellt wurde.

Die Presselandschaft dagegen ist nicht dreisprachig, Stattdessen gibt es sie in drei Sprachen. Es gibt italienische Zeitungen, ladinische Zeitungen und deutsche Zeitungen, das Gleiche nochmal online und im Rundfunksektor. Dabei unterscheiden sich die Berichterstattungen auch inhaltlich. Sprache bedingt Interessen, denn die Sprachgruppe beeinflusst hier oft, wo man lebt. Im Tal, in der Stadt oder auf dem Berg.

Mehrsprachigkeit als Kulturkompetenz

Die Mehrsprachigkeit ist ein Bestandteil der kulturellen Mehrdeutigkeit Südtirols. Das Land entzieht sich wie ein nasser Fisch immer wieder der Einheitlichkeit, ob beim Klima, der Kulturlandschaft – zwischen Blaskapelle und Klassikorchester – oder dem Essensangebot. Die Qual der Wahl beim Mittagessen zwischen herzhaftem, deftigem Essen wie Knödeln und den mediterranen Nudelgerichten, ohje. Das alles auf einer Essenskarte und in mindestens zwei Sprachen! Die einzige Lösung ist, das eine als primo piatto und das andere als secondo piatto zu nehmen.
Ja, Mehrsprachigkeit ist anstrengend. Sie ist aber gleichzeitig eine unschätzbare Kulturkompetenz. Sie braucht insgesamt und besonders von Seiten der Verwaltung viele Ressourcen, sie braucht Geduld, sie braucht mehr Zeit und sie braucht mehr Platz, auf dem Papier und in den Köpfen. Sie ist aber von unschätzbarem Wert. Denn irgendwann hört der Kopf auf zu kategorisieren, versucht den Sprachgebrauch nicht mehr in nationale Zugehörigkeiten umzuwandeln und nimmt die Uneindeutigkeit als Wesenszug an.
Mehrsprachigkeit muss aber auch immer wieder verteidigt werden.
Ich muss immer wieder an die Worte eines Freundes denken. Wenn die Gesellschaft ein Abendessen unter Freund:innen wäre, dann ist die Vorbereitung anstrengend, wenn man möglichst viele einladen will. Dazu muss man nicht nur die individuellen Essensgewohnheiten berücksichtigen, man muss auch eine gemeinsame Sprache beim Abendessen finden. Das ist aber kein Verzicht, es ist ein Gewinn!
Denn am Ende hat man dafür beides auf dem Tisch: Knödel und Pasta.

Ein Hauch von Abschied

Zeit ist ein borstiges Element. Sie hat heute wie der frische Nordföhn, der durchs Etschtal fegte und einen kalten Herbst nach Bozen brachte, das Gefühl des Abschiednehmens nach drei Wochen sehr schlagartig, sehr real werden lassen. Dabei war ich bis gestern noch felsenfest überzeugt, dass vier Wochen eine kleine, zähe Unendlichkeit sind. Die letzte Woche wird geprägt sein von dem Bedürfnis noch viel lernen, schmecken und sehen zu wollen. Es ist der ewige Kreislauf. Am Anfang denkt man es würde ewig Zeit bleiben, am Ende ist es Zeit. Im Endspurt hier in Südtirol kommt zum Glück noch einiges auf mich zu, dass ich freudig erwarte. Das dimmt den aufflammenden Abschiedsblues. Aber er wimmert im Hintergrund bereits leise vor sich hin.

Der Landtag in Südtirol

Konkurrenz um öffentliche Wahrnehmung

Mein Kopf kreist derweil auch hier in Bozen sehr oft um den Gedanken, wie Politik den Bürger:innen schmackhaft gemacht werden kann. Zu den Herausforderungen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Lichtenberg gehört politisches Handeln und das Handeln der Verwaltung zu kommunizieren. Keine Frage, es stößt vielfach auf Interesse und doch muss man sich ehrlich eingestehen, dass von den mehr als 280.000 Bürger:innen nicht alle das Bezirksamt Lichtenberg kennen, geschweige denn wissen, was dort täglich vor sich geht. Das hat nichts mit dem Bezirk an sich zu tun, sondern mit einer Gemengelage, die schwer zu sortieren ist. Dazu zählen komplizierte Prozesse und noch kompliziertere Bezeichnungen dafür, eine Unübersichtlichkeit der Verantwortungen in Berlin, individuelle Lebensumstände und Interessen, die Konkurrenz von Medien, von Institutionen, von Themen und Meldungen und das Standardargument, eine zunehmend globalisierte und schnellere Realität. In dieser Hektik drohen besonders Institutionen unter der Wahrnehmungsschwelle zu bleiben, die von Natur aus schwerfälliger sind und gleichzeitig aber das Herz einer Demokratie sind. Dazu zählen Parlamente, Landtage und wie in Lichtenberg die Bezirksverordnetenversammlung. Deshalb war es für mich sehr interessant, einen Blick in den Landtag Südtirols werfen zu können und zu erfahren, wie dort die Pressearbeit vonstattengeht.

Die Pressetribüne im Landtag

Der Landtag in Südtirol

Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Hohen Haus Südtirols, dem Landtag, wird von einem sehr engagierten und professionellen Team getätigt. In der Sitzungswoche, an der ich zwei Tage teilhaben konnte, sitzen während der gesamten Zeit der Debatten und Aussprachen zwei Journalist:innen der Pressestelle des Landtages auf der Pressetribüne. Die beiden ausgebildeten Journalist:innen fassen noch während der Sitzung die Ergebnisse zusammen und versenden direkt Pressemitteilungen. Dabei werden alle Positionen und Beiträge der Fraktionen wiedergeben, ebenso die Aussprachen mit der Landesregierung. Medienvertreter:innen bekommen so die Möglichkeit, aktuell über die Sitzungswochen zu berichten. Zwei weitere Kolleg:innen, die unter anderem für die Social-Media-Arbeit des Landtages zuständig sind, sitzen ebenfalls mit auf der Pressetribüne. Sie twittern, posten auf facebook und bewerben den Live-Stream des Landtages auf Instagram. Selbstverständlich arbeiten die Kolleg:innen auch außerhalb der Sitzungswochen. Sie berichten dann zum Beispiel aus den Ausschüssen oder versenden Mitteilungen des Landtagspräsidenten.

Das Kinderparlament interviewt den Landtagspräsidenten

Frischer Wind im Hohen Haus

In der Zeit im Landtag frage ich mich oft, wie das Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit von Parlamenten als Institutionen erhöht werden kann. Ich glaube als Bezirksamt können wir von diesen Strategien und Erfahrungen der Legislative ebenfalls lernen. Denn es wird deutlich, dass es auch hier ein zähes Ringen um die Aufmerksamkeit der Bürger:innen gibt. Vor allem seitdem die Berichterstattung nicht mehr nur von Seiten der Pressestelle erfolgt, sondern auch von den Parteien und der Landesregierung selbst in direkter Kommunikation mit den Medien oder über Social-Media-Kanäle. Nach zwei Tagen Austausch im laufenden Betrieb kann die Antwort nur ein Denkansatz ein, aber ich mag ihn. Es geht darum, frischen Wind in die Hohen Häuser Südtirols und überall anders zu bringen. Darum auch die Social-Media-Kanäle, darum auch Kunstausstellungen im Landtag, darum auch ein Tag der Offenen Tür, darum auch das Kinderparlament, das im gleichen Zeitraum zu Besuch war, darum auch Gästeempfänge und Führungen. Darum auch zuverlässige, neutrale und saubere Berichterstattung. Das alles braucht den Willen der Haushalte und Personal, denn umsonst gibt es auch das nicht.

Die Hohen Häuser leben natürlich vorrangig von einer guten, fairen und kontroversen Debatte im Inneren und von Kompetenzen sowie Möglichkeiten der demokratischen Mitgestaltung. Doch sie leben auch von ihrer Transparenz und Zugänglichkeit. Politik im Landtag kann „in“ sein, sagt man mir. Die Konkurrenz ist zwar groß und der Weg dahin weit, aber die ersten Schritte sind hier in Südtirol getan. Öffentlichkeitsarbeit für demokratische Institutionen kann nicht monolithisch in Pressemitteilungen oder nur einem Live-Stream gedacht werden, sie ist ein Maßnahmenbündel. Vor allem wenn sie wahrgenommen werden möchte.

Die Landespresseagentur in Südtirol

Es sind nun vier Wochen seit Beginn meiner Hospitation vergangen und der Abschied ist Realität geworden. Den letzten Teil dieses Blogs schreibe ich bereits mit drei Tagen Abstand von Bozen, von Südtirol, zurück inmitten von Berlin.

Ich habe in den letzten Wochen vor allem in der Agentur für Presse & Kommunikation der Landesregierung Südtirols gearbeitet. Diese Agentur besteht aus dem Landespresseamt und dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit, einer Direktion und den Verwaltungsmitarbeitenden. Das Landespresseamt (LPA) hat insgesamt 12 Mitarbeitende, sechs pro Sprache, inklusive des Chefredakteurs. Sie ist eine sehr besondere Institution, in der ausschließlich professionell ausgebildete Journalist:innen arbeiten dürfen. Sie müssen alle Mitglieder der Journalist:innenkammer sein, der Ordine di Giornalisti. Zur Eintragung in die Kammer ist es erforderlich, dass man in der beruflichen Laufbahn 18 Monate Berufspraktikum in einer Redaktion absolviert hat oder eine anerkannte Journalismusschule im Anschluss an ein dreijähriges Studium besucht hat und dann noch eine sogenannte Befähigungsprüfung ablegt. Diese strengen Regelungen befinden sich in Italien in Verhandlung und es bleibt abzuwarten, ob sie aufrechterhalten werden. Nichtsdestotrotz sind sie eine Maßnahme, um die Arbeit der landesweiten Landespresseämter zu professionalisieren. Mit Erfolg, denn die Arbeit in der LPA gleicht tatsächlich der Arbeit in einer Redaktion. Interessant war, dass die Kolleg:innen zum Beispiel als Redakteur:innen für verschiedene Themen der Landesregierung eingeteilt sind. Das steigert das Wissen zu den vielen unterschiedlichen Themen über die berichtet wird und professionalisiert die Berichterstattung von Seiten der LPA. Zusätzlich haben alle Landesrät:innen noch Medienreferent:innen (die keine Journalist:innen sein müssen) und der Landeshauptmann eine Pressesprecherin.
Als unzufrieden stellend habe ich die vertraglichen Bedingungen der Kolleg:innen erlebt. Sie haben meist befristete Verträge für den Zeitraum der Legislaturperiode und die zahlreichen Vergünstigungen für Mitglieder der Journalist:innenkammer von anno dazumal gibt es schon längst nicht mehr. Diese Unsicherheiten erschweren die Suche nach Personal und binden die Journalist:innen auch an die Landesregierung. Ein potentielles Risiko für die unabhängige Berichterstattung aus der LPA.

Unabhängige Berichterstattung aus der Landesregierung

Wie unabhängig und neutral kann aber die Berichterstattung aus einem Amt der Landesregierung über die Arbeit der Landesregierung eigentlich sein? Diese Fragestellung und auch die Diskussionen darüber sind mir in den letzten vier Wochen immer wieder begegnet. Der persönliche Anspruch und der journalistische Kodex fordern den Kolleg:innen ab, ausgewogen und neutral zu berichten. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die Aussendungen der LPA von den Medien als verlässlich eingestuft werden, die Quelle also als seriös eingeordnet wird. Hinzu kommt der Umstand, dass die Mitteilungen aus der LPA eine hohe Reichweite haben sollen. Fakt ist, dass die Mitteilungen der LPA keine Hofberichterstattung sind. Sie sind tatsächlich sehr neutral und berichten meist wertfrei über die Arbeit der Landesregierung. Die LPA kann anderseits aber auch nicht als Berichterstatterin für alle Facetten angesehen werden. Die Einordnung der Arbeit übernimmt sie nicht. Diese wird den Medien überlassen. Mitnichten bedeutet das aber, dass die LPA auch von Misserfolgen berichtet. Zusammengefasst kann man sagen: Die LPA berichtet neutral über die Arbeit der Landesregierung, sie berichtet aber vor allem von Erfolgen, Maßnahmen und Fortschritten in der Gestaltung der Autonomen Provinz. Beeindruckend fand ich, wie konsequent die LPA daran arbeitet ihre eigene journalistische Tätigkeit klar als professionelle Arbeit abzugrenzen: parteipolitisch unabhängig, wahrheitsgemäß, schnell, effizient und immer wieder als Korrektiv in die eigene Verwaltung hinein. Oder wie es ein Kollege formuliert: „Wir machen keine Werbung für Politiker:innen, wir berichten nur von ihrer Arbeit“.

Wahlplakate in Bozen

Par Conditio

Besonders interessant war auch die Erfahrung der LPA-Arbeit und der Berichterstattung im Kontext der Gemeindewahlen, die in Südtirol am 20. und 21. September stattfanden. In dieser Zeit gilt nämlich eine italienische Besonderheit: die Par Conditio.
Sie begann am 6. August und galt bis Anfang Oktober (aufgrund von Stichwahlen in den Städten Meran und Bozen). Es handelt sich dabei um eine staatliche Regelung zur institutionellen Kommunikation in Vorwahlzeiten. Das LPA veröffentlicht in dieser Zeit nur wichtige Informationen in unpersönlicher Form. In der gesamten Zeit sollte die Arbeit der LPA auf die nötigste Kommunikation beschränkt werden. Es durften keine Bilder mit Politiker:innen, keine Zitate und nicht einmal die Namen der Politiker:innen in der Pressearbeit Erwähnung finden.

Kosten einer guten Öffentlichkeitsarbeit

Die Reichweite oder Durchschlagskraft der LPA-Arbeit mit der Arbeit der Lichtenberger Pressestelle zu vergleichen ist schwer. In Berlin Lichtenberg konkurriert unsere Berichterstattung in der Tagespresse mit anderen Bezirken, dem Senat und der Bundesregierung so wie vielen anderen politischen Themen. Die Berliner Presselandschaft hat außerdem einen weitaus größeren Bezugsrahmen als die Südtiroler Medien, die sich größtenteils auf die Autonome Provinz beziehen. Flächenmäßig ist Südtirol zwar größer als Berlin, hat aber nur rund 500.000 Einwohner:innen. Außer der LPA berichten dort nur die Landesmuseen, der Bereich Mobilität, das Amt für Statistik und der Sanitätsbetrieb (ähnlich der Senatsverwaltung für Gesundheit) über die Arbeit der Landesregierung nach außen.

Kampagne der LPA zum smarten surfen in der Bozener Innenstadt

In den vier Wochen ist mir trotz der vielen Unterschiede wieder etwas bewusst geworden. Ganz gleich wie wenig man die Strukturen und die Arbeit der Pressestelle in Lichtenberg und die der LPA vergleichen kann, eines ist den beiden Stellen gleich: gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kostet Geld. Gutes Personal kostet Geld, mehr Personal, das mehr berichten kann, kostet Geld und Öffentlichkeitsarbeit an sich kostet erst recht viel Geld. Die Budgets der beiden Stellen sind nicht vergleichbar. Das bedeutet, dass sich die Agentur für Presse und Kommunikation viel mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten kann. Den Kolleg:innen in Südtirol steht für die Öffentlichkeitsarbeit ein Vielfaches von den Mitteln zur Verfügung, die wir Lichtenberg haben. Im Amt für Öffentlichkeitsarbeit, einer separaten Stelle in der Agentur mit vier Kolleg:innen, können Kampagnen in Auftrag gegeben werden, können öffentliche Kampagnen betreut und begleitet werden, die in die ganze Provinz wirken. Ob zum Thema Mobilität, Corona oder Lebensmittelverschwendung, die Arbeit ist exzellent. Bei der personellen und finanziellen Aufstellung der Berliner Pressestellen in den Bezirken muss die Öffentlichkeitsarbeit dagegen leider oft zurücktreten.

Mitarbeitendenzufriedenheit in der Verwaltung Südtirol

Mitarbeiterzufriedenheit

Bevor es nun zum tatsächlichen Ende kommt, brennt mir noch eine Beobachtung auf der Seele. Es ist einer dieser kleinen Gedankenhappen, die ich ganz bestimmt für mich, aber auch für uns als Bezirksverwaltung mitnehme. Gedanken zum Auftanken sozusagen. Es geht um die Zufriedenheit der Mitarbeitenden der Verwaltung in Südtirol. Einer Studie zufolge, die die Landesverwaltung in Auftrag gegeben hat, sind rund 20% der Mitarbeitenden sehr zufrieden mit der Arbeit in der eigenen Verwaltung, 66% sind ziemlich zufrieden und nur 2% gaben an gar nicht zufrieden zu sein. Das habe ich auch im beruflichen Alltag erlebt. Selten wird über das eigene Unternehmen, die Verwaltung, geklagt. Selbstverständlich ist das auch eine Mentalitätsfrage, in Berlin sagen wir „es war nicht schlecht“ in anderen Städten sagt man „es war gut“. Die Berliner:innen sind eben nicht überschwänglich. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass viele Mitarbeitenden der Berliner Verwaltung weniger zufrieden mit ihrem eigenen Arbeitgeber sind , als die Südtiroler:innen. Dabei ist es selbstverständlich, dass die besten Botschafter:innen einer Verwaltung auch die Mitarbeitenden sein können. Immerhin arbeiten allein in Lichtenberg mehr als 2.000 Menschen für den Bezirk. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden hat meiner Meinung nach auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Berliner Bevölkerung auf ihre Verwaltung. Die Südtiroler:innen sind übrigens relativ zufrieden mit der Arbeit ihrer Verwaltung. Rund 30% sind sehr zufrieden, 50% ziemlich zufrieden und nur 4% gar nicht zufrieden. In Berlin sieht das anders aus.

Letzter Blick auf den Walthersplatz in Bozen

Fazit & Goodbye

Das beste Fazit für meine Zeit in Bozen kam via E-Mail zum Schluss meines Aufenthaltes. Eine Kollegin fasste darin die Bozen-Erfahrung sehr gut zusammen: „Das Land mit den schönsten Bergen der Welt ist gewiss keine Insel der Seligen und kämpft, wie die anderen alle auch, mit vielen Sorgen und Nöten. Dennoch lässt es sich dort sehr gut leben. Abgesehen von einer wunderbaren Umgebung, ist es in vielen Dingen schon ein wenig einzigartig. Eingebettet in eine Grenze zwischen Nord und Süd, kulinarisch und sprachlich, mit einem geschichtlichen Hintergrund, den man kennen muss, um den Werdegang auch zu verstehen, haben die Südtiroler:inne viele Eigenheiten, die sie über die Grenzen hinaus bekanntgemacht haben. Südtirol ist demnach nicht nur Zuhause, sondern auch ein Gefühl“.
Die beruflichen Erfahrungen waren mannigfaltig und sehr wertvoll. Ich freue mich darauf, das Erfahrene in die Lichtenberger Verwaltung einfließen zu lassen und freue mich auf Hospitant:innen aus Südtirol in Berlin. Denn davon lebt das Logo-Europe-Programm, vom Austausch in einem freien Europa ohne Grenzen und der Gastfreundlichkeit. Der Aufenthalt, auch das hat meine Kollegin geschrieben, ist ein Kapitel in meinem Buch des Lebens, das immer wieder lesenswert ist! Recht hat sie.