Maren H. berichtet aus Stockholm

Maren H. in Stockholm

Hej! Jag heter Maren…

Das ist schwedisch und bedeutet: „Ich heiße Maren.“
Ich arbeite seit 2 Jahren als Flüchtlingskoordinatorin im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Bezirk Lichtenberg. Als Sozialarbeiterin berate und begleite ich junge Familien, egal woher sie kommen. Manche davon haben Flucht- bzw. Migrationshintergrund.
Auch privat bin ich interkulturell sehr interessiert und bereise alleine mit meinem Rucksack ferne Länder. Als Alleinreisende komme ich besonders schnell mit den Einheimischen in Kontakt und lerne deren Kultur und deren Leben ein wenig besser kennen. Das LoGo! Europe 2019 Programm sprach mich aber deshalb so an, da ich das erste Mal in der Rolle als Sozialarbeiterin in ein anderes Land gehen dürfte, um dort mit Kolleg*innen im professionellen Kontext zu arbeiten und von ihnen lernen könnte. Noch nie habe ich auf dieser Ebene Kontakt mit der Sozialen Arbeit gehabt! Ich sehe es als große Chance und als großes Privileg dies miterleben zu dürfen, meinen Horizont zu erweitern und dann auch anderen meine Erfahrungen mitteilen zu können.

Logo der Stadt Stockholm

Meine Wahl fiel auf Schweden, da mir bekannt war, dass das Land gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Geflüchteten in der Zeit der Flüchtlingswelle um 2015 aufgenommen sowie ca. ein Fünftel der Bewohner ausländische Wurzeln hat. Das Land hat ein hohes Bildungsniveau sowie ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem und ist dadurch ein Vorbild für andere.
Ein wichtiger Punkt war die Kommunikation auf Englisch mit meinen Kontaktpartnern, da es mir dadurch möglich schien mit vielen Menschen Gespräche zu führen und mich unabhängig bewegen zu können ohne auf Dolmetscher angewiesen zu sein. (Fließende Englischkenntnisse konnte ich durch meine Langzeitreisen im Ausland aufweisen.)

Meine Frage für den Aufenthalt war daher, wie die gesundheitliche Versorgung von Migrant*innen aussieht und besonders die von Schwangeren und jungen Familien mit Flucht- bzw. Migrationshintergrund. Wie werden diese Menschen in das Gesundheitssystem integriert?
Sicherlich gibt es Beispiele die dort gut funktionieren und die ich mit nach Berlin mitnehmen kann.

Gleichzeitig sehe ich mich als Botschafterin und Repräsentantin, unsere Arbeit und unseren Erfahrungsschatz aus Lichtenberg vorzustellen (wir haben immer noch berlinweit die meisten Unterkünfte für Geflüchtete) und bin gewappnet mit Infomaterial nach Stockholm geflogen.

Berlin Besök

Berlinbesök (Besuch aus Berlin)

Nach einem sehr kurzen Flug bin ich sicher in Stockholm gelandet. Die erste Aufgabe war schon mal eine Monatskarte zu kaufen. Nummern ziehen ist Pflicht in Schweden, auch wenn keiner am Schalter ansteht. Und mit der Plastikkarte, meinem Monatsticket, fand ich mich auch schnell zurecht im Verkehrsdschungel. Es wird ausnahmslos kontrolliert, ohne Karte kann ich Bus und Bahn gar nicht benutzen. Da die Stationen immer angesagt werden, ist dies eine gute Übung die Aussprache der schwedischen Wörter zu wiederholen: Manches wird nämlich anders gesprochen als es geschrieben wird. (Bestellen Sie mal in korrekter Aussprache das Menü „Köttbullar“ in unserem geliebten schwedischen Möbelhaus: „Schöttbüllarr“.)
Der Vermieter meines Apartments hat mich vom Bahnhof abgeholt und auf dem Weg zum neuen Zuhause gleich meine Praktikumsstätte gezeigt. Ein riesiges Gebäude in einer guten Lauf- und Einkaufsgegend im Bezirk Farsta, dieser ist der südlichste Bezirk in Stockholm.
Das Wochenende habe ich genutzt um mich langsam einzugewöhnen.

Am Montag war es dann soweit, natürlich war ich aufgeregt wie es wird, wie wir mit der Sprache zurechtkommen und was mich erwartet!
In der Verwaltung ist es üblich, dass es überall einen Empfangsbereich mit Security gibt. Klienten können dort etwas abgeben oder sich von den Mitarbeitern abholen lassen. So auch ich! Ich bin der „Besuch aus Berlin.“
Die beiden Integrationslotsen Anneli und Siar haben mich dort abgeholt und mich herzlich in Empfang genommen. Ihre Leiterin hat sich entschuldigen lassen, da etwas Wichtiges dazwischen kam. Doch sie war in der Vorbereitung eine wichtige Ansprechperson und hat alles in die Wege geleitet, dass ich dort hinkommen konnte. Ich werde sie noch später kennenlernen.

In meinem Kopf war drin, dass ich vor einem großen Team einen Vortrag halten werde: über mich, über das LoGo! Europe-Programm, über die Arbeit in Berlin. Aber es war so, dass die beiden in Vorarbeit viele einzelne Termine mit den Kolleg*innen und Abteilungen vereinbart haben, damit ich mehr Zeit mit jedem Einzelnen habe und wir uns im Gespräch gegenseitig kennenlernen können. Da alle sehr aufgeschlossen sind, hätte es keine Mühe gemacht Wochenpläne aufzustellen. Und Wünsche und Änderungen können auch noch eingebaut werden. Das hat mich alles sehr gefreut!
Grundsätzlich war es so, dass mich meine beiden Mentoren eng begleitet haben, sich immer erkundigt haben wie es mir geht und dass ich mich wohl fühle. Auch sollte ich nie alleine die Mittagspause verbringen! Sie haben mich sehr gut in ihrer Arbeitsstelle aufgenommen! Sie führten mich von einer Abteilung zur anderen, stellten mich vor, sprachen aktiv andere an, um mich bekannt zu machen.
Jeder Termin war so, dass ich meine vorbereiteten Unterlagen zeigte, meine Arbeit und natürlich auch noch Berlin, den Bezirk Lichtenberg und das Programm LoGo Europe vorstellte, mehr oder weniger ausführlich oder je nach Wunsch und Bedarf. Die Kolleg*innen traten entweder alleine auf oder mit mehreren, sogar teilweise mit Powerpoint-Präsentation, aber immer mit einem Lächeln! Über unsere Englischkenntnisse wurde viel gelacht, da weder sie noch ich immer über das perfekte Fachvokabular verfügten! Manchmal erkannte ich ein deutsches Wort, wenn sie es schwedisch aussprachen. Oder wir fingen den Satz von vorne an und umschrieben es anders.
Am ersten Tag lernte ich schon eine Außenstelle der Stadtverwaltung kennen, in der in einem Nachbarschaftshaus u.a. die „Stadtteilmütter“ ihr Büro hatten. (Es gab auch schon einen Besuch mit den Kolleg*innen in Neukölln.) Mit dem Dienstauto besuchten wir zwei Flüchtlingsunterkünfte (ein ehemaliges Hotel sowie eine Containerunterkunft, ähnlich wie in Berlin). Natürlich gab es ein gemeinsames leckeres schwedisches Mittagessen, währendem ich in entspannter Atmosphäre schon mehrere des Teams näher kennenlernte.
Bis Freitag hatte ich mehr als ein Dutzend Termine mit unterschiedlichen Abteilungen und Stellen! Da ich mir trotz des Plans und der „Überschriften“ nicht viel vorstellen konnte, hab ich dann Stück für Stück erstmal mitbekommen um was es geht: Jugendamt, Team Häusliche Gewalt, Team „Sozialhilfe“, Wohnungslosenhilfe, Schuldnerberatung, Streetwork mit Jugendlichen, eine Jugendfreizeiteinrichtung, Erziehungs- und Familienberatungsstelle, Krabbelgruppe und Sprachcafé und ein Interview mit einer schwangeren Kollegin, die mich aus erster Hand über das schwedische System informierte.
Interessant waren auch die Rückfragen und das Interesse wie wir es so in Lichtenberg machen oder wie das deutsche System funktioniert (z.B. im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Kinder).

Stockholmer Herbstwetter

Einzigartig war die Erfahrung selber mal auf einen Dolmetscher angewiesen zu sein, da eine Kollegin nicht Englisch sprechen konnte. Dafür engagierte sie einen Sprachmittler und ich fühlte mich wie eine „Klientin“. Es stimmte mich sehr ernst, da die Qualität des Sprachmittlers leider nicht gut war und durch seine Übersetzung große Irritationen bei mir auftraten. Diese Selbsterfahrung ließ mich überlegen, wie sich manche Klienten bei uns in Berlin fühlen, wenn die Qualität des Übersetzers nicht stimmt oder wenn gar ein Übersetzer fehlt?

Sehr beeindruckt hat mich die Qualität der Arbeit meiner schwedischen Kolleg*innen: Wie ein roter Faden zog sich der Ansatz der „Systemischen Theorie“ durch alle Gespräche. Dies spiegelte sich in der Haltung der Sozialarbeiter*innen, in deren Vokabular und auch in den Arbeitsansätzen und -methoden wieder. Es wurde darauf geachtet, dass alle Teams mit den gleichen Methoden arbeiten. Verschiedene Mitarbeiter*innen erklärten mir voll Begeisterung wie sie das benutzen! Es klang nicht nach einem „Muss“ für sie, sondern nach einem nützlichen Arbeitsinstrument für sie. Auch wie ressourcenorientiert und wertschätzend sie über Personen oder Dinge sprachen, stimmte mich sehr positiv.
Beeindruckend sind auch die schwedische Fröhlichkeit und Entspanntheit sowie die Gastfreundschaft und die gegenseitige Wertschätzung. Es geht immer darum, dass sich der andere auch wohlfühlt. Und ich habe mich in der ersten Woche sehr willkommen und gut aufgehoben gefühlt.

Nun bin ich gespannt auf die 2. Woche, die ich an einem komplett anderen Ort verbringen werde, bei „Intro Stockholm“ (Frau Malek berichtete schon in ihrem Blog darüber).

Mein Anleiter in der Abteilung „Intro Stockholm“

Woche 2 bei Intro Stockholm

Schon ist die Hälfte meines Aufenthalts um und es gibt noch so viel zu entdecken!

Diese Woche lernte ich ein neues Team und einen Bereich intensiver kennen: Intro Stockholm empfängt und betreut Geflüchtete in Stockholm, deren Asylantrag positiv entschieden wurde, bietet ihnen vorläufig finanzielle Unterstützung und begleitet sie während der Anbindung ins Regelsystem.
Das Sozialarbeiterteam holt die Geflüchteten vom Flughafen ab oder empfängt sie in ihrer neuen Wohnstätte. Dies kann von einem geteilten Zimmer für Einzelpersonen bin zu einem Apartment für eine Familie sein, was sie für maximal 2 Jahre nutzen können. Alle Neuankömmlinge bekommen eine Erstausstattung (u.a. Matratze, Bettzeug etc.). Darüber hinaus können sie ein Darlehen beantragen, um für sich weitere Ausstattung kaufen zu können, dieses müssen sie später wieder zurückzahlen. Zusätzlich erhalten sie noch erste Informationen und eine Fahrkarte.
Am nächsten Tag müssen die Klienten zu Intro Stockholm fahren. Ein anderer Sozialarbeiter erklärt ihnen alle Anträge und Aufgaben, die erledigt werden müssen und gibt schon etwas Geld.
Alle Neuankömmlinge müssen monatlich einen neuen Antrag stellen, der wiederum geprüft wird. Entweder wird der volle Betrag bezahlt oder schon mit anderen erhaltenen Leistungen verrechnet und dann „aufgestockt“. Ziel ist immer, dass die Personen wirtschaftlich unabhängig werden, dafür wird eine Vereinbarung zwischen Klient*in und Sozialarbeiter*in geschlossen. Dieser muss Bereitschaft zur Mitarbeit zeigen z.B. alle Anträge stellen, die Sprachschule besuchen etc.. Falls er es in 2 Jahren noch nicht geschafft hat, wird er an die örtlich zuständige Sozialbehörde angebunden und bekommt dort weiter seine finanzielle Unterstützung.
Neuankömmlinge, die erst kürzlich nach Schweden gekommen sind, bekommen außerdem noch einen mehrtägigen Orientierungskurs, in der das schwedische System äußerst kleinteilig erklärt wird. Dafür bekommen die Geflüchteten auch ein „Diplom“ und kennen sich zumindest theoretisch über das Leben in ihrer neuen Heimat aus.

Vorstellung meiner Arbeit in der Teamsitzung

In den fünf Tagen konnte ich unterschiedliche Kolleg*innen bei ihrer Arbeit begleiten, beobachten und Fragen stellen. Wichtige Ansichten waren: „Neuankömmlinge haben Rechte und sollen willkommen sein! Wir tun alles, damit sie gut ankommen und sich integrieren können. Jedoch muss jeder auch die Bereitschaft haben mitzuarbeiten.“ Im Miteinander mit den Klienten spürte ich, wie das Geben und Nehmen – fordern und fördern – im Einklang waren und sich gegenseitig wertgeschätzt wurde: Geflüchtete haben Asyl erhalten und möchten dafür auch etwas tun. Er bekommt freundliche Unterstützung vom Sozialarbeiter.

Wiederholt wurde ich von dem Team auf die Rechte der Klienten hingewiesen: „Im Gesetz steht geschrieben…!“ Eines der wichtigsten Gesetze aus meiner Sicht war §13 Förvaltninslagen. In meinen Worten ausgedrückt: Jeder hat ein Recht und Anspruch auf einen Dolmetscher, wenn er die schwedische Sprache nicht spricht! (D.h. es wurde für jedes Gespräch mit einem Geflüchteten ein Dolmetscher geordert oder die Mitarbeiter sprachen die Muttersprache und der Klient verstand. Zur Not wurde eine Telefonkonferenz mit einem Dolmetscher geschaltet.)
Die Tatsache, dass Dolmetscher bei jeglichem Behördenkontakt, bei Polizei sowie Ärzten selbstverständlich sind, machte mich sprachlos. Probleme, die wir in Deutschland haben, kennen sie somit gar nicht. Finanziert wird dies durch Steuergelder.

Sicherheit geht vor – der persönliche Alarmknopf

Generell waren die Rechte ein großes Thema, auch im Sinne der Mitarbeitenden: Alle sollen sich auf der Arbeit wohlfühlen, sicher fühlen und gute Arbeitsbedingungen haben. In Schweden wird dies u.a. umgesetzt mit großen und sehr gut ausgestatteten Pausenräumen, kostenlosem Kaffee- und Wasserautomaten, täglich frischem Obst, dazu noch wöchentlich 1h Sport in der Arbeitszeit im eigenen Fitnessstudio. Für die Sicherheit wird gesorgt, indem Klienten in einer Eingangszone empfangen werden und ein Security vor Ort ist. Gespräche werden in extra Sprechzimmern geführt. Hausbesuche werden zu zweit durchgeführt. Hier stach mir ein tragbarer Alarmknopf ins Auge, den jeder bei sich trug, wenn er Klientenkontakt hatte. Dieser kann unauffällig gedrückt werden und eine Standleitung wird aufgebaut, damit der Security oder die anderen Kolleg*innen mithören können, was gerade im Gespräch gesagt wird und dann auch ggf. eingeschritten werden kann.
Zur Arbeitsausstattung gehörten auch hochwertige Smartphones und Laptops: Damit konnten in den Klientenkontakten Telefondolmetschen durchgeführt oder Telefonate unabhängig vom Arbeitsplatz für den Klienten geführt werden.

Auf dem Friedhof an Allerheiligen

Ein wichtiger Feiertag in Schweden ist „Alla Helgons Dag“ (Allerheiligen). Er wurde dieses Jahr am 2.November gefeiert. Die Arbeitskolleg*innen erzählten mir, dass sehr Viele zum Friedhof gehen, um Kerzen anzuzünden und diese auf die Gräber zu stellen und um an die Verstorbenen zu gedenken. Ich konnte mir das kaum vorstellen bis ich zum besagten Bahnhof fuhr, der neben dem Friedhof lag. Auf dem Bahnsteig ging schon nix mehr und nur langsam ging es voran. Mit Taschenlampe und Kerzen gewappnet, pilgerten Heerscharen über den Friedhof und wirklich überall standen schon die Kerzen: Auf den Grabplatten der einzelnen Gräber wie auch am Wegrand. Eine sehr außergewöhnliche Stimmung, die ich noch nie auf einem Friedhof erlebt hatte!

Ein typisch schwedisches Haus in Vaxholm (nahe Stockholm)

Woche 3 in Stockholm

Diese Woche hatte ich wieder Termine unterschiedlichster Art in mehreren Stadtteilen Stockholms verteilt. Meine beiden Tutoren hatten diese schon vor einiger Zeit organisiert. Es erwarteten mich nette Menschen, Fika (Zeit für Kaffee gibt es immer) und Experten in ihrem jeweiligen Fachgebiet. Teilweise wieder mit super vorbereiteten Power-Point-Präsentationen, obwohl ich nur alleine zum Termin erschien. Aber sie nahmen den Termin sehr ernst, um mich genauestens informieren zu können.
Es dreht sich dieses Mal vieles um das Thema Gesundheit bzw. das Wohlbefinden des Menschen, was ja damit zusammenhängt.
Insbesondere möchte ich schon mal auf die Sprachwahl der Schweden hinweisen. Meine Kolleg*innen vor Ort sind immer sehr wohlwollend, positiv formulierend, ressourcenorientiert, zielorientiert, hinwendend zu etwas: Beispiel das Wort „Flüchtling“, welches wir sehr oft in Berlin benutzen. Hier wurde es ausgetauscht mit den Wörtern „newcomers“ oder „new arrivals“, also eher übersetzt im Sinne von „Zugezogene“, „Neuankömmlinge“. Ich finde, das macht schon einen Unterschied, ob ich von jemandem spreche, der geflüchtet ist (also weggelaufen von etwas) oder ob ich ihm wohlwollend zuspreche: Du kommst hier an. Diese feinen Nuancen finde ich sehr wichtig in der Wortwahl, wo ich Zuhause gar nicht so drauf achte. Ich denke, es macht etwas mit dem Empfänger der Worte!

Wie schon erwähnt, erhalten Zugezogene ein 2-Jahresprogramm, in dem sie die Sprache lernen können und auf das Leben in Schweden vorbereitet werden. Ein Teil des Programms ist auch das Angebot von VIDA: Neuankömmlinge bekommen das Angebot und einen finanziellen Zuschuss, um in einem Verein (z.B. Musik, Sport) und damit in der Zivilgesellschaft Anschluss zu finden. Dieser muss demokratisch sein und Sprache, Gesundheit und Netzwerk fördern. Die Sozialarbeiter*innen suchen die Vereine und begleiten das Programm. Alles ist freiwillig. Aber wer will das nicht? Eine Freizeitaktivität, die mich mit anderen Menschen zusammenbringt, wo ich die Sprache übe und ich auch noch Beschäftigung habe? Als Projekt angefangen, ist es nun ein fester Bestandteil im Angebot für Newcomers.

Die Bibliothek ist ein Umschlagplatz mit sehr viel Wirkung

Ein anderer sehr essentieller Bestandteil des Bezirkes Farsta (aber auch in anderen Teilen Stockholms) ist die Stadtteilbibliothek. Sie war nicht nur ein Treffpunkt zum Lesen oder Medien ausleihen! Nein, es war auch ein Anlaufpunkt für viele Neuankömmlinge und auch Alteingesessene. Es gibt dort die Möglichkeit der Nutzung von Computern zum Schreiben und der Internetnutzung, aber auch zum Ausdrucken und Scannen. Ein unglaublicher Umschlagplatz für Menschen, die diese Geräte nicht zuhause haben! Dieser Bereich wird auch von Neuankömmlingen begleitet, die viel Ahnung in ihrem Gebiet haben. Sie helfen bei Problemen und Fragen und kommen nun auch wieder mit Menschen in Kontakt, haben einen kleinen Job, bekommen Berufserfahrung und können sich später umorientieren, wenn sie sicherer in der schwedischen Sprache sind.
Die Bibliothek hat außerdem einen extra Raum, in dem Sprachcafés stattfinden und auch „Svenska med Baby“. Ehrenamtliche betreuen diese Gruppen. Der Raum sowie Kaffee wird kostenlos zur Verfügung gestellt und es darf jeder kommen, der sich dafür interessiert. Diese Gruppen gibt es überall in der Stadt verteilt. Die Bibliothek übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit z.B. auf der Homepage. Ich selbst nahm am Englisch-Sprachcafé teil und konnte live miterleben, wer dort hinkommt und was dort gemacht wird. Wieder kamen die Schweden sowie Zugezogene zusammen. Vom 90-jährigen Opa, der Beschäftigung suchte, bis hin zu jungen Menschen, die Englisch für das Studium benötigen.
Die Babykrabbelgruppe führt schwedische und zugezogene Eltern in einer lockeren Atmosphäre zusammen. Es werden schwedische Kinderlieder gesungen, dann über ein spezielles Thema in einfacher Sprache gesprochen und zum Abschluss gab es auch wieder Fika und formlosen Austausch.
Durch die Engagiertheit der Mitarbeitenden findet auch eine Kooperation mit der Kulturschule (so etwas wie eine Musik- und Kunstschule) sowie dem Kulturcafé nebenan statt. Durch die Vernetzung nehmen mehr Menschen an der generellen Nutzung sowie an Veranstaltungen teil.

Raum der School Nurse (Schulkrankenschwester)

Mein Highlight der Woche war das Treffen mit einer „schoolnurse“, einer speziell qualifizierten Krankenschwester von „StartStockholm“, die für zugezogene Schüler aus dem Ausland für ganz Stockholm ärztliche Untersuchungen durchgeführt, vergleichbar mit den Quereinsteigeruntersuchungen des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes. Jede Schule in Schweden hat eine Schoolnurse und entweder einen eigenen Schooldoctor oder Zugang zu einem. Die ärztliche Betreuung ist im Amt für Bildung angebunden und nicht im Gesundheitsamt.
Meine Schoolnurse hatte unheimlich reiche Erfahrungen mit Newarrivals und generell (Ein-)Schülern. Sie baute das Projekt vor Jahren auf. Und weil es auch so erfolgreich war, ist es nun normaler Bestandteil der Behörde.
Ich durfte bei einer Untersuchung, die auf Englisch stattfand, hospitieren. Sie hatte einen sehr professionellen Umgang mit den Eltern und dem Schüler, auch die Impfaufklärung fehlte nicht. Wie immer fand es in einer Sprache statt, die die Klienten sprachen. Sonst wäre wieder ein Dolmetscher gerufen worden. Die Rechte der Klienten waren wieder ein großer Schwerpunkt und auch Anbindung an weitere Unterstützung.
Es machte mir eine große Freude, einen sehr guten fachlichen Austausch mit einer sehr engagierten und gebildeten Kollegin zu haben!

Kunst in der U-Bahn steigert das seelische Wohlbefinden

Übrigens tut Stockholm etwas für das Wohlbefinden und für die seelische Gesundheit der Menschen mit dem Thema Kunst! In den Büros der Kolleg*innen hängen Bilder, die von Museen ausgeliehen werden. In der Stadt stehen sehr oft Skulpturen oder im Wohngebiet ist etwas bemalt. Viele staatliche Museen haben kostenfreien Eintritt und viele kinderfreundliche Elemente mit dabei. Die U-Bahn in Stockholm ist die sogenannte weltlängste Galerie, fast alle Stationen haben Künstler aus unterschiedlichen Zeitepochen gestaltet, um etwas für die Sinne zu machen. Kunst bildet und stimuliert und sei es, weil es mir im Vorbeigehen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Wo erlebst Du Kunst im Alltag?

Der Engel von Södermalm

Die letzte Woche - Endspurt!

Mitten in der Stadt treffen sich nicht nur Menschen, sondern auch Religionen! Am Montag durfte ich gleich zu Besuch beim Projekt „Gute Nachbarschaft“/ GODA GRANNAR sein. Dort erlebte ich den Engel Fredrika als Pastorin der Evangelischen Kirche, die sich mit Herz, mit Charme und mit großem Engagement für das Miteinander mit den Muslimen einsetzt. Beiden liegen Geflüchtete am Herzen. Seit der Flüchtlingswelle 2015 herrscht eine gute Kooperation und ein gemeinschaftliches Projekt mit der Moschee von nebenan, nur wenige Minuten zu Fuß entfernt. Während sich die Unterstützung in den Anfängen sehr auf die praktische Hilfe wie Essen und Hygieneartikel verteilen beruhte, gibt es jetzt Veranstaltungen und Treffen, wo Kommunikation und Gemeinschaft zwischen Christen und Muslimen stattfinden. Im Sprachcafé, bei der Hausaufgabenhilfe, bei der Rechtsberatung, beim Kochen und Feste feiern.

Gleich waren wir auch beim Gesprächsthema Mauerfall, da der 9. November vor kurzem war. In ehemaligem Ost-Berlin geboren, habe ich gerne über das Geschehen und über die Geschichte meines Heimatlandes erzählt – kein Wunder: Sonst hätte ich heute wahrscheinlich nicht nach Stockholm fahren können! Auch die Kirche und die Friedensgebete waren Teil der friedlichen Revolution. Fredrika erzählte mir das Geheimnis der Gemeinschaft zwischen den beiden Religionen: Menschen dürfen keine Angst voreinander haben. Wir müssen anderen erlauben einfach da zu sein. Einander begegnen, miteinander reden und zuhören sind der Schlüssel für ein friedvolles Miteinander.

Zimtschnecken und Co - viele Leckerli zum Fika

Am Dienstag ging es zum Transkulturellem Zentrum, die sich auf die Schulung von Fachkräften im medizinischen Bereich (Psychiatrie, Zahn- und Allgemeingesundheit) spezialisiert haben sowie auch Informationsveranstaltungen für Geflüchtete anbieten. Den kulturellen Hintergrund verstehen und darauf eingehen, ist ein wichtiges Element in der Behandlung mit dem Patienten. Mitarbeiter von verschiedenen Einrichtungen können sich im Zentrum anmelden und schulen lassen.

Mittwoch hatte ich mein Highlight der Woche: Ich durfte in den Bezirk Rinkeby, der sehr bekannt ist für seinen hohen Migrationsanteil. Dort hatte ich mich mit einer Kinderkrankenschwester sowie einer Elternberaterin getroffen, die im BVC (Barnvardscentralen) angestellt sind. Dies ist ein Zentrum, in denen verschiedene Fachkräfte arbeiten, die für Neugeborenen bis Kinder zum 6. Lebensjahr zuständig sind. Hebammen, Krankenschwestern, Ärzte sowie Sozialarbeiter stehen dort für die Kinder und Eltern zur Verfügung. Viele Aufgaben übernehmen die Schwestern, die in Schweden eine spezielle Ausbildung genießen und somit auch andere Befugnisse haben z.B. Impfen. Die Kinderärzte sind erst an zweiter Stelle da. Eltern erhalten nach der Geburt auch einen Hausbesuch von einer Hebamme. (Entweder melden sich die Eltern oder die Mitarbeiter bekommen eine Info vom Krankenhaus.) Die anderen Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen werden jedoch im BVC gemacht, welches für alle Eltern zuständig ist, egal welcher Herkunft. Das System mit der Beantragung der Geburtsurkunde, Antrag auf Krankenversicherung und die Kinderarztsuche läuft dort anders. Alle Kinder können sofort dort vorstellig werden, selbst Kinder ohne Aufenthaltsstatus werden dort behandelt. Eltern haben Wahlfreiheit und dürfen sich ein BVC in ganz Stockholm aussuchen, wenn sie es wünschen. Natürlich wird auch hier ein Sprachmittler bestellt oder telefongedolmetscht, wenn es nötig ist und nicht die Eltern müssen sich drum kümmern, sondern das medizinische Personal.

Die beiden Kolleginnen stellten mir ein tolles Programm vor, welches seit 2013 dort läuft und mit der Zeit auf ganz Schweden ausgeweitet wurde, weil es so erfolgreich ist! Grund war die Ungleichheit und Benachteiligung der Kinder in diesem Bezirk. So entstand in enger Zusammenarbeit und Supervision des Karolinska-Instituts ein intensives Hausbesuchsprogramm, in dem die Familie zwischen Geburt und dem 15 Monaten alten Säugling 6 Mal von einer Sozialarbeiterin und einer Kinderkrankenschwester besucht wird. Durch die regelmäßigen Besuche kann eine gute und intensive und vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern aufgebaut werden. Die Einbeziehung des Vaters ist auch wichtig. Während der Besuche werden bestimmte Themen besprochen, die von den Fachkräften entwickelt wurden, die Eltern können auch selber Fragen stellen und meist deckt sich das. Das Programm ist wie immer kostenlos und auch freiwillig und wird ggf. mit Sprachmittler begleitet. Dies wurde in Rinkeby sehr gut angenommen und unterstützt die Eltern. Die Gesundheit der Säuglinge wurde laut der Studien nachhaltig gefördert.

Abschied von den Stadtteilmüttern in Farsta

Donnerstag und Freitag habe ich Abteilungen der Verwaltungen kennengelernt, die Sprachkurse an Geflüchtete vermitteln, Qualifizierungsprogramme sowie diese auch wieder engmaschig betreuen, damit die Hilfe auch ankommt und individuell angepasst werden kann.

Und natürlich habe ich diese Woche auch Abschied gefeiert mit den Kolleg*innen in Farsta, die immer für mich da waren, wenn ich sie brauchte und die mir die Termine organisiert haben. Unter anderem auch mit den Stadtteilmüttern. Die sind ein Exportschlager aus Berlin und auch in Stockholm angekommen. Mehrere Kolleg*innen haben sich das Modell in Berlin angeschaut und es für Stockholm angepasst: Mütter mit Migrationshintergrund bekommen die Chance sich zu qualifizieren und andere Mütter mit Angeboten bekannt zu machen z.B. offenen Vorschule.

Das Dalapferd - ein Symbol Schwedens

Was nehme ich mit aus Schweden?

Viel Gelassenheit, Höflichkeit und Herzlichkeit! Jeder ist willkommen und eine herzliche Atmosphäre macht alles schon angenehmer, auch Arbeitsbeziehungen zwischen Mitarbeiter*innen oder Klient*innen.
Die Schweden schwören auf Sprachmittler für alle. Welches Gesetz muss ich denn dafür in Deutschland ändern, damit das durchkommt?
Kunst ist ein positiver Faktor für die Gesundheit: Es entspannt, es beschwingt, Kunst bildet.
Ich freue mich, dass der systemische Ansatz so gelebt wird und staune wie die Sozialarbeiter*innen dies umsetzen in Sprache und im Handeln mit den Klienten.
Engagierte Menschen inspirieren mich, die Impulse geben und sich für etwas einsetzen und dann etwas entwickeln wie das strukturierte und intensive Hausbesuchsprojekt in Rinkeby.
Ich wünsche mir, dass mein Team auch etwas inspiriert wird und ich etwas aus dem anderen Land rüberbringen kann… vielleicht stößt es etwas bei uns an? Ich bin gespannt!