Cathrin G. berichtet aus Dublin

Hi, ich bin Cathrin

Seit knapp drei Jahren arbeite ich als Referentin im Lichtenberger Rathaus und habe mit vielen Projekten rund um Bürger:innen-Beteiligung bei und Informationsvermittlung über Bauvorhaben zu tun. Darüber hinaus bereite ich Ausschuss-Sitzungen vor, stehe im Austausch mit den unterschiedlichen Vorhabenträger der Planungs- und Bauprojekten, Bürger:innen, Akteursgruppen sowie innerhalb der Verwaltung mit den betroffenen Fachämtern und Organisationseinheiten.

Bürger:innen-Beteiligung wird im Bezirk Lichtenberg eine besondere Bedeutung zugeschrieben und in den vergangenen Jahren wurde ein enges Netzwerk gestrickt. Seit der Pandemie mussten bekannte Beteiligungsformate umgedacht werden, um die Verbindung v.a. zur Bürgerschaft weiter aufrecht zu halten. Wir haben viel probiert, einige Formate wurden besser angenommen als andere. In diesem Tätigkeitsfeld darf dazu gelernt werden und ich möchte meinen Aufenthalt in Dublin dafür nutzen.

Docklands

Docklands

Auf geht es nach Dublin

Ich bin ein paar Tage vor Arbeitsbeginn nach Dublin geflogen und konnte mir die Stadt und einige große Projekte bei mehreren Spaziergängen schon vorab besichtigen. Man spricht hier tatsächlich viel über das Wetter. In den ersten Tagen konnte ich bei spätsommerlichen Temperaturen die Sonne genießen und dick eingepackt mit Mütze durch selten starken Regen rennen.

Dienstgebäude

Dienstgebäude

Ich bin während der vier Wochen im Planning Department des Dublin City Council (Planungsamt der Stadtverwaltung) eingesetzt. Das Gebäude liegt direkt im Zentrum am Fluss Liffey und beherbergt unterschiedliche Abteilungen. An meinem ersten Tag nimmt mich eine Mitarbeiterin der Personalabteilung in Empfang und gibt mir einen allgemeinen Überblick über die Verwaltungsstruktur sowie das Selbstverständnis der Verwaltung. Im Anschluss werde ich zu meiner Abteilung gebracht und von einem Kollegen in Empfang genommen. Das Großraumbüro fasst zirka 50 Arbeitsplätze. Seit der Pandemie – die zu Beginn in Dublin mit einem sehr viel strengerem Lockdown verbunden war – können die Mitarbeiter:innen anteilig auch von zuhause arbeiten. Es ist also wesentlich ruhiger, als ich es mir vorgestellt habe.
Ich darf in einem Team hospitieren, welches vor allem mit der übergeordneten Planung beschäftigt ist. Was sofort auffällt: am Arbeitsplatz duzen sich alle, auch der Chef der Abteilung wird lediglich mit dem Vornamen angesprochen. Ich bekomme einen Arbeitsplatz – die Mailadresse und der persönliche Zugang folgen in der zweiten Woche. Um das Haus, die Kantine und die Büroräume zu betreten, bekomme ich auch eine eigene Zutrittskarte.
Gleich am ersten Tag nehme ich am (digitalen) Teammeeting teil – es sollen noch viele online-Termine folgen. Ich wurde vielen Kolleg:innen vorgestellt, die allesamt sehr hilfsbereit und interessiert sind und beginne, mich in die aktuellen Projekte einzulesen sowie mir Wissen über Projekte und Themen für die kommenden Meetings anzueignen. Herausfordernd sind die Fachvokabeln sowie die zweistufige Verwaltungsstruktur, die an unterschiedlichen Stellen durch nationale Organisationen ergänzt werden. Dies in Gänze zu verstehen, wird voraussichtlich mehr als vier Wochen in Anspruch nehmen.

Planungsunterlagen

Planungsunterlagen

Meine Highlights und Learnings aus der ersten Woche:

• Die mehrstufige Verwaltung in Hinblick auf räumliche Planungsprozesse ist der Berliner an vielen Stellen sehr ähnlich. Auch die Möglichkeit einen Widerspruch (An Bord Pleanál) zu Planungen und Bauvorhaben einzureichen, wird in Dublin oft in Anspruch genommen. Es kann jede:r – unabhängig vom Betroffenheitsgrad – einen solchen einlegen und dieser wird durch eine nationale Stelle beantwortet.

• Dublin als wachsende Stadt hat die Schaffung von Wohnraum als eine Hauptaufgabe definiert. Hierfür wird derzeit der Development Plan, in welchen an vielen Stellen auch Änderungen des Flächennutzungsplans vorgestellt werden – nicht ohne kritisch kommentiert zu werden. Eine Planung, die derzeit noch ganz am Anfang steht, soll einmal Europas größtes Stadterneuerungsprojekt werden: City Edge. Derzeit befindet sich hier noch ein Gewerbegebiet, welches aufgrund der zentralen Lage und der guten ÖPNV-Anbindung zu einem neuen Wohnquartier umgeplant werden soll.

• Es gibt eine gesamtstädtische Strategie für die Verbesserung der Aufenthaltsqualität sowie der Nutzung für den Fußgänger- und Fahrradverkehr im öffentlichen Raum (Public Realm Strategy – Your City Your Space). In regelmäßigen internen Arbeitsgruppen werden die umgesetzten und geplanten Projekte vorgestellt, besprochen und Verbesserungsmöglichkeiten entwickelt.

• Ich durfte an dem Webinar Learning from the OPR Reviews of local Authorities teilnehmen. Das OPR (Office of the Planning Regulation) ist eine nationale Instanz, welche den Kommunen unterstützend zur Seite steht und eine einheitliche Qualität der räumlichen Planung landesweit zum Ziel hat. In dem Webinar wurden einzelne Praxisbeispiele vorgestellt, von denen das Pre-Planning System der Kommune Carlow besonders interessant ist. Interessierte Vorhabenträger:innen können mit wenig Aufwand innerhalb von ein paar Minuten sämtliche Planungshinweise (z.B. Überflutungsrisiko, Denkmalschutz und Bebaubarkeit) erfahren. Den Planenden in der Kommune wird dadurch viel Arbeit in der vorab Kommunikation abgenommen.

Bürger:innenbeteiligung in Dublin

Diese Woche habe ich mich vor allem mit den Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger:innen und Stakeholder beschäftigt. Seit 2014 gibt es landesweit das Public Participation Network . Das Dubliner Büro konnte ich in einer Videokonferenz näher kennen lernen. Durch die nationale Förderung werden pro Kommune 2 Personalstellen finanziert, um ein Netzwerk sowie Weiterbildungsmöglichkeiten hinsichtlich Bürger:innen-Beteiligung aufzubauen und weiterzuentwickeln. Allein in Dublin sind zirka 1000 Personen und Organisationen registriert. Je Kommune werden 20 Personen gewählt, die als Repräsentanten der Bürgerschaft in den politischen Entscheidungsfindungsprozessen eingebunden sind – ähnlich dem Berliner Beteiligungsrat. Der Fokus für 2022 liegt in der verstärkten Ansprache von Bürger:innen und Organisationen mit Migrationshintergrund.

Darüber hinaus existiert das Dublin City Volunteer Center – ein Netzwerk, welches Organisationen und an Ehrenamt interessierte Bürger:innen zusammen bringt. Hier werden die Ehrenamtler ebenso organisatorisch als auch inhaltlich betreut wie die Einsatzstellen.

Foto 4 - Empfangsbereich des zentralen Verwaltungsgebäudes

Empfangsbereich des zentralen Verwaltungsgebäudes

Online-Beteiligung findet darüber hinaus für viele gesamtstädtischen Projekte und Themen statt. Dublin verwendet hierfür unterschiedliche Systeme für die Beteiligung und Informationsweitergabe. Das Consultation Portal verwendet seit 2013 das Tool Citizen Space, welches seit 2013 verwendet wird. Die einzelnen Abteilungen und Projektmanager:innen sind für die Aufbereitung der Informationen, Bewerbung und Auswertung zuständig. Darüber hinaus wird für die Fortschreibung des Development Plans ein anderes (ebenfalls eingekauftes) Tool CivicQ verwendet. Dieses ähnelt in den Funktionen und der Aufbereitung der Projekte mein.berlin.de. Alle Beteiligungsprojekte werden im Nachgang in einem Report zusammengefasst und der Lokalpolitik zur Kenntnis – und teilweise auch zur Abstimmung – gegeben. Natürlich können Bürger:innen wie gewohnt die Unterlagen auch vor Ort einsehen. Hierfür gibt es im Empfangsbereich des zentralen Verwaltungsgebäudes mehrere Tische mit den aktuell zu kommentierenden Projekten und Berichten.

Foto 5 - Halloween-Markt

Halloween-Markt

Stadterneuerung in Dublin

In der Stadt gibt es unzählige Projekte der Stadterneuerung. Eines davon ist die denkmalgerechte Sanierung einer Markthalle, die bis 2019 den Obst- und Gemüsemarkt beherbergt hat (mehr Informationen hierzu finden Sie hier). Die Markthalle befindet sich im Eigentum der Stadt, liegt im Stadtzentrum in einem Quartier, welches mittels solcher Projekte eine Aufwertung erfahren soll. Das Gebäude soll nach der Sanierung neben Cafés, Restaurants und Marktständen auch soziale Projekte beherbergen. Bis die Baumaßnahmen beginnen vermietet die Stadt die Halle an temporäre Projekte – derzeit ein Halloween-Markt. Bei kulturellen Nutzungen muss ein Anteil der Karten kostenfrei an die Nachbarschaft vergeben werden, die größtenteils durch Sozialbauten (mit geringen Mieten für Menschen mit geringen Einkommen) geprägt ist.

Foto 6 - Büroreinigung

Büroreinigung

Meine Highlights und Learnings der zweiten Woche:

  • Den Mitarbeiter:innen werden während der Arbeitszeit Möglichkeiten zur Weiterbildung (bspw. durch externe Inputs, Vorträge und interdisziplinäre Workshops) angeboten. Diese Woche beinhaltete einen Input zur Verhaltensänderung in der Verkehrsplanung – also wie der Fußgänger- und Fahrradverkehr priorisiert in der Stadt- und Verkehrsplanung Berücksichtigung finden kann. Die Veranstaltungen können in Präsenz besucht werden, aber auch mittels Livestream am Rechner zuhause verfolgt werden. Viele Vorträge werden darüber hinaus auch aufgezeichnet.
  • Im Untergeschoss des Dienstgebäudes gibt es nicht nur eine Garage für Autos, sondern auch für Fahrräder. Die Mitarbeiter:innen können im Dienstgebäude auch duschen.
  • Die Büroreinigung erfolgt während der Arbeitszeit. Ein weiterer Pluspunkt für gute Arbeitsbedingungen.
Die Docklands

Die Docklands

Die Docklands – ein neues altes Viertel

Die Geschichte des Stadtteils ähnelt an einigen Stellen den Berliner Altbauvierteln, welche in den 1960er Jahren der Stadterneuerung zum Opfer gefallen sind. Das historisch gewachsene Viertel für Geringverdiener:innen und Bewohner:innen mit Migrationshintergrund, in dem sich die Lebens- und Wohnbedingungen (schlechte Gebäudesubstanz, viele Hinterhöfe, kein fließendes Wasser) stetig verschlechtert haben und welches vor allem ab den 1960ern durch hohe Arbeitslosenzahlen gekennzeichnet war, sollte eine Auffrischung erfahren. Ähnlich wie in Berlin wurden die Gebäude nach und nach abgerissen und die Bewohner:innen in Neubauquartiere am Rand der Stadt umgesiedelt (in Dublin bspw. nach Ballymun). Innerhalb von nur 50 Jahren verringerte sich die Bevölkerung in den Viertel, welche heute die Docklands sind, von 30.000 auf 5.000 Einwohner:innen. Interviews mit Bewohner:innen, historisches Bildmaterial und ein geschichtlicher Abriss können hier ##icon:pdf## nachgelesen werden. Aufbauend auf einem Masterplan von 2008 wurde das Areal 2014 zu einer SDZ-Strategic Development Zone (vergleichbar mit einer sehr detaillierten Rahmenplanung). Die Idee war, mit einem Nutzungsmix sowohl Arbeitsplätze als auch Wohnraum zu schaffen. Diese Planungen haben viele Konsultationen und öffentliche Beteiligungen durchlaufen und das Viertel wächst auch heute noch uns es werden Lücken gefüllt. Hier sitzen die großen (inter-)nationalen Firmen, die zusammen fast ein Viertel der Steuereinnahmen jährlich ausmachen.

An dieses Viertel gliedert sich der Stadtteil Poolberg West an, welcher ebenfalls eine industrielle Vergangenheit hat und seit 2019 neu geplant wird – ebenfalls als SDZ.

Leihfahrräder

Leihfahrräder

Der öffentliche Raum

  • In Dublin gibt es viele stationsgebundene Leihräder, die vor allem im Stadtzentrum wieder vermehrt genutzt werden. Aber auch in Dublin ist die Reichweite dieses Leihangebots auf den Kernbereich beschränkt.
  • Der öffentliche Raum ist relativ sauber. Das liegt vielleicht an den unzähligen Mülleimern auf den Straßen und in den Parkanlagen. Diese sind teilweise mit QR-Codes versehen, so dass Bürger-innen auch online melden können, wenn diese beschädigt oder zu voll sind. Mir ist in den vergangenen Wochen jedoch auch nur selten aufgefallen, dass Passanten ihren Müll nicht entsorgen.
Kunst im öffentlichen Raum - Stomkasten

Kunst im öffentlichen Raum - Stomkasten

  • An vielen Stellen der Stadt können bunt gestaltete Stromkästen bewundert werden. Das Projekt startete 2015 mit 15 ausgewählten Kästen. Ziel des Projekts ist es, Kunst und Farbe in den Alltag zu bringen. Jede:r kann sich im Frühjahr mit einer Idee bewerben. Eine Jury entscheidet über die jährliche Auswahl der Kunstwerke. Heute bilden somit über 750 Kunstwerke eine Art Gallerie der öffentlichen Kunst, die jährlich erweitert wird.

Beta Projects – trial and learn

Das Projekt – vielleicht auch eher die Haltung – hat mich sehr beeindruckt. Dieser Experimentierraum wurde 2012 durch einen Mitarbeiter initiiert und hat heute neben dem Koordinator viele projektbezogene Teilzeitstellen in anderen Verwaltungseinheiten. Das Prinzip dahinter ist folgendes: Ein Problem im Stadtraum wird erkannt und als beta-Project vorgeschlagen. Eine Jury wählt umsetzbare Projekte aus und sucht sich ein Experimentierfeld. Dann wird eine mögliche Lösung des Problems zeitlich befristet installiert und gemeinsam mit der Nachbarschaft sowie anderen Akteuren ausgewertet, ob und wie eine Lösung an diesem Standort sinnhaft ist. Anstatt ein Projekt in einem kurzen Zeitraum stadtweit zu implementieren – auch wenn es nicht überall notwendig wäre – lassen die Beta Projects Raum für Anpassung, Innovationen und Verfahrensänderungen. Die Haltung innerhalb der Verwaltung, dass Prozesse nicht von Anfang an reibungslos laufen und jede am Prozess beteiligte Person lernen darf, finde ich persönlich großartig. Ein Blick auf die Homepage lohnt sich sehr.

Projektinformation Wohnungsneubau

Projektinformation Wohnungsneubau

Wohnungsbau und Akzeptanz

In Dublin wird viel gebaut – aktuell vor allem kleine Wohnungen und Studios. Viele Familien müssen an den Stadtrand oder weiter weg ziehen, weil Sie keine passende Wohnung finden. Mit dem Wohnbauplan „Housing for All“ versucht Irland das Problem des massiven Mangels an bezahlbaren Wohnraum zu beheben. Nach wie vor ist der politische Druck im Land hoch, Wohnungseigentum zu fördern. Bis 2030 sollen landesweit 300.000 Wohnungen neu entstehen. Dublin war ein Praxisbeispiel der IBA 2022.

Am Beispiel eines Neubauvorhabens auf einer aktuell als Grünfläche genutzten Fläche zeigen sich Unterschiede. Hier sollen über 550 Wohnungen in 3 großen Gebäuden mit ergänzender Nachversorgung und einer Kita entstehen. Die Stadt hat von Anfang an Öffentlichkeitsarbeit betrieben und die Nachbarschaft stetig informiert (pandemiebedingt zunächst ausschließlich online). Bisher wurden die Informationstafeln weder beschmiert noch beschädigt und es hat sich noch keine Bürgerinitiative gegen diese massive Nachverdichtung gegründet.

Ausstellung Housing Unlocked

Ausstellung Housing Unlocked

Housing Unlocked

Die Irish Architexcture Foundation bespielt bis Mitte Februar 2023 einen Ausstellungsraum im Zentrum der Stadt um kreativen Ansätzen zur Schaffung von Wohnraum im Bestand (zum Beispiel in Kirchen) sowie im Neubau. Parallel zur Ausstellung werden Workshops, Vorträge, Exkursionen und Diskussionsrunden organisiert (Ein Blick in die Ausstellung lohnt sich – auch online). Ein Beispiel bezieht sich auf eine schrumpfende Region, gebautes Erbe, Denkmalschutz und die Frage nach Gemeinschaft und Identität, wenn die prägende Industrie weg fällt.

Fazit

Die 4 Wochen in Dublin und der Stadtverwaltung waren spannend und ich habe sehr viele Projekte kennen lernen dürfen. Viele Themen der Stadtentwicklung gleichen sich. Die Bürger:innen-Beteiligung unterscheidet sich vor allem in der Intensität zu der in Berlin. Für meine Arbeit in Lichtenberg konnte ich ein paar Ideen für kommende Projekte mitnehmen. Ich kann diesen Austausch allen Kolleg:innen sehr empfehlen.