Daniela Dahlke berichtet aus Bozen

Laptop im Zug mit Landschaft im Hintergrund

Anreise Bozen

Alles fing schon abenteuerlich an

Nach fast drei Jahren – dazwischen eine weltumspannende Pandemie, eine (mindestens) Berlin aufwühlende Wahl mit Nachwehen und das bange Warten auf den daraus resultierenden Haushaltsbeschluss. Im Juni 2022 war es dann endlich soweit: Mareen Mater, die EU Beauftragte des Bezirkes und unsere Ansprechpartnerin für das LoGo Programm berichtet freudig „jetzt kann es losgehen“.
In den nächsten vier Wochen werde ich hier an dieser Stelle aus der autonomen Provinz Bozen in Südtirol berichten. Zu meiner Person, ich bin 41 Jahre alt und darf für den Bezirk Lichtenberg in der OE SPK (Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination), gemeinsam mit tollen Kolleg:innen die Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit, Bürger:innenbeteiligungs- und Engagementprozesse des Bezirkes gestalten und koordinieren.
In einem ersten Meeting mit meinen neuen Kolleg:innen aus dem Amt für Personalentwicklung, wurde sofort klar, dass Bürger:innenbeteiligung auch in Bozen alle beschäftigt und dies der Schwerpunk meines Aufenthaltes sein wird. Viele spannende Hospitationsstellen warten schon auf mich.
Was für ein toller Start in ein Abenteuer….

Platz für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen und Hundeauslauf

Platz für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen und Hundeauslauf

Erster Tag

Noch bevor ich meine ersten Schritte in meiner Einsatzstelle gehe, gibt es in aller Frühe meinen ersten Lauf. Ja, die lange Zeit der Pandemie hat auch mich zu einer enthusiastischen Läuferin werden lassen 😉. An dieser Stelle wird meiner geliebten Mutterstadt leider deutlich der Rang abgelaufen. Diese Kulisse ist einfach einmalig und die Luft zum Durchatmen klar und sauber.
Zwei Dinge fallen mir bei meiner Tour sofort auf.

1. Fußgänger:innen und Radfahrer:innen haben hier leichtes Spiel. Allerorten finden sich gut ausgebaute Rad- und Fußgänger:innenwege. In Berlin und auch in Lichtenberg kommt es immer wieder zu Konflikten aller Verkehrsteilnehmenden, da sich alle den engen Raum teilen müssen. Mein Eindruck von Bozen ist, dass Mensch hier gegenseitig aufeinander Rücksicht nimmt und das Konfliktpotenzial aufgrund der guten Infrastruktur wesentlich geringer ist. Ob das auch wirklich so ist, werde ich bei einer meiner vielen Hospitationen, in der Abteilung für Natur, Landschaft und Raumentwicklung, erfahren.

2. An jeder Ecke finden sich hier sehr gepflegte eingezäunte und nicht eingezäunte Hundeauslaufflächen, die intensiv genutzt werden. Eine Thematik, die das Bezirksamt in Lichtenberg momentan sehr beschäftigt. Der Ruf nach Auslaufplätzen für die geliebten Vierbeiner auf Grünflächen wird immer lauter. Aber auch die grundsätzlichen Nutzer:innenkonflikte um den wertvollen, wenigen öffentlichen Grünraum treiben alle um. Vielleicht gibt es hier Best Practice Beispiele für mehr Hundeauslauf, auch in Berlin-Lichtenberg.

Bürgerrat Meran

Bürgerrat Meran

Die erste Woche

Puh, der Terminkalender für die erste Woche ist wie eine gut gefüllte Pralinenschachtel, bei der man nie weiß, was man bekommt. Meine liebe Kollegin Eva hat es sehr gut mit mir gemeint und Termine in verschiedenen Fachabteilungen der Landesverwaltung besorgt. Der erste Austausch findet beim Amt für Bevölkerungsschutz statt.
Klingt langweilig? Ist es aber nicht. Das Ziel: sinnvoller Hochwasserschutz für Wohngebiete und Infrastruktur und dass alles mit bestmöglicher Bürger:innenbeteiligung. Die Agentur gilt an dieser Stelle als vorbildlich. Herangezogen werden wissenschaftliche Studien, Aktionen z. B. in Schulen, Diskussionsrunden und Informationsveranstaltungen werden durchgeführt und der Austausch mit der Bevölkerung gesucht. Ein guter Einstieg in das Thema Bürger:innebeteiligung, wie ich finde.

Bürger:innenbeteiligung von unten und partizipativ gewünscht?
Bitteschön: 15 Meraner:innen, zufällig ausgewählt, verschiedener Altersgruppen und unterschiedlichster Hintergründe bilden einen Bürger:innenrat. Im Rahmen der Auslobung eines städtebaulichen Architekturwettbewerbs zur Erneuerung der Freiheitsstraße in Meran haben sie die Planungsteams unterstützt und beraten und ihre Ideen eingebracht, um gemeinsam nach Vorschlägen für die Neugestaltung zu suchen.
Diese Vorschläge wurden in einem öffentlichen Bürger:innencafè am 14. September um 19.30 Uhr interessierten Bürger:innen öffentlich präsentiert. Dabei haben alle beteiligten den Teilnehmenden ihre Arbeit vorgestellt und diskutiert.

Begleitet wird der Prozess vom Büro blufink, welches höchsten Wert auf die Beteiligung von unten und von nicht organisierter Bürger:innenschaft legt. Warum das gerade in Bozen so wichtig und wertvoll ist werde ich etwas später noch berichten.

Teamausflug in Bozen

Teamausflug in Bozen

Zweite Woche

Nachdem ich in der ersten Woche schon in verschiedenen Abteilungen hospitiert und viel über Bürger:innenbeteiligung gelernt habe, nutze ich nun die Chance, meine Kolleg:innen in der Personalabteilung und meinen Arbeitsplatz besser kennenzulernen. Mein Büro-Arbeitsplatz ist modern eingerichtet – ich fühle mich ein wenig per Zeitkapsel in eine neue digitale Welt versetzt. Alle Plätze sind mit Audio- und Videotechnik ausgestattet – ein Interior, dass ich in Teilen bisher nur als dekoratives Element kannte – Digitalisierung.
Darüber hinaus haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, im Smartworking also außerhalb der Räumlichkeiten zu arbeiten: bei Bedarf Remote, im Büro und von zu Hause aus. Davon profitiere auch ich sehr, denn ähnlich wie in Berlin ist auch hier meine Arbeit von Außen- und Abendterminen geprägt. Da ist es beruhigend, dass Mensch tagesfrisch auf Dateien und Informationen zugreifen, sie bearbeiten und teilen kann.

Ich finde es wertschätzend, dass meine Kolleg:innen mir so viel Vertrauen schenken und mich eigenständig in allen Bereichen hospitieren lassen. Sogar eine eigene Veranstaltung darf ich im Rahmen einer Mitarbeiter:innenfortbildung durchführen (ganz selbstverständlich digital). Am 5. Oktober wird es einen Workshop für alle Landesbediensteten und natürlich für alle besuchten Hospitationsstellen geben.
Thema: Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung im Bezirk Lichtenberg von Berlin – Impulse für das Land Südtirol?

Welche Formate haben sich bewährt? Welche Akteure und Akteurinnen erreichen wir gut? Welche Projekte eignen sich als Best Practice? Gibt es Fallstricke oder Stolpersteine?
Zu guter Letzt durfte ich am Teamtag teilnehmen. Spannenderweise gleich verbunden mit einer Führung durch die “Unterwelten” von Bozen. Jahrhundertealte Katakomben im Untergrund von Bozen erlauben spannende Einblicke in das Leben der Menschen in dieser Stadt, seit hunderten von Jahren.

Erwachsene sitzen um einen Tisch herum

Ideensalon

Dritte und vierte Woche

Bei der Veranstaltung für die Verwaltungsmitarbeiter:innen stelle ich das “Mutterland der Beteiligung” vor, gern bezeichnet sich Lichtenberg als solches. Alle sind begeistert von dem Methodenkoffer aus Berlin, der insbesondere den nicht gehörten Stimmen eine Bühne bieten soll.
Während sich Beteiligungsprozesse hier in Südtirol im Wesentlichen auf die organisierte Bürgerschaft fokussieren, also Vereine Verbände und Organisationen, versuchen wir in Lichtenberg nicht organisierte Bürger:innenschaft zu erreichen. In den Gesprächen mit den Hospitationsstellen höre ich aber immer wieder heraus, dass die Abteilungen oder Mitarbeitenden gerne auch andere, bisher ungehörte Personengruppen erreichen wollen. Insbesondere junge Menschen, die hier im öffentlichen Bild eher unterrepräsentiert sind, sollen mehr in den Fokus rücken.
Ein wunderbares Besipiel für die Beteiligung von “unten” konnte ich direkt in Bozen Live erleben. Beim sogenannten Ideensalon sollen die Menschen dabei unterstützt werden, ihre Ideen zu konkretisieren, den Austausch zu ermöglichen und Eigeninitiative zu fördern. Dazu schreibt das Büro Blufink:
“Oft möchten wir etwas verändern, es fehlen aber Unterstützung und Beratung. Manchmal öffnet uns ein ehrliches Feedback und ein anderer Blick neue Möglichkeiten. Wir müssen nicht auf Institutionen hoffen, sondern können unser Leben selbst gestalten. Das ermöglicht der Ideensalon”.
Die Ideensalon findet am Abend statt und alle Bozener sind eingeladen, sich zu drei Themen auszutauschen.

  1. Ein Bürger:innencafé für Bozen
  2. Eine Freifläche am Bahnhof Bozen, die zur Projektionsfläche für alle Bürger:innen werden soll
  3. Welche Visionen hast du für Bozen, wie soll das Bozen der Zukunft aussehen?
Menschen stehen und diskutieren

Ideensalon

Endlich - dass ist genau das, was ich gesucht habe!

Solche Ideenspiele kenn ich aus Berlin nur zu gut und es ist für mich besonders spannend zu sehen, wie ein solcher Prozess in einem ganz anderen Umfeld umgesetzt wird.
Spontan entscheide ich mich für die Belebung der Freifläche. Solche ungenutzten Freiflächen sind überall auf der Welt, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten Projektionsfläche, Zankapfel und Spielwiese…Orte der Fantasie und Spekulationsobjekte. Die Initiator:innen der Idee “A Place to B(z)”, eine Bürger:inneninitiative, welche das Ziel gesetzt hat, für Bozen mehr “Raum für alle” einzufordern, möchte eine Fläche von ca. 1,5 ha Gesamtfläche beleben und für die Bozener:innen erschließen und öffnen.

Der Wunsch, diesen Ort wiederzubeleben begeistert mich. In einem Kraftakt haben sie Kontakte geknüpft, mit Eigentümer:innen gesprochen und werden in einem nächsten Schritt die Stadtverwaltung mit an den Tisch holen. Im Rahmen der Bolzano Art Weeks, die bis zum 3. Oktober stattfanden, fanden verschiedene Aktivitäten auf dem Areal statt, die alle Bozener nutzen konnten.

Langfristig soll das Areal allen Bozener:innen zur Verfügung stehen und partizipativ genutzt werden. Ich drücke der Bürger:inneninitiative die Daumen und werde das Geschehen weiterhin gespannt verfolgen.

Halbmarathon

Halbmarathon

Zieleinlauf

Neben der beruflichen Neuerfahrung habe ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, meinen Hospitationsort auf besondere Art und Weise kennenzulernen. Bei einem Berglauf, den mir ein Kollege empfohlen hatte, bekam ich eine weitere Möglichkeit, die wunderbare Landschaft und seine Menschen kennenzulernen.
58,43 Minuten, das war die Zeit, die ich für die 10 KM bis zum Zieleinlauf benötigt habe. Und ich muss sagen, jede weitere Minute, die ich in Südtirol verbracht habe, hat sich gelohnt. In den 4 Wochen meiner Hospitation durfte ich viele Gespräche führen, neues über Bürger:innenbeteiligung in verschiedenen Kontexten lernen und Impulse für meine Arbeit in Lichtenberg mitnehmen.
Bürger:innenbeteiligung ist arbeitsintensiv und kann manchmal auch anstrengend. Nicht immer kommt es zu einem Ergebnis oder Kompromiss, mit dem alle glücklich sind. Wenn sie aber richtig angewendet wird, lohnt sich der Aufwand. In Bozen – Südtirol – befinden sich viele Prozesse noch in den Kinderschuhen. Der Wille aber, aller Beteiligten, Bürger:innenbeteiligung, auch für nicht organisierte Bürgerschaft, umzusetzen, ist stark spürbar.

In einem abschließenden, gemeinsamen Meeting aller Hospitationsstellen wurde dieser Wunsch bekräftigt und soll künftig ausgebaut werden.
Ich bin glücklich, dass ich diese Erfahrung machen konnte und überzeugt davon, dass man damit nicht nur den eigenen Horizont erweitert, sondern auch Impulse für andere setzen kann.
Daher ist ein solcher Austausch unbedingt allen zu empfehlen, die über den Tellerrand schauen möchten.