Ein Blick in die Partnerstädte – Unser Partner Kadıköy über das Erdbeben am 6. Februar

Bürgermeister Odabasi mit BAK Kadiköy

Bürgermeister Odabasi mit BAK Kadiköy

Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält Schilderungen zum Erdbeben in Syrien und in Türkei vom 6. Februar 2023.

Friedrichshain-Kreuzberg pflegt elf Städtepartnerschaften weltweit, seit 1996 mit dem Istanbuler Bezirk Kadıköy. Unterstützt durch den sehr engagierten Städtepartnerschaftsverein Kadıköy e.V., werden seit 27 Jahren kulturell und gesellschaftlich Brücken gebaut, gemeinsam Projekte durchgeführt und Fachaustausche zwischen den Verwaltungen organisiert. Welche Themen bewegen also unseren Partnerbezirk mit 481.000 Einwohner*innen? In diesem Beitrag möchten wir über die Erdbebenhilfe der Kadıköyer Verwaltung und der Zivilgesellschaft berichten.

Das verheerende Erdbeben am 6. Februar in Syrien und in der Türkei hat weltweit Entsetzen und große Solidarität ausgelöst. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg war die Hilfsbereitschaft überwältigend, unzählige Privatpersonen engagierten sich mit Spendenaktion.

Unser türkischer Partnerbezirk war nicht direkt betroffen, organisierte jedoch umgehend Hilfe. Darüber sprachen wir mit dem Kadıköyer Bürgermeister Şerdil Dara Odabaşı, der kurz nach dem Erdbeben in die betroffene Region reiste.

BAK Kadiköy vor Ort

BAK Kadiköy vor Ort

Was haben Sie vor Ort im Erdbebengebiet erlebt?
Am 6. Februar 2023 verursachten zwei Erdbeben der Stärke 7,7 und 7,6 mit dem Epizentrum in Kahramanmaraş, erhebliche Zerstörungen in Kilis, Diyarbakır, Adana, Osmaniye, Gaziantep, Şanlıurfa, Adıyaman, Malatya und Hatay. Eines der Teams, das unmittelbar nach dem ersten Erdbeben ausrückte, war das Such- und Rettungsteam der Gemeinde Kadıköy, BAK Kadıköy (Anm.: Belediye Arama Kurtarma – Kommunaler Such- und Rettungsdienest). Ich traf am dritten Tag nach dem Erdbeben in Hatay ein. Meine erste Aufgabe bestand darin, mit dem Such- und Rettungsteam eine kurze Evaluierungssitzung abzuhalten. Wir teilten das Team auf: Das Suchteam mit Hund Lena suchte nach Lebenszeichen, und das Rettungsteam stieß hinzu, wenn es ein Lebenszeichen gab. Es herrschte große Unsicherheit und Chaos in der Region. Wir wurden von Betroffenen angefleht: “Kommt und sucht im Trümmerhaufen meines Hauses”. An diesem Tag hätten auch wir Opfer des Erdbebens werden können, denn die Such- und Rettungsmaßnahmen wurden nicht koordiniert durchgeführt.

Eine der beiden mobilen Suppenküchen

Eine der beiden mobilen Suppenküchen

Neben Suche und Rettung mussten auch Bedürfnisse des täglichen Bedarfs sichergestellt werden, wie Unterbringung, Hygiene und der Zugang zu Wasser und Nahrung. Als wir ankamen, stellten wir fest, dass es in dieser Hinsicht noch an Koordination mangelte und die Hilfsgüter nicht dorthin verteilt wurden, wo sie benötigt wurden. Wir koordinierten also sowohl die Verteilung von Nahrungsmitteln und Hilfsgütern und richteten ein Lager in Samandağ ein (Anm. Stadtgemeinde in der Provinz Hatay), gemeinsam mit lokalen Initiativen und Freiwilligen. Auch Dörfer außerhalb des Stadtzentrums waren zerstört worden. Als wir am fünften Tag dort hinfuhren, hatte sonst noch niemand die Dörfer aufgesucht.

Wo war also AFAD (Anm.: Die türkische Katastrophenschutzbehörde), die diese Arbeit tatsächlich hätte koordinieren sollen? Uns gelang es dennoch, Rettungs- und Hilfsmaßnahmen eigenständig zu planen und durchzuführen. Aufgrund unserer Erfahrung und Vorbereitung konnten wir schnell agieren, denn unser Team besteht aus qualifizierten und sachkundigen Leuten. Wenn man kompetente Mitarbeiter*innen hat, kann man unter ihrer Anleitung schnelle Entscheidungen treffen.

Suchhund Lena bei der Arbeit

Suchhund Lena bei der Arbeit

Welche Unterstützung hat Kadıköy geleistet und was ist noch geplant?
Das 49-köpfige Such- und Rettungsteam der Gemeinde Kadıköy mit Suchhund Lena verfügt über eine Zulassung für Such- und Rettungseinsätze und eine Zertifizierung für Such- und Rettungshundeteams. Es gelang ihnen, 19 Menschen, darunter zwei Babys im Alter von 16 Monaten und 3 Jahren sowie einen 72-jährigen Bürger, lebend aus den Trümmern zu retten.

Die zwei mobilen Suppenküchen, die für Katastrophen in unserem Stadtgebiet angeschafft wurden, haben direkt Einsatz in der Erdbebenregion gefunden und warme Mahlzeiten verteilt. Damit konnten wir den Erdbebenopfern 10.000 warme Mahlzeiten am Tag anbieten.

Unmittelbar nach dem Erdbeben haben wir in unserem Gemeindegebäude einen Krisenstab eingerichtet. Das Team, das größtenteils aus freiwilligen jungen Studierenden, Einwohner*innen von Kadıköy und aus Gemeindebediensteten bestand, sortierte die Hilfsgüter und sorgte dafür, dass sie in die Katastrophengebiete geliefert wurden. Die Hilfspakete wurden auf dem Land- und Seeweg in die Provinzen Hatay, Kahramanmaraş, Adıyaman, Malatya und Gaziantep transportiert.

Wir begannen mit dem Aufbau von über 700 Zelten, auch in den Samandağ-Dörfern. Die Unterbringung in den Zelten brachte jedoch neue Bedürfnisse mit sich, die wir versuchen zu erfüllen. Wir arbeiten zum Beispiel daran, traumatherapeutische Angebote für Kinder zu machen, und werden in Hatay ein Kinderfest am 23. April, dem Tag des türkischen Kinderfests, organisieren. Unbedingt muss auch die Landwirtschaft unterstützt werden, damit die Landwirte ihre Lebensgrundlage nicht verlieren. Wir kaufen also Produkte von zwei Kooperativen in Samandağ und Defne auf, um ihnen finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und sie bei der Wiederaufnahme der Produktion zu unterstützen. Wir haben begonnen, diese Produkte in unserem Waste Free Shop zu verkaufen. Außerdem verkaufen wir die Produkte auf dem Solidaritätsmarkt, den wir in unserem Gemeindegarten eingerichtet haben.

Freiwillige in Kadiköy

Freiwillige in Kadiköy

Wie können wir helfen? Welche Rolle spielt die Städtepartnerschaft?
Ich wünsche mir, dass in Zeiten von Katastrophen und Notsituationen wir uns als Partner gegenseitig unterstützen. Indem wir zusammenarbeiten, können wir unsere Fähigkeiten verbessern, effektiv und effizient auf Katastrophen zu reagieren. Außerdem könnten wir gemeinsame Kooperationsprojekte für den Katastrophenfall entwickeln, wie Schulungs- und Informationsmaßnahmen, die es den Menschen in der Region ermöglichen, sich auf Katastrophen vorzubereiten, Vorräte anzulegen, um ihren Bedarf an Unterkünften, Wasser und Lebensmitteln zu decken. Dazu kann auch der Austausch von Informationen über Katastrophenschutzprotokolle, erdbebensichere Bauweisen und Aufklärungskampagnen gehören. Darüber hinaus können auch geschulte Freiwillige in das Gebiet entsandt werden, um bei den Rettungs- und Hilfsmaßnahmen zu helfen.

Die Unterstützung und Beteiligung durch die Zivilgesellschaft ist dabei unverzichtbar. Der Städtepartnerschaftsverein spielt daher eine wichtige Rolle, denn er begleitet die Kommunikation zwischen den Verwaltungen in Friedrichshain-Kreuzberg und Kadıköy. Und er ist eine wichtige Brücke in die Zivilgesellschaft und teilt Spendenaufrufe und Informationsangebote.

Bereits nach dem Marmara-Erdbeben vom 17. August 1999, das große Zerstörungen anrichtete, beteiligte sich der Städtepartnerschaftsverein Kadıköy e.V. aktiv an Hilfsaktionen und engagierte sich auch nach der Katastrophe vom 6. Februar 2023 mit einer weiteren Spendenaktion.

Wir haben die Bedeutung von Solidarität und Humanität durch diese Erfahrung einmal mehr verstanden und möchten unsere Zusammenarbeit gern weiter verstärken.

Das Interview wurde am 14. April 2023 schriftlich geführt.

Mit der Stadtverwaltung Kadıköy laufen aktuell Gespräche, in welchem Rahmen durch externe Fördermittel ein Projekt zur Erdbebenhilfe durchgeführt kann.

Wenn Sie den Städtepartnerschaftsverein Kadiköy e.V. für die Erdbebenhilfe unterstützen möchten, können Sie spenden an:

Städtepartnerschaftsverein Kadıköy e.V.
Stichwort: Erdbebenhilfe für Samandağ und Defne
Postbank Leipzig BIC PBNKDEFF
IBAN DE62 8601 0090 0601 7239 02

Weitere Spendenmöglichkeiten finden Sie hier oder auf der Seite des Partizipationsbüros.