Drucksache - 0268/XX  

 
 
Betreff: des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg von Berlin
über die Einleitung des Verfahrens für eine Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 30 AGBauGB für das Gebiet „Grazer Platz“, in der anliegenden Karte mit einer durchgezogenen Linie eingegrenzt, im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg (Anlage 1)
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
Verfasser:Herr Oltmann, JörnSchöttler, Angelika
Drucksache-Art:Vorlage zur BeschlussfassungMitteilung zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Ausschuss für Stadtentwicklung Beratung
12.07.2017 
7. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   
Bezirksamt Erledigung
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
21.06.2017 
9. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin überwiesen   

Sachverhalt
Anlagen:
Gebiet_Grazer Platz

BEGRÜNDUNG:

Anlass:

In den letzten Jahren wurden im Bezirk Tempelhof-Schöneberg zunehmend Bereiche mit angespanntem Wohnungsmarkt identifiziert. Diese Bereiche liegen überwiegend in den innerstädtischen Quartieren des Bezirks.

Die Bevölkerungsprognosen für Berlin gehen auch mittelfristig von einem Zuwachs der Bevölkerung aus, der sich gleichzeitig stark auf die innerstädtischen Ortsteile, wie auf den Ortsteil Schöneberg, konzentrieren und überwiegend durch kleine und jüngere Haushalte geprägt sein wird.

Ein angespannter Wohnungsmarkt führt in den innerstädtischen Lagen verstärkt zu sozialen Entmischungsprozessen und Segregationsentwicklungen. Diese können sich wie folgt städtebaulich auswirken:

-          Steigende Mieten und damit Verdrängung der ansässigen BewohnerInnen aus ihrem Wohngebiet

-          Verstärkte Nachfrage und entsprechende Verknappung von günstigen Wohnungen im Bezirk / Nachbarbezirken (mit der möglichen Folge einer Segregation durch Fortsetzung des Verdrängungsprozesses in den dann nachgefragten Wohngebieten)

-          Öffentliche Aufgabe der Schaffung günstigen Wohnraumes (im Bezirk).

-          Wenn die vorhandenen öffentlichen und privaten Infrastruktureinrichtungen (z.B. ÖPNV; Schulen; Spielplätze; Seniorenangebote; private Dienstleistungs- und Handelsunternehmen) auf die ansässige Bevölkerungsstruktur zugeschnitten sind, kann es zu einer Unterauslastung im Wohngebiet kommen, hin bis zur Insolvenz von Unternehmen bzw. Unwirtschaftlichkeit öffentlicher Einrichtungen. Am neuen Zuzugsort der verdrängten Bewohnerschaft entstehen evtl. neue Nachfragesituationen, die nicht realisiert oder nur unter hohem öffentlichen und privaten Planungs- und Kostenaufwand realisiert werden können.

 

 

Soziale Erhaltungsverordnungen und Umwandlungsverbotsverordnung

Mit dem Instrument „soziale Erhaltungsverordnung“ gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Baugesetzbuch können bauliche Änderungen, die zur Aufwertung von Wohnungen führen, und der Verlust von Wohnraum durch Abriss oder Nutzungsänderung, aus städtebaulichen Gründen versagt werden. Voraussetzung ist der Erlass einer Erhaltungsverordnung für ein Gebiet und der Nachweis, dass die geplanten Maßnahmen bzw. Nutzungsänderungen im Gebiet zur Veränderung der vorhandenen Bewohnerstrukturen führen können sowie, dass eine Verdrängung der ansässigen Bewohnerstrukturen städtebauliche Folgeprobleme nachsichziehen kann.

Im Ortsteil Schöneberg wurden in den Jahren 2014 / 2015 bereits vier soziale Erhaltungsverordnungen erlassen: Bayerischer Platz / Barbarossaplatz, Bautzener Straße, Kaiser-Wilhelm-Platz und Schöneberger Insel.

Durch die Umwandlungsverbotsverordnung für Berlin, die vom 14. März 2015 bis zum 12. März 2020 gilt, ist die Begründung von Wohnungseigentum bzw. Teileigentum in sozialen Erhaltungsgebieten genehmigungspflichtig. Mit dem Genehmigungsvorbehalt zur Umwandlung in den sozialen Erhaltungsgebieten kommt ein weiteres wichtiges städtebauliches und wohnungspolitisches Instrument zur Anwendung, denn in den letzten Jahren gab es in Berlin eine deutliche Steigerung der Umwandlungen, mit überproportionalem Anteil in sozialen Erhaltungsgebieten. Mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geht häufig eine Entmietung der Häuser einher mit anschließender teurer Modernisierung. Damit wird der Ausstattungsstandard der Wohnungen oft auf ein überdurchschnittliches Niveau angehoben. In den meisten Fällen werden umgewandelte Wohnungen weiterhin als Mietwohnungen angeboten und nicht von den Erwerbern selbst genutzt. Die Mieten dieser Wohnungen liegen deutlich höher als bei nicht umgewandelten Wohnungen. Die Umwandlung führt damit zur Veränderung der bisherigen Gebietsbevölkerung.

 

Voruntersuchungen zur Ermittlung von Verdachtsgebieten, die die Kriterien von sozialen Erhaltungsgebieten erfüllen können:

Aufgrund des stetigen Bevölkerungszuwachses, des knapper werdenden Wohnraumangebots, der Inwertsetzungsstrategien der EigentümerInnen sowie drastischer Mietsteigerungen hat der Bezirk Tempelhof-Schöneberg, vertreten durch den Fachbereich Stadtplanung, im Oktober 2016 eine „Voruntersuchung zur Ermittlung von Verdachtsgebieten im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, die die Kriterien für den Erlass von sozialen Erhaltungsverordnungen erfüllen können“ in Auftrag gegeben. Der Untersuchungsrahmen erstreckt sich auf Planungsräume der innerstädtischen Ortsteile Schöneberg, Friedenau und Tempelhof, welche verstärkt in das Blickfeld von Investoren und Bauherren mit Aufwertungsabsichten geraten sind. Seit Februar 2017 liegt der Untersuchungsbericht des beauftragten Büros, „Landesweite Planungsgemeinschaft mbH (LPG)“, vor.

Ziel der Untersuchung war es, Teilräume in den genannten Ortsteilen zu identifizieren, in denen die ansässige Bevölkerung auf die im Gebiet vorhandene Wohnsituation und Infrastruktur angewiesen und gleichzeitig durch Verdrängung gefährdet ist. Die Indikatoren Aufwertungspotential (vorhandene Möglichkeiten, den baulichen Zustand des Gebäude- und Wohnungsbestandes über den zeitgemäßen Ausstattungsstandard hinweg wohnwerterhöhend zu verändern), Aufwertungsdruck (wohnwerterhöhendes Potenzial wird im Gebiet bereits genutzt bzw. die Rahmenbedingungen geben dazu Anlass) und ein Verdrängungspotential (soziodemografische Rahmenbedingungen bestätigen ein Verdrängungspotential) können Hinweise auf Verdrängung geben. Die Segregation muss aber darüber hinaus nachweislich negative städtebauliche Folgen erwarten lassen.

 

Verdachtsgebiet Grazer Platz:

Als Ergebnis der o.g. Voruntersuchungen wurde das Verdachtsgebiet Grazer identifiziert. Die Gutachter führen hierzu aus:

Das UntersuchungsgebietGrazer Platz im Osten des Stadtteils Friedenau ist durch die westlich des Gebiets verlaufende S-Bahnstrecke gut an den ÖPNV angebunden und auch die Nähe zum Steglitzer Stadtteilzentrum Schloßstraße ist attraktiv. Die Bebauungsstruktur des Gebiets wird im Westen von einer gründerzeitlichen Blockrandbebauung dominiert und im Osten von einer Blockrandbebauung der 1920er und 1930er Jahre. Ergänzt wird das Gebiet im Norden und Süden durch eine Zeilenbebauung, welche nach dem Jahr 1950 entstand.

Die Baustruktur und der hohe Anteil an privatwirtschaftlichen Eigentumsformen begründen im Verdachtsgebiet das Aufwertungspotenzial. Es besteht insbesondere im östlichen Teilgebiet ein hohes Potenzial für Wohnungsumwandlungen. Teilweise wird dieses Umwandlungspotenzial bereits genutzt, da die Wohnungsumwandlungen ansteigen, auch die Wohnungsverkäufe befinden sich auf einem hohen Niveau. Das Angebotsmietniveau ist ebenfalls sehr hoch, so dass ein ausgeprägter Aufwertungsdruck festgestellt werden kann. Im westlichen Teilgebiet ist eine hohe Dynamik bei erteilten Abgeschlossenheitsbescheinigungen und Wohnungsumwandlungen festzustellen. Die soziodemographischen Kennwerte des Verdrängungspotenzials zeigen, dass der Anteil an Personen mit einer Wohndauer von mindestens fünf Jahren am Wohnort hoch ist, außerdem ist ein hoher Anteil an Einwohnerinnen und Einwohnern im Alter von unter 18 Jahren in den nördlichen und östlichen Wohnblöcken festzustellen. Die Kennwerte zum Transferleistungsbezug und der Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter weist keine Aufmerksamkeit auf, jedoch ist eine Zunahme der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Abnahme der Transferleistungsbeziehenden zu bemerken, die auf Veränderungen in der Sozialstruktur hindeuten können.

Bei der Ortsbegehung wurde deutlich, dass sich der Planungsraum Grazer Platz in zwei von der Bau-struktur sehr unterschiedliche Gebiete aufteilen lässt. Während der westlich der Rubensstraße gelegene Teilbereich durch eine überwiegende gründerzeitliche Blockrandbebauung geprägt ist, sind östlich der Rubensstraße überwiegend in Blockrandbebauung errichtete Gebäude der 1920er und 1930er Jahre mit großen Innenhöfen sowie im Norden und Süden Zeilenbebauung zu finden. Der Sanierungs- und Modernisierungsstatus im westlichen Bereich wird als sehr hoch eingeschätzt. Die teilweise aufwändig geschmückten Fassaden sind zu einem überwiegenden Teil saniert. Die Ausstattung mit straßenseitigen Balkonen und neuen Fenstern ist hoch. Die Dachgeschosse sind zu einem überwiegenden Teil ausgebaut. Modernisierungspotenziale bestehen nur an vereinzelten Gebäuden, insbesondere an den größeren Verkehrsachsen Knaussstraße, Thorwaldsenstraße und nördliche Rubensstraße sowie an der Rembrandtstraße, die an die Autobahn angrenzt. Im östlichen Teilbereich ist ein mittlerer Sanierungs- und Modernisierungsstatus feststellbar. Im Hinblick auf die Fassaden bestehen teilweise Sanierungspotenziale, wobei nur in den Blöcken südlich der Peter-Vischer-Straße unsanierte Fassaden zu finden sind. Im östlichen Teilgebiet bestehen ein durchweg hohes energetisches Sanierungspotenzial sowie ein Potenzial zur Aufstockung. Die Ausstattung mit Balkonen ist hoch.

In Abbildung [Anlage 1] ist das vertiefend zu untersuchende Gebiet dargestellt. Es umfasst die Blockrandbebauung aus den 1920er und 1930er Jahren im östlichen Teilgebiet und die gründerzeitliche Wohnbebauung im westlichen Teilgebiet. Im östlichen Teilgebiet sind bereits erste Umwandlungstendenzen festzustellen. Gemäß aktueller Datenlage (Liegenschaftskatasterauszug Januar 2017) ist eine Umwandlung in Eigentum schon weit vorangeschritten. Wie oben beschrieben, bestehen aber bauliche Aufwertungspotenziale, die mit dem sozialen Erhaltungsrecht für die in den umgewandelten Wohngebäuden verbliebene Mieterschaft behutsam gesteuert werden können. Der Umwandlungsprozess ist im westlichen Teilgebiet bereits stärker vorangeschritten, bietet aber weiterhin Potenziale. Zudem zeigt sich neben dem nachgewiesenen Aufwertungsdruck auch ein hohes Aufwertungspotenzial im attraktiven gründer-zeitlichen Altbaubestand. Ob sich aus der Kombination auch ein soziales Verdrängungspotenzial ableitet, ist durch die vertiefende Untersuchung zu prüfen. Gemeinbedarfsflächen werden ebenso aus dem Verdachtsgebiet herausgenommen wie die Zeilenbebauung im Norden am Vorarlberger Damm auf-grund der Baustruktur.

 

Gemäß den Ergebnissen der Voruntersuchung ist das blockbezogene Aufwertungspotential als mittel, an Randlagen auch als hoch eingestuft worden. Dagegen ist der Aufwertungsdruck als mittel, aber auch als hoch bewertet worden. Das Verdrängungspotential ist als mittel, aber auch als gering beurteilt worden.

 

Beschreibung des Verdachtsgebietes:

Das Verdachtsgebiet ist ca. 52 ha groß und stellt für ca. 11.000 Einwohner den Wohnort dar. Es weist eine sehr hohe Einwohnerdichte in einem Quartier mit einer historischen Gründerzeitbebauung sowie Blockrandbebauungen aus den 1920 er Jahren auf.

Das innerstädtische Gebiet mit wohngeprägten Nutzungsstrukturen und überwiegend Anbindung an den ÖPNV und an das übergeordnete Verkehrsnetz ist in Schöneberger und Steglitzer Quartiere eingebunden. Die Wohnstraßen sind als ruhig zu beurteilen.

Im Verdachtsgebiet selber und in direkter Nachbarschaft befinden sich Schulen, Kindertagesstätten sowie verschiedene Grün- und Freiflächen. Aber auch Nahversorgungsbereiche und Versorgungsbereiche mit überlokaler Funktion liegen am westlichen Rand des Verdachtsgebiet und direkter Umgebung.

 

Weiteres Vorgehen:

Auf der Grundlage der o.g. Voruntersuchungen ließ sich die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 BauGB begründen. Die vorhandenen, allgemein stark nachgefragten Gründerzeitwohnungen und die zentrale innerstädtische Lage (geprägt durch ruhige Wohnstraßen, gute ÖPNV-Anbindung, Nähe zu Kleingartenanalgen) geben dem Verdachtsgebiet als Wohnstandort eine Attraktivität mit der Möglichkeit, hohe Kauf- und Mietpreise zu erzielen.

Im weiteren Verfahren sind die Ergebnisse der Voruntersuchung durch weitergehende Untersuchungen (einschließlich repräsentativer Haushaltsbefragungen) zu vertiefen sowie die dann vorliegenden, gebietsspezifischen Ergebnisse zu analysieren und auszuwerten. Das Stadtforschungsbüro „Landesweite Planungsgemeinschaft mbH (LPG)“ wurde bereits zur Durchführung der Bestandsaufnahme und Analyse beauftragt.

Soweit die Untersuchungen den Verdacht des Vorliegens der Kriterien gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 BauGB bestätigen, kann der Erlass der sozialen Erhaltungsverordnung für das Gebiet Grazer Platz beschlossen werden.

 

Rechtsgrundlagen:

-          Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722)

-          Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs (AGBauGB) in der Fassung vom 7. November 1999 (GVBl. S. 578), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Juni 2015 (GVBl. S. 283)

- Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) in der Bekanntmachung der Neufassung vom 10. November 2011 (GVBl. S. 693)

 
 

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