12 verletzte Polizisten in Neukölln - Eskalation wäre vermeidbar gewesen

Pressemitteilung vom 25.06.2019

Die Eskalation des Polizei- und Feuerwehreinsatzes am 18. Juni, bei dem 12 Einsatzkräfte verletzt wurden, wäre vielleicht vermeidbar ge-wesen. Der Angreifer ist im bezirklichen sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) bekannt und in Betreuung. Aufgrund anhaltenden Personalmangels konnten die Fachärzte des SpD jedoch nicht vor Ort sein.

Statt einer Eskalation mit etlichen Verletzten und einer Verfolgungsjagd über die Hermannstraße hätte der Einsatz so ablaufen können:

Die notdiensthabende Ärztin wäre im Tandem mit einem Sozialarbeiter zum Ort des Geschehens gefahren und wäre mit dem Betroffenen auf Grundlage eines bereits bestehenden Vertrauensverhältnisses in Kontakt getreten. Mit einer fachärztlichen Einschätzung und dem entsprechenden Hilfeangebot hätte die Situation vor Ort ohne Eskalation geklärt werden können. Dieses Szenario ist zwar theoretisch. In dieser Form laufen Notdiensteinsätze des SpD jedoch regelmäßig erfolgreich und meist ohne gewalttätige Übergriffe ab.

Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke warnt seit Jahren davor, dass die mangelhafte Bezahlung von Fachkräften im öffentlichen Gesundheitsdienst fatale Folgen haben kann: „Der öffentlichen Gesundheits-dienst arbeitet im besten Fall unauffällig. Aber wenn er nicht funktioniert, bricht unsere Stadt nach und nach auseinander. Vergangene Woche hätte die Verletzung von Polizisten und Feuerwehrleuten vielleicht vermieden werden können, wenn fachärztliche Hilfe vor Ort gewesen wäre. Wegen Personalmangel war aber nur der Anrufbeantworter geschaltet und die Einsatzkräfte waren auf sich gestellt.

Der Senat muss endlich Voraussetzungen für einen funktionsfähigen öf-fentlichen Gesundheitsdienst in den Bezirken schaffen. Meine Kollegin-nen und ich sind nicht länger bereit, die Verantwortung für diese katastro-phale Entwicklung zu übernehmen.“

Bei psychisch erkrankten Menschen können akute Krisen und Gewaltaus-brüche oft unvorhergesehen stattfinden. Äußere Faktoren wie eine Tren-nung, Verlust des Arbeitsplatzes oder Todesfälle in der Familie oder im Freundeskreis können den Verlauf der Erkrankung plötzlich verschlim-mern. Durch eine niedrigschwellige sozialpsychiatrische Begleitung, die in Krisenzeiten engmaschiger stattfindet, können solche Veränderungen erkannt und auf sie reagiert werden.

Diese wichtige Aufgabe ist mit der derzeitigen Personalausstattung im SpD Neukölln nur noch begrenzt zu leisten. Vorrang hat die Begutachtung von stationär aufgenommenen Patienten im Klinikum Neukölln, da es dort um die Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen der Freiheitsentziehung geht.

Ursache für den anhaltenden Personalmangel im öffentlichen Gesund-heitsdienst in Berlin ist die vergleichsweise schlechte Bezahlung von Ärz-tinnen und Ärzten sowie weiterer Berufsgruppen. Das betrifft beispielsweise auch Amtsärzte und Hygienemediziner. In Neukölln sind alle drei Arztstellen in der Hygiene- und Umweltmedizin nicht besetzt. In ganz Berlin werden ab 2022 nur noch vier Bezirke einen Amtsarzt haben. Neukölln wird ab September dieses Jahres keinen Amtsarzt und keinen Stellvertreter mehr haben.