Nachhaltig bauen für die Neue Mitte Tempelhof

Alte Parks und großzügige Grünflächen, tosender Verkehr auf dem Tempelhofer Damm und etwas altersschwache öffentliche Gebäude – das prägt das Gebiet um das Rathaus Tempelhof. Hier finden sich ein Polizeiabschnitt und eine Bibliothek aus den 70er Jahren, ein Schwimmbad und ein Pfadfindergelände. Die Stadt Berlin und der Bezirk Tempelhof-Schöneberg haben sich Großes vor-genommen, das ganze Quartier soll aufgewertet werden. Möglich wird das, weil bis zu 500 neue Wohnungen vorgesehen sind. Das Schlüsselprojekt aber ist ein neuer Kultur- und Bildungsbau (KuBi), der nicht nur die Bibliothek, sondern auch die Musikschule, Ausstellungs- und Galerieflächen und die Volkshochschule beherbergen soll. Großzügige Flächen sollen der Bevölkerung zum Aufenthalt und zur kreativen Betätigung geboten werden.

Das vhs-MagaTSin sprach mit Dr. Günter Löhnert, Architekt und Spezialist für nachhaltiges Bauen.

„Auf diese Weise kann das ein städtisches Zentrum werden…“

Der geplante Kultur- und Bildungsbau am Tempelhofer Damm ist teuer genug – und jetzt sollen wir auch noch nachhaltig bauen? Warum?

Die Frage unterstellt, dass nachhaltiges Bauen grundsätzlich teurer ist. Und das ist schlichtweg falsch. Falsch aus zwei Gründen, erstens: Nachhaltig Bauen heißt, dass man langfristig eine hohe Nutzungsqualität und eine hohe Kosteneffizienz hat. Wohlgemerkt langfristig! Und nicht wie z.B. bei der Bibliothek in Tempelhof oder dem Bürgersaalanbau am Rathaus, wo man dann nach 30, 40 oder 50 Jahren das Gebäude abreißt, abreißen muss, weil es den Anforderungen nicht mehr genügt, energetisch und funktional nicht ertüchtigt werden kann.

Nachhaltig Planen und Bauen heißt, in die Zukunft blicken, sämtliche Potentiale einer künftigen Anpassbarkeit aufgrund veränderter Anforderungen mit einzukalkulieren und mit Baustoffen zu bauen die v.a. schadstofffrei sind. Eine hohe Nutzungsqualität ist gesichert und es gibt keine Probleme und Nachbesserungen und weniger Sanierungs- oder Instandsetzungsbedarf. Hochwertig bauen ist das A und O!

Außenansicht Stadtbücherei Götzstraße

Die Eva-Maria-Buch Stadtbücherei in Tempelhof

Sie haben sie angesprochen, die Bibliothek in der Götzstraße. Obwohl Sie von uns und vielen Nutzer*innen geschätzt wird, ist sie für die Zukunft nicht mehr zu erhalten.

Die alte Bibliothek hat zweifelsohne eine architektonische Qualität. Sie ist ein Zeitzeuge ihrer Baualtersklasse und Gestaltungsphilosophie. Ein Ein-Raum-Konzept befriedigt die Anforderungen aber nicht mehr, die man heute bei gleichem Nutzungsanspruch hat.

Und weil man sie aufgrund der gebäudekonzeptionellen Festlegung nicht einfach umbauen kann, hätte es eigentlich nur einen Wert, wenn eine Nutzung gefunden wird, die das Gebäude akzeptiert – und nicht umgekehrt! Aber auch dann wären die bauphysikalischen und energetischen Schwächen des Gebäudes noch lange nicht gelöst. Damals hatte man eben eine etwas andere Planungs- und Nutzungsphilosophie und ein anderes Verständnis der Aufgaben, die Bibliotheken übernehmen müssen.

Paul-Wunderlich-Haus in Eberswalde

Das ökologisch gebaute Paul-Wunderlich Haus, Verwaltungszentrum von Eberswalde

Kurzfristig ist’s teurer, langfristig wird’s wirtschaftlich?

Richtig, das Dilemma ist, dass nach wie vor die Investitionskosten bei Bauwerken als Maßstab genommen werden. Das ist nicht nur eine unvollständige Betrachtung, sondern auch eine falsche – mit fatalen Auswirkungen. Man meint, wenn die Baukosten gering sind, dann baut man günstig. Man baut aber dann meist nur „billig“, in schlechter Qualität. Das ist ein hochgradig falscher Ansatz, denn es kommt ja darauf an, wie sich die Kosten während des Gebäudebetriebs, also in der Nutzungsphase bis einschließlich Rückbau, darstellen.

Das heißt, es sind die Lebenszykluskosten, Baukosten plus Baunutzungskosten, insgesamt zu ermitteln. Die Betrachtung der Lebenszykluskosten schließt einen Horizont von 50 Jahren ein. Und dann wird man sehr schnell feststellen, dass man mit der ganzheitlichen Einbindung der Lebenszykluskosten wesentlich günstiger fährt.

Wir haben durch die Zertifizierung verschiedenster Bauvorhaben gezeigt: Bei einem zertifizierten Gebäude „verdient man Geld“ ab der ersten Nutzungsstunde, weil man ganz einfach geringere Bewirtschaftungskosten hat. Bei einer traditionellen Betrachtung steht immer die sogenannte Amortisationszeit im Vordergrund. Und wenn es sich dann nicht rentiert, wird die Investition nicht vorgenommen.

Ein Beispiel: Durch die Verwendung von zertifiziertem Holz oder schadstofffreien Baustoffen/Materialien sichere ich dem Nutzer langfristig eine gesunde Aufenthaltsqualität. Wenn hochwertige Baustoffe nicht genommen werden, weil sich eine gesunde und damit hohe Qualität nicht in kurzer Zeit amortisieren kann, dann ist das das Gegenteil von nachhaltigem Bauen.

Um auf den Kultur- und Bildungsbau am Tempelhofer Damm zurückzukommen: Hier sind Nutzungen und Funktionszusammenhänge gefordert und gewünscht, die ja weit über ein Gebäude hinaus in den Außenbereich gehen, hinein bis in die Quartiersentwicklung. D.h. hier werden Qualitäten geschaffen im urbanen Zusammenhang, nicht nur für die unmittelbaren Nutzer eines Gebäudes, sondern für die Bürgerinnen und Bürger und die Nachbarschaft. Stichwort „Dritter Ort“.

Dies sind richtige und wichtige Investitionen in die Zukunft, die das Zusammenleben für die Stadtgesellschaft qualifizieren und damit vorbildlich prägen – und das ist nachhaltig im Sinne der soziokulturellen Qualität, die ja auch einen entsprechend hohen Stellenwert bei den Zertifizierungssystemen einnimmt – in gleicher Höhe wie die ökologische und die ökonomische Qualität.

Und wenn es in der Zukunft Veränderungen gibt in der Bedürfnisstruktur, dann sind diese Veränderungen möglich. Warum? Weil bereits in der Planung auch Anpassungskonzepte weitsichtig betrachtet und bewertet werden, die Wahrscheinlichkeiten miteinschließen, so dass räumliche und funktionale Zusammenhänge aktualisiert werden können. Und das ist nachhaltig. Es wird in Qualität investiert, und das ist das Entscheidende, in langfristige Qualität, die auch noch verändert werden kann.

Woran merke ich, ob der neue Kubi nach Nachhaltigkeitskriterien gebaut ist?

Wenn es die Plakette gibt an der Eingangstür, dass er platin- oder gold-zertifiziert ist. (schmunzelt)

Nein, Scherz beiseite, man erkennt es vor allem an den soziokulturellen Aspekten, die Nachhaltigkeit implizieren. Die sieht man nicht nur, sondern man spürt sie in der Offenheit, der Transparenz, durch eine einladende Willkommensgeste nicht nur räumlich-baulich, sondern auch durch das Organisationskonzept. Und das ist das Entscheidende.

Insofern kann also nachhaltiges Bauen gut durchdachte Nutzungskonzepte auch durch seine gestalterische Qualität unterstützen. Gerade Bibliotheken: Sie fangen an sich zu öffnen, als Ort der Begegnungen und nicht als „Hort des kulturellen Gedächtnisses“, zu dem man nur kommt, um ein Buch auszuleihen. Das ist eine wesentliche Aufgabe, die in der Planung attraktiv gestaltet werden muss. Gerade unter dem Aspekt „Dritter Ort“ müssen Flächen für eine Begegnungsstätte mit multiplen Nutzungsangeboten geschaffen werden, die für alle Menschen zu erreichen sind, wo sich die Nachbarschaft bzw. die Stadtgesellschaft generationenübergreifend trifft.

Entwicklungsplan für die Neue Mitte Tempelhof

Entwicklungsplan für die Neue Mitte Tempelhof

Insofern kann also nachhaltiges Bauen gut durchdachte Nutzungskonzepte auch durch seine gestalterische Qualität unterstützen. Gerade Bibliotheken: Sie fangen an sich zu öffnen, als Ort der Begegnungen und nicht als „Hort des kulturellen Gedächtnisses“, zu dem man nur kommt, um ein Buch auszuleihen. Das ist eine wesentliche Aufgabe, die in der Planung attraktiv gestaltet werden muss. Gerade unter dem Aspekt „Dritter Ort“ müssen Flächen für eine Begegnungsstätte mit multiplen Nutzungsangeboten geschaffen werden, die für alle Menschen zu erreichen sind, wo sich die Nachbarschaft bzw. die Stadtgesellschaft generationenübergreifend trifft.

“Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden ist ein Qualitätssicherungsinstrument, das über den gesamten Planungs- und Umsetzungsprozess die Erreichung der gemeinsam festgelegten Projektziele gewährleistet.”

Das sind urbane Anforderungen, die man heute und in Zukunft immer mehr berücksichtigen muss. Die vergangenen 1 1/2 Jahre haben ja gezeigt, was unter Pandemiebedingungen im urbanen Bereich geschieht. Die Nachbarschaft und die Nachbarschaftsaktivitäten, die man sich wünscht, sind zu forcieren und so anzupassen, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen möglich sind. Das ist auch eine Aufgabe solcher Stätten.

Und dafür muss man investieren und das ist nicht „teuer,“ sondern – langfristig gesehen – die einzig richtige kosteneffektive und -effiziente Entscheidung. Mit anderen Worten: Die Investition in solche Nutzungsqualitäten ist langfristig die beste „Rendite“ für die Kommune und natürlich für die Stadtgesellschaft. Davon müssen dann nur noch die Bauherren überzeugt werden, der Bezirk und der Senat…

“Klimaschutzziel und Ressourcenverknappung erfordern weitsichtige Planungsziele und -entscheidungen, einschließlich Rückbaubarkeit und Weiterverwendung von Bauteilen”

Viele denken beim nachhaltigen Bauen vor allem an Naturbaustoffe und Schadstofffreiheit, Holz, Filz, vielleicht noch Photovoltaik. Aber das, was Sie schildern, geht ja weit darüber hinaus.

Richtig. Die von Ihnen genannten Aspekte sind ökologische Qualitäten und das ist auch das, was die meisten Menschen vordergründig mit Nachhaltigkeit und nachhaltigem Bauen verbinden. Aber es gibt ja auch die ökonomische Qualität. Das impliziert neben der Werthaltigkeit von Gebäuden in erster Linie die Lebenszykluskosten, also sämtliche Kosten von den Herstellungskosten über die Baunutzungskosten bis zum Rückbau und zur Entsorgung. Wenn Gebäudekonzepte so angelegt werden, dass deren Bauteile wiederverwendbar, wiederverwertbar oder recyclebar sind, können sie nach ihrer Nutzungsphase sogar noch Einnahmen statt hoher Entsorgungskosten erzielen. Dies ist ein weiteres wichtiges Merkmal nachhaltiger Gebäude – ökonomisch wie ökologisch, also im Sinne der Umwelt und des Ressourcenschutzes. Soweit die ökonomischen Aspekte.

Dazu kommen die soziokulturellen Qualitäten. Es geht los bei der Gesundheit. Ein Gebäude hat natürlich dafür zu sorgen, dass der Mensch, der sich darin aufhält, keinem Gesundheitsrisiko ausgesetzt ist. Das spielt beispielsweise bei der Auswahl von Teppichböden oder Wandverkleidungen eine Rolle. Da gibt es gute und hochwertige, die sind sicherlich in der Anschaffung teurer, aber langfristig wesentlich günstiger, weil robuster, reinigungsfreundlicher, langlebiger, recyclebar, etc..

“Wirtschaftlichkeit im Sinne der Nachhaltigkeit erfordert eine ganzheitliche Betrachtung der Lebenszykluskosten – die Investition in Qualitäten ist die beste „Rendite“ für Bauherrn und Nutzer.”

Was hindert uns denn daran, nachhaltig zu bauen und warum wurde nicht schon immer nach diesen Grundsätzen gebaut?

Die Ganzheitlichkeit ist das Entscheidende. Das begann erst in den letzten 15 Jahren. Der Begriff Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft. Was man heute pflanzt, kann erst in Jahrzehnten geerntet werden. Beim nachhaltigen Planen und Bauen kommt uns mittlerweile zu Hilfe, dass wir dieses auch durch Zertifizierungssysteme bewerten können.

Die deutschen Zertifizierungssysteme BNB und DGNB haben einen gemeinsamen Ursprung und unterscheiden sich von den inter-nationalen Systemen dadurch, dass sie auch die ökonomische Qualität – Stichwort Lebenszyklus-kosten – mit einbinden.

Die Meinung, dass Nachhaltigkeit immer teurer ist, ist weit verbreitet. Und wir können beweisen, dass das nicht so ist. Denn mit der Zertifizierung haben wir ein Qualitätssicherungssystem, mit dem man von Anfang an, also von der Bedarfsplanung, bis zur Übergabe des Gebäudes an die Nutzer permanent überprüfen kann, dass die Ziele, die gemeinsam vom Bauherrn, allen Planern und den Nutzern vereinbart wurden, auch tatsächlich erreicht werden. Es ist eine ganzheitliche und sehr komplexe Angelegenheit und dieses ganzheitliche Vorgehen und Bewerten wird erst gemacht, seitdem es dieses Zertifizierungssystem gibt.

“Nachhaltiges Bauen verpflichtet zu einer hohen Nutzungsqualität, die den Menschen langfristig flexible Nutzungsmöglichkeiten in einer gesunden Umgebung sichern.”

Welche Bedeutung wird das für uns im Bezirk haben, dieses Zertifikat zu erwerben?

Die Bauherren werden angehalten, Qualität zu sichern. Aber sie werden damit nicht verpflichtet, viel Geld auszugeben. Wenn man die Zertifizierungskosten im Vergleich zu den Baukosten und deren Entwicklung über die letzten Jahre betrachtet, sind diese vernachlässigbar. Wer also heute ein Gebäude nicht nach den Nachhaltigkeitskriterien plant und zertifiziert, handelt nicht nur fahrlässig, sondern unverantwortlich – zudem lügt er sich, als Gebäudebetreiber oder Nutzer, in die eigene Tasche.

Worin sehen Sie den Nutzen und die Vorteile für eine Volkshochschule in einem nachhaltig geplanten und gebauten Gebäude zu sein?

Eine Volkshochschule ist ja ein Ort der Bildung. Durch die Umsetzung und die Zertifizierung eines nachhaltig gebauten Gebäudes und die pädagogischen Konzepte der vhs, die auch vom Thema Nachhaltigkeit geprägt sind, entsteht eine fantastische Synergie mit Multiplikationswirkung. Was ist denn überzeugender in der nachhaltigkeitsorientierten Erwachsenenbildung, als diese Inhalte in einem gebauten Exponat der Nachhaltigkeit zu vermitteln?

Es werden gerade bei Bildungseinrichtungen schon während der Bedarfsplanung pädagogische Konzepte entwickelt. Ein Beispiel ist der Neubau der Grundschule in Hohen-Neuendorf. Hier gibt es ein Lüftungskonzept für eine hohe Raumluftqualität. Springt die Lüftungsampel beispielsweise von Grün auf Gelb signalisiert es den Kindern, dass demnächst manuell gelüftet werden muss. Dieses Mitwirken kann auch begeistern, auch die Verantwortlichen der Schule.

Bei der Erwachsenenbildung bieten sich natürlich viele Lehr- und Lernziele und Konzepte an, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der UN, den „Sustainable Development Goals, SDG“ orientieren und damit die unterschiedlichsten Themen aus allen Lebensbereichen beleuchten.

Tempelhof wird ja gern als Kulturwüste bezeichnet. Wie wertet die Neue Mitte Tempelhof das Quartier auf?

Die Bedarfe müssen natürlich von den Nutzern wie vhs und Musikschule kommen. Im Design Thinking Prozess wurden diese abgefragt. Genauso haben wir das bei der Rathaus-Erweiterung gemacht. Und da wurde auch wieder deutlich, dass es notwendig ist, dass die Veränderung von außen kommen muss. Wir benötigen angesichts der jetzigen Situation Sprunginnovationen – also das Drehen am großen Rad. Auch mal kräftig traditionelle Dinge einfach streichen und ein Nutzungskonzept fordern, das wirklich in die Zukunft weist. Hier gehen Länder wie die Niederlande oder Skandinavien vorneweg.

Oodi Bibliothek in Helsinki

Die Oogi-Bibliothek in Helsinki

Ja, es gibt unterschiedliche Nutzungskonzepte, die dieses Quartier aufwerten können. Der Amerikaner Ray Oldenburg prägte den Begriff Dritter Ort. Für Europa und Deutschland bedeutet dies: Der 1. Ort ist die Familie, der 2. die Arbeit und der 3. das nachbarschaftliche Zusammenleben.

Auf das Quartier übertragen heißt das zu fragen, welches Umfeld habe ich, welche Bedarfe habe ich, welche Nutzungen habe ich? Ein Verwaltungszentrum, ein Rathaus, ein Kultur- und Bildungszentrum – welche Dienstleistungen entstehen daraus und welche Synergien von Funktionen und Qualitäten lassen sich innerhalb der jeweiligen Strukturen und welche zwischen innen und außen entwickeln?

Auf diese Weise kann das ein städtisches Zentrum werden für das gesamte Quartier, in dem es ja auch Wohnen und Gewerbe gibt. Und so muss man Innen- und Außenbereiche herausarbeiten, die zu jeder Zeit für jeden, auch mit unter-schiedlichen Motivationen, zugänglich sind.

Wir danken für das Gespräch.