Zwischenbericht zum dritten Aufarbeitungsprojekt zu Helmut Kentlers Netzwerk in der Kinder- und Jugendhilfe

Pressemitteilung vom 19.12.2022

Astrid-Sabine Busse, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, und das Forschungsteam der Universität Hildesheim – Prof. Dr. Meike Baader, Nastassia Laila Böttcher, Dr. Carolin Ehlke, Dr. Carolin Oppermann, Dr. Julia Schröder sowie Prof. Dr. Wolfgang Schröer, haben heute den Zwischenbericht der Universität Hildesheim zum dritten Aufarbeitungsprojekt zu Helmut Kentlers Netzwerk in der Kinder- und Jugendhilfe vorgestellt.

Das Aufarbeitungsprojekt knüpft an den Ergebnissen der zweiten wissenschaftlichen Untersuchung an. Im Rahmen des im Jahr 2020 publizierten Ergebnisberichtes konnte als zentrales Ergebnis rekonstruiert werden, dass es ein Netzwerk von Handelnden gab, durch das pädophile Positionen geduldet, gestärkt und legitimiert wurden. Übergriffe wurden in unterschiedlichsten Konstellationen mitunter arrangiert und gerechtfertigt. Die Berliner Senatsverwaltung war dabei in ihrer Funktion als Landesjugendamt in dieses Netzwerk verflochten und hat während der Heimreform der 1970er Jahre die Einrichtung von Wohngemeinschaften und Pflegestellen bei pädophilen Männern nicht nur geduldet, diese lagen auch in der Fallverantwortung der Senatsverwaltung. Aufgrund der Ergebnisse und neuer Hinweise von Betroffenen und zeitbezeugenden Personen sowie der Austausch mit weiteren Aufarbeitungsprojekten, die Verbindungen zu Jugendämtern in West-Deutschland und zu wissenschaftlichen Institutionen und Fachgesellschaften außerhalb von Berlin aufzeigen, bestand im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen bundesweiten Netzwerk weiterer Aufarbeitungs- und Forschungsbedarf.

Die aktuelle Untersuchung analysiert, wie dieses Netzwerk über Berlin hinaus wirkte und wie das Landesjugendamt darin positioniert war. Dabei wurden pädophile Netzwerkstrukturen über Berlin hinaus erforscht, die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen akzeptiert und unterstützt haben sowie das Zusammenwirken von pädophilen Personen, Mitwissern und Unterstützern in diesem Netzwerk untersucht. Mit diesem Vorhaben wird der Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 06.05.2021 umgesetzt.

Astrid-Sabine Busse, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie: „Nach den beiden ersten Forschungsberichten fokussiert sich das Land Berlin auf das mittlerweile dritte Aufarbeitungsprojekt, um die Tragweite des Netzwerkes Helmut Kentlers nun auch bundesweit zu erforschen. Der Bericht zeigt, wie komplex die Strukturen sind. Umso wichtiger ist hier, die Aufarbeitung weiter voran zu treiben, Betroffene und Zeitzeugen ernst zu nehmen und diese in geschütztem Rahmen zu Wort kommen zu lassen. Ich danke insbesondere den Betroffenen für ihre Bereitschaft, sich im Interview mit dem Forschungsteam dem Erlebten neu auszusetzen, um die notwendige Aufarbeitung voranzutreiben. Ein besonderer Dank gilt dem gesamten Forschungsteam für ihre wissenschaftlich fundierte, unabhängige Begleitung“.

Die Universität Hildesheim kommt im Zwischenbericht zu dem Ergebnis, dass das im Rahmen der vorausgehenden Aufarbeitung rekonstruierte Netzwerk über teils enge Verbindungen zwischen den Agierenden verfügte. Hierbei reichte das Netzwerk deutlich über Berlin bis in verschiedene Regionen West-Deutschlands hinaus. Es kann davon ausgegangen werden, dass neben denjenigen, die persönlich sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, ein Netzwerk von Agierenden existierte, die direkt oder indirekt Konstellationen mit geschaffen haben, durch die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen möglich wurde. Die Agierenden müssen von diesen sexualisierten Übergriffen gewusst haben, ohne sie weitergehend zu problematisieren oder anzuzeigen.

Die zweite Phase des Aufarbeitungsprozesses wird das rekonstruierte Netzwerk weiter analysieren und beschreiben. Hierzu werden verschiedene Archivbestände in Berlin und in anderen Bundesländern analysiert und die Befragung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie von Betroffenen fortgesetzt.

Der Zwischenbericht der Studie ist veröffentlicht unter:
https://www.uni-hildesheim.de/media/fb1/sozialpaedagogik/Forschung/Aufarbeitung_-Jugendhilfe_Berlin-_Kentler/Zwischenbericht_Kentler.pdf

Betroffene, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden aufgerufen, sich an die Universität Hildesheim zu wenden, um die Aufarbeitung im geschütztem Rahmen zu unterstützen:
Kontakt: jhberlin@uni-hildesheim.de

Hintergrundinformationen zum Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt startete im März 2019 und läuft bis Ende 2023. Grundlage dafür ist ein wissenschaftliches Aufarbeitungskonzept, das von dem Projektteam der Institute für Sozial- und Organisationspädagogik sowie Erziehungswissenschaft der Universität Hildesheim in 2018 erarbeitet wurde. Seit März 2019 hat das Projektteam Interviews mit Betroffenen und Zeitzeugen geführt. Unter Datenschutzrichtlinien werden die Akten erschlossen, Dokumente und Schriften aus rund vier Jahrzehnten Pflegekinderhilfe in Berlin systematisiert und ausgewertet.