Abschnitt 15 - Erzieherische Maßnahmen, Disziplinarverfahren

§ 96

Einvernehmliche Konfliktregelung, erzieherische Maßnahmen

(1) Verstöße der Jugendstrafgefangenen gegen Pflichten, die ihnen durch oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, sind unverzüglich erzieherisch aufzuarbeiten. Dabei können vorrangig gegenüber den Disziplinarmaßnahmen nach § 97 Maßnahmen der einvernehmlichen Konfliktregelung nach Absatz 2 oder erzieherische Maßnahmen nach Absatz 3 ergriffen werden, sofern diese geeignet sind, den Jugendstrafgefangenen ihr Fehlverhalten und die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung bewusst zu machen. Einvernehmliche Konfliktregelungen nach Absatz 2 gehen erzieherischen Maßnahmen nach Absatz 3 vor.

(2) Im Rahmen der einvernehmlichen Konfliktregelung werden mit den Jugendstrafgefangenen Vereinbarungen getroffen. Zur Konfliktregelung kommen insbesondere die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten, die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft, die Teilnahme an einer Mediation und der vorübergehende Verbleib auf dem Haftraum in Betracht. Erfüllen die Jugendstrafgefangenen die Vereinbarung, sind die Anordnung einer erzieherischen Maßnahme nach Absatz 3 sowie die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme nach § 97 aufgrund dieser Verfehlung ausgeschlossen.

(3) Als erzieherische Maßnahmen für die Dauer von jeweils bis zu einer Woche kommen in Betracht

  1. die Erteilung von Weisungen und Auflagen,
  2. die Beschränkung oder der Entzug einzelner Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung und
  3. der Ausschluss von gemeinsamer Freizeit oder von einzelnen Freizeitveranstaltungen.

Es sollen nur solche erzieherischen Maßnahmen angeordnet werden, die mit der Verfehlung in Zusammenhang stehen. § 100 Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(4) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter legt fest, welche Bediensteten befugt sind, Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 3 anzuordnen.

§ 97

Disziplinarmaßnahmen

(1) Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn Maßnahmen nach § 96 Absatz 2 oder 3 nicht ausreichen, um den Jugendstrafgefangenen das Unrecht ihrer Handlung zu verdeutlichen. Ferner ist sowohl bei der Entscheidung, ob eine Disziplinarmaßnahme anzuordnen ist, als auch bei Auswahl der nach Absatz 3 zulässigen Maßnahmen, eine aus demselben Anlass bereits angeordnete besondere Sicherungsmaßnahme zu berücksichtigen.

(2) Disziplinarmaßnahmen können angeordnet werden, wenn die Jugendstrafgefangenen rechtswidrig und schuldhaft

  1. andere Personen oder Mitgefangene mit Worten oder mittels einer Tätlichkeit beleidigen, körperlich misshandeln, bedrohen oder nötigen,
  2. fremde Sachen zerstören, beschädigen oder unbefugt deren Erscheinungsbild nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändern,
  3. in sonstiger Weise gegen Strafgesetze verstoßen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen,
  4. Lebensmittel, Verpackungen sowie andere Gegenstände unsachgemäß entgegen der Hausordnung entsorgen,
  5. verbotene Gegenstände in die Anstalt einbringen, sich an deren Einbringung beteiligen, sie besitzen oder weitergeben,
  6. unerlaubt Betäubungsmittel oder andere berauschende Stoffe konsumieren,
  7. entweichen oder zu entweichen versuchen,
  8. gegen Weisungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Lockerungen verstoßen,
  9. sich wiederholt zugewiesenen Aufgaben entziehen oder
  10. wiederholt oder schwerwiegend gegen sonstige Pflichten verstoßen, die ihnen durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, und dadurch das geordnete Zusammenleben in der Anstalt stören.

(3) Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind

  1. die Beschränkung oder die Unterbindung des Fernsehempfangs für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  2. der Entzug anderer Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik mit Ausnahme eines Hörfunkgeräts für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  3. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  4. die Beschränkung oder der Entzug des Aufenthalts in Gemeinschaft oder der Teilnahme an einzelnen Freizeitveranstaltungen für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  5. die Beschränkung des Einkaufs für die Dauer von bis zu einem Monat,
  6. die Kürzung der Vergütung nach §§ 64 und 65 um zehn Prozent für die Dauer von bis zu zwei Monaten,
  7. der Entzug der Teilnahme an Maßnahmen nach §§ 23 bis 25 und der zugewiesenen Arbeit nach § 26 bis zu zwei Wochen unter Wegfall der nach §§ 64 und 65 geregelten Vergütung und
  8. Arrest von bis zu zwei Wochen.

(4) Arrest darf nur wegen schwerer oder wiederholter Verfehlungen verhängt werden. Gegen Schwangere und weibliche Jugendstrafgefangene, die gemeinsam mit ihren Kindern in der Anstalt untergebracht sind, darf ein Arrest nicht verhängt werden.

(5) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(6) Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

§ 98

Vollzug der Disziplinarmaßnahmen, Aussetzung zur Bewährung

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.

(2) Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Jugendstrafgefangenen die ihr zugrundeliegenden Erwartungen nicht erfüllen.

(3) Für die Dauer des Arrests werden die Jugendstrafgefangenen getrennt von den anderen Jugendstrafgefangenen untergebracht. Die Jugendstrafgefangenen können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Der Arrest ist erzieherisch zu gestalten. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Jugendstrafgefangenen zur Teilnahme an Maßnahmen außerhalb des Raums, in dem Arrest vollstreckt wird, sowie die Befugnisse zur Ausstattung des Haftraums mit eigenen Gegenständen, zum Fernsehempfang und Einkauf. Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs sind nicht zugelassen. Die Rechte zur Teilnahme am Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen in der Anstalt sowie auf Aufenthalt im Freien bleiben unberührt.

§ 99

Disziplinarbefugnis

(1) Disziplinarmaßnahmen ordnen die von der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter dazu bestimmten Bediensteten an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt zum Zweck der Verlegung sind die damit betrauten Bediensteten der Anstalt am Bestimmungsort zuständig.

(2) Richtet sich die Verfehlung gegen die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter, ist die Aufsichtsbehörde für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen zuständig.

(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen Jugendstrafgefangene in einer anderen Anstalt oder während einer Untersuchungshaft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 98 Absatz 2 bleibt unberührt.

§ 100

Verfahren

(1) Bei der Klärung des Sachverhalts sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Die betroffenen Jugendstrafgefangenen werden gehört. Sie werden darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Die Äußerungen der Jugendstrafgefangenen und die Ergebnisse der Ermittlungen sind zu dokumentieren.

(2) Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.

(3) Die für die Anordnung der Disziplinarmaßnahmen zuständigen Bediensteten sollen sich vor der Entscheidung mit anderen Bediensteten besprechen, die maßgeblich an der Erziehung und der Vollzugsgestaltung der Jugendstrafgefangenen mitwirken. Bei Schwangeren, stillenden Jugendstrafgefangenen oder bei Jugendstrafgefangenen, die sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befinden, ist zudem eine Ärztin oder ein Arzt zu den gesundheitlichen Auswirkungen zu hören.

(4) Die Entscheidung wird den Jugendstrafgefangenen mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.

(5) Bevor Arrest vollzogen wird, ist eine Ärztin oder ein Arzt zur Arrestfähigkeit zu hören. Während des Arrests stehen die Jugendstrafgefangenen unter ärztlicher Aufsicht. Der Vollzug des Arrests unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn ansonsten die Gesundheit der oder des Jugendstrafgefangenen gefährdet würde.