„Es ist schön zu sehen, dass Kultur wieder auf dem Areal Platz findet und Orte der Begegnung geschaffen werden.“ - Interview Jutta K.

Kiezraum Auto-Service Stolzenburg

In unserer Serie „Rathausblock im Porträt“ stellen wir die Menschen vor, die sich auf vielfältige Weise für den Rathausblock und das Dragonerareal einsetzen. Manche sind ehrenamtlich in Initiativen aktiv, andere porträtieren wir auf Grund ihres Berufs als Planer*innen oder weil sie vor Ort arbeiten oder schon lange für eine Rekommunalisierung des Dragonerareals kämpfen.

Dieses Mal haben wir uns mit Frau Jutta K. über ihre Geschichte mit dem Dragonerareal unterhalten. Sie hat darum gebeten, dass wir nicht ihren gesamten Namen veröffentlichen. Jutta K. hat die Entwicklung des Dragonerareals als Gewerbetreibende und auch als Anwohnerin rund 20 Jahre lang begleitet. Wir haben mit ihr über ihre damaligen Erlebnisse sowie Ihre Zukunftswünsche für das Areal gesprochen.

Liebe Frau K., es verbindet Sie eine lange und sehr persönliche Geschichte mit dem Dragonerareal. Ab dem Jahr 1980 haben Sie für mehrere Jahre hier gelebt und gearbeitet. An welche Erlebnisse erinnern Sie sich besonders?

Ich spreche gerne über meine Jahre auf dem Dragonerareal, weil es immer spannend war. Wir haben die atemberaubende Entwicklung Berlins nach der Wende hier hautnah miterlebt. Mein Mann und ich haben 1980 die Adlerhalle für unsere Firma Auto-Service Stolzenburg angemietet. Die Firma hatte anfänglich die Werkstatt in der Adlerhalle und nach und nach haben wir dann zwei weitere Hallen und die dahinter liegenden Gebäude dazu gemietet. Dort waren dann unsere Ausstellungshalle und die Büros.
Im Jahr 1991 haben wir dann groß umgebaut. Unter anderem haben wir das Eckhaus links neben der Adlerhalle saniert, in das wir dann auch gezogen sind.
Es war großartig auf dem Areal zu wohnen. Mein Mann hat immer lange und viel gearbeitet, da war es sehr praktisch, dass wir nebenan gewohnt haben und all die Jahre ließen sich für uns Arbeiten und Wohnen gut verbinden. Es waren schöne, aber auch sehr arbeitsreiche Jahre. Mit den anderen Werkstätten standen wir in all den Jahren immer in einem guten Austausch.
Ich weiß noch, wie wir wöchentlich zwei oder drei Mal mit dem Fahrrad vom Mehringdamm bis zum Potsdamer Platz gefahren sind. Wir haben die Veränderung der Stadt unmittelbar miterlebt – das kann sicherlich nicht jeder sagen. Wir haben die Geschichte gewissermaßen live miterlebt, das war wirklich spannend.

Erinnern Sie sich an ein besonderes Erlebnis aus ihrer Zeit auf dem Dragonerareal, welches Sie teilen möchten?

Wir haben bei unseren ersten Schritten auf dem Areal noch nicht geahnt, was sich hinter den Toren der Gebäude verbarg. Als die Weberei aus dem hinteren Gebäudeteil auszog, begannen wir mit dem Umbau der Halle. Dabei sind wir auf beeindruckende Säulen mit wunderschönen Kapitälen gestoßen. Die Säulen waren damals aufgrund von Brandschutzregelungen ummauert, sodass wir die gusseisernen Säulen erst gesehen haben, als wir mit dem Umbau anfingen. Mein Mann und ich und unser damaliger Architekt waren wirklich beeindruckt. Das war eine spannende Entdeckung, die uns weiter ermutigt und angetrieben hat. Wir sind dann in die Archive der Stadt Berlin und haben weiter gegraben. Dabei haben wir viele Dinge über die Geschichte des Gebäudekomplexes herausgefunden, was uns wiederrum ermöglicht hat, die Gestaltung wesentlicher Details in Form und Farbe zu rekonstruieren. Wir haben Sprüche und Farbe bis hin zu ganzen Bögen im Raum originalgetreu wieder herstellen können.
Ein weiteres großes Erlebnis war für uns die Entdeckung der komplett erhaltenen Pferdetränke. Hier waren die Pferde der Dragoner untergebracht. Wir waren so nah an der Geschichte des Ortes, ich weiß nicht, ob sich das jemand vorstellen kann, der diese Entdeckung nicht selbst gemacht hat. Es war für mich ein sehr besonderes Erlebnis.

Wie sind Ihre Eindrücke hinsichtlich der Nachbarschaft des Areals zu der Zeit, in der Sie auf dem Areal gelebt haben?

Als wir auf das Areal kamen, gab es in den angrenzenden Gebäuden noch eine Weberei und sogar eine Sattlerei. Hinter den großen Toren waren verschiedene kleinere Betriebe – vor allem Taxiunternehmen und Werkstätten. Daraus entwickelte sich eine wirklich angenehme Nachbarschaft. Man hatte guten Kontakt miteinander und wir haben uns gegenseitig geholfen.
In unserem Betrieb hatten wir viele unterschiedliche Menschen in Ausbildung, die das Areal ganz neu kennengelernt haben. Gerade nach dem Fall der Mauer haben sich bei uns im Betrieb Menschen aus Ost und West getroffen und angenähert. Es war eine besondere Zeit mit vielen neuen Begegnungen.
Auch die Nähe zum Rathaus war für uns spannend, denn unser Betrieb war immer offen für verschiedenste Dinge. Wir haben beispielsweise Delegationen aus Afrika, welche sich über das duale System unseres Betriebs schlau gemacht haben, zu Besuch gehabt. Und die Berliner Tafel ist bei uns aus der Taufe gehoben worden. Die damalige Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung hat einmal im Monat die sogenannten „Kreuzberger Gespräche“ in unseren Räumlichkeiten abgehalten, bei denen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft teilgenommen haben.
Wir haben bestimmt vier Bürgermeister im Rathaus Kreuzberg miterlebt. All diese Dinge sind für mich eng mit dem Gelände verknüpft.

Zum Abschluss unseres Gesprächs fragen wir unserer Interviewpartner und Interviewpartnerinnen oft nach ihrer Vision für das Dragonerareal. Was wünschen Sie sich für das zukünftige Areal?

Das aktuelle Geschehen auf dem Areal verfolge ich mit großem Interesse. Die ganze Planung und, dass dort auf dem Areal nach den neusten ökologischen Erkenntnissen ein neues Quartier entstehen soll, finde ich sehr spannend. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich freu mich, dass hier nun auch etwas entsteht, das so ein bisschen an alte Zeiten anknüpft. Also dass hier wieder Menschen leben und arbeiten sollen, so wie früher. Es ist schön zu sehen, dass Kultur wieder auf dem Areal Platz findet und Orte der Begegnung geschaffen werden. Wenn das jetzt wieder passiert, schließt sich für mich der Kreis.
Es wird zwar noch ein paar Jahre dauern, bis es so weit ist, aber ich wünsche mir, dass ich bei einem nächsten Besuch in Berlin die Veränderungen vor Ort sehen kann. Dass ich das Projekt weiterverfolgen kann und dann sehe, wie es voran geht. Auch mein Mann hat immer gesagt, wir stellen uns für dieses Areal eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Kultur und Begegnungen vor. Dass das so umgesetzt wird, ist eine Herzensangelegenheit für mich. Es steckt so viel Herzblut von uns beiden in dem Areal und es ist schön zu sehen, wie viele Menschen sich jetzt schon für das Areal engagieren und sich dafür einsetzen wieder Leben dahin zurückzubringen.

Liebe Frau K., wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

Redaktion: Ilka von Eynern / Vincent Scheller