Architekten-Auswahlverfahren

Ehrentribüne nach der Sanierung

Ehrentribüne nach der Sanierung

In dem anschließenden Verhandlungsverfahren, das auf dem Senatsbeschluss vom 26.05.1998 zur Sanierung und Modernisierung des vorhandenen multifunktionalen Olympiastadions basierte, wurden zehn Beiträge vorgelegt. In der Prüfung kam es aus denkmalfachlicher Sicht entscheidend darauf an, wie die einzelnen Wettbewerbsbeiträge mit der Multifunktionalität der Anlage umgingen und inwieweit der Bestandsschutz gewährleistet werden konnte. Bei der Beurteilung der Überdachungsvorschläge ging es um die Bewertung der Eingriffe in die Substanz bzw. der Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes.

Bei der Prüfung der Vorschläge für eine Sanierung der Tribünenanlage hing die Beurteilung vom Erhaltungsgrad hinsichtlich der Substanz und der Stufengeometrie ab. In negativer Hinsicht war leider festzustellen, dass nur wenige Beiträge die Gesamtanlage des Geländes des ehemaligen Reichssportfelds über ein leeres Lippenbekenntnis hinaus in die Konzeptionen einbezogen hatten.

1. Die vier Beiträge von Großmann, Drees & Sommer, Kleihues + Kleihues sowie Vasconi standen in krassem Gegensatz zur Erhaltungsforderung und waren aus der fachlichen Sicht der Denkmalpflege abzulehnen. Alle vier Entwürfe wiesen Vorschläge für innovative Dachkonstruktionen auf, deren dominierende Strukturen eine radikale Überformung des Stadions wie des Areals des ehemaligen Reichssportfeldes darstellten. Gleichzeitig sahen diese Beiträge so gravierende Eingriffe in die bestehende Bausubstanz des Stadions durch den kompletten Neubau der Tribünenanlage, die stationäre Absenkung des Spielfelds sowie die notwendigen Verstärkungen für die Lastabtragung der Dachkonstruktionen vor, dass sie einem Neubau gleichkamen. Aus denkmalfachlicher Sicht war auszuschließen, dass diese Beiträge durch Überarbeitung zu “heilen” waren, da dies nur durch Infragestellung der Gesamtentwurfskonzeption und ihrer gestalterischen Qualitäten zu erreichen gewesen wäre.

2. Die vier Entwürfe von Deyle / Bung, NG, Müller Reimann und ARCADIS wurden aus denkmalfachlicher Sicht wegen der dominierenden Dachkonstruktionen, der gravierenden Eingriffe in die bestehende Bausubstanz des Stadions und des Umfelds sowie wegen der Vorschläge für die Absenkung des Spielfelds mit umfangreichen Abfangungen und Unterbauungen als problematisch eingeschätzt. Die Substanzverluste bei Deyle / Bung, die Dachkonstruktionen von NGM und Müller Reimann, die Aushöhlung des Coubertinplatzes bei Müller Reimann und ARCADIS waren nicht akzeptabel. Alle vier Beiträge enthielten jedoch Elemente, die denkmalpflegerisch befürwortet wurden. So wurden z. B. der weitgehende Erhalt der historischen Bausubstanz bei NGM und ARCADIS, die ganzheitliche Betrachtung des Gesamtareals bei Müller Reimann, die detaillierten Vorschläge für die Beton- und Natursteinsanierung bei Deyle / Bung positiv bewertet. Durch eine Überarbeitung, die insbesondere auf Reduktion abzielte, Spielräume des Baurechts ausnutzte und Effekthascherei durch technische Spielereien vermied, wären alle vier Konzepte zu einer denkmalpflegerisch diskussionsfähigen Lösung zu führen gewesen.

3. Denkmalfachlich uneingeschränkt befürwortet werden konnten nur die Beiträge von Weidleplan und von Gerkan, Marg und Partner, die auf unspektakuläre und sparsame Weise eine behutsame Sanierung der vorhandenen Bausubstanz mit einer denkmalverträglichen Modernisierung und einem diskussionsfähigen Vorschlag für eine Überdachung des Tribünenbereichs verbanden. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Substanzerhaltung und unter Berücksichtigung eines angemessenen Umgang mit dem Geschichtsdokument “Olympiastadion” wurden diese beiden Konzepte aus denkmalfachlicher Sicht favorisiert.

Ausschlaggebend für die schließliche Auswahl des Beitrags von Gerkan, Marg und Partner war die vorgeschlagene Überdachungslösung, bei der die freie Sicht durch das Marathontor auf das Maifeld und den Glockenturm erhalten blieb, also nicht durch einen umlaufenden Druckring beeinträchtigt war. Neben den gestalterischen und ästhetischen wie denkmalfachlichen Vorzügen dieser Lösung besaß sie zudem den unbestreitbaren praktischen Vorteil, abschnittsweise ausgeführt werden zu können, so dass die Vorgabe, die Sanierung des Stadions bei laufendem Spielbetrieb durchzuführen, garantiert werden konnte.

Die aus denkmalpflegerischer Sicht problematischsten Maßnahmen betrafen die Sanierung bzw. den Neubau der Tribünenanlage, die Absenkung des Spielfelds, den Einbau der VIP-Logen und den Umbau der Ehrentribüne. Mit den Entscheidungen zur Überdachung und zur Absenkung des Spielfeldes mit der Folge des Neubaus des Unterrings in leicht veränderter Geometrie waren unweigerlich erhebliche Beeinträchtigungen des Denkmalwertes verbunden. Denkmalfachliche Bedenken gegen derartige Eingriffe, insbesondere gegen einen zusätzliche Absenkung des Spielfeldes, wurden in den folgenden Steuerungsrunden zugunsten übergeordneter sportpolitischer Ziele und aus betriebsökonomischen Gründen (Ausgleich für sehbehinderte Plätze durch Stützenkonstruktion im Oberring) zurückgestellt, um eine attraktive und wirtschaftlich sinnvolle Erhaltungsperspektive für das Stadion überhaupt zu ermöglichen. Beim grundsätzlichen denkmalfachlichen Vorbehalt gegen eine Überdachung des Olympiastadions wurde die vom Büro von Gerkan, Marg und Partner vorgeschlagene Lösung vom Grundsatz her als unumgänglich für die Modernisierung einer im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähigen Sportanlage gemäß den einschlägigen FIFA-Reglements akzeptiert, die die Überdachung der Zuschauerbereiche für die Auswahl als Austragungsort zwingend vorschreiben.

Volkwin Marg fasste seine Zielsetzung und Konzeption wie folgt zusammen: “Das Olympiastadion wird als Baudenkmal instandgesetzt und für eine multifunktionale Nutzung sowohl für Leichtathletik, als auch für professionellen Fußball und Großveranstaltungen modernisiert. Der Zielkonflikt zwischen den entgegengesetzten Erfordernissen von Denkmalschutz und Modernisierung einerseits sowie Multifunktionalität und Fußball-Arena andererseits wird durch den vorliegenden Entwurf zu einer betrieblich geeigneten Synthese verwandelt.” (Volkwin Marg, in: Baukammer Berlin 4 (1999), 3).