Die Welt der Marille in der Wachau

Alfred Kausl bei der Marillenernte

von Ursula A. Kolbe

Es gibt Landschaften, zu denen man sich immer wieder hingezogen fühlt. Die Wachau in Niederösterreich im und um das Tal der Donau zwischen Melk und Krems, etwa 80 km westlich von Wien gelegen, hat für mich ein solch anziehendes Flair. Das ist nicht nur die Kulturlandschaft mit ihren Stiften Melk und Göttweig sowie der Altstadt Krems, übrigens seit 2000 als UNESCO-Weltkultur- und-naturerbe anerkannt. Sie genießt auch einen Ruf von Weltrang als Weinbaugebiet – und ebenso als genussvollen Obstgarten.

Letzteres ist das Stichwort. Nicht um Obst schlechthin, sondern um die Marille – hierzulande sagen wir Aprikose – soll es gehen, um die Wachauer Marille, die vielgepriesenen Früchte der Sonne. Dank des klimatisch günstigen Standortes haben sie beste Ausgangsbedingungen. Eine Augenweide ist es in jedem Jahr, wenn zwischen März und April je nach Witterung rund 100.000 Marillenbäume mit ihrer rosa-weißen Blütenpracht locken und ihre Liebhaber die Erntezeit im Juli bis dahin kaum erwarten können.

Hausgemachte Gaumenfreuden aus Kausl’s Marillenhof und Destillerie

Am Ende des Spitzer Grabens, wo sich die Wachau in das Hochplateau des Waldviertels verliert, an der alten Römerstraße in Ötz liegt der Familienbetrieb Marillenhof-Destillerie Kausl. Wir waren schon ein bisschen neugierig, hatten wir doch auf der diesjährigen Internationalen Grünen Woche in Berlin Senior Leopold und den Juniorchef Alfred Kausl, der mit seiner Ehefrau Melanie den 25 ha großen Betrieb mit Unterstützung seiner Eltern betreibt, bereits kurz kennengelernt. Kausl’s Spezialitäten gehören seit Jahren auf dieser Berliner Messe zu beliebten Exponaten aus der Genussregion Wachau.

Auf dem Hof dann führt uns Leopold Kausl in die Welt der Marille ein. Er ist mit Leib und Seele dabei, das merkt man ihm an, und der Funke lebt auch in seinem Sohn. Es gibt ja nicht nur die Marille schlechthin – insgesamt 21 Sorten, mit unterschiedlichen Reifezeiten, wachsen auch auf Kausl’s Feldern. Ihr Anliegen ist, die verschiedenen Arten und ihre Qualität zu erhalten. Ihre beste Grundlage, sagt er, sind das regionale Klima und der Boden sowie die lange Tradition. Vor allem bestechen die Marillen durch ihren unvergleichlichen Geschmack und das ausgeprägte Aroma.

Aus ihren sonnengereiften Früchten stellen die Kausl’s hausgemachte Gaumenfreuden her. Original Wachauer Marille sowie Äpfel, Birnen, Dirndl, Herzkirsche, Hollunder, Kriecherl, Pfirsich, Trauben, Vogelbeere oder Zwetschke werden zu Spezialitäten verarbeitet. Ihr Credo: Von der Frucht ins Glas oder in die Flasche – ob als Marmelade, Nektar, Edelbrand, Likör oder Whisky – bei höchster Qualität, versteht sich.

Apropos Marille: Köstlich auch der Fruchtaufstrich Marille mit Mohn. Dabei habe ich gelernt, dass es den Grau- (kräftigerer Geschmack) und den Weißmohn (mit Nussgeschmack) gibt. Dann bin ich noch auf den „Wachauer Dirndllikör“ neugierig geworden, gebraut aus wilder Kirsche, schmeckt sehr herb, aber einfach köstlich.

Und wer die Marke Frizzante entdeckt, hat ein weinhaltiges Getränk vor sich. Damit all diese Produkte zum Verbraucher kommen können, legen in Erntezeiten etwa 20 Saisonkräfte aus der Region tatkräftig Hand mit an, getreu dem Kausl-Motto: „Es geht immer um den Genuss“. Das Produkt muss für sich sprechen.

Noch ein Wort zu den geschichtlichen Ursprüngen

Als Urheimat der Marille gilt China. Deren Bewohner kannten die Frucht schon 3.000 – 2.000 v. Chr. Ein reiches Sortiment bildete sich im Laufe der Zeit heraus. Diese Sorten gelangten über Chinesisch-Turkestan nach Westen, nach Mittel- und Vorderasien, Armenien, Syrien, Griechenland, Italien und die übrigen Länder des Mittelmeeres. Der Ausbreitungsweg in Westeuropa dürfte über Italien, Spanien, Frankreich erfolgt sein, während nach neueren Forschungen die Marille in die Donauländer über den Pontus und den Donauweg kam.

Damit wäre die alte, bisher geltende Meinung, dass wir unsere Obst- und Weinkulturen von den Römern erhalten haben, hinfällig. Der bisher älteste Nachweis für den Begriff Marille im Donaugebiet findet sich in einer Briefsammlung des Starhembergischen Archivs in Eferding bei Linz. Dort taucht in einem Brief vom 23.7.1509 der Name „Maryln“ auf. Meister Ortulf von Baierland (zwischen 1390 -1439) nennt in seinem Arzneibuch die Frucht „Amarellen“.

Der Name „Marille“ für Aprikosen ist bereits um das Jahr 1509 in der Wachau nachgewiesen. Ab 1890 erfolgte dort in großem Stil die Einführung der Marille als Ertragsobst. Seither ist der Marillenanbau ein traditionell wichtiger Erwerbszweig dieser Region. Ursprünglich gaben die großen Marillenbäume dem Tal der Wachau sein typisches Aussehen. Heutzutage erfolgt der Anbau vermehrt auf kurzstämmigen Bäumen mit Rund- und Längskronen.

Derzeit liefern rund 170 Hektar Marillengärten aus 21 Gemeinden den Ertrag der Original Wachauer Marille – g. U. (geschützte Ursprungsbezeichnung). Seit 2003 bemüht sich der „Verein Original Wachauer Marille“ um die Erhaltung und Vermarktung der für die Wachau typischen Frucht. Das Siegel des Vereins dürfen nur Betriebe führen, die sich verpflichten, die seit mehr als 60 Jahren hier üblichen Sorten von besonderer Qualität zu produzieren.

Übrigens: Wachauer Marillenzistel wird der traditionelle Pflückkorb genannt. Durch die schmale und spitz nach unten zusammenlaufende Form kann mit dem Zistel einfacher in den hohen Bäumen geerntet werden, und der Druck auf die unten im Pflückkorb liegenden Marillen wird nicht zu groß.

Bleibt nur noch im Sinne der Kausl’s zu sagen: Erlebe das Original – bei einer Verkostung der Wachauer Marille und/oder vom Wachauer Whisky. Deren Tore stehen weit offen.