Mein Ende gehört mir - Über praktische Erfahrungen mit Sterbehilfe in Deutschland

Demo vor dem Brandenburger Tor

von Ursula A. Kolbe

„Einem Menschen bei der Wahrnehmung eines Grundrechts zu helfen, kann nicht strafbar sein“ heißt es im „Berliner Appell“, der von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), DIGNITAS-Deutschland, dem Verein Sterbehilfe und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) kürzlich im Haus der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Anlass dieser ersten gemeinsamen Pressekonferenz sind die jüngsten parlamentarischen Versuche, einen neuen § 217 StGB zu verabschieden, der die Suizidhilfe abermals streng reglementieren würde.

Erinnern wir uns: Vor zwei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des alten § 217 StGB festgestellt. In dem aufsehenerregenden Urteil vom 26. Februar 2020 war verdeutlicht worden, dass es Teil des Persönlichkeitsrechts ist, freiverantwortlich über das eigene Leben und dessen Ende zu verfügen und dafür auch die Hilfe Dritter annehmen zu dürfen. Seitdem suchen schwerkranke oder lebensgesättigte Menschen verstärkt nach Informationen und Institutionen, mit denen sie ihr „letztes Menschenrecht“ praktisch verwirklichen können.

Sorgfaltskriterien entwickelt
„Uns war damals schnell klar, dass wir unsere Mitglieder nicht hängen lassen dürfen“, betont Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch, DGHS-Präsident, anlässlich der Vorstellung der „10 Forderungen für humane Sterbehilfe“. So hat die mitgliederstarke und traditionsreiche Patientenschutzorganisation Sorgfaltskriterien entwickelt, die bei der Vermittlung von Anfragen Sterbewilliger von den Helfenden eingehalten werden müssen.

Des weiteren machte der DGHS-Vorsitzende Ausführungen zu den bisherigen Erfahrungen mit der in Deutschland derzeit einzigartigen Suizidversuchspräventions-Beratung und weiteren Leistungsangeboten der DGHS. Auch gab er zum Abschluss seiner Ausführungen noch ein paar statistische Daten bekannt:
  • 24 Antragsteller und Antragstellerinnen sind während des Freitod-Verfahrens an ihren Erkrankungen verstorben (natürlicher Tod)
  • zwei Antragsteller haben einen sog. harten Suizid begangen
  • 11 Anträge auf Vermittlung einer Freitodbegleitung wurden abgelehnt (neun Anträge wegen einer schweren psychischen Erkrankung, ein Antrag wegen einer über das Anfangsstadium hinausgehenden Demenz, ein Antrag wegen fehlender Freiverantwortlichkeit)
  • In fünf Fällen konnte die Freitodbegleitung im Pflegeheim des Freitodwilligen durchgeführt werden
  • In zwei Fällen wurden die Antragsteller auf deren ausdrücklichen Wunsch zum Zweck der Freitodbegleitung im Pflegeheim aus einem Hospiz in die Wohnung eines Angehörigen verbracht

(Diese Statistiken werden u. a. in einer umfassenden Dokumentation unter dem Titel „Weißbuch Freitodbegleitung“ veröffentlicht, das im Frühjahr dieses Jahres in den Buchhandel kommt.)

Sandra Martino, Erste Vorsitzende von DIGNITAS-Deutschland, hob hervor, dass es dank des seit Jahrzehnten bewährten Prinzips zur Prüfung von Freiverantwortlichkeit und Wohlerwogenheit des Sterbewunsches in den zurückliegenden zwei Jahren bei Freitodbegleitungen in Deutschland keinerlei Probleme gab. Warum also sollte der Staat, der sich auf diesem Gebiet nicht auskennt, nun neue Regelungen erlassen, welche die Lage notleidender Menschen zusätzlich erschweren?“

„Es gibt keinen Grund für einen neuen $ 217 StGB, zumal der aktuelle Gesetzentwurf auf Formulierungen des alten Paragrafen zurückgreift und ebenfalls verfassungswidrig ist“, bekräftigt Jakub Jaros, Geschäftsführer des Vereins Sterbehilfe. „Die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen sollten sich nicht einbilden, mit einem erneuten Verbot der professionellen Suizidhilfe vor Gericht mehr Glück zu haben als vor zwei Jahren.“

Auch Ingrid Matthäus-Maier, ehemalige SPD-Spitzenpolitikerin und Beirätin der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), die die Pressekonferenz moderierte, forderte: „Die Politik sollte unbedingt der Versuchung widerstehen, erneut das Schwert des Strafrechts zu bemühen.“ Sie betonte weiter, dass die praktischen Erfahrungen im Bereich der professionellen Freitodbegleitung gezeigt hätten, dass neue strafrechtliche Regelungen nicht erforderlich seien. Wenn aber ein Gesetz nicht erforderlich sei, dann sei es nötig, kein Gesetz zu erlassen. „Ein neuer § 217 StGB ist daher unakzeptabel!“

Das Fazit der Organisationen lautet: Suizidhilfe kann ein Ausweg für Menschen darstellen und ist keinesfalls erneut zu kriminalisieren. Die erforderliche Transparenz und Sorgfalt werden sichergestellt. Aus Sicht von DGHS, gbs, DIGNITAS-Deutschland und Verein Sterbehilfe sind auf dem Weg zu einer „humanen Sterbekultur“ allerdings noch einige Schritte nötig, die in einem gemeinsamen Forderungskatalog aufgelistet sind.

Der „Berliner Appell“ mit dem Titel „10 Forderungen für humane Suizidhilfe in Deutschland“ umfasst u. a. folgende Punkte: Keine Erneuerung von Strafbarkeit, keine Beratungspflicht, keine Wartezeiten, dafür aber eine staatlich geförderte evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Forschung zur Suizidhilfe, inklusive einer differenzierten Erfassung der statistischen Daten.

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