Innige Berührung

Ein festlich gedeckter Tisch

von Wolfgang Prietsch

Da ging man also wieder mal zu Freunden zu Besuch. Zwei schon etwas ältere Ehepaare, die sich von Zeit zu Zeit zu Gesprächen, einem guten gemeinsamen Essen und natürlich zu einem guten Tropfen, rot oder weiß, trafen.
Eigentlich sollte auf der Terrasse gegrillt werden. Aber das Wetter war nicht danach: Grau in Grau der Himmel. Nur der Himmel?

Im Wohnzimmer war ein festlicher Tisch zum Essen vorbereitet, man nahm nach einleitenden Begrüßungsworten Platz.
Das Besucherehepaar, er Mitte der 70er Jahre, sie Anfang 60, saß traditionell auf der Couch nebeneinander, die Gastgeber an der Stirnseite des rechtwinkligen großen Tisches.

Die Urlaube beider Paare waren grade zu Ende gegangen, es gab viel zu erzählen.
Die Gastgeber hatten eine Dia- Serie vom letzten Urlaub vorbereitet, da gab es natürlich viele Einfügungen und Nachfragen der Besucher.
Es war ein sehr frohes und gelöstes Klima, warum auch nicht, alles war in schöner Harmonie.

Nun ging es zum Essen, alles war tischfertig.Während des geruhsamen Essens mit langen Pausen zwischen Vorspeise, Hauptgang und dem Nachtisch hatte man sich viel zu erzählen: Immerwährende Themen waren selbstredend der jeweilige Gesundheitszustand und die absolvierten Arztbesuche sowie deren Ergebnisse.
Plötzlich, mitten beim Nachtisch, platzte völlig unerwartet ein lauter, an den Couchnachbar gerichteter, deutlich unwillig bis geradezu aggressiv wirkender, Ruf des zweiten Besuchers in die geschäftige Ruhe hinein. Wir schreckten auf. Die Blicke richteten sich spontan auf das Paar auf der Couch, und wir fingen einen fast hasserfüllten Blick, auf den Nebenpartner gerichtet, auf.

Betretene Stille! Das hatten wir bei allen Vorbesuchen noch nie erlebt.
Was war geschehen? Offensichtlich war beim Essen einer der beiden dem anderen auf der Couch zu nahe gekommen, hatte diesen (nur?) berührt oder (gar!) beengt?
Nach einer endlos erscheinenden Pause ob des Ungewohnten, Peinlichen gingen Essen und Gespräch weiter. Aber etwas war nun anders.

Da der Abend inzwischen schon fortgeschritten war, kam man, erkennbar gewollt, langsam zum Ende.
Aufstehen, die beim Essen abgelegten Jacken anziehen, Verabschiedung in bekannter Herzlichkeit, Aufbruch.

Die Gäste gingen zum Auto, wie immer begleiteten wir sie, die Partnerin (sie hatte vorsorglich keinen Alkohol getrunken) setzte sich ans Lenkrad, ließ schon den Motor an. Der eine der Freunde wollte uns noch etwas sagen, fühlte sich aber durch den schon laufenden Motor doch gemahnt und stieg ein. Er war grade erst im Auto, hatte die Tür noch nicht ganz geschlossen, da fuhr der Wagen schon an. War das Klima einfach nicht mehr auszuhalten, war alle Reserve an das Sich-Zurückhalten endgültig verbraucht, ein weiterer Aufschub, weiteres Zurückhalten unmöglich? Wir winken unseren Freunden nach.