Im Jahr 2022: Kultur im Dreiklang

Junge Leute versammeln sich um die EU-Flagge

von Ursula A. Kolbe

Wohin man auch schaut, die Pandemie hat alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens durcheinandergebracht. So auch die Planungen der Europäischen Kulturhauptstädte in den letzten beiden Jahren, in denen keine solcher Orte benannt wurden. Deshalb in diesem Jahr 2022 gleich drei: In Luxemburg, Gründungsmitglied der EU, Esch-sur-Alzette; in Litauen Kaunas und im EU-Beitrittskandidat Serbien Novi Sad.

Das sind drei Städte, die nicht nur geografisch Welten trennen, sondern auch in ihrem Selbstverständnis. Sie alle haben jeweils ihre zweitgrößten Städte nominiert. Auch hier gibt es beträchtliche Unterschiede: Im luxemburgischen Esch-sur-Alzette mit 36.000 Menschen, deshalb für den angestrebten Titel Zusammenschluss mit 18 weiteren Gemeinden im Süden des Landes sowie im benachbarten Frankreich. Im litauischen Kaunas leben rund 355.000 Einwohner und im serbischen Novi Sad 300.000.

Gemeinsame Kooperationen
In diesem besonderen Jahr wollen die drei Kulturhauptstädte zeigen, dass sie noch mehr verbindet. Gemeinsam haben sie eine Reihe von Kooperationen ins Leben gerufen. Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm umfasst die verschiedensten Bereiche: Bildende Kunst, Theater, Tanz, Geschichte – hier die Erinnerung an den Holocaust -, Musik und Literatur. Die Projekte richten sich an alle Zielgruppen, insbesondere auch an junge Menschen.

Ein Beispiel ist das Projekt „Jazz Xchange“: Musiker unterschiedlicher kultureller, historischer und sozialer Herkunft aus den drei Städten erarbeiten gemeinsam ein musikalisches Werk im Jazz. Ein anderes Beispiel: Graffiti-Künstler aus allen drei Ländern wollen eine großformatige Wandarbeit erschaffen. Stattfinden soll dies in der Kulturnacht 2022, die von einem gemeinnützigen Verein aus Esch organisiert wird.

Großevents und Brückenmotiv in Novi Sad an der Donau
Novi Sad an der Donau setzt auf Großevents und spielt mit dem Motiv des Brückenbauens. Die Donaubrücken als Metapher für die Situation Serbiens: Das Land auf dem Balkan ist EU-Kandidat, und Novi Sad will sich als Brücke zwischen Serbien und der Europäischen Gemeinschaft präsentieren.

Lokale Kritiker bemängeln allerdings, dass die Stadt mit dem auf große Ereignisse und Bilder fokussierten Konzept der Auseinandersetzung mit den Gegenwartslasten der jüngsten Geschichte ausweicht. Sie vermissen eine Auseinandersetzung mit dem serbischen Nationalismus und dem Bombenkrieg der späten 90er Jahre.

Kaunas: Aufarbeitung der eigenen Geschichte
Kaunas in Litauen hingegen nutzt das Kulturhauptstadtjahr gezielt, um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu führen. Virginija Vitkiené, die Chefin des Organisationskomitees von Kaunas 2022, betont: „Wir haben nicht betrogen, als wir sagten: ‘Wir brauchen diesen Titel ganz dringend. Denn Kaunas hatte bis dahin keine Identität.
Beziehungsweise: Wir wussten, da verbirgt sich ein Schatz, aber es gab keinen Weg, diesen zu enthüllen. Und damit ist nicht nur Schönes gemeint; unsere Traumata und unsere schamvollsten Erinnerungen waren genauso verborgen.“

Zu den Traumata gehört die Kollaboration von Litauern bei Judendeportationen und –ermordungen im Zweiten Weltkrieg. Spuren des jüdischen Lebens im Stadtbild von Kaunas werden erkundet, anders als in Novi Sad wird die Vergangenheit der Stadt offensiv thematisiert. Und die Bürgerschaft soll intensiv darin einbezogen werden. Nach den Jahrzehnten der sowjetischen Herrschaft arbeitet Kaunas daran, sich wieder seiner europäischen Wurzeln zu vergewissern.

Die Industriestadt Esch-sur Alzette erfindet sich neu
Die luxemburgische Industriestadt Esch-sur-Alzette atmet europäischen Geist, seitdem an der europäischen Einigung gearbeitet wird. Das große Thema dieser Stadt ist der Strukturwandel von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft.

Für Nancy Braun, die Generaldirektorin von Esch2022, ist dieser Wandel das Kulturhauptstadtthema. „Mit einem Projekt wie Esch2022 wollen wir den Bewusstseinswandel vollziehen. Die Leute sollen dazu gebracht werden, zusammenzuarbeiten und aktiv daran teilzuhaben, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten“, erklärt sie.