Gedanken zum DGHS-Gesetzentwurf Freitodbegleitung: „Notausgang“ immer noch nur halb offen

Kampagnen-Auftakt mit PR-Cars vor dem Brandenburger Tor

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von Ursula A. Kolbe

Freitodbegleitung – ein Selbstbestimmungsrecht, das seit Jahren in der Luft schwelt und immer noch einer endgültigen gesetzlichen Klärung bedarf. Zur Erinnerung: Ende Februar hat das Bundesverfassungsgericht den § 217 Strafgesetzbuch (StGB) (Förderung der geschäftsmäßigen Selbsttötung) für verfassungswidrig erklärt und damit das Recht des Einzelnen gestärkt, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, aber aktive Sterbehilfe, z. B. Tötung auf Verlangen, weiterhin verboten bleibt. Bei der assistierten Sterbehilfe dagegen wird das tödliche Medikament zur Verfügung gestellt, und der Patient nimmt es selbst ein.

Seitdem haben sich mehr als 50 Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gemeldet, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentsanfrage der FDP hervorgeht. Doch auf Weisung von Gesundheitsminister Jens Spahn, einem erklärten Gegner der Sterbehilfe, werden sämtliche Anträge abgelehnt. Jetzt könnte neuer Druck kommen. Laut Kölner Verfassungsgericht haben im Juni erstmals zwei Antragsteller ein Eilverfahren gegen die Ablehnung angestrengt.

Für die Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V.) hat sich in den zurückliegenden Monaten einiges verändert. Sie unterbreitete jetzt einen Vorschlag für eine verfassungskonforme Gesetzgebung zur Suizidhilfe. Er umfasst die Aufnahme eines neuen Paragrafen in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die Aufnahme eines neuen Paragrafen sowie diverse Ergänzungen bzw. Modifizierungen bestehender Vorschriften im Betäubungsmittelgesetz.

In der DGHS- Presseerklärung heißt es weiter: „Zentrale Bedingung einer ethisch vertretbaren Praxis der Suizidhilfe ist die Einhaltung von Sorgfaltskriterien durch die beteiligten Ärzte und Sterbehelfer. Erforderlich ist zudem eine Anpassung der Berufsordnungen der Landesärztekammern und Änderungen im Betäubungsmittelrecht. Elementare Bedingung ist für die DGHS die Freiverantwortlichkeit des Suizidwilligen.

Diese liegt vor, wenn der Suizidwillige die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seinen Selbsttötungsentschluss besitzt, seine Entscheidung frei von Willensmängeln ist, sein Entschluss wohlerwogen und von einer inneren Festigkeit getragen ist. Dabei ist die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, wie im gesamten Rechtsverkehr, zu unterstellen. Nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte hinsichtlich einer möglichen Einschränkung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit sollte eine fachpsychiatrische Begutachtung vorgenommen werden.“

Weiter heißt es, dass im Rahmen eines zu schaffenden prozeduralen Sicherungskonzepts die DGHS eine ausgewogene und umfassende Aufklärung über medizinische Alternativen zum beabsichtigten Suizid befürworte, aber eine wie auch immer geartete Beratungspflicht ablehne, die auf eine Pflicht des Sterbewilligen hinauslaufe, seinen Sterbewunsch zu rechtfertigen. Die freiverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende bedarf nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts „keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung“.

In seinem Urteil vom 26.2.2020 hatte das BVerfG festgestellt, dass das im Grundgesetz garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Es schließt das Recht auf Selbsttötung sowie die Freiheit ein, dazu auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. (Rdnr. 348). Das BVerfG hat darüber hinaus festgestellt, dass das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker dementsprechend auszugestalten und Betäubungsmittel anzupassen sind (Rdnr. 341).

Dieses Urteil hat die Rechtslage von 2015 wiederhergestellt und damit den über vier Jahre verschlossenen Notausgang einer Selbsttötung neu eröffnet. Nicht nur das: Durch dieses Urteil hat nunmehr Deutschland selbst die Schweiz an Liberalität überholt, so DGHS-Präsident Prof. D. Dr. h. c. Dieter Birnbacher. Das Gericht bindet die Freiheit zum Tode an keine andere Bedingung als die der Ernsthaftigkeit, -festigkeit und Freiverantwortlichkeit des Entschlusses und verlangt nicht, dass der Sterbewillige an einer schweren, unheilbaren oder zum Tod führenden Krankheit leidet.

In der Praxis steht der Notausgang allerdings erst halb offen. Zwei Barrieren stehen weiterhin im Wege. Erstens das berufsrechtliche Verbot einer ärztlichen Beteiligung an der Selbsttötung durch die zehn Landesärztekammern, die die vom Deutschen Ärztetag 2011 beschlossene Verbotsempfehlung übernommen haben. Es gibt gute Gründe, die Verschreibung und Verfügbarmachung eines tödlichen Mittels Ärzten vorzubehalten. Aber solange ein Arzt um seine Approbation fürchten muss, wird er kaum zu einer Suizidhilfe bereit sein. Zweitens lässt sich auch nach dem Urteil das in der Schweiz zur Herbeiführung eines schnellen und leichten Todes bewährte Mittel Natrium-Pentobarbital in Deutschland noch immer nicht leicht beschaffen.

„Der gegenwärtige Rechtszustand ist nicht nur halbherzig, sondern glatterdings unlogisch“, sagt DGHS—Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher. Wenn der ehemalige § 217 StGB verfassungswidrig ist, weil er die Wahrnehmung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben effektiv verschließt, sind auch diese weiteren Hürden mit der Verfassung nicht vereinbar und müssen abgebaut werden. Und erforderlich ist, so Prof. Birnbacher und Prof. Robert Roßbruch bei der Vorstellung eines DGHS-eigenen Gesetzentwurfes am 16.9.2020 in Berlin, eine Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz, dass das tödliche Mittel, das sich in der Schweiz bewährt hat, auch in Deutschland zum Zweck eines selbstbestimmten Sterbens und nicht nur, wie es dort heißt, zu einer ärztlichen „Behandlung“ verwendet werden darf.

Den Gesetzvorschlag (aktuelle Version vom 22.8.2020) im Volltext, ein Foto und die Presse-Erklärung als pdf finden Sie auf www.dghs.de.