199. Kiezspaziergang

Von der Olympischen Straße zum Ruhwaldpark

199. Kiezspaziergang Kartenskizze

mit Bezirksstadtrat Herz

Treffpunkt: Olympische Straße/ Ecke Preußenalle/ Mittelinsel
Länge: ca. 1,8 km

Arne Herz

Herzlich willkommen zu unserem 199. Kiezspaziergang. Für die, die mich noch nicht kennen: Ich bin Arne Herz, Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Wirtschafts- und Ordnungsangelegenheiten, und ich werde Sie heute auf unserem Spaziergang über den Brixplatz durch Neu-Westend führen. Unser Kiezspaziergang endet im Ruhwaldpark.

Doch bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen den 200. Kiezspaziergang ankündigen. Bezirksbürgermeister Naumann wird mit Ihnen am Samstag, den 11. August, über die Messe Berlin spazieren. Treffpunkt ist um 14 Uhr vor dem Eingang des City Cube am Messedamm 26. Nächste S-Bahn-Station ist der Bahnhof Messe Süd. Endpunkt ist im Palais am Funkturm am Hammarskjöldplatz.

Steubenplatz Reiterskulptur

Station 1: Steubenplatz

Station 1.1: Steubenplatz / Herkunft des Namens

Der Platz wurde um 1930 angelegt und nach Friedrich Wilhelm Graf von Steuben benannt. Von Steuben lebte von 1730 bis 1794. Er war preußischer General und kämpfte unter Friedrich II. in den Schlesischen Kriegen. 1777 schloss er sich im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Kontinentalarmee an, in der er preußische Exerziermethoden und Dienstvorschriften einführte. Zudem nahm er mit eigenen Truppenkommandos am Kampf gegen die Engländer teil.

Auf der Mittelinsel des Platzes steht seit 1961 die Reiterskulptur Der Sieger. Sie wurde 1902 von Louis Tuaillon ursprünglich für den Wannseer Wohnsitz von Geheimrat Hans Arnhold, dem heutigen Sitz der American Academy, geschaffen. 1997 wurde die Plastik restauriert.

Station 1.2: Steubenplatz 2 und 3/5

Die Randbebauung auf der Nord- und Ostseite des Steubenplatzes entstand in der Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1936 und 1938. Architekt war Peter Jürgensen. Es sind großzügige Wohnanlagen mit Kinos und Geschäften.

Station 1.3: Olympische Straße 1-1B / Preußenallee 41 / Wohnhaus

Auch dieses Gebäude stammt, wie die Randbebauung am nördlichen und östlichen Steubenplatz, von Peter Jürgensen. Es wurde 1937 gebaut. Typisch für die Zeit des Nationalsozialismus sind die Embleme über den Haustüren. Das Gebäude hat 37 Wohneinheiten.

Station 1.4: Reichsstraße 80b / Westend-Klause

Die Wohnanlage an der Reichsstraße 80b wurde von 1924 bis 1927, also ein paar Jahre früher, ebenfalls von Peter Jürgensen gebaut. Achten Sie nachher beim Weitergehen in der Olympischen Straße auf die ungewöhnliche Lösung des Innenhofes als einen Grünstreifen zwischen Olympischer Straße und Reichsstraße. In dem Gebäude an der Reichsstraße wurde gleich 1927 die Westend-Klause eröffnet. Die Alt-Berliner Kneipe ist u.a. aus zwei Gründen besonders bekannt, zum einen wurden hier in den 80er-Jahren zahlreiche Folgen der Drei Damen vom Grill mit Brigitte Mira und Brigitte Grothum gedreht. Zum anderen wurde sie die Stammkneipe von Joachim Ringelnatz, als er 1930 von München nach Berlin zog. Berühmt war Ringelnatz nicht nur seiner schrägen Gedichte wegen, sondern auch und vor allem, wie er sie auf Kleinkunstbühnen vortrug. Dort wurden er und seine Gedichte lebendig. Die Nazis machten seiner Kunst ein Ende und verbrannten seine Werke. Ringelnatz zog sich zurück. 1934 starb er in bitterer Armut in seinem Wohnhaus am Brixplatz in Neu-Westend. Dort werden wir noch mehr über ihn hören.

Hier eine erste Kostprobe Ringelnatzscher Dichtkunst:

Morgenwonne
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich »Euer Gnaden«.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.

Station 1.5: Preußenallee / Markt

In der Preußenallee findet seit 1925 der zweitgrößte Markt in Charlottenburg-Wilmersdorf statt. Der größte ist der Markt am Karl-August-Platz. Marktzeiten in der Preußenallee sind dienstags und freitags von 8 bis 13 Uhr.

Eine Neuerung seit dem 5. Juli ist die Verlängerung der Buslinie 349. Die Buslinie 349 ist ein sogenannter Taxi-Bus mit einer Kapazität von 9 Personen. Er fährt nun von der Reichsstraße zum Steubenplatz, biegt dort links in die Preußenallee ein und weiter in Richtung Heerstraße und nimmt dann seine übliche Strecke wieder auf. Es ist ein Ringbus, der alle 40 Minuten von Montag bis Freitag fährt. Die Verlängerung findet im Rahmen eines zweijährigen Projekts statt.

Nun noch ein paar Worte zu dem U-Bahnhof Neu-Westend, in dem sicher einige von Ihnen ausgestiegen sind.

Station 1.6: U-Bahnhof Neu-Westend

Der U-Bahnhof Neu-Westend wurde 1922 eröffnet. Die ersten Bauarbeiten wurden allerdings bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, um die U-Bahnlinie weiter in Richtung Ruhleben zu verlängern. Es wohnten damals aber noch zu wenig Menschen in der Gegend, als dass sich ein U-Bahnhof wirtschaftlich hätte rechtfertigen lassen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Wohnsituation geändert, so dass die Hochbahngesellschaft den Ausbau des Bahnhofs fortführte. Sie beauftragte Alfred Grenander mit dem Entwurf. Aufgrund der damaligen schlechten Wirtschaftslage und den damit einhergehenden knappen Mitteln erhielt der Bahnhof nur einen grünen Anstrich. Eine Besonderheit hat der Bahnhof dennoch: Nach dem Neubau des Bahnhofs Nollendorfplatz 1926 gab es für das Eingangsportal des alten U-Bahnhofs keine Verwendung mehr, sodass dieser nun den U-Bahnhof Neu-Westend ziert. Der aus Muschelkalk bestehende Eingang mit Säulen und Laternen ist demnach älter als der Bahnhof selbst.

Wir gehen nun in die Olympische Straße und treffen uns wieder vor dem Haus Nummer 10a.

Olympische Straße 10-12

Station 2: Olympische Straße 10a

Station 2.1: Olympische Straße / Herkunft des Namens

Die Olympische Straße führt zur östlichen Seite des Olympiastadions und erhielt ihren Namen im Vorfeld der XI. Olympischen Sommerspiele 1936.

Station 2.2: Olympische Straße / Kanzlei Roland Freisler

In der Olympischen Straße, leider konnten wir die Hausnummer nicht herausfinden, hatte Roland Freisler eine Wohnung, in der er eine Kanzlei einrichtete. Freisler war Präsident des Volksgerichtshofes während der nationalsozialistischen Diktatur und für tausende Todesurteile verantwortlich ist. Er wurde 1893 in Celle geboren und starb am 3.2.1945 bei einem Bombenangriff.

1912 begann Freisler ein Jurastudium, unterbrach sein Studium bei Beginn des Ersten Weltkrieges, zu dem er sich als Freiwilliger meldete. 1915 kam er in russische Gefangenschaft. Auch nach seiner Freilassung blieb er in der Sowjetunion, er trat den Bolschewiki bei und wurde während des Bürgerkriegs in der Sowjetunion Kommissar für Nahrungsmittelverteilung. 1920 kehrte er nach Deutschland zurück und trat 1925 in die NSDAP ein. 1933 wurde er Staatssekretär im Justizministerium. Er war maßgeblich an der Entwicklung eines nationalsozialistischen Strafrechts beteiligt. Zudem wurde er zu einer der wichtigsten Autoren der nationalsozialistischen Zeitschrift Deutsche Justiz. Er vertrat darin die Meinung, dass nicht nur die Tat an sich, sondern bereits der Wille zur Tat strafwürdig sei.

Am 20. Januar 1942 war er Teilnehmer der Wannseekonferenz. Diese Konferenz sollte die Verfahren zur Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung zur Vernichtung organisieren und koordinieren. Im August 1942 wurde Freisler Präsident des Volksgerichtshofes. Unter seiner Präsidentschaft stieg die Anzahl der Todesurteile stark an: Ungefähr 90 Prozent aller Verfahren endeten mit einer oft bereits vor Prozessbeginn feststehenden Todesstrafe oder mit lebenslanger Haftstrafe. Zwischen 1942 und 1945 wurden mehr als 5000 Todesurteile gefällt, davon über 2600 durch den von Freisler geführten Ersten Senat des Gerichts. Damit war Freisler in den drei Jahren seines Wirkens am Volksgerichtshof für ebenso viele Todesurteile verantwortlich wie alle anderen Senate in der Zeit von 1934 bis 1945. Daher haftete ihm schon bald der Ruf eines „Blutrichters“ an.

Freisler leitete den Schauprozess gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose im Februar 1943, zu dem die Mitglieder des Ersten Senats eigens von Berlin nach München geflogen wurden. Im zweiten Prozess gegen Mitglieder der Weißen Rose im April 1943 schrie er gleich zur Eröffnung den Angeklagten entgegen, dass der Nationalsozialismus gegen solche „Verräter“ überhaupt kein Strafgesetzbuch benötige. Er werde „ganz ohne Recht“ kurzen Prozess machen. Freisler korrigierte sich und verbesserte: „ganz ohne Gesetz“. Als ihm ein Beisitzer dennoch wortlos das Strafgesetzbuch hinüberreichte, schleuderte er es in Richtung der Anklagebank, wo sich Angeklagte duckten, um nicht am Kopf getroffen zu werden

Station 2.3: Olympische Straße 10-12

Das eindrucksvolle Mietshaus wurde von 1929 bis 1930 gebaut. Bauherr war Ludwig Meilchen.

Station 2.4: Olympische Straße 9 / Wohnhaus Bingel

Das rosa Haus gegenüber ist das Wohnhaus Bingel. Es wurde von dem Architekten Hans Hertlein entworfen und 1925 gebaut. Hans Hertlein wurde 1883 in Regensburg geboren und starb 1963 in der Schweiz. Er war Bauleiter bei Siemens & Halske und beeinflusste dadurch stark die Industriearchitektur in Deutschland. Zudem war er Hochschullehrer und Mitglied des Deutschen Werkbundes, der Akademie der Künste und der Preußischen Akademie des Bauwesens. Die Villa vor uns ist ein Beispiel für seine Wohnarchitektur.

Station 2.5: Botschaft von Paraguay

Links neben dem Wohnhaus Bingel in der weißen Villa befindet sich die Residenz des Botschafters der Republik Paraguay. Paraguay ist ein kleiner Staat in Südamerika und hat in etwa die Größe von Deutschland und der Schweiz zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Mestizen, Nachkommen der in der Zeit der spanischen Eroberung zwischen Indianerinnen und den Kolonialherren gezeugten Kinder. 86% der Bevölkerung sprechen Guaraní als Muttersprache, nur 11% Spanisch. Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle: 39 Prozent der Bevölkerung arbeitet im Agrarsektor, der immer noch von Großgrundbesitzern dominiert wird. Die industrielle Produktion beschränkt sich weitgehend auf land- und forstwirtschaftliche Güter. Vorherrschende Zweige sind Holz- und Fleischverarbeitung und die Produktion von pflanzlichen Ölen. 22% der Erwerbstätigen sind in der Industrie beschäftigt.

Wir gehen nun weiter, biegen rechts in die Oldenburgallee ein und treffen uns wieder vor dem Haus Schaumburgallee 5.

Station 3: Schaumburgallee 5

Station 3.1: Schaumburgallee / Herkunft des Namens

Die Schaumburgallee wurde am 13.4.1909 nach dem Fürstentum Schaumburg-Lippe benannt. Heute gehört die Region zu Niedersachsen. In Neu-Westend wurden zahlreiche Straßen nach den Namen der Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs benannt.

Station 3.2: Schaumburgallee 5 / Wohnhaus

Das Haus ließ sich der Gutsbesitzer Otto Hoene aus Danzig von dem Architekten Henry König 1936/37 bauen. Es hat 8 Wohneinheiten

Wir biegen nun rechts in die Westendallee, nächste Station ist gegenüber der Hausnummer 90/91:

Station 4: Gegenüber von Westendallee 90/91

Station 4.1: Westendallee / Herkunft des Namens

Die Westendallee verläuft in einem leichten Bogen von der Preußenallee bis zur Reichsstraße. Sie wurde am 6.5.1909 nach der Villenkolonie Westend benannt, die 1878 nach Charlottenburg eingemeindet wurde.

Station 4.2: Westendallee 77-91

Die Wohnanlage Westendallee 77 bis 91, die sich vom Brixplatz zur Reichsstraße zieht, wurde1921 bis 1923 vom Entwurfsbüro der Reichsbank erbaut. Bauherr war die Stadt und Land GmbH. Die Anlage steht unter Denkmalschutz.

Wir gehen nun ein Stück weiter, biegen rechts ab und treffen uns wieder am Brixplatz 11.

Station 5: Brixplatz 11

Station 5.1: Brixplatz / Herkunft des Namens

Der Brixplatz wurde am 31.7.1947 nach Joseph Brix benannt. Joseph Brix wurde 1859 in Rosenheim geboren und starb 1943 in Berlin. Er war Architekt und Professor für Städtebau an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Von 1909 bis 1947 hieß der Platz Sachsenplatz. Der Name fügte sich damals in das Namenprogramm der Straßen des Stadtteils ein, die, wie gesagt, alle nach Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs benannt wurden.

Station 5.2: Brixplatz 11 / Gedenktafel für Joachim Ringelnatz

Am Brixplatz 11 wohnte in den letzten vier Jahren seines Lebens von 1930 bis 1934 Joachim Ringelnatz mit seiner Frau. Der Name Joachim Ringelnatz ist der Künstlername für Hans Bötticher. Er lebte lange mit seiner Frau in München. In den 20er-Jahren erschienen seine beiden erfolgreichsten Gedichtsammlungen: Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid und Turngedichte beim Verleger Alfred Richard Meyer alias Munkepunke in Wilmersdorf. Er trat als Kabarettist auf Kleinkunstbühnen im ganzen deutschsprachigen Raum auf, vor allem im Berliner Kabarett Schall und Rauch. Seine Bühnenauftritte absolvierte er immer im Matrosenanzug. Ab 1927 hatte Ringelnatz auch Auftritte beim Rundfunk.

Weniger bekannt ist, dass Ringelnatz auch Maler war. Er machte vor allem Aquarelle. 1923 hatte er seine erste erfolgreiche Auktion in der Galerie Flechtheim. Alfred Flechtheim ist uns letztes Jahr bei einer Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum begegnet. Ringelnatz stellte auch mit Otto Dix und George Grosz in der Galerie Nierendorf aus.

In seiner Berliner Zeit war Ringelnatz auch Mitglied des Berliner Fußballvereins Hertha BSC. Er traf sich regelmäßig mit dem Kapitän von Herthas Meistermannschaft Johannes „Hanne“ Sobek und Hans Albers in der Westendklause.

1933 erteilten die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten Ringelnatz Auftrittsverbote in Hamburg und München. Ringelnatz hatte den Aufstieg der NSDAP lange nicht ernst genommen. Noch 1930 schrieb er in einem Brief: „Der Hitler-Rummel lässt mich kalt“. In Dresden wurde er sogar von der Bühne geholt. Die meisten seiner Bücher wurden beschlagnahmt oder verbrannt. Ringelnatz und seine Frau verarmten, weil ohne die Bühnenauftritte nicht genug Geld da war. Ringelnatz erkrankte an Tuberkulose und begab sich in das Waldhaus Charlottenburg, das die Stadt Charlottenburg 1912-1914 als Lungenheilstätte in Sommerfeld im Osthavelland errichtet hatte. 1934 starb er in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Heerstraße. Seine Grabplatte aus Muschelkalk wurde von der Bildhauerin Renée Sintenis gestaltet.

Hier nun der Text der Gedenktafel:

JOACHIM RINGELNATZ
wohnte in diesem Hause
von 1930
bis zu seinem Tode 1934

Am Pavillon am Brixplatz, zu dem wir gleich kommen, hängt eine Bronzetafel mit einem Gedicht von Ringelnatz. Ich zitiere:

Es sang eine Nacht …
Eine Nachti …
Ja Nachtigall
Am Sachsenplatz
Heute Morgen – Hast du in Berlin
Das je gehört? – Sie sang, so schien
Es mir, für mich, für Ringelnatz

Station 5.3: Brixplatz / Wohnung von Henny Porten

Im Internet haben wir herausgefunden, dass die 1890 geborene Schauspielerin Henny Porten am Brixplatz 10 gewohnt haben soll. Es gibt aber kein Haus mit der Nummer 10 am Brixplatz, sodass wir nicht genau wissen, wo ihre Wohnung war. 1935 wurde Henny Porten von den Nationalsozialisten aufgefordert, sich von ihrem jüdischen Ehemann zu trennen. Sie weigerte sich, was ihrer Karriere einen großen Knick gab. Aufgrund der Nürnberger Rassegesetze durfte sie nur ihre Köchin behalten. Daraufhin zog das Paar im selben Jahr zum Sachsenplatz. Beide überlebten hier die Zeit des Nationalsozialismus. Ausgebombt verließen sie 1945 Berlin und wohnten bis 1957 in Ratzeburg, ehe sie wieder nach Berlin zurückkehrten. Henny Porten war von 1906 bis 1955 in zahlreichen Filmen zu sehen. In der Zeit des Stummfilms war sie die bekannteste Filmdiva Deutschlands. Sie starb 1960.

Station 5.4: Brixplatz 9 / Gedenktafel für Max Schmeling und Anny Ondra

Am 31.8.2010 wurde diese Gedenktafel für Max Schmeling und Anny Ondra enthüllt. Sie wurde durch die GASAG Berliner Gaswerke Aktiengesellschaft finanziert. Darauf steht:

BERLINER GEDENKTAFEL

In diesem Haus wohnte bis 1933
Max Schmeling
28.9.1905 – 2.2.2005
Boxweltmeister im Schwergewicht
Hier lernte er seine spätere Ehefrau kennen
die Schauspielerin
Anny Ondra
15.5.1903 – 28.2.1987

Anny Ondra war eine tschechisch-deutsche Schauspielerin. Mit den Filmen Evas Töchter (1928) und Sündig und süß (1929) eroberte sie das deutsche Publikum. Unter der Regie von Alfred Hitchcock folgten 1929 die Filme Der Mann von der Insel Man und Erpressung. Sie war dabei Hitchcocks erste „blonde Mörderin“. Erpressung wurde als Stummfilm begonnen; im Laufe der Produktion entschied man jedoch, aus ihm den ersten englischen Tonfilm zu machen. Da Ondras Englisch nicht gut war, aber Hitchcock nicht auf sie als Darstellerin verzichten wollte, ließ er ihren Part von der britischen Schauspielerin Joan Barry synchronisieren. Somit avancierte Joan Barry zur ersten Synchronsprecherin und Anny Ondra zur ersten fremdsprachig synchronisierten Schauspielerin der Filmgeschichte, wobei die Synchronisation auf ungewöhnliche Art erfolgte: Ondra bewegte die Lippen, Barry sprach außerhalb des Bildes den Text.

Max Schmeling war ein deutscher Schwergewichtsboxer. Sein Interesse für den Boxsport wurde erstmals 1921 geweckt, als er einen Boxfilm sah. Um das Boxen von der Pike auf zu lernen, ging Max Schmeling 1922 ins Rheinland, das damalige Zentrum des Boxsports in Deutschland. 1928 ging er nach New York, wo er einige wichtige Kämpfe austrug. Zwischen 1930 und 1932 wurde er dreimal Weltmeister.

1930 lernte Max Schmeling Anny Ondra kennen. Die beiden heirateten drei Jahre später in Bad Saarow, wo Schmeling 1933 das Sommerhaus des expressionistischen Malers Bruno Krauskopf erworben hatte, der vor den Nazis ins Exil geflohen war. 1935 standen Anny Ondra und Max Schmeling in dem Boxerfilm Knock-out – ein junges Mädchen, ein junger Mann gemeinsam vor der Kamera.

1935 forderten die Nationalsozialisten Schmeling auf, sich von seiner tschechischen Frau zu trennen und sich von seinen jüdischen Freunden und seinem Manager zu distanzieren. Schmeling weigerte sich. Trotzdem wurde er mit seinen Siegen beim Boxen von der NS-Propaganda als, ich zitiere, „Beweis für die Überlegenheit der arischen Rasse“ missbraucht.

1991 wurde die Max-Schmeling-Stiftung gegründet und ihm zu Ehren wurde 1996 in seinem Beisein die Max-Schmeling-Halle nach ihm benannt.

Wir gehen nun in den Park und benutzen dazu den Eingang links vor dem Pavillon an der Ecke. Wir treffen uns wieder im Park vor dem Pavillon.

Station 6: Brixplatz / Ecke Reichsstraße / Pavillon

Der Platz entstand bei der Anlage des nördlich von Neu-Westend geplanten Wohnviertels und wurde bereits 1909 als 2,1 ha große Grünfläche ausgewiesen. 1913 entwickelte der Charlottenburger Gartenbaudirektor Erwin Barth die Pläne für den Platz, die aber erst von 1919 bis 1921 ausgeführt wurden.

Barth beschrieb sein Entwurfsprogramm so:

Sie, die Bevölkerung, will im Häusermeer Grünflächen haben, in welchen sie die reiche Blumen- und Pflanzenwelt in Muße betrachten kann, in welchen die Erwachsenen sich erholen, die Kinder spielen können. Dementsprechend werden für die Kinder Spielplätze, für die Erwachsenen zahlreiche Ruheplätze geschaffen, die mit schönblühenden Sträuchern, mit schattenspendenden Bäumen und vor allem mit wirkungsvollem, abwechslungsreichem Blumenschmuck versehen sind. Man versuchte, die vorgenannten Einrichtungen zu einem künstlerisch-schönen Ganzen mit guter Raum- und Flächenwirkung zusammenzufassen.

Barth integrierte die vorhandene Kiesgrube mit einigen Waldkiefern in seinen Entwurf. Sein Ziel war die Nachbildung der märkischen Landschaft. Er ließ Teiche und Sümpfe anlegen und die künstlichen Kalksteinfelsen errichten, die die Rüdersdorfer Felsen abbilden sollten. Es gab auch einen Wasserfall, der den Teich unten mit Wasser versorgte und der heute ausgetrocknet ist. Die Höhenunterschiede auf dem Brixplatz betragen bis zu 14 Metern. Es wurden sogar Pflanzen und Tiere aus der Umgebung von Berlin angesiedelt. Wie das Grünflächenamt sagt:

[…] führt [der Park] anschaulich die natürlichen Vegetationsbilder und geologischen Formationen der Mark Brandenburg vor Augen, die schon damals zu schwinden und den Städtern fremd zu werden begannen. […] Das Platzinnere sollte nach Barths Plan nicht betreten werden, damit die mühsam von überall her zusammengetragenen Pflanzen und auch Tiere ungestört bleiben.

1950 wurde die Parkanlage wieder hergestellt. Joachim Kaiser gestaltete den Platz 1960/61 um. Er machte die Pflegewege der Öffentlichkeit zugänglich, wodurch die Sicherheit der Biotope nicht mehr gewährleistet war. Zudem nahmen die Wasservögel durch unerwünschtes Füttern stark zu.

An dem Pavillon befindet sich auch eine Gedenktafel für Erwin Barth:

Auf ihr steht:

ERWIN BARTH
1880 -1933

GARTENDIREKTOR VON
CHARLOTTENBURG 1912 – 1926
GROSS-BERLIN 1926 – 1929
GUSTAV ADOLF (MIERENDORFF) PLATZ
KAROLINGERPLATZ LIETZENSEEPARK
SACHSEN (BRIX) PLATZ
VOLKSPARK JUNGFERNHEIDE

CHARLOTTENBURG 1980

Wir gehen weiter den oberen Weg entlang bis zur Ecke hinter dem Schulgarten.

Station 7: Schulgarten

Station 7.1: Schulgarten

Hier in der nordöstlichen Ecke des Parks hatte Barth einen Schulgarten anlegen lassen. Der Schulgarten ist wie in der systematischen Abteilung eines Botanischen Gartens nach dem botanischen Verwandtschaftssystem geordnet. 2003 wurde die “Parkinitiative Brixplatz” gegründet. Sie kümmert sich heute um den Lehrgarten mit seinen 340 Arten von Wild- und Nutzpflanzen der Mark Brandenburg.

Wie Sie sicher schon bemerkt haben, ist der Brixplatz nicht von allen Seiten und überall zugänglich. Dies liegt daran, dass der Bezirk seit mehreren Jahren dabei ist, ihn zu reparieren. Das dauert deshalb so lange, weil die Parkanlage sehr kleinteilig ist und man nicht einfach mit großem Baugerät arbeiten kann. 2003 wurden die Kalkfelsen erneuert. Der Wasserfall ist deshalb nicht in Betrieb, weil es noch nicht gelungen ist, das untere Becken abzudichten. Daran wird aber weiter gearbeitet. Letztes Jahr konnte die Pergola repariert werden. Wir werden sie gleich von außen sehen. Im Moment werden mit Investitionsmittel des Bezirkes die Hauptwege auf der westlichen und südlichen Seite erneuert. Die Aussichtsplattform im Süden wird dieses Jahr auch noch fertig werden. Für 2019 ist ein barrierefreier Zugang an der Stelle, wo wir in den Park gekommen sind, geplant. Vielleicht finden Sie ja, dass der Park im Moment etwas wild aussieht. Dies liegt daran, dass der Schwerpunkt in den letzten Wochen natürlich auf dem Wässern lag. In den nächsten Wochen werden wir dann, die Sträucher schneiden und das Unkraut entfernen. Der Brixplatz ist ein ganz besonderes Juwel des Bezirks, und wir werden uns weiterhin bemühen, Mittel zur Restaurierung und Pflege zu akquirieren oder selbst bereitzustellen.

Station 7.2: Brixplatz 2-8

Die Wohnanlage Brixplatz 2-8, Reichsstraße 71 und Westendallee 71, außerhalb des Brixplatzes, wurde 1927 von Conrad Heidenreich und Paul Michel entworfen und 1928 fertiggestellt. Die Anlage steht unter Denkmalschutz.

Wir verlassen nun den Park, gehen links an ihm entlang und treffen uns an der nächsten Ecke wieder.

Station 8: Westendallee 71

In der Westendallee 71, dem Eckhaus zum Brixplatz, lebte die österreichische Schauspielerin Hilde Körber. Sie wurde 1906 in Wien geboren und starb 1969 in Berlin. 1924 kam sie nach Berlin und spielte zuerst im Renaissance-Theater und später im Schiller- und im Staatstheater. Ab den 30er-Jahren kamen auch Filmrollen hinzu. Nach dem Krieg gründete und leitete Körber bis zu ihrem Tod die Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel, die 1964 in die damalige Hochschule für Musik und Darstellende Kunst integriert wurde.

Wir überqueren nun die Straße und treffen uns vor dem Haus Nummer 6 wieder.

Station 9: Brixplatz 6 / Stolperstein für Martin Hahn

Ein paar Häuser weiter, in der Hausnummer 6, wurde am 11.12.2007 ein Stolperstein für Martin Hahn verlegt. Darauf steht:

HIER WOHNTE
MARTIN HAHN
JG. 1892
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
24.10.1941

Der Kaufmann Martin Hahn wurde 1892 in Breslau geboren. 1928 zog er dann in das gerade fertig gestellt Haus hier an den damaligen Sachsenplatz ein. Als er erfuhr, dass er deportiert werden sollte, nahm er sich am 24. Oktober 1941 das Leben.

Wir gehen nun ein paar Schritte weiter bis zur Hausnummer 2.

Station 10: Brixplatz 2

Station10.1: Brixplatz 2 / Gedenktafel für Paul Hindemith

Die Marmortafel am Haus Brixplatz 2 für den Komponisten, Dirigenten und Bratschisten Paul Hindemith wurde am 28.12.1968 enthüllt. Darauf steht:

in diesem hause
wohnte
paul hindemith
1928-1938

Hindemith wurde am 16.11.1895 in Hanau geboren. 1927 wurde Hindemith Professor für Komposition an der Berliner Hochschule für Musik. In seiner frühen Schaffensperiode schockierte er das klassische Konzertpublikum mit provozierend neuartigen Klängen z.B. schroffen Rhythmen und grellen Dissonanzen. Er bezog Elemente anderer Musikrichtungen, wie beispielsweise Jazz, in seine Musik ein. Für das neue Medium Rundfunk schuf er zahlreiche Auftragswerke und arbeitete zusammen mit Bertolt Brecht und Kurt Weill 1929 an dem musikalischen Hörbild Der Flug der Lindberghs. Zudem unterrichtete er ab 1929 an der zwei Jahre zuvor gegründeten Musikschule Neukölln. Zum Zeichen seiner Solidarität mit den Verfolgten des Regimes spielte Hindemith an Heiligabend 1933 im Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit, wo zu jener Zeit unter anderem sein Schwager Hans Flesch einsaß, auf der Bratsche Stücke von Bach. 1934 wurde er wegen seiner Oper Neues vom Tage von Goebbels persönlich angegriffen und 1938 sein Werk als “entartet” dargestellt. Daraufhin emigrierte Hindemith aus Deutschland und lehrte zunächst in Ankara, dann in Boston, New York und Zürich. Ab 1957 lebte er in Zürich. Er stellte der Zwölftontechnik ein System der freien Tonarbeit jenseits von Dur und Moll entgegen. Mehrere seiner Werke wurden erfolgreich bei den Donaueschinger Musikfestspielen uraufgeführt. Die Musikfestspiele wurden 1921 zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst gegründet und sind das älteste und traditionsreichste Festival für Neue Musik weltweit. Hindemith leitete diese mit Heinrich Burkard und Joseph Haas von 1923 bis 1930. Hindemith schrieb sinfonische, chorische und kammermusikalische Werke. Seine bekanntesten Schöpfungen sind die Oper Mathis der Maler und Das Marienleben nach Rilke. Hindemith starb am 28.12.1963 in Frankfurt am Main an einer Bauchspeichelentzündung.

Station 10.2: Reichsstraße / Herkunft des Namens

Wir stehen hier an der Ecke zur Reichsstraße. Ihren Namen trägt sie seit dem 8. Dezember 1906 und war vorher die Straße 7a des Bebauungsplans Westend. Die Bezeichnung nimmt Bezug auf das Deutsche Kaiserreich, das am 18. Januar 1871 als konstitutioneller monarchischer Bundesstaat gegründet wurde. Wir erinnern uns, viele der Straßen, durch die wir heute gehen, heißen nach den Bundesstaaten des Kaiserreiches.

Wir gehen nun in der Reichsstraße ein Stück am Brixplatz entlang und biegen dann links in die Meiningenallee.

Station 11: Meiningenallee 3 / 5 / 7

Station 11.1: Meiningenallee / Herkunft des Namens

Ein weiterer Bundesstaat war das Herzogtum Sachsen-Meiningen, nach dem die Meiningenallee am 13.4.1909 benannt wurde. Heute liegt Meiningen im südlichen Thüringen.

Station 11.2: Meiningenallee 5 / Theo Lingen

Der Schauspieler Theo Lingen wohnte in seiner Berliner Zeit in der Meiningenallee 5. Seine Karriere begann in seiner Heimatstadt Hannover. Eigentlich hieß Theo Lingen Franz Theodor Schmitz, er nutzte den Geburtsort seines Vaters jedoch bald als Künstlername. Lingen wurde 1903 in Hannover geboren und starb 1978 in Wien, wo er seit 1944 mit seiner Familie wohnte. Lingen war mit der ersten Frau von Bert Brecht, Marianne Zoff, verheiratet. In der Familie lebte, abgesehen von der gemeinsamen Tochter Ursula Lingen, die Tochter von Marianne Zoff mit Bert Brecht, Hanne Hiob. Beide Töchter wurden Schauspielerinnen. Theo Lingen spielte 1929 in Frankfurt am Main den Herrn Macheath in der zweiten Inszenierung von Brechts Die Dreigroschenoper. Daraufhin bekam er ein Engagement in Berlin und übernahm diese Rolle in der noch immer mit großem Erfolg laufenden Ur-Inszenierung. Er spielte auch in Fritz Langs Das Testament des Dr.Mabuse mit. Dem breiten Publikum ist Theo Lingen jedoch vor allem als Filmkomiker bekannt. Lingen wirkte ihn über 200 Filmen mit.

Station 11.3: Meiningenallee 7 / Stolperstein für Auguste und Friedrich Weißler

Der Stolperstein für Auguste Weißler wurde auf Initiative von Anna-Maria Hesse von der Hausgemeinschaft der Meiningenallee 7 gespendet und am 5.3.2013 verlegt. Die Stolpersteine für Friedrich Weißler und Rosalie Sonja Saya Okun wurden am 15.10.2013 verlegt.

HIER WOHNTE
ROSALIE SONJA SAYA
OKUN
JG.1899
FLUCHT 1936 SCHWEIZ
DEPORTIERT 26.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 28.10.1944
AUSCHWITZ

Rosalie Okun kam im russischen Minsk zur Welt. Als es dort zu Judenpogromen kam, floh sie mit ihrer Familie nach Moskau, dann nach Hamburg. Rosalie Okun begann Anfang der 20er-Jahre eine Beziehung zu dem Regisseur und Theaterdirektor Erich Engel und zog zu ihm nach Berlin. Dessen Frau lebte mit den beiden Kindern in München. 1936 floh sie in die Schweiz. Trotz der Warnungen ihrer Freunde und Kollegen kehrte sie 1938 nach Berlin zurück. Sie wollte weiterhin für die Jugend-Alija arbeiten, eine Unterorganisation der Jewish Agency, die versuchte, jüdische Jugendliche nach Palästina zu bringen. Sie war nach ihrer Rückkehr auf die Hilfe ihrer Freunde und Freundinnen angewiesen. Hilde Roters war eine von ihnen und nahm sie immer wieder als Untermieterin in ihrer Wohnung hier in der Meiningenallee 7 auf, bis sie 1940 selbst aus Deutschland floh. Im Januar 1944 wurde Okun nach Theresienstadt deportiert und im Oktober in Auschwitz ermordet.

Hier nun der Text der beiden weiteren Stolpersteine:

HIER WOHNTE
AUGUSTE WEISSLER
GEB. HEYN
JG. 1860
DEPORTIERT 16.6.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 20.11.1943

HIER WOHNTE
FRIEDRICH WEISSLER
JG.1891
VERHAFTET 13.2.1937
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 19.2.1937

Auguste Heyn heiratete 1883 Adolf Weißler und hatte mit ihm drei Söhne: Otto, Ernst und Friedrich. Gegen den Willen seiner jüdischen Frau ließ Adolf seine Kinder taufen. Die Familie lebte in Halle. Aufgrund der von ihm als Schmach empfundenen Versailler Verträge nahm sich Adolf Weißler das Leben, was für die Familie eine Katastrophe darstellte. Nach dem Abitur studierte Friedrich Weißler Rechtswissenschaften. 1932 zog die Familie nach Magdeburg, wo Friedrich Weißler inzwischen Landesgerichtsdirektor war. 1933 wurde Friedrich wegen seiner jüdischen Herkunft vom Staatsdienst ausgeschlossen. Er bekam eine Stelle als juristischer Mitarbeiter bei der Bekennenden Kirche in Berlin, woraufhin er 1934 mit seiner Mutter, seiner Frau und seinen Kindern in die Meiningenallee 7 zogen. Später wurde er Leiter der Kanzlei der Bekennenden Kirche. Er arbeitete mit Karl Barth und Martin Niemöller an einer an Adolf Hitler gerichteten Denkschrift der Bekennenden Kirche. Darin wurden die nationalsozialistische Rassenideologie und der Terror gegen Andersdenkende kritisiert, insbesondere der Antisemitismus, die Unterdrückung der Kirchen und die Konzentrationslager. Die Schrift wurde im Juni 1936 in der Präsidialkanzlei übergeben. Durch eine Veröffentlichung u.a. in den Basler Nachrichten am 23. Juli 1936 wurde der Text international bekannt. Weißler wurde verdächtigt, die Information an das Ausland gegeben zu haben. Daraufhin wurde er von der Gestapo verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhaus zu Tode gefoltert.

Seine Mutter Auguste Weißler verließ nach dem „Erlass zum Tragen des Judensterns” 1941 die Wohnung nicht mehr. Zu Beginn des Luftkrieges verboten die Nazis den Juden generell das Betreten der Luftschutzkeller; ein Verbot, das der Luftschutzwart der Meiningenallee 7 im Einverständnis mit den anderen Mietern mutig ignorierte. Die 83jährige Auguste Weißler wurde 1943 von der Gestapo abgeholt. Akribisch stellte ein Gerichtsvollzieher ihre Vermögensverhältnisse fest. Sie musste schriftlich die “freiwillige” Überweisung ihres Barvermögens auf ein “Effektensonderdepot” bestätigen. Von diesem Betrag wurden noch 200 RM für “Pflege- und Transportkosten nach Theresienstadt” abgezogen. Völlig geschwächt starb sie im November 1943 in Theresienstadt.

Wir gehen nun auf die andere Straßenseite und treffen uns vor der Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule wieder.

Station 12: Meiningenallee / Ecke Spandauer Damm / Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule

Wir stehen hier vor der Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule. Hervorgegangen ist die Schule aus der 1949 gegründeten Volksschule in der Kastanienallee 13, die 1951/52 dann zur 21. Grundschule mit sechs Grundschulklassen wurde. Die Volksschule begann mit 659 Schülern in 17 Klassen. Wie viele Schulen in Berlin fing sie mit Schichtunterricht an, da nicht genügend Schulräume zur Verfügung standen und sich oft zwei Schulen ein Gebäude teilen mussten. Der Unterricht wurde dabei im wöchentlichen Wechsel entweder auf den Vormittag oder Nachmittag gelegt; in den Wintermonaten wurde der Nachmittagsunterricht gekürzt, damit die Kinder noch vor Einbruch der Dunkelheit ihren Heimweg beenden konnten.

1955 wurde vom Hochbauamt Charlottenburg das neue Schulgebäude entworfen und gebaut. Die Einweihung wurde 1957 gefeiert. Die Schule besteht aus einem zweigeschossigen Gebäudetrakt mit einem L-förmigen und einem langgestreckten Teil. Die beiden Teile werden durch eine Pausenhalle verbunden, die nach Süden und Norden offen ist. Zu der Anlage gehören eine Turnhalle, ein Schulhof, ein Sportplatz und eine Kindertagesstätte.

Die Skulptur rechts neben der Eingangstreppe heißt Junger Bär. Sie wurde von Rose-Maria Stiller geschaffen und 1958 aufgestellt. Die Berliner Bildhauerin Rose-Maria Stiller wurde 1920 geboren und starb 1990. Sie war Mitglied in der GEDOK, dem seit 1926 existierenden größten Künstlerinnenverband in Deutschland und Österreich.

Die Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule ist eine offene Ganztagsgrundschule mit 300 Kindern, 22 Lehrern und Lehrerinnen sowie 11 Erziehern und Erzieherinnen. In den ersten drei Jahren werden die Kinder jahrgangsübergreifend unterrichtet. Englisch gibt es ab der 3. Klasse. Offene Ganztagsgrundschule bedeutet, dass die Schüler und Schülerinnen auf Antrag und kostenpflichtig ein warmes Mittagessen erhalten und vor und nach dem Unterricht zwischen 6 Uhr und 18 Uhr betreut werden.

Ihren heutigen Namen nach dem evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer erhielt sie 1977 bei der Zusammenlegung mit der Steuben-Grundschule.

Dietrich Bonhoeffer wurde 1906 in Breslau geboren. 1923 machte er am Walther-Rathenau-Gymnasium sein Abitur, studierte dann evangelische Theologie und habilitierte 1930. Seine erste Gemeinde war die Sankt-Matthäus-Gemeinde am Kulturforum in Tiergarten.

Bereits 1932 sagte er in einer Predigt. Ich zitiere:

Dann müssen wir uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo Märtyrerblut gefordert werden wird. Aber dieses Blut, wenn wir denn wirklich noch den Mut und die Ehre und die Treue haben, es zu vergießen, wird nicht so unschuldig und leuchtend sein wie jenes der ersten Zeugen. Auf unserem Blute läge große eigene Schuld: Die Schuld des unnützen Knechtes, der hinausgeworfen wird in die Finsternis.

Am 1. Februar 1933 hielt Bonhoeffer den Radiovortrag Wandlungen des Führerbegriffes. Er verlangte darin eine Begrenzung totaler Machtfülle des Kanzleramtes durch rechtsstaatliche Ordnung und Volkswohl. Ich zitiere:

Der Führer wird sich dieser klaren Begrenzung seiner Autorität verantwortlich bewußt sein müssen. Versteht er seine Funktion anders, als sie so in der Sache begründet ist […] läßt er sich vom Geführten dazu hinreißen, dessen Idol darstellen zu wollen – und der Geführte wird das immer von ihm erhoffen – dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers, dann handelt er verbrecherisch am Geführten wie an sich selbst. Der echte Führer […] muß die Geführten von der Autorität seiner Person weg zur Anerkennung der echten Autorität der Ordnungen und des Amtes führen … Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes.

Ab April 1933 nahm er öffentlich Stellung gegen die Judenverfolgung. Von 1933 bis 1935 nahm Bonhoeffer eine Auslandspfarrstelle in London an. Am 31. Mai 1934 gründete sich die Bekennende Kirche, in der sich Bonhoeffer von Anfang an engagierte. 1935 kehrte er nach Deutschland zurück und leitete für die Bekennende Kirche die Ausbildung angehender Pastoren in Finkenwalde (heute Teil von Stettin). Die Ausbildungsstätte wurde 1937 von den Nationalsozialisten geschlossen und dann an unterschiedlichen Orten illegal weiter geführt.

In dieser Zeit versuchte Bonhoeffer, die christlichen Kirchen in der Ökumenischen Bewegung zum Einsatz gegen die laufenden Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten zu bewegen. Er schlug einen Lehrstuhl in den USA aus, weil er seine Rolle im Widerstand gegen den kommenden Krieg in Deutschland sah. Ab 1938 schloss er sich dem Widerstand von Wilhelm Canaris an. Admiral Wilhelm Canaris haben wir als Bewohner der Villa Harteneck bei unserem letzten Kiezspaziergang kennengelernt. 1940 erhielt Bonhoeffer Redeverbot und 1941 Schreibverbot. Im April 1943 wurde er verhaftet. In seinen Gefängnisbriefen entwickelte er einflussreiche, wenn auch fragmentarische Gedanken für eine künftige Ausrichtung der Kirche. Am 9. April 1945 wurde er als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet.

Wir gehen nun über den Spandauer Damm in den Ruhwaldpark und treffen uns vor den Arkaden wieder.

Station 13: Spandauer Damm 222 / Ruhwaldpark / Arkadengang

Der Park liegt 30 m über der Spree auf dem Spandauer Berg, der als Grundmoräne einer Hochfläche des Teltow zugerechnet wird. 1867/68 ließ sich der Kommerzienrat von Schaeffer-Voit von dem Architekten Carl Schwatlo eine spätklassizistische Villa mit 30 Zimmern bauen, die Schloss Ruhwald genannt wurde. Schaeffer-Voit war durch seine 1854 gegründete Modezeitschrift Basar reich geworden. Sein Obergärtner Duckstein legte auf dem ummauerten Gelände einen Landschaftspark mit einem Buchenwald sowie mit nordamerikanischen Nadelbäumen an. Auch ein kleiner Teich wurde angelegt. Die Höhenlage über dem Spreetal ermöglichte früher weite Aussichten. Nach einem Nachbarschaftsstreit verkaufte Schaeffer-Voit 1872 sein Anwesen an Johann Hoff, der dort eine Malzfabrik mit Restaurantbetrieb errichtete. Das Restaurationsgebäude mit Arkadengang, das spätere sogenannte Kavaliershaus, wurde von dem Baumeister Prater entworfen. Es wurde 1880 fertig gestellt. Prater entschied sich für einen Entwurf im Stil der italienischen Frührenaissance. Vor den Resten stehen wir gerade.

Bald hatte das Brauhaus keinen Erfolg mehr, und die Berliner spotteten: Nun ruhen alle Wälder, vor allem Ruhwald selber.

1887 übernahm eine Nervenheilanstalt das Schloss und nutzte den Park als Kurpark.

1924 erwarb der Bezirk Charlottenburg das 5,6 ha große Anwesen mit Schloss und Park. 1936 das angrenzende Grundstück des Bierbrauers. Auf der nun zwölf Hektar großen Fläche ließ der Berliner Gartendirektor Josef Pertl auf Drängen der Nationalsozialisten das Schloss Ruhwald sowie die Villa Bechmann in den Jahren 1936 bis 1942 mit Hilfe von polnischen und jüdischen Zwangsarbeitern abreißen und den Volkspark Ruhwald mit einem Teich an dessen tiefster Stelle anlegen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden im Park die Kriegsschäden repariert, aber das beschädigte Kavalierhaus wurde abgerissen. Erhalten blieben lediglich die Arkaden, vor denen wir gerade stehen, der Stall und die Villa Rheinberg, zu der wir gleich noch kommen werden. Seit 1987 steht der Park unter Denkmalschutz. Seine Lage auf dem Spandauer Berg ist nicht mehr erlebbar, weil alle Aussichten zugewachsen sind.

Wir gehen nun am Spielplatz vorbei und nehmen dann den Weg nach links und treffen uns wieder vor der Kindertagesstätte Gan Israel.

Station 14: Kindertagesstätte Gan Israel und jüdische Traditionsschule

Im Ruhwaldpark errichtete Leberecht Schmidt 1924 eine Villa für Ida Rheinberg. In dieser befindet sich seit 2005 die Kindertagesstätte Gan Israel und die jüdische Traditionsschule der jüdisch-orthodoxen Vereinigung Chabad Lubawitsch. Letztere besteht aus einer Grundschule und einem Gymnasium. Dieses Jahr machte zum ersten Mal in Deutschland eine Klasse mit Leistungskurs Hebräisch das Abitur. Wichtig ist für Chabad Lubawitsch die Weltoffenheit. Es geht um Integration ohne Assimilation. Die Kita und die Schule werden von 150 Kindern und Jugendlichen besucht, sie sind für Kinder aller Konfessionen offen. Das Verhältnis zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Kindern beträgt 80% zu 20%.

Hier endet nun unser Kiezspaziergang. Ich erinnere Sie noch einmal an unseren Jubiläumsspaziergang, der am Samstag, den 11. August, um 14 Uhr stattfinden wird, Treffpunkt ist am Eingang des City Cubes am Messedamm 26. Dorthin kommen Sie am besten mit der S 5. Ich wünsche Ihnen einen schönen Samstagnachmittag und Sonntag. Kommen Sie gut nach Hause. Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal!

Quellen: