Stolpersteine Steifensandstr. 6

Hauseingang Steifensandstr. 6

Alle 5 Stolpersteine wurden am 25.2.2020 verlegt.

  • Goldstein Irma Martin Gerhard engl_

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Stolperstein Martin Goldstein

HIER WOHNTE
MARTIN GOLDSTEIN
JG. 1896
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Martin Goldstein wurde 16. April 1896 in Berlin geboren, der Sohn des Kaufmanns Max Goldstein und Martha Goldstein geb. Rieker, die in der Birkenstraße 46 wohnten.

Irma Moses kam am 16. Februar 1899 in Berlin zur Welt, als Tochter des Geschäftsreisenden Jacob und Helene Moses geb. Bieber aus der Straßburger Straße 10.

Martin, auch Kaufmann vom Beruf, und Irma heirateten 1919 in Schöneberg – er wohnte in der Yorckstraße, sie in der Fritz-Reuter-Straße.

In Schöneberg wurde am 16. Oktober 1920 ihr Sohn Gerhard geboren und 1927 in der Volksschule Offenbacher Straße, Friedenau (heute Ruppin-Grundschule) eingeschult. Anfang der 1930er Jahre ging er noch in die 1. Volksschule Charlottenburg in der Sybelstraße, doch am 8. Januar 1934 wurde er von der Schule genommen, vermutlich wegen der zunehmenden Drangsalierungen und Anfeindungen, obwohl das offizielle Verbot gemeinsamer Beschulung von jüdischen und „arischen“ Kindern erst 1938 erlassen wurde. Am 31. Mai 1934, also mit 13, kam Gerhard in eine neue Schule, die anscheinend außerhalb von Charlottenburg war.

Die Goldsteins wohnten ab 1934 in der Steifensandstraße. In der 1934-Ausgabe des Berliner Adressbuchs wird Martin als „Vertreter“ aufgeführt. Danach wohnte die Familie weiter bis inklusive 1941 hier, und zwar im Vorderhaus, Erdgeschoss rechts. Ab 1941 steht Martin Goldstein im Berliner Adressbuch nicht mehr als „Goldstein, M. Kfm.“, sondern als „Goldstein, M. Israel, Kfm.“, weil als eine weitere antijüdische Maßnahme alle männlichen Juden den Namen „Israel“ als Zusatz tragen mussten. Ab 1942 ist die Familie in der Steifensandstraße 6 im Adressbuch nicht mehr zu finden, wohl weil sie die Wohnung verlassen mussten. Denn am 30. April 1939 wurde als eines der vielen Hunderten von antijüdischen Gesetzen das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ erlassen, welches darauf zielte, Juden nur bei anderen Juden wohnen zu lassen, also keine sogenannten „gemischten Hausgemeinschaften“ zu dulden. Deshalb zogen die Goldsteins in die Fritz-Reuter-Straße 7 (Schöneberg), wo sie zur Untermiete bei Familie Moses wohnten, vermutlich Verwandten von Irma.

Von dort aus wurden am 1. März 1943 alle drei, zusammen mit 1733 anderen Menschen, im Rahmen der sogenannten Fabrikaktion nach Auschwitz deportiert, mit dem „Osttransport 31“. Martin und Irma waren laut Transportliste als Gefangene Nr. 714 und 715 in diese Transportzüge eingepfercht. Sie wurden unter elenden und unwürdigsten Bedingungen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Recherche und Text: Kate Sturge, Quellen: Adressbücher, ancestry.com, Arolsen Archives

Stolperstein Irma Goldstein

HIER WOHNTE
IRMA GOLDSTEIN
GEB. MOSES
JG. 1899
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Gerhard Goldstein

HIER WOHNTE
GERHARD GOLDSTEIN
JG. 1920
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

  • Pniower Bianca u. Anni engl_

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Stolperstein Bianca Pniower

HIER WOHNTE
BIANCA PNIOWER
GEB. BERADT
JG. 1865
DEPORTIERT 11.6.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Bianca (auch Bianka) Pniower wurde am 27. Dezember 1865 als Tochter des Kleiderhändlers Robert Beradt und seiner Frau Rosa (geb. Fessel) geboren. 1882 heiratete sie den Stettiner Kaufmann Albert Pniower (geb. 1851 in Modrzejów, Schlesien). 1884 trat Albert der Kaufmännischen Korporation in Stettin bei.

In Stettin bekamen Bianca Pniower und ihr Mann Albert fünf Kinder. Das erste, Severin, starb schon als Kleinkind (1884–1885). Sohn Herbert wurde am 30. März 1885 geboren, Tochter Lucie am 2. Mai 1886, ihre Schwester Anni am 1. Dezember 1887, und das jüngste Kind, Fritz, am 16. Juli 1890.

Die Familie scheint 1904 nach Berlin gezogen zu sein; eventuell lebte Albert damals schon nicht mehr. Spätestens ab 1927, vermutlich schon früher, wohnten sie in der Kleiststraße 24 in Charlottenburg. Irgendwann Mitte der 1930er Jahre zogen sie in die Hektorstraße nach Halensee.

Herbert heiratete 1919 die katholische Gastwirtin Pelagia Gralak und das Paar wohnte in der Kleiststraße. Er starb am 25. März 1946 in Wilmersdorf; Pelagia war schon am 22. Oktober 1945 gestorben. Die beiden hatten keine Kinder. Mehr zu Herberts Überleben war bisher noch nicht herauszufinden, aber wir können davon ausgehen, dass seine Ehe mit einer Nichtjüdin ihn gerettet hat.

Lucie war Schauspielerin und heiratete einen nichtjüdischen Schauspieler, Axel Kubitzky (geb. 22. Juni 1892 in Görlitz). Die beiden haben sich vermutlich 1931 als Kollegen am I. Schauspielhaus Glogau kennengelernt. Um in der Reichstheaterkammer zu bleiben und somit seinen Beruf ausüben zu dürfen, sollte sich Axel von seiner jüdischen Frau scheiden lassen. Er weigerte sich und verlor damit seine Berechtigung zum Spielen. Die Eheleute flüchteten über Wien und kamen vermutlich 1938 in der Schweiz an. 1942 wurde sie von den Nazis aus Deutschland ausgebürgert. In der Schweiz erhielten Lucie und Axel das Dauerasyl und lebten weiterhin in Zürich. Nachdem 1952/53 das Gesetz zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht verabschiedet wurde, beantragte auch Lucie eine Entschädigung für den Freiheitsentzug und Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester. Verarmt und krank kämpfte Lucie über neun Jahre hinweg für diese Entschädigung von der Bundesrepublik. Lucie starb in den frühen 1960er Jahren, kurz nachdem ihr Entschädigungsantrag abschließend bewilligt wurde.

Biancas Sohn Fritz taucht 1930 im Berliner Adressbuch als Kaufmann auf, wohnhaft Rudolstädter Straße 122. Im Adressbuch von 1936 wohnte er in der Hektorstraße 15 und in dem von 1938 in der Lothringer Straße. Fritz emigrierte 1939 mit dem Schiff Pennland zusammen mit seiner Ehefrau Henriette (Hertha) Pniower, geb. Rosenthal (geboren am 23. März 1891) nach New Jersey. Dort nahmen die beiden die amerikanische Staatsangehörigkeit an, und 1947 wurde Fritz Pniower zu Fred Power. 1942 scheint Fritz in die US Army eingetreten zu sein. Er starb 1953 in Union City, New Jersey; Hertha starb 1967. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.

Stolperstein Anni Pniower

HIER WOHNTE
ANNI PNIOWER
JG. 1887
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Anni Pniower, Biancas viertes Kind, wurde Sekretärin. Sie war Buchhalterin bei Lehmann & Kronheim in Berlin Mitte, Hoher Steinweg, mit einem Gehalt von 288 RM im Monat, bis sie zum 1. Januar 1939 als Jüdin entlassen wurde und Zwangsarbeit leisten musste.

Im April 1938 erfuhr Bianca, dass sie und ihre Tochter Anni die 2-Zimmer-Wohnung in Halensee, Hektorstr. 15 (Gartenhaus Parterre) zu räumen hätten, damit dort eine NS-Parteigenossin einziehen könne. Die gesamte Einrichtung, zusammen mit Kleidung und Schmuck, mussten sie dort lassen und durften nur einen Sessel mir Plüschbezug, einen kleinen Spieltisch und eine Nähmaschine mitnehmen. Bianca und Anni zogen dann in die Steifensandstraße 6 in Charlottenburg, wo sie zur Untermiete bei Goldsteins wohnten. Wir wissen nicht, ob die Frauen Freundinnen oder Bekannte der Goldsteins waren – es ist möglich, aber es gab rechtliche Zwänge, was die Aufnahme von Untermietern anging, und nicht jedes Untermietverhältnis war freiwillig.

Als Familie Goldstein im Laufe von 1942 aus dem Haus in der Steifensandstraße auszog, mussten vermutlich dann die beiden Frauen auch ausziehen. Bianca bekam ein Zimmer im Hause Weinmeisterstraße 3 bei Lautermanns (die einige Monate später nach Riga in den Tod geschickt wurden). Ihre Tochter Lucie schickte Lebensmittel aus der Schweiz, die Schwager Fredy Kubitzky „bis zuletzt“ in die Weinmeisterstraße brachte. Von dort wurde Bianca am 11. Juni 1942, im Alter von 77 Jahren, mit dem „IV. Alterstransport“ zusammen mit 49 anderen alten Menschen nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie am 19. September 1942 „in den Osten“ deportiert, also nach Treblinka, wo sie ermordet wurde.

Anni wurde ein Zimmer in Mitte, im Hause Dragoner Straße 10 (IV rechts), zugeteilt — in der heutigen Max-Beer-Straße, wo sich bis in die 1930er Jahre das Jüdische Volksheim
befunden hatte. Von dort aus wurde sie am 12. Januar 1943 mit dem 26. Osttransport, zusammen mit 1189 anderen Menschen, deportiert und in Auschwitz ermordet.

Das Todesdatum der beiden Frauen wurde in den 50er Jahren vom Amtsgericht in Berlin zuerst als den 8. Mai 1945, dann als 31. Dezember 1945 festgelegt. Offensichtlich fand man erst später und allmählich, wenn überhaupt, die eigentlichen Todesdaten heraus.

Recherche und Text: Kate Sturge, Quellen: Adressbücher, ancestry.com, Arolsen Archives, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO)
https://www.jmberlin.de/berlin-transit/orte/en/juedischesvolksheim.php