Stolpersteine Windscheidstraße 9

Hausansicht Windscheidstr. 9

Die Stolpersteine für Elsbeth und Betty Rubensohn wurden von der Ur-Ur-Großnichte, Christiane Rubens initiiert, von der Familie gespendet und am 7. April 2012 verlegt. Durch Pflasterarbeiten gingen sie 2019 verloren. Die Hausverwaltung AKELIUS spendete neue Stolpersteine für die beiden Damen, die der Künstler Gunter Demnig am 25. Februar 2020 im Beisein von Familienangehörigen neu verlegte.

Die Stolpersteine für Arthur und Anna Heidemann und Henreitte Minna wurden von Arthur Heidemanns Enkelinnen Maya Mosler (Berlin), Yael Shulamit Yadon (Australien), Avital Siv und Gilli Yadon (Israel) gespendet und am 15.10.2013 verlegt.

In der Lietzenburger Straße 41-42, wo früher die Betriebsleitung einer Eisenbahn-Baugesellschaft ansässig war, befand sich ein jüdisches Altersheim. Dort lebten mindestens 47 überwiegend sehr alte, teils hoch betagte Menschen, die alle (bis auf eine, die den Freitod wählte) deportiert worden sind. Die älteste Bewohnerin, Henriette Hammer, war bei ihrem Abtransport nach Theresienstadt über 90 Jahre alt. Die meisten waren verwitwet und alleinstehend, manche auch Ehepaare. Einige kamen in anderen Altenheimen unter oder wurden in Krankenhäuser eingeliefert, auch sie wurden deportiert und ums Leben gebracht. Zwei von ihnen waren vermutlich Schwestern:

Stolperstein für Elsbeth Rubensohn

HIER WOHNTE
ELSBETH
RUBENSOHN
JG. 1877
DEPORTIERT 1. 3. 1943
ERMORDET IN
AUSSCHWITZ

Elsbeth Rubensohn wurde am 13. August 1877 in Osterode in der damaligen preußischen Provinz Ostpreußen (heute Ostróda, Województwo warmińsko- mazurski) geboren. Sie blieb unverheiratet und lebte zusammen mit ihrer Schwester in der Windscheidstraße 9. Dies war ihr letzter freiwilliger Wohnsitz.

Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 war sie – wie ihre Schwester Betty – in dem oben erwähnten jüdischen Altersheim in der Lietzenburger Straße 41-42 gemeldet, obwohl sie erst 52 Jahre alt war. Die letzte bekannte Anschrift der Schwestern war Cuxhavener Straße 5 bei Heimbach, wohin sie wahrscheinlich zwangsweise umziehen mussten, bevor sie deportiert wurden.

Elsbeth Rubensohn musste sich in der von den Nazis zu einem „Sammellager“ erklärten Reithalle einer ehemaligen Ulanenkaserne in Moabit an der Rathenower Straße melden, wo sie ihre Vermögenserklärung auszufüllen hatte. Von dort aus wurde sie am 1. März 1943 mit dem sogenannten „31. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert.

1646 weitere jüdische BerlinerInnen waren in diesem ersten Transport nach der sogenannten „Fabrikaktion“ am 27.Februar 1943, als alle noch in Berlin verbliebenen
zur Zwangsarbeit insbesondere in kriegswichtigen Industriebetrieben verpflichteten Jüdinnen und Juden an ihren Arbeitsplätzen verhaftet wurden.

Elsbeth Rubensohn, von der wir nicht wissen, ob auch sie Zwangsarbeit leisten musste, wurde vermutlich unmittelbar nach Ankunft des Transportes im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Betty Rubensohn wurde am 29. Mai 1880 in Grätz (heute Grodzisk) in der damaligen preußischen Provinz Posen (heute Woiwodschaft Poznan) geboren. Im Jüdischen Adressbuch von 1931 war sie in der Windscheidstraße 9 verzeichnet. Dies war ihr letzter freiwilliger Wohnsitz.

Wie auch ihre Schwester Elsbeth Rubensohn war sie 1939 im oben erwähnten jüdischen Altersheim in der Lietzenburger Straße 41-42 gemeldet und wurde mit ihr zusammen zwangsweise in die Cuxhavener Straße 5 als Untermieterin bei Heimbach „umgesiedelt“.

Betty Rubensohn wurde am 3. März 1943 – also zwei Tage später als Ihre Schwester Elsbeth – mit dem sogenannten „33. Osttransport“ (dem dritten nach der sogenannten „Fabrikaktion“) mit weiteren 1749 Berliner Juden und Jüdinnen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Text Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein für Betty Rubensohn

HIER WOHNTE
BETTY
RUBENSOHN
JG. 1880
DEPORTIERT 3.3.1943
ERMORDET IN
AUSSCHWITZ

Betty Rubensohn ist am 29. Mai 1880 in Grätz (Grodzisk) in der Provinz Posen (Poznan) geboren. Im Jüdischen Adressbuch von 1931 war sie in der Windscheidstraße 9 registriert. Wie auch Elsbeth Rubensohn war sie 1939 in der Lietzenburger Straße 41-42 gemeldet und wohnte wahrscheinlich mit ihr zusammen. Als ihre letzte Adresse vor der Deportation nach Auschwitz verzeichnete das Melderegister die Cuxhavener Straße 5.

Deportiert wurde Betty Rubensohn am 3. März 1943 nach Auschwitz, wo sie im Konzentrationslager ermordet worden ist.

Text: Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Stolperstein Arthur Heidemann

HIER WOHNTE
ARTHUR HEIDEMANN
JG. 1891
FLUCHT 1933 HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 10.8.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Anna Heidemann

HIER WOHNTE
ANNA HEIDEMANN
GEB. ABRAHAMS
JG. 1891
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 20.7.1943
SOBIBOR
ERMORDET 23.7.1943

Stolperstein Henriette Minna Heidemann

HIER WOHNTE
HENRIETTE MINNA
HEIDEMANN
JG. 1936
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 20.7.1943
SOBIBOR
ERMORDET 23.7.1943

Arthur Heidemann

Arthur Heidemann ist in Frankfurt/Oder am 26. Juni 1891 als zweites Kind von Siegfried und Minna Heidemann, geb. Bergen, geboren. Der Vater war von Beruf Pferdehändler. Er starb 1931 in Berlin. Die Familie Heidemann stammt aus Schermeisel, einer Ortschaft im östlichen Brandenburg, nahe der damaligen polnischen Grenze. Im Laufe des 19. Jahrhunderts siedelte sie über Drossen und Frankfurt/0der nach Berlin über. Arthur hatte drei Brüder: Hermann, Max und Benno. Wahrscheinlich gab es einen vierten Bruder Simon, dessen Spur nach 1933 verloren ging.

Arthur hat in erster Ehe (1913-24) mit Emma, geb. Bauke, zwei Kinder gezeugt: Selma, geboren 1915, und Hermann (später Zwi), geboren 1917, beide in Berlin. Dort wohnten sie in der Zeit nach dem Tod der Mutter von 1924 bis 1933 in der Windscheidstraße 9 in Charlottenburg.
Bald nach der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 flohen Arthur und Selma nach Amsterdam. Holland galt als sicheres Land für jüdische Migranten, ähnlich wie die Schweiz, da beide Länder im Ersten Weltkrieg neutral geblieben waren. Hermann folgte nach seinem Schulabschluss.

Anna Heidemann-Abrahams und Henriette Minna Heidemannn

Von Beruf war Arthur Heidemann Kaufmann. Er war bei der damals schon weltweit operierenden Firma Wella (Haar-Kosmetik) tätig. Im November 1933 heiratete er Anna Abrahams , eine holländische Jüdin, geboren am 17. Juli 1891, von Beruf Krankenschwester. Die Ehe mit einer Holländerin bedeutete, dass er eine permanente Aufenthaltsberechtigung erhielt. Ab Juni 1934 bekam er die Erlaubnis, mit einem Stand auf dem Nieumarket Kurzwaren und Wella-Produkte zu verkaufen. Am 30. Dezember 1936 wurde sein drittes Kind, Henriette Minna , geboren, benannt nach Arthurs Mutter Minna-Rosalie Bergen. Aus vorhandenen Unterlagen geht hervor, dass Arthur und seine Familie ab Frühjahr 1941 mehrmals umgezogen sind. Die letzte Adresse im November 1941 war in der Geulstraat 24. Es ist zu vermuten, dass dieser häufige Wohnungswechsel mit der sich zuspitzenden Lage der Juden in Holland ein Jahr nach dem Einmarsch deutscher Truppen im Mai 1940 zusammenhängt. Ab Mai 1941 wurde die Ausgrenzung der Juden in Holland schrittweise dem Niveau in Deutschland angepasst.

Anna Heidemannn

Meine Mutter Selma und mein Onkel Hermann (Zwi) haben uns, den Enkeln von Arthur, erzählt, dass sich Arthur mit Anna und Henriette seit 1942 wie zehntausende Juden in Holland versteckt hielten. Vorausgegangen waren die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 mit dem Beschluss zur „Endlösung“ und das von dem Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) Adolf Eichmann im Juni 1942 ausgegebene Ziel, zunächst 100.000 westeuropäische Juden nach Auschwitz zu deportieren, davon 40.000 aus den Niederlanden.
Die erste Massendeportation aus Holland in die Konzentrationslager fand im Juli 1942 statt. Diese Deportation führte zu Panik unter den holländischen Juden, die ahnten, dass es von nun an ums nackte Überleben ging und die einzige Chance zu überleben darin bestand, in die Illegalität abzutauchen.
Arthur, so wurde uns gesagt, habe es im Versteck nicht ausgehalten und trotz Ausgangssperre den Unterschlupf ab und zu verlassen. Dabei sei er in eine Kontrolle geraten. Unmittelbar darauf wurde er am 10. August 1942 aus dem Internierungslager Westerbork nach Auschwitz deportiert und am 30. September 1942 ermordet. Anna Heidemann hatte zwei erwachsene Geschwister, von denen eines ebenfalls dem Holocaust zum Opfer fiel. Sie und ihre siebenjährige Tochter Henriette Heidemann waren am 25 Mai 1943 in das Lager Westerbork eingeliefert und von dort am 20 Juli 1943 nach Sobibor deportiert worden, wo sie am 23. Juli 1943 ermordet worden.

Arthurs Neffe Rudolf Heidemann und dessen Ehefrau Hendrika, geb. de Wilde, sind gemeinsam nach Sobibor deportiert wurden und dort am 21. Mai 1943 ermordet worden. Ein zweiter Neffe, Rudolfs Bruder Günther Heidemann, wurde 1944 in Natzweiler ermordet. Seine Frau Lucia Heidemann geb. Jäger hat Auschwitz überlebt und ist 1948 nach Australien ausgewandert. Rudolfs und Günthers Mutter, Rosalie-Gertrud Heidemann geb. Lewisohn, wurde am 9 Juli 1943, zwei Monate nach ihren Söhnen, in Sobibor ermordet. Die beiden Kinder aus Arthurs erster Ehe, Selma und Hermann (Zwi), sind 1935 bzw. 1937 nach Palä­stina ausgewandert und haben deshalb den Holocaust überlebt.

Arthur Heidemann, links mit Selma und Hermann. In der Mitte seine Neffen Rudolf und Günther, beide ebenfalls Opfer des Holocaust. Rechts ihre Mutter Rosalie-Gertrud Heidemann, im KZ Sobibor umgebracht.

Arthur Heidemann, links mit Selma und Hermann. In der Mitte seine Neffen Rudolf und Günther, beide ebenfalls Opfer des Holocaust. Rechts ihre Mutter Rosalie-Gertrud Heidemann, im KZ Sobibor umgebracht.

Seine Enkel Avital Siv, die in Israel leben, Yael Schulamit Yadon, die heute in Australien lebt, und Maya Mosler, die heute in Deutschland lebt, haben sich 2012 in Berlin getroffen und den Wunsch verspürt, ihrem Großvater und seiner Familie, die nicht nach Palästina auswandern konnten, zum Gedenken Stolpersteine setzen zu lassen.

Text: Maya Mosler