Stolpersteine Leibnizstr. 34

Der Stolperstein von Johanna Hirschmann wurde am 09.06.2009 verlegt.

Stolperstein für Johanna Hirschmann

Stolperstein für Johanna Hirschmann

HIER WOHNTE
JOHANNA
HIRSCHMANN
JG. 1890
DEPORTIERT 14.12.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Das Leben von Johanna Hirschmann (1890–1942) ist „unsichtbar“ geblieben, nur selten findet sich ihr Name in den einschlägigen Quellen.
In einer Zeit, als Mädchen und Frauen selten einen Beruf erlernten und ausübten, waren sie als „öffentliche“ Personen kaum vorhanden – zumal sie meist bei ihrem Mann oder bei Verwandten lebten. Auch Johanna Hirschmann hatte nach den vorliegenden Unterlagen keinen eigenen Haushalt. Sie wird bei ihren Eltern, ihrer Mutter, bei der Schwester, vielleicht dem Bruder gewohnt haben.
Auf die Welt gekommen ist Johanna Hirschmann am 22. Juli 1890 in Tarnowitz/Oberschlesien (heute Tarnowskie Góry/Polen) als ältestes Kind des Kaufmanns Adolf Ascher Hirschmann (1862–1905) und seiner Ehefrau Ernestine, geb. Herzberg (1867–1942). Ihre Eltern hatten 1899 in Alt-Zabrze (seit 1915 Hindenburg), dem Geburtsort ihrer Mutter, geheiratet. Der Vater hatte zur selben Zeit eine eigene Firma gegründet. Am 18. November 1893 wurde ihre Schwester Gertrud geboren und am 27. April 1904 kam ihr Bruder Salo auf die Welt.
Tarnowitz, nördlich von Kattowitz und Beuthen gelegen und die „Wiege des schlesischen Bergbaus“ genannt, gehörte zur Provinz Schlesien des Deutschen Reiches. Ungefähr sieben Prozent der Bevölkerung waren Juden, die jüdische Gemeinde besaß seit 1864 eine eigene Synagoge.
Die Verwandten wohnten meist in der Umgebung. Der 1918 gestorbene Großvater Fedor Hirschmann war Schneidermeister, der Großvater Salomon Herzberg (1840–1903) ein wohlhabender Kaufmann in Zabrze/Hindenburg – dort zeugt die Ruine des repräsentativen Grabmals der Familie von seinem Reichtum. Es gab eine ganze Reihe von Onkeln und Tanten. Johannas Mutter Ernestine war eins von neun Kindern. Ihr Vater hatte vier Geschwister, von denen die Brüder Jakob (*?) und Eugen (*1868) während der Kindheit und Jugend von Johanna (und ihren Geschwistern) in Tarnowitz lebten.
Johanna Hirschmann war noch jung, als Anfang September 1905 ihr Vater starb und ihre Mutter mit drei Kindern – der Sohn noch ein Kleinkind – zurückblieb. Im digitalisierten Adressbuch von Tarnowitz aus dem Jahr 1911 ist zu sehen und zu ahnen, wie die Witwe Ernestine Hirschmann weiterlebte. Sie wohnte mit ihren Schwiegereltern und ihrem Schwager Jakob Hirschmann, dessen Ehefrau 1906 gestorben war und der drei Kinder hatte, in einem Haus. Jakob Hirschmann besaß dort einen Bierverlag. Eugen Hirschmann, der andere Schwager, war einer der wenigen niedergelassen Ärzte in der Bergbaustadt geworden.
Johannas Schwester Gertrud heiratete diesen Onkel am 23. Dezember 1919 in Berlin. Beide, Schwester und Onkel, der nun Schwager geworden war, wohnten zum Zeitpunkt der Hochzeit in der Kantstraße 46 in Charlottenburg. Trauzeugen waren der Onkel Jakob Hirschmann aus Tarnowitz und Salo Adler aus Breslau, der Ehemann ihrer Tante Olga, geb. Hirschmann. 1922 wurde Tarnowitz polnisch. Jakob Hirschmann blieb in seiner Heimat und lebte dort noch Ende der 1920er Jahre. Wo die verwitwete Mutter Ernestine Hirschmann und ihre beiden unverheirateten Kinder in den nächsten Jahren lebten, bleibt unklar.
Schwester Gertrud Hirschmann und ihr Ehemann wohnten weiterhin im 3. Stock des Hauses Kantstraße 46, fast an der Ecke zur Weimarer Straße. Sanitätsrat Dr. Eugen Hirschmann führte bis zu seinem Tod am 16. Januar 1924 dort auch seine Praxis. Dort gibt es noch immer Arztpraxen, und vor dem Haus liegen Stolpersteine für andere, die hier ihre letzte frei gewählte Wohnung hatten. Als Witwe blieb Gertrud Hirschmann noch bis ungefähr 1930 in der gemeinsamen Wohnung.
Im Berliner Adressbuch von 1931 finden sich die Mutter Ernestine Hirschmann und der Bruder Salo Hirschmann in der Pestalozzistraße 92a in Charlottenburg. Es ist anzunehmen, dass spätestens jetzt auch Johanna Hirschmann mit den Verwandten nach Berlin gekommen war oder lebte.
Salo Hirschmann war Drogist geworden, und in dem Haus an der Ecke Leibnizstraße befand sich eine Drogerie. 1933 ist auch Johanna Hirschmanns Schwester Gertrud mit einem Chemisch-Pharmazeutischen Laboratorium notiert. In den folgenden Jahren lebten Ernestine, Salo und die verwitwete Gertrud in diesem Haus. Johanna Hirschmann, die ledige Tochter und Schwester, wurde nicht genannt, hat also keinen eigenen Haushalt gehabt.
Anfang August 1933 hatte der Bruder Salo Hirschmann die 1907 in Thorn geborene Margot Olga Fischer geheiratet, die dort auch gewohnt haben muss. Salo Hirschmann und seine Ehefrau gingen 1938/1939 fort – das gemeinsame Leben (und die gemeinsame Arbeit) der Familie war beendet.
Im Mai 1939 lebten die Schwestern Johanna und Gertrud Hirschmann bereits mit ihrer Mutter Ernestine Hirschmann im Gartenhaus der Leibnizstraße 34. Dort starb die Mutter am 31. August 1942 eines „natürlichen Todes“. Gertrud war Zwangsarbeiterin, Johanna wohl auch.
Am 14. Dezember 1942 wurden die Schwestern nach Auschwitz deportiert. Es war der letzte Transport aus Berlin vor dem Jahreswechsel 1942/1943. Über 800 Menschen wurden nach Auschwitz verschleppt, die meisten wurden sofort ermordet, im Januar 1943 waren auch die als „arbeitsfähig“ selektierten tot.

Der Bruder Salo Yekutiel Hirschmann und seine Ehefrau hatten sich retten können. Sie lebten in Israel, bekamen Kinder und Enkel. Salo Hirschmann starb 1988 in Haifa, seine Ehefrau Olga 1997.

Quellen:
Adressbuch Tarnowitz 1911
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Berliner Tageblatt/Familienanzeigen
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Breslauer Adressbücher
Deutscher Reichsanzeiger 1889
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland 1911
Yad Vashem, Datenbank
https://www.geni.com/people/
https://www. juedische-gemeinden.de
http://www.muzeum-miejskie-zabrze.pl/
https://sztetl.org.pl/
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot25.html

Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Gertrud Hirschmann

Stolperstein für Gertrud Hirschmann

HIER WOHNTE
GERTRUD
HIRSCHMANN
GEB. HIRSCHMANN
JG. 1893
DEPORTIERT 14.12.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Gertrud Hirschmann kam am 18. November 1893 im oberschlesischen Tarnowitz (heute Tarnowskie Góry/Polen) als Tochter des Kaufmanns Adolf Ascher Hirschmann (1862–1905) und seiner Ehefrau Ernestine, geb. Herzberg (1867–1942) auf die Welt. Ihre Eltern hatten 1899 in Alt-Zabrze (seit 1915 Hindenburg), dem Geburtsort ihrer Mutter, geheiratet, und der Vater hatte eine eigene Firma gegründet. Gertruds ältere Schwester Johanna war am 22. Juli 1890 geboren worden und am 27. April 1904 kam ihr Bruder Salo auf die Welt.
Tarnowitz, nördlich von Kattowitz und Beuthen gelegen und die „Wiege des schlesischen Bergbaus“ genannt, gehörte zur Provinz Schlesien des Deutschen Reiches. Ungefähr sieben Prozent der Bevölkerung waren Juden, die jüdische Gemeinde besaß seit 1864 eine eigene Synagoge.
Die Verwandten wohnten meist in der Umgebung. Der 1918 gestorbene Großvater Fedor Hirschmann war Schneidermeister, der Großvater Salomon Herzberg (1840– 1903) ein wohlhabender Kaufmann in Zabrze/Hindenburg – dort zeugt die Ruine des repräsentativen Grabmals der Familie von seinem Reichtum. Es gab eine ganze Reihe von Onkeln und Tanten. Gertruds Mutter Ernestine war eins von neun Kindern. Ihr Vater hatte vier Geschwister, von denen die Brüder Jakob und Eugen (*1868) während der Kindheit und Jugend von Gertrud in Tarnowitz lebten.
Gertrud Hirschmann war noch ein Kind, als Anfang September 1905 ihr Vater starb und ihre Mutter mit drei Kindern zurückblieb. Im digitalisierten Adressbuch von Tarnowitz aus dem Jahr 1911 ist zu sehen (und zu ahnen), wie die Witwe Ernestine Hirschmann weiterlebte: Sie wohnte mit ihren Schwiegereltern und ihrem Schwager Jakob Hirschmann, dessen Ehefrau 1906 gestorben war und der drei Kinder hatte, in einem Haus. Jakob Hirschmann besaß dort einen Bierverlag. Eugen Hirschmann, der andere Schwager, war einer der wenigen niedergelassen Ärzte in der Bergbaustadt geworden.
Diesen Onkel heiratete Gertrud Hirschmann am 23. Dezember 1919 in Berlin: Beide wohnten zum Zeitpunkt der Hochzeit in der Kantstraße 46 in Charlottenburg. Trauzeugen waren ihr Onkel Jakob Hirschmann aus Tarnowitz und Salo Adler aus Breslau, der Ehemann ihrer Tante Olga, geb. Hirschmann. 1922 wurde Tarnowitz polnisch. Jakob Hirschmann blieb in seiner Heimat und lebte dort noch Ende der 1920er-Jahre.

Gertrud Hirschmann und ihr Ehemann wohnten weiterhin im 3. Stock des Hauses Kantstraße 46, fast an der Ecke zur Weimarer Straße. Sanitätsrat Dr. Eugen Hirschmann führte bis zu seinem Tod am 16. Januar 1924 dort auch seine Praxis. Dort gibt es noch immer Arztpraxen, und vor dem Haus liegen Stolpersteine für andere, die hier ihre letzte frei gewählte Wohnung hatten.
Als Witwe blieb Gertrud Hirschmann noch bis ungefähr 1930 in der gemeinsamen Wohnung. Im Berliner Adressbuch von 1931 finden sich ihre Mutter Ernestine Hirschmann und der Bruder Salo in der Pestalozzistraße 92a in Charlottenburg. Salo Hirschmann war Drogist geworden, und in dem Haus an der Ecke Leibnizstraße befand sich eine Drogerie. 1933 ist auch Gertrud Hirschmann mit einem Chemisch-Pharmazeutischen Laboratorium notiert. In den folgenden Jahren lebten Ernestine, Salo und die verwitwete Gertrud in diesem Haus. Johanna Hirschmann, die ledige Tochter und Schwester, wurde nicht genannt, hat also keinen eigenen Haushalt gehabt.
Anfang August 1933 hatte Gertruds Bruder Salo Hirschmann die 1907 in Thorn geborene Margot Olga Fischer geheiratet, die dort auch gewohnt haben muss. Salo Hirschmann und seine Ehefrau gingen 1938/1939 fort – das gemeinsame Leben (und die gemeinsame Arbeit) der Familie war beendet.
Im Mai 1939 lebten die Schwestern Gertrud und Johanna bereits mit ihrer Mutter Ernestine Hirschmann im Gartenhaus der Leibnizstraße 34. Dort starb die Mutter am 31. August 1942 eines „natürlichen Todes“. Gertrud war Zwangsarbeiterin, Johanna wohl auch.
Am 14. Dezember 1942 wurden die Schwestern nach Auschwitz deportiert. Es war der letzte Transport aus Berlin vor dem Jahreswechsel 1942/1943. Über 800 Menschen wurden nach Auschwitz verschleppt, die meisten wurden sofort ermordet, im Januar 1943 waren auch die als „arbeitsfähig“ Selektierten tot.

Der Bruder Salo Yekutiel Hirschmann und seine Ehefrau hatten sich retten können. Sie lebten in Israel, bekamen Kinder und Enkel. Salo Hirschmann starb 1988 in Haifa, seine Ehefrau Olga 1997.

Quellen:
Adressbuch Tarnowitz 1911
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Berliner Tageblatt/Familienanzeigen
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Breslauer Adressbücher
Deutscher Reichsanzeiger 1889
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Reichs-Medizinal-Kalender für Deutschland 1911
Yad Vashem, Datenbank
https://www.geni.com/people/
https://www. juedische-gemeinden.de
http://www.muzeum-miejskie-zabrze.pl/
https://sztetl.org.pl/
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot25.html

Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll