Thema des Monats März 2020

Denkmalschutz im Spannungsfeld zwischen Stadterneuerung und Baubehinderung?

Denkmalschutz – wertvoll für die Geschichte Berlins oder ein Hindernis für neue Gebäude? In den folgenden Beiträgen nehmen die Fraktionen der BVV zu dem Thema Stellung.

SPD-Fraktion

Oft dienen Modernisierungsmaßnahmen weniger dem Gedanken der Stadterneuerung als vielmehr der Gewinnmaximierung der Eigentümer und führen obendrein noch zu einer Verdrängung von Mieter*innen aus unserem Innenstadtbezirk – und das ganz unabhängig davon, ob es sich um Gebäude mit oder ohne Denkmalschutz handelt. In der krassesten Form wird vom Eigentümer sogar der Abriss eines durchaus noch intakten Gebäudes angestrebt, selbst wenn es ein bemerkenswert historisches Zeugnis darstellt, das identitätsstiftend für die Gegenwart ist. Misslich, dass das Landesdenkmalamt noch immer nicht alle Gebäude in Berlin erfasst hat, die denkmalschutzwürdig sind. Und misslich, dass allzu häufig der Denkmalschutz nicht konsequent von den Denkmalbehörden gegen das Ansinnen mancher Investoren verteidigt wird. Das betrifft insbesondere Gebäude, die unter Ensembleschutz stehen. Ein stärkeres Miteinander statt Gegeneinander wäre wirklich wünschenswert! Das denkmalwerte Alte bewahren, behutsam sanieren und energetisch ertüchtigen, gleichzeitig das Neue fördern, bezahlbaren Wohnraum schaffen und mit dem bestmöglichen Energie-Standard versehen, nur das kann eine nachhaltige, richtungweisende Stadtentwicklungspolitik sein.

Christiane Timper

CDU-Fraktion

Denkmalschutz ist wichtig, dafür treten wir ein. Es ist angebracht und richtig, im Einzelfall zu prüfen, ob der Denkmalschutz wirklich im Vordergrund steht oder ob es nur darum geht, eine Modernisierung/Veränderung zu verhindern. Es sind nicht nur denkmalrechtliche Bedenken zu berücksichtigen. Um als BVV eine „qualifizierte“ Kontrolle ausüben zu können, muss die Denkmalschutzbehörde eine Aufstellung erarbeiten aus der hervorgeht, welche Gebäude wirklich denkmalschutzwürdig sind. Es kann nicht sein, dass Mieter bestimmen/vortragen, welches Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen ist. Dies kann zur Verhinderung von Bauvorhaben führen, denn manchmal ist es notwendig, etwas Altes abzureißen, auch wenn es dem Einzelnen nicht gefällt, um etwas Neues zu schaffen. Um es auf einen Nenner zu bringen, wir fordern Transparenz und Erklärung des BA´s, warum wie entschieden/genehmigt wurde, bevor Bescheide versendet werden und die BVV keine Möglichkeit mehr hat, eingreifen zu können. Der Denkmalbeirat ist nicht nur ein Alibi für den Stadtrat, sondern in seiner Zusammensetzung mit den Fachleuten ein kompetenter Entscheidungsträger. Er muss vor einer Entscheidung prüfen, ob ein Gebäude die Kriterien für eine Unterschutzstellung erfüllt oder ein Bauvorhaben verhindert werden soll.

Hans-Joachim Fenske

B‘90/Grünen-Fraktion

Oft ist unsere Geschichte nur noch anhand unserer gebauten Umgebung erlebbar. Wir Grünen treten daher grundsätzlich dafür ein, dass historisch wertvolle Gebäude erhalten bleiben und unter Denkmalschutz gestellt werden. Für die Unterschutzstellung ist allerdings nicht der Bezirk, sondern das Landesdenkmalamt (LDA) zuständig. Bedauerlicherweise erhebt das LDA nicht systematisch und für ganz Berlin, welche Gebäude denkmalwürdig sind und welche nicht, sondern überlässt es überraschenderweise dem Zufall. Daher kommt es in letzter Zeit häufig zu Fällen, in denen Investoren historisch wertvolle Gebäude abreißen oder gravierend verändern möchten, die leider vom LDA nicht unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Dennoch darf Denkmalschutz nicht zum Selbstzweck werden. Gebäude müssen auch in Zukunft nutzbar bleiben und dürfen nicht reine Museen der Vergangenheit darstellen. Daher müssen sie auch an neue Nutzungen angepasst werden können oder an neue Anforderungen an Brandschutz und Klimaschutz. Weshalb darf eine denkmalgeschützte Fassade z.B. nicht begrünt werden? Weltweit gibt es viele Fälle von innovativen Verschmelzungen zwischen Alt und Neu. Die Transformation der ehemaligen Kantgaragen in ein Gewerbe-Haus für Moderne Mobilität ist ein Vorbild in unserem Bezirk.

Jenny Wieland

FDP-Fraktion

In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es aktuell 1.921 Denkmale. Denkmale sind identitätsstiftendes baukulturelles Erbe, welches zu schützen ist. Das Landesdenkmalamt ist die bezirksübergreifende Fachbehörde für Denkmalpflege in Berlin.

Oft hört man, Denkmalschutz verhindere Stadterneuerung. Ist dem so? Im Spannungsfeld zwischen Erneuern und Bewahren hat die Denkmalpflege die oft kleinteilige Aufgabe, denkmalwerte Substanz zu erkennen und zu schützen, aber auch die Aufgabe, liebgewonnenes der Erneuerung Preis zu geben. Einfach ist dies nicht, denn gerade gegenüber dem Bürger sind Entscheidungen oft schwer zu vermitteln. Somit ist es folgerichtig, dass bei avisierten Veränderungen im Wohnumfeld gerne der Denkmalschutz als Rettungsanker genutzt wird. Ist dies jedoch die Aufgabe des Denkmalschutzes?

Um diese komplexe Aufgabe kompetent zu meistern fordert die FDP-Fraktion seit Jahren personelle Verstärkungen für die bezirkliche Denkmalschutzbehörde. Denn ob es sich um schützenswerte Substanz handelt, kann nur nach zeitintensiver und fachkundiger Analyse gesagt werden.

Der Denkmalbeirat des Bezirks berät den Stadtentwicklungsausschuss. Es ist gut, dass dieses Fachgremium existiert. Der Gedanke, den Denkmalschutz zur Bauverhinderung zu nutzen, sollte aufgegeben werden, da dies den Denkmalschutz langfristig schwächt.

Johannes Heyne

AfD-Fraktion

Denkmalschutz und Stadterneuerung beschäftigen die Bürgerinnen und Bürger in unserem Bezirk immer wieder – jüngste Beispiele: der Erhalt des ICC und der Stadtvilla aus dem 19. Jhdt. in der Wilhelmsaue Nr. 17. Unser architektonisches Kulturerbe steht unter dem Druck von Stadterneuerung und globaler Investitionsbegehren. Die ständig steigenden Grundstückspreise verschärfen diesen Druck kontinuierlich. Stadterneuerung ist unumgänglich – und sie birgt vielerlei Chancen. Sicherlich lässt sich der Verlust mittelmäßiger Gebäude verschmerzen. Es muss nicht alles musealisiert und Denkmalschutz darf nicht zu einem sinnentleerten Instrument der Baubehinderung werden. Andererseits muss Rücksicht genommen werden auf die Gefühle der Einwohnerschaft. Sie dürfen nicht einfach den kalten Regeln von Investition und Profit geopfert werden. Wird Neues gebaut, hat es sich selbstverständlich in das Angestammte einzupassen.

Genauso wie Kunst, Musik, Malerei und Literatur unser kulturelles Gedächtnis ausmachen, so auch die Architektur mit der Gestaltung des öffentlichen Raums. Tradition und Identität sind Grundlagen unserer Zivilisation.

Der Philosoph Odo Marquard sagt: Zukunft braucht Herkunft. Dem stimmt die AfD-Fraktion aus vollem Herzen zu.

Michael Seyfert

Linksfraktion

Denkmalschutz steht nicht gegen Stadterneuerung, sondern gegen ungebremstes Verwertungsinteresse des Stadtraums. Es geht um bau-kulturelles Erbe, Einzigartigkeit, Engagement von Bürger*innen und lebenswerte Gestaltung. Denkmalerhaltung und Stadterneuerung bilden keinen Gegensatz, sie reagieren vielmehr von unterschiedlicher Warte auf die notwendige Weiterentwicklung der Stadt. Im Sinne einer traditionsbewussten Zukunftsorientierung erteilt kluger Denkmalschutz den gesichts- und identitätslosen Retorten und einer nicht ortsbezogener Allerweltsarchitektur eine Absage. Auch im Sinne der erforderlichen Schonung vorhandener Ressourcen ist der Erhaltung des Vorhandenen Priorität einzuräumen.

Stadtentwicklung erfordert auch situationsbezogene, zeitgemäße Lösungen und den regelmäßigen Gedankenaustausch zwischen Architekt*innen und Denkmalpfleger*innen als unverzichtbare Partner*innen im Stadtentwicklungsprozess.

Das erfordert hohe Qualitätsmaßstäbe an Denkmalpflege und Stadterneuerung. Der an Profit orientierten Tendenz zu Wegwerfmentalität und „Wegwerfarchitektur“ wirkt sie durch gezielte Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen genauso entgegen wie der Verwischung der Grenzen von Denkmalerhaltung und Rekonstruktionen.

Volker Fischer