Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Vereidigung junger Rekruten am 8.11.2007 in der Julius-Leber-Kaserne

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Vereidigung junger Rekruten am 8.11.2007 in der Julius-Leber-Kaserne

8.11.2007, um 14.00 Uhr in der Julius-Leber-Kaserne, Kurt-Schumacher-Damm 41, 13405 Berlin

Sehr geehrter Herr Oberstleutnant Schuster!
Sehr geehrter Herr Hauptmann Buschmann!
Sehr geehrter Herr Oberleutnant Neuer!
Sehr geehrte Soldaten!
Sehr geehrte Damen und Herrn!

Vielen Dank für die Einladung zu dieser Gelöbnisfeier. Ich bin gerne gekommen – nicht nur weil wir seit 1999 eine Patenschaft für die 5. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung übernommen haben, sondern auch, weil ich mich freue, Sie in Berlin begrüßen zu dürfen. Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich in den letzten Jahren seit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges zwischen West und Ost entscheidend verändert. Die Bundeswehr musste sich den veränderten Aufgaben in einer veränderten Welt nach dem Ende des Kalten Krieges anpassen, und dieser Anpassungsprozess geht auch heute noch weiter. Das hat viel mit der immer engeren Einbindung der Bundeswehr in die europäische Gemeinschaft zu tun.
Die Bundeswehr wird mehr und mehr eine normale Armee wie es sie in den anderen europäischen Ländern auch gibt. Und wir wissen alle, dass inzwischen deutsche Soldaten in vielen Ländern Dienst leisten und dass dieser Dienst in Krisenregionen oft gefährlich ist.
Auch wenn dabei mehr und mehr professionell ausgebildete Spezialisten gefragt sind, ist für uns besonders wichtig, dass die Bundeswehr Teil unserer Gesellschaft ist. Sie ist eine Armee der Bürgerinnen und Bürger.
Das ist für uns vor allem deshalb wichtig, weil wir aus unserer Geschichte die richtigen Lehren für die Gegenwart und Zukunft ziehen müssen.
Der morgige 9. November ist wohl der geschichtsträchtigste Tag für uns Deutsche. Wir feiern mit Freude den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und wir gedenken gleichzeitig mit Bestürzung der Pogrome gegen die jüdischen Deutschen am 9. November 1938. Damals haben die Nationalsozialisten öffentlich demonstriert, wie weit sie in ihrem antisemitischen Hass gehen würden. Nachdem sie die Synagogen angezündet und die Schaufensterscheiben eingeworfen hatten, ermordeten Sie am Ende im Zweiten Weltkrieg Millionen Juden in den Vernichtungslagern.
Gerade unsere deutsche Geschichte hat uns gezeigt, welch eine verhängnisvolle Rolle die Armee spielen kann, wenn sie von der übrigen Gesellschaft isoliert ist. Der preußische Militarismus war ein Staat im Staat. Er wirkte in der Armee des Kaiserreiches, in der Wehrmacht der Weimarer Republik und schließlich im Nationalsozialismus weiter. Und er hatte einen großen Anteil an der deutschen Katastrophe im 20. Jahrhundert.
Der Begriff “Wehrmacht” brachte diese verhängnisvolle Rolle des Militärs zum Ausdruck: Die Armee begnügte sich nicht mit einer dienenden Funktion, sondern sie verstand sich als eigenständige Macht, als Staat im Staat. In unserer Demokratie ist das anders, und das ist ein bedeutsamer Unterschied. Die Bundeswehr ist Teil der Demokratie, sie folgt den Entscheidungen des frei gewählten Parlaments und der demokratisch legitimierten Regierung.
Seit einigen Jahren wird immer wieder einmal auf der politischen Ebene darüber diskutiert, wie weit die Bundeswehr auch im Inneren unseres Landes eingesetzt werden sollte. Vor allem der Innenminister will bei der Terrorabwehr stärker auf die Bundeswehr zurückgreifen.
Nun ist zwar klar, dass die Bundeswehr bereit steht, wenn es gilt, Katastrophen in unserem Land zu bekämpfen, und bei den großen Flutkatastrophen hat sie das auch auf vorbildliche Weise getan und sich dabei viele Sympathien erworben. Aber grundsätzlich halte ich doch eine klare Trennung zwischen Bundeswehr und Polizei für richtig und wichtig.
Diese Trennung hat sich in allen Demokratien bewährt, und es ist eher ein Kennzeichen von Diktaturen, dass das Militär dafür eingesetzt wird, die eigene Bevölkerung in Schach zu halten. Darum geht es bei uns glücklicherweise nicht.
Die Bundeswehr ist kein Fremdkörper in unserer Gesellschaft. Dafür sorgt nicht zuletzt die Wehrpflicht. Durch die Wehrpflicht muss sich fast jede Familie in Deutschland einmal mit der Bundeswehr auseinandersetzen, und viele bekommen einen Eindruck vom inneren Zustand der Bundeswehr. Und die Wehrpflicht trägt mit dazu bei, dass bei uns niemand sich eine Entscheidung über Krieg und Frieden leicht machen kann – und das ist gut so. Eine reine Berufsarmee wird leichter in gefährliche Einsätze geschickt als eine Wehrpflichtarmee – auch wenn die Wehrpflichtigen selbst von solchen Einsätzen in der Regel ausgenommen sind. Aber die Wehrpflicht ist umstritten, und schon heute existiert die Wehrpflicht für viele nicht mehr real. Und natürlich stellt sich im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung der Frauen in unserer Gesellschaft auch die Frage nach einer allgemeinen Wehrpflicht oder einem allgemeinen Sozialdienst für Männer und Frauen.
Wer heute zur Bundeswehr geht, der tut dies im Grunde in freier Entscheidung, denn er hätte auch andere Alternativen wählen können. Es ist gut, dass im Gewissenskonflikt die Entscheidung gegen den Dienst an der Waffe keine Mutprobe mehr ist, sondern eine einfache Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Und es ist auch gut, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sich frei für diesen Dienst entschieden haben und mit vollem Herzen ihre Arbeit tun, die für uns alle so wichtig ist.
Seit Jahren wird diskutiert über eine Abschaffung der Wehrpflicht, und es gibt viele gute Argumente dafür und dagegen. Welche Alternative sich auch immer am Ende durchsetzen mag. Wichtig ist, dass die Bundeswehr ein Teil unserer Gesellschaft bleibt, dass sie nicht zur Armee von Spezialisten wird, die sich abkapselt und ihr Eigenleben führt. Deshalb sind Patenschaften wie die unsere für das Wachbataillon von großer Bedeutung.
Mit unserer Patenschaft für die 5. Kompanie des Wachbataillons wollen wir dazu beitragen, dass die Soldaten der Bundeswehr sich hier in Berlin willkommen und heimisch fühlen. Darum freue ich mich sehr darüber, dass unsere Patenschaft sich längst zu einer lebendigen gegenseitigen Partnerschaft entwickelt hat. Morgen, am 9. November, veranstalten Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Auszubildenden der Landespolizeischule einen Schweigemarsch zum Mahnmal am Bahnhof Grunewald. Wir gedenken der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die von dort in die Vernichtungslager deportiert wurden. Treffpunkt ist um 16.00 Uhr an der Koenigsallee Ecke Erdener Straße in der Villenkolonie Grunewald, gegenüber dem Rathenau-Gedenkstein. Ich lade Sie alle herzlich dazu ein, an dieser eindrucksvollen Gedenkveranstaltung teilzunehmen.
Ich danke allen Angehörigen der 5. Kompanie des Wachbataillons herzlich für ihre aktive Teilnahme an unserer Partnerschaft, und ich hoffe, dass auch die jungen Rekruten sich bei uns in Berlin wohl fühlen und diese gute Tradition der Partnerschaft mit unserem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf weiter aktiv mit Leben erfüllen werden.
Sehr geehrte Soldaten der 5. und 8. Kompanie, für Ihren Dienst wünsche ich Ihnen viel Erfolg und alles Gute.