Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Enthüllung einer Gedenktafel für Irmgard Keun

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Enthüllung einer Gedenktafel für Irmgard Keun

am Dienstag, 7.2.2006, 17.00 Uhr, Meinekestr.6

Sehr geehrte Frau Keun-Geburtig
Sehr geehrter Herr Wichner!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Unser Bezirk dürfte wohl von den 12 Berliner Bezirken derjenige mit den meisten Gedenktafeln sein. Es sind inzwischen mehr als 300, und davon erinnern immerhin 50 an bedeutende Frauen in Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute eine Tafel hinzufügen können, die ebenfalls an eine bedeutende Frau erinnert.

Die Schriftstellerin Irmgard Keun war lange vergessen, und ihre literarische Stimme verstummte in der Nachkriegszeit, weil niemand sie mehr hören wollte. Um so wichtiger ist die Erinnerung an sie, denn sie ist eine wichtige Chronistin ihrer Heimatstädte Berlin und Köln in den 20er Jahren und auch im Nationalsozialismus.

Ich danke dem Leiter des Literaturhauses Berlin, Ernest Wichner dafür, dass er diese Gedenktafel nicht nur angeregt hat, sondern gemeinsam mit seinem Kollegen vom Literaturhaus Köln auch für die Finanzierung gesorgt hat. Ich danke auch den Hausbesitzern und Herrn Harmuth von der Hausverwaltung dafür, dass sie so schnell ihre Zustimmung zur Anbringung dieser Tafel gegeben haben.

Es hat zwar leider nicht zum 100. Geburtstag von Irmgard Keun im letzten Jahr geklappt, aber heute, einen Tag nach ihrem 101. Geburtstag, können wir die Gedenktafel enthüllen, wenn auch noch nicht an der Hauswand, sondern erst einmal provisorisch davor. Herr Kattner vom Atelier Kattner wird die Tafel anbringen, sobald einige frostfreie Tage dies zulassen. In den letzten Tagen waren die Temperaturen dafür nicht geeignet. Immerhin gibt es die Gedenktafel schon. Daran mitgewirkt haben die Historische Kommission zu Berlin und die KPM. Auch ihnen möchte ich herzlich danken.

Warum gibt es so viele Gedenktafeln in Charlottenburg-Wilmersdorf? Die City-West war schon im wilhelminischen Kaiserreich und dann vor allem in den 20er Jahren Anziehungspunkt für Prominente aus Kultur und Wissenschaft. Man sprach vom “Zug nach Westen”, und damit war der Umzug gemeint in die Villenkolonien Westend oder Grunewald oder in die neue City rund um den Kurfürstendamm. Wer up to date sein wollte, der musste hier leben, nicht im alten Berliner Zentrum, das für die Tradition stand, während hier die Moderne in all ihren Formen experimentierte und immer neue Moden, Stile und Lebensformen hervorbrachte. Genau davon handeln die Romane Irmgard Keuns.

Ihre ersten beiden Romane “Gilgi, eine von uns” und “Das kunstseidene Mädchen” wurden 1931 und 1932 zu Bestsellern, und Irmgard Keun wurde zum Liebling der Berliner Literaturszene. Beide Bücher handeln von jungen Frauen, deren Emanzipation mit dem Umzug nach Berlin beginnt, man könnte auch sagen mit der Flucht nach Berlin, und natürlich erleben sie das moderne, pulsierende Berlin vor allem im Neuen Westen, hier in den Tanzhallen, Varietees, Kabaretts, Bars und Literatencafes rund um den Kurfürstendamm:

“der Gloriapalast schillert – ein Schloss, ein Schloss – es ist aber Kino und Kaffee und Berlin W – um die Kirche sind schwarze eiserne Ketten – und drüben das Romanische Café mit den längeren Haaren von Männern! Und da verkehrte ich einmal Abend für Abend mit einer geistigen Elite, was eine Auswahl ist, was jede gebildete Individualität aus Kreuzworträtseln weiß. Und wir bildeten alle einen Kreis.
Und das Romanische Café ist eigentlich nicht anzuerkennen. Und jeder sagt: Gott, dieses Lokal, wo diese herabgekommenen Literaten sitzen, man sollte da nicht mehr hingehn. Und gehen dann doch hin. Ich bildete mich ungeheuer, und es war, als wenn ich eine fremde Sprache lerne.”

Irmgard Keun beschreibt in ihrem “kunstseidenen Mädchen” die westliche City Berlins, in der Kultur und Kommerz sich noch ergänzten. Heute müssen wir um die Kultur am Boulevard kämpfen, nicht weil es dem Kurfürstendamm etwa schlecht ginge. Im Gegenteil: Kommerziell boomt der Boulevard. Aber dieser Boom wird keine Zukunft haben, wenn der Boulevard seine Identität verliert. Nach einer Reihe von Kinoschließungen kämpfen wir jetzt um den Erhalt der beiden Boulevardtheater “Komödie” und “Theater am Kurfürstendamm”.

Kurzfristig mag die Vertreibung der Kultur kommerzielle Vorteile bringen. Aber langfristig zerstört sie das Besondere des Kurfürstendammes und damit die Grundlage seines Erfolges in der Zukunft. Denn der Boulevard lebt seit seiner Entstehung am Ende des 19. Jahrhunderts davon, dass er eben nicht nur eine Einkaufsstraße ist. Hier haben sich Kultur und Kommerz von Anfang an gegenseitig ergänzt und gefördert.

Hier waren die Goldenen Zwanziger Jahre wirklich golden: In den glamourösen Uraufführungskinos gaben sich die Stars die Klinke in die Hand, in den Tanzlokalen spielten die modernen Swingorchester, in den Kabaretts und Revuepalästen wurde intelligente Unterhaltung geboten, in den Cafés trafen sich die – meist jüdischen – Mäzene mit den Künstlern und förderten ihre Projekte, und der jüdische Regisseur und Impressario Max Reinhardt bot in der Komödie und im Theater am Kurfürstendamm exquisites Boulevardtheater.

Die Mischung von Kultur und Kommerz war immer das Besondere, das den Boulevard auszeichnete. Es geht nicht darum, dass am Kurfürstendamm alles bleibt wie es ist, und es geht schon gar nicht darum, dass es so wird, wie es einmal war. Das einzig Bleibende am Boulevard ist der schnelle Wandel. Aber neben den kommerziellen Angeboten braucht auch die Kultur ihren Raum, um sich zu entwickeln. Sonst verödet der Kurfürstendamm.

Für die Deutsche Bank sollte es eine Ehre sein, die Boulevardtheater zu fördern und zu Aushängeschildern für ein neues Ku’damm-Karree zu machen. Sie sollte in die Fußstapfen der einstigen jüdischen Mäzene des Boulevards treten und dafür sorgen, dass Kunst und Kommerz sich wieder gegenseitig befruchten. Gerade weil so gut verdient wird am Kurfürstendamm, muss auch die Kultur unterstützt werden. Nur so kann auch langfristig der Erfolg des Boulevards gesichert werden.

In den Büchern von Irmgard Keun können wir nachlesen, wie der Boulevard damals funktionierte. Sie erzählt nicht nur von seinen Schokoladenseiten, sondern schonungslos auch von seinen Gefährdungen, und das kunstseidene Mädchen muss am Ende für sich erkennen, dass aus der erträumten Filmkarriere nichts wird. Der letzte Satz des Buches lautet: “Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an.”

Ich hoffe, dass diese Gedenktafel für viele Passanten zum Anlass wird nachzuforschen: Wer war diese Irmgard Keun? Was hat sie geschrieben? Was hat sie uns heute zu sagen? Wenn wir mit dieser Gedenktafel an Irmgard Keun erinnern, dann wollen wir auch dazu anstiften, ihre Bücher wieder zu lesen. Dazu besteht heute abend um 20.00 Uhr Gelegenheit bei einer Lesung, zu der Herr Wichner einlädt im Literaturhaus hier um die Ecke in der Fasanenstraße 23.

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