Gesetz über die Juristenausbildung im Land Brandenburg vom 24. Dezember 1992 (frühere Fassung, für Altfälle)

(Brandenburgisches Juristenausbildungsgesetz – BbgJAG)
Vom 24. Dezember 1992 (GVBl.I/92 S.578)
geändert durch Gesetz vom 21.12.1998 (GVBl.I/98 S.234, 242)
außer Kraft getreten durch Art.4 des Gesetzes zur Modernisierung der Juristenausbildung im Land Brandenburg vom 04.06.2003 (GVBl.I/03 S.166)

Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1
Befähigung zum Richteramt

(1) Die Befähigung zum Richteramt und zugleich zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst (§ 14 a Abs. 1 Nr. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes) erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten juristischen Staatsprüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abschließt.

(2) Personenbezogene Funktions-, Status- und andere Bezeichnungen nach diesem Gesetz und der auf dessen Grundlage zu erlassenden Verordnung werden in weiblicher und in männlicher Form geführt.

§ 2
Justizprüfungsamt

(1) Für die Durchführung der ersten und der zweiten juristischen Staatsprüfung wird bei dem Ministerium der Justiz das Justizprüfungsamt errichtet. Es entscheidet auch über die Zulassung zu den Staatsprüfungen.

(2) Das Justizprüfungsamt besteht aus dem Präsidenten, seinem geschäftsführenden Vertreter sowie aus weiteren haupt- und nebenamtlichen Mitgliedern. Der Präsident des Justizprüfungsamtes wird von dem Minister der Justiz im Einvernehmen mit dem Minister des Innern ernannt. Er muß die Befähigung zum Richteramt haben.

(3) Der Präsident des Justizprüfungsamtes, die Mitglieder der Prüfungsausschüsse sowie die weiteren Prüfer sind in Prüfungsangelegenheiten unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Die örtlichen Prüfungsleiter und die Mitarbeiter des Justizprüfungsamtes unterliegen in dieser Eigenschaft in Prüfungsangelegenheiten nur den Weisungen des Präsidenten des Justizprüfungsamtes.

§ 3
Erste juristische Staatsprüfung

(1) Die erste juristische Staatsprüfung hat die Aufgabe festzustellen, ob der Bewerber das rechtswissenschaftliche Studienziel erreicht hat und damit für den juristischen Vorbereitungsdienst fachlich geeignet ist.

(2) Der Bewerber soll in der Prüfung zeigen, daß er das Recht mit Verständnis erfassen und anwenden kann und in den Prüfungsfächern über die hierzu erforderlichen Rechtskenntnisse mit ihren geschichtlichen, gesellschaftlichen, politischen und rechtsphilosophischen Grundlagen verfügt.

§ 4
Prüfungsvoraussetzungen

(1) Die Zulassung zur Prüfung setzt voraus, daß der Bewerber

die Hochschulzugangsberechtigung erworben und Rechtswissenschaften an einer Universität studiert hat, davon mindestens vier Halbjahre an einer deutschen Universität;
in den zwei der Prüfung unmittelbar vorausgegangenen Semestern an einer Universität im Land Brandenburg im Fach Rechtswissenschaft eingeschrieben war;
an universitären Lehrveranstaltungen in den Pflicht- und Wahlfächern, insbesondere erfolgreich an mit schriftlichen Arbeiten verbundenen Übungen im vorgeschriebenen Umfang, teilgenommen hat;
an praktischen Studienzeiten von insgesamt drei Monaten Dauer in der vorlesungsfreien Zeit teilgenommen hat.
(2) Von den Erfordernissen nach Absatz 1 Nrn. 2 und 4 können aus wichtigem Grund Ausnahmen zugelassen werden.

§ 5
Prüfungsfächer

(1) Prüfungsfächer sind die Pflichtfächer und eine vom Prüfungsteilnehmer zu bestimmende Wahlfachgruppe. Andere Rechtsgebiete dürfen im Zusammenhang mit den Prüfungsfächern zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden, soweit lediglich Verständnis und Arbeitsmethode festgestellt werden sollen und Einzelwissen nicht vorausgesetzt wird.

(2) Pflichtfächer sind die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, ferner – im Überblick – die Rechtsquellen der Europäischen Gemeinschaften, die Grundfreiheiten des EWG-Vertrages und deren Durchsetzung, die Organe und die Handlungsformen der Europäischen Gemeinschaften. Zum Pflichtfachbereich gehören ferner Kenntnisse der rechtswissenschaftlichen Methoden, der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen sowie der wirtschaftlichen Hintergründe der Rechtsordnung.

(3) Wahlfachgruppen sind

Zivilrechtspflege;
Strafrechtspflege;
Wirtschaft und Steuern;
Arbeit und Soziales;
Staat und Verwaltung;
Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung;
Europa- und Völkerrecht;
Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie.

§ 6
Vorbereitungsdienst

(1) Wer die erste juristische Staatsprüfung bestanden hat, wird auf Antrag in den Vorbereitungsdienst aufgenommen und zum Rechtsreferendar ernannt. Die Aufnahme setzt nicht voraus, daß der Bewerber das erste juristische Staatsexamen in Brandenburg abgelegt hat.

(2) Während des Vorbereitungsdienstes soll der Rechtsreferendar lernen, auf der Grundlage seiner im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine praktische Tätigkeit in der Rechtsprechung, der Verwaltung und der Rechtsberatung aufgeschlossen für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats eigenverantwortlich wahrzunehmen. Am Ende des Vorbereitungsdienstes soll er in der Lage sein, sich selbständig auch in solche juristischen Tätigkeiten einzuarbeiten, in denen er nicht ausgebildet worden ist.

(3) Die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst erfolgt in der Regel im Beamtenverhältnis auf Widerruf. Bewerber, die die beamtenrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, werden in ein öffentlich-rechtliches Praktikantenverhältnis aufgenommen.

(4) Die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst ist zu versagen,

wenn der Bewerber sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet;
wenn der Bewerber an einer Krankheit leidet, die die Gesundheit anderer gefährden oder die ordnungsgemäße Ausbildung ernstlich beeinträchtigen würde;
wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist;
solange gegen den Bewerber eine Freiheitsentziehung vollzogen wird oder er untergebracht ist.
(5) Die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst kann versagt werden,

solange ein Ermittlungsverfahren oder ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer vorsätzlichen Tat anhängig ist, das zu einer Entscheidung nach Absatz 4 Nr. 3 oder einer Unterbringung führen kann;
wenn die Länge des Zeitraums zwischen der Ablegung der ersten juristischen Staatsprüfung und dem Aufnahmegesuch die Annahme nahelegt, daß der Bewerber das Ziel der Ausbildung nicht erreichen wird.
Vor der Entscheidung gemäß Nummer 2 ist der Bewerber zu hören.

(6) Der Rechtsreferendar kann entlassen werden, wenn

während des Vorbereitungsdienstes ein Umstand eintritt oder nachträglich bekannt wird, der die Versagung der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst rechtfertigen würde;
der Rechtsreferendar länger als sechs Monate dienstunfähig ist und nicht zu erwarten ist, daß er binnen drei Monaten wieder dienstfähig werden wird;
der Rechtsreferendar in seiner Ausbildung nicht hinreichend fortschreitet, insbesondere wenn er in zwei Ausbildungsabschnitten keine ausreichenden Leistungen erzielt hat;
der Rechtsreferendar nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes oder eines nach erstmals nicht bestandener Prüfung angeordneten Ergänzungsvorbereitungsdienstes die Prüfung auch im darauf folgenden zweiten Termin nicht oder nicht vollständig abgelegt hat; Prüfungstermine, die in Mutterschutzzeiten, Zeiten des Erziehungsurlaubs oder der Beurlaubung ohne Bezüge fallen, bleiben außer Betracht.
Vor der Entlassung ist der Rechtsreferendar zu hören.

(7) Das dem Vorbereitungsdienst zugrundeliegende Rechtsverhältnis endet ohne besonderen Widerruf mit Ablauf des Tages, an welchem dem Rechtsreferendar eröffnet wird, daß er die zweite juristische Staatsprüfung mit Erfolg abgelegt oder bei der ersten Wiederholung nicht bestanden hat.

§ 7
Zweite juristische Staatsprüfung

(1) Die zweite juristische Staatsprüfung hat die Aufgabe festzustellen, ob der Rechtsreferendar das Ziel der Ausbildung (§ 6 Abs. 2) erreicht hat und ihm deshalb nach seinen Kenntnissen, seinem praktischen Geschick und dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit die Befähigung zum Richteramt zuzusprechen ist.

(2) Prüfungsinhalte sind neben den Pflichtfächern der ersten juristischen Staatsprüfung die Gegenstände der Ausbildung in den Pflichtstellen und einer vom Rechtsreferendar gewählten Wahlstelle.

(3) Pflichtstellen sind im Regelfall

das Ordentliche Gericht in Zivilsachen;
das Ordentliche Gericht in Strafsachen oder die Staatsanwaltschaft;
Verwaltungsbehörden;
Rechtsanwaltskanzleien.
(4) Wahlstellen sind

die in Absatz 3 genannten Stellen,
gesetzgebende Körperschaften des Bundes oder eines Landes;
Notarkanzleien;
ein Gericht der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- oder der Sozialgerichtsbarkeit;
Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder Körperschaften wirtschaftlicher, sozialer oder beruflicher Selbstverwaltung;
Wirtschaftsunternehmen;
überstaatliche, zwischenstaatliche oder ausländische Stellen oder ausländische Rechtsanwaltskanzleien;
sonstige Stellen, bei denen eine sachgerechte Ausbildung gewährleistet ist.

§ 8
Aufbewahrung von Prüfungsunterlagen, Ausbildungsakten

(1) Prüfungsunterlagen (Nachweise, Bescheinigungen, Aufsichtsarbeiten, Prüfungsniederschriften) bleiben in amtlicher Verwahrung. Die Aufsichtsarbeiten und zugehörigen Aufzeichnungen können nach Ablauf von fünf Jahren seit ihrer Fertigung vernichtet werden. Für die übrigen Prüfungsunterlagen beträgt die Aufbewahrungsfrist fünfzig Jahre.

(2) Zum Zwecke der Ausbildung der Rechtsreferendare können Gerichts- und Verwaltungsakten beigezogen, vervielfältigt und den Rechtsreferendaren zur Bearbeitung übergeben werden.

§ 9
Verfahren

Gegen Entscheidungen des Justizprüfungsamtes und seiner Ausschüsse über das Ergebnis der juristischen Staatsprüfungen findet das Widerspruchsverfahren statt. Die Überprüfung ist auf Rechtsfehler beschränkt.

§ 10
Verordnungsermächtigung

Der Minister der Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den Ministern des Innern, der Finanzen, für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen zur Durchführung dieses Gesetzes nähere Vorschriften zu erlassen. Insbesondere können Bestimmungen getroffen werden über

die Organisation, Aufgaben und Zuständigkeiten des Justizprüfungsamtes und der Prüfungsorgane;
Qualifikationsvoraussetzungen, die Berufung und die Amtszeit der Prüfungsamtsmitglieder sowie die Bildung von Prüfungsausschüssen;
die Frist für die Meldung zur ersten juristischen Staatsprüfung, die näheren Voraussetzungen für die Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung, insbesondere über den Nachweis eines ordnungsgemäßen Rechtsstudiums, über den Ausschluß von der Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung, wenn und solange ein anderweitiges Prüfungsverfahren im Geltungsbereich des Deutschen Richtergesetzes anhängig ist, sowie über die Vorlage von Zeugnissen über die erforderliche Teilnahme an Lehrveranstaltungen sowie den Verlust des Anspruchs auf Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung;
die näheren Voraussetzungen für die Zulassung zur zweiten juristischen Staatsprüfung und den Verlust des Anspruchs auf Zulassung zur zweiten juristischen Staatsprüfung;
den Prüfungsstoff, das Prüfungsverfahren, insbesondere Art und Zeit der Prüfungsleistungen im schriftlichen und im mündlichen Teil der Prüfung, die Bewertung der Prüfungsleistungen, die Erteilung von Zeugnissen, den Rücktritt von den Prüfungen und die Wiederholung der Prüfungen mit Einschluß von Regelungen über den Freiversuch in der ersten juristischen Staatsprüfung bei frühzeitiger Meldung und vollständiger Ablegung dieser Prüfung und der Wiederholung der Prüfung zur Notenverbesserung, die Verhinderung von Prüfungsteilnehmern und die Prüfungsmängel sowie über die jeweilige Geltendmachung, die Festlegung besonderer Bedingungen für behinderte Prüfungsteilnehmer und die Folge von Verstößen gegen Prüfungsbestimmungen;
Zulassungsbeschränkungen hinsichtlich des Vorbereitungsdienstes gemäß § 6 wegen Erschöpfung der Ausbildungskapazitäten, die Gliederung und inhaltliche Gestaltung des Vorbereitungsdienstes, insbesondere die Fertigung von Vorlagearbeiten, die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften und Lehrgängen und die Erteilung von Zeugnissen, die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes im Einzelfall sowie die Zuständigkeit für Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vorbereitungsdienst;
die Anrechnung von Studienzeiten und von Ausbildungszeiten anderer Ausbildungsgänge auf die Juristenausbildung.

§ 11
Übergangsbestimmungen

(1) Die Vorschriften des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Verbindung mit Artikel 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. 1990 II S. 885) über die Anerkennung der bisherigen Abschlüsse, die Fortgeltung der bisherigen Vorschriften, die Nachqualifizierung der Diplomjuristen und den besonderen Vorbereitungsdienst für Diplomjuristen bleiben unberührt.

(2) Durch Rechtsverordnung gemäß § 10 können weitere Übergangsbestimmungen getroffen werden, die den Übergang von einer Ausbildung nach bisherigem Recht in eine Ausbildung nach neuem Recht erleichtern sowie die Ausgestaltung des besonderen Vorbereitungsdienstes nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe y ii des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II S. 885, 931) regeln. Dabei können insbesondere die Zulassung zu den Prüfungen erleichtert und zusätzliche Wiederholungsmöglichkeiten geschaffen, besondere Bestimmungen für die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes einschließlich der Ableistung des Vorbereitungsdienstes außerhalb des Landes Brandenburg getroffen sowie für diejenigen, die nach bisherigem oder neuem Recht vorgeschriebene Teile aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen nicht ableisten konnten, Ausnahmeregelungen vorgesehen werden.

(3) Durch Rechtsverordnung gemäß § 10 können nähere Bestimmungen für die Nachqualifizierung der Diplomjuristen nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe y ff des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II S. 885, 931) getroffen werden.

(4) Bis zum 31. Dezember 1995 bestimmen die rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten des Landes entsprechend ihrem Aufbauzustand das Angebot der Wahlfachgruppen.

§ 12
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.