Referat der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Diskussionsveranstaltung der Humanistischen Union am Do, 30.1.03, 19.00 Uhr im Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Referat der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Diskussionsveranstaltung der Humanistischen Union

am Do, 30.1.03, 19.00 Uhr im Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

“Abschaffung oder Stärkung der Bezirke?”

Sehr geehrte Frau Helm!
Sehr geehrter Herr Reinert!
Sehr geehrte Damen und Herrn!

Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Veranstaltung und vielen Dank für Ihr Interesse an den Berliner Bezirken.

Ich halte es für eine gute Idee, heute, am 70. Jahrestag der Machtübernahme Hitlers, über die kommunale Demokratie nachzudenken. Hitler konnte die Macht übernehmen und in kurzer Zeit eine Diktatur errichten, weil ihm zu wenige Demokraten entgegen traten. Zu viele hatten die Weimarer Demokratie bereits aufgegeben, und das hatte auch damit zu tun, dass die Demokratie in der Gesellschaft in Deutschland nicht stark genug verankert war. Wir haben aus dieser bitteren Erfahrung gelernt: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie braucht das aktive politische Engagement der Bürgerinnen und Bürger – auf der kommunalen Ebene genauso wie auf der Landes- und Bundesebene.

Sie werden verstehen, dass ich die im Thema formulierte Frage nach Abschaffung oder Stärkung der Bezirke für mich beantwortet habe und eher als rhetorische Frage betrachte. Selbstverständlich will ich als Bezirkbürgermeisterin eine Stärkung der Bezirke, und ich spreche damit für alle 12 Berliner Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister.

In der Öffentlichkeit wurde bereits die Abschaffung der bezirklichen Selbstverwaltung in Berlin thematisiert. Dagegen haben wir eine Initiative zur Stärkung der Bezirke gestartet. Wir wollen für die Stärkung der Berliner Bezirke in der Öffentlichkeit mit guten Argumenten werben. Deshalb habe ich mich besonders gefreut über Ihr Interesse an dem Thema. Ich begründe gerne, weshalb ich mir mehr Verantwortung und mehr Kompetenzen für die Bezirke in Berlin wünsche. Folgende vier Thesen will ich kurz erläutern:

Das jetzige Verhältnis von Senat und Bezirken ist belastet durch einen komplizierten, teuren, historisch begründeten Kompromiss. Mehr Kostenbewusstsein entsteht durch mehr Verantwortung. Mehr kommunale Demokratie ist nicht nur politisch geboten, sondern auch nötig zur Verbesserung der Qualität von Entscheidungen. Mehr Eigenständigkeit der Bezirke schließt eine bessere Vergleichbarkeit der Bezirke nicht aus.

1. Geschichte und Reform

Zu meiner ersten These: Das jetzige Verhältnis von Senat und Bezirken ist belastet durch einen komplizierten, teuren, historisch begründeten Kompromiss.

Ich will nicht allzu tief in die Geschichte einsteigen, aber ich fürchte, dass wir den gegenwärtigen Zustand nicht verstehen können, wenn wir nicht wissen, wie es dazu gekommen ist. Deshalb in aller Kürze so viel: In der revolutionären Situation nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Jahr 1920 Groß-Berlin geschaffen. Damit wurde eine Verwaltungs- und Gebietsreform beschlossen, die bereits seit mehr als 50 Jahren diskutiert worden war: In Berlin hatte insbesondere die Sozialdemokratie für ein starkes, zentralisiertes Groß-Berlin plädiert. In den umliegenden Großstädten Köpenick, Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln und Lichtenberg hatten vor allem die liberalen und konservativen Parteien für eine Beibehaltung der selbständigen Stadtverwaltungen plädiert.

Die Sozialdemokraten wollten vor allem den sozialen Ausgleich, denn ausgerechnet dort, wo das größte soziale Elend herrschte, in den Berliner Randgebieten und Vorstädten des Nordens und Ostens, waren auch die Steuereinnahmen am geringsten. Die Bürgerlichen, wie man damals sagte, wollten das Aufblühen der privilegierten Vororte Berlins vor allem im Süden und Westen weiter begünstigen.

Im Ersten Weltkrieg hatten weite Bereiche des Großraums Berlin unter kriegsbedingter Zwangsverwaltung gestanden. Deshalb war nach dem Krieg die Tendenz zur Zentralisierung der Verwaltung stark. Herausgekommen ist 1920 letztlich ein problematischer Kompromiss: Groß-Berlin mit einem starken Magistrat mit weitgehenden Befugnissen und 20 Verwaltungsbezirke, die zwar eine gewisse Eigenständigkeit behielten, aber letztlich doch vom Wohlwollen des Magistrats abhingen.

Dieser Kompromiss war kompliziert und teuer, denn mit einem gewissen Aufwand wurde zwar sowohl eine bezirkliche Repräsentation mit Bürgermeistern und Stadträten als auch eine demokratische Vertretung mit den Bezirksversammlungen geschaffen, aber substanzielle Rechte und eigene Verantwortung hatten und haben diese Bezirke nicht. Sie sind keine eigenen Gebietskörperschaften, sondern Teil der Einheitsgemeinde Berlin. Die unklare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bezirken und Hauptverwaltung führt zu ständigen Streitigkeiten und Reibungsverlusten. Ich werde das noch näher ausführen.

Schon kurz nach dem Inkrafttreten des “Gesetzes über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin” vom 27. April 1920 wurden Veränderungen der Bezirksstruktur diskutiert und geplant, aber kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wieder verworfen.

Die Nationalsozialisten schafften zwar sehr schnell die kommunale Selbstverwaltung der Berliner Bezirke ab, änderten aber ansonsten an der Verwaltungsstruktur Berlins wenig. Berlin behielt seine 20 Bezirke.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im wesentlichen die Situation von 1920 wieder hergestellt. Durch die Viermächte-Verantwortung und die Teilung der Stadt wurden strukturelle Veränderungen blockiert. Ost-Berlin hielt sich zwar nicht ganz daran und bildete drei neue, zusätzliche Bezirke, aber das änderte letztlich nichts an der Grundstruktur.

Im Rückblick muss man heute feststellen: Durch die politische Situation Berlins wurden vernünftige Strukturanpassungen der Verwaltung verhindert.

Nach der Wende und der Wiedervereinigung Berlins haben wir damit begonnen, diese Strukturreform nachzuholen. Die Reduktion der Zahl der Bezirke auf 12 und damit die Angleichung der Bezirke war zwar heftig umstritten, aber sie war richtig, und sie war erfolgreich: Wir haben jetzt 12 in etwa gleich große Bezirke, die in sich lebensfähig und mit jeweils 300.000 Einwohnern gerade eben noch bürgernah zu verwalten sind und die auch zu einer guten Zusammenarbeit in der Lage sind. 12 Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister können sich eher verständigen als 20 oder 23.

Außerdem sind die Bezirke mit der Verwirklichung der Verwaltungsreform wesentlich weiter vorangekommen als die Hauptverwaltungen. Mit der betriebswirtschaftlichen Kosten- und Leistungsrechnung haben wir inzwischen ein Instrument in der Hand, mit dem sich der Aufwand für Verwaltungsleistungen in den Bezirken vergleichen und steuern lässt.

Ich ziehe deshalb die Schlussfolgerung: Wir sind auf einem guten Weg, die aus historischen Gründen unnötig komplizierte und teure Berliner Verwaltung an die geänderten Verhältnisse anzupassen. Die Bildung von 12 vergleichbaren Bezirken war ein richtiger Schritt. Auf dieser Grundlage sollten wir aufbauen und die Verwaltungsreform fortsetzen, indem wir die Zuständigkeitsverteilung zwischen Senat und Bezirken besser abgrenzen und den Bezirken mehr Eigenverantwortung übertragen.

2. Finanzen und Verantwortung

Damit komme ich zu meiner zweiten These: Mehr Kostenbewusstsein entsteht durch mehr Verantwortung.

Die derzeitigen Strukturen der Berliner Verwaltung setzen wenig Anreize zu kostenbewusstem Verhalten: Wenn wir sparsam wirtschaften und am Ende eines Haushaltsjahres nicht verbrauchte Gelder an die Finanzverwaltung zurückgeben, dann besteht die Gefahr, das uns die Haushaltsmittel für das nächste Jahr gekürzt werden. Wenn wir im Bezirk versuchen, zusätzliche Einnahmen zu erzielen, dann fließen diese in eine Einnahmevorgabe für das übernächste Haushaltsjahr, die der Bezirk dann auch erfüllen muss.

Wir haben zwar seit einigen Jahren einen sogenannten Globalhaushalt, das heißt wir erhalten Finanzmittel vom Senat zugewiesen und können innerhalb dieses Globalhaushaltes dann eigene Schwerpunkte setzen. Aber zum einen ist diese Möglichkeit durch Gesetze, Verträge und Verwaltungsvorschriften äußerst begrenzt, und zum anderen hat sich inzwischen ein merkwürdiges Pingpong-Spiel herausgebildet: Wenn wir notgedrungen im Straßenbau Mittel einsparen, dann hören wir aus dem Senat und Abgeordnetenhaus, wir könnten das nicht machen, der Senat werde den Straßenbau in Zukunft zentral steuern. Weil uns die Mittel zum Unterhalt der Sportstätten fehlen, legt der Senat ein Sportstättensanierungsprogramm auf. Ich könnte noch viele Beispiele nennen, wo uns der Senat erst die Mittel kürzt und dann zum Ausgleich eigene, zentral finanzierte Programme auflegt. Eingespart wird dadurch in der Berliner Verwaltung nichts.

Richtig wäre es, den Bezirken Klarheit über ihren finanziellen Rahmen zu geben und sie dann in eigener Verantwortung diesen Rahmen ausfüllen zu lassen. Das könnte zwar bedeuten, dass die Straßen in Berlin nicht überall gleich gut oder gleich schlecht sind – aber ist das nicht sowieso der Fall? Und wissen wir vor Ort nicht besser, was am dringendsten ist und was zurückgestellt werden kann?

Die viel beklagte Schwerfälligkeit der Verwaltung hat darin ihre Ursache, dass vieles, was die Bezirke alleine entscheiden könnten, der Zustimmung von Senatsverwaltungen bedarf und dass der Senat Vorgänge an sich ziehen kann, bei denen ihm die Haltung der Bezirke nicht gefällt. Und der Senat spart gern bei den Bezirken, weil diese dann für die Folgen gerade zu stehen haben. Wir wenden uns nicht gegen Sparzwänge. Wir können und wollen die Fakten nicht ignorieren. Aber wenn wir schon den Kopf hinhalten und auf den Zorn der Betroffenen antworten sollen, dann wollen wir die harten Entscheidungen schon selbst getroffen haben.

Die Bezirke haben Einsparpotentiale schneller realisiert als die Hauptverwaltungen. Aus dem “Vorläufigen Jahresabschluss für das Haushaltsjahr 2001” der Senatsverwaltung für Finanzen vom April 2002 ergibt sich, dass alle Bezirke insgesamt ihre Personalmittel ordnungsgemäß bewirtschaftet haben und sogar noch eine Million DM eingespart haben, während alle Behörden der Hauptverwaltung ihre Personalmittel um 246 Millionen DM überschritten haben. Deshalb komme ich zu folgender Schlussfolgerung: Die Bezirkswaltung könnte wesentlich verbessert und damit auch kostengünstiger gemacht werden durch mehr Eigenverantwortung, das heißt durch klare Kompetenzen und finanzielle Eigenständigkeit.

3. Demokratie und Qualität

Damit bin ich bei meiner dritten These: Mehr kommunale Demokratie ist nicht nur politisch geboten, sondern auch nötig zur Verbesserung der Qualität von Entscheidungen.

Als der Vorstandsvorsitzende des Bundes der Steuerzahler Berlin e.V., Günter Brinker, vor einigen Tagen meinte, wir könnten uns die Bezirke nicht mehr leisten, da habe ich ihn in einem offenen Brief zurückgefragt: Wie kommen Sie zu der Ansicht, wir könnten es uns leisten, auf die Bezirke in Berlin zu verzichten?

Forscher in Brighton haben herausgefunden, dass sogar im Tierreich Basisdemokratie praktiziert wird: Elefanten, Bienen, Gorillas und Mantelpaviane fällen wichtige Entscheidungen durch deutlich erkennbare Abstimmungsprozeduren innerhalb der jeweiligen Horde. Und das wichtigste Ergebnis der Forschungen: Die Demokratie zahlt sich aus, weil die Mehrheit meist die für sie vorteilhaftere Entscheidung trifft. Es ist wie bei uns Menschen: Wenn Despoten regieren, entstehen weit höhere Kosten. Positiv wirkt sich in demokratisch geführten Horden vor allem aus, dass weniger extreme Entscheidungen gefällt werden.

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Qualität von Entscheidungen zunimmt, je mehr die davon Betroffenen daran beteiligt sind. Und ein bewährter Grundsatz der Verwaltungswissenschaft besagt, dass eine größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit nur dann zur Erfüllung einer Aufgabe herangezogen werden soll, wenn die Aufgabe nicht durch die kleinere, sachnähere Einheit erfüllt werden kann. Dieses Subsidiaritätsprinzip soll ausgerechnet in Berlin nicht gelten? Ich meine im Gegenteil: Die Berliner Verwaltung krankt nicht daran, dass die Bezirke zu viel Einfluss hätten, sondern daran, dass sie zu wenig Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum haben.

Wer ernsthaft über Kosten und Nutzen der kommunalen Demokratie in Berlin nachdenkt, der kommt zu überraschenden Ergebnissen. Nicht Entscheidungen mit breiter demokratischer Beteiligung in den Bezirken haben zu dem finanziellen Desaster Berlins geführt, sondern zentralistische Entscheidungen hinter verschlossenen Türen. In Berlin herrscht nicht zu wenig Zentralismus, sondern zu viel. Auch in Berlin hängt die Qualität von Entscheidungen vor allem davon ab, ob die Menschen, die von ihnen betroffen sind, sie mit tragen. Dafür sorgen in den Berliner Bezirken die Bezirksverordneten mit ihrer ehrenamtlichen kommunalpolitischen Arbeit. Eine preiswertere und effizientere Form demokratischer Willensbildung werden Sie kaum irgendwo finden.

Wenn Herr Brinker meint, die Demokratie in den Bezirken können wir uns heute nicht mehr leisten, frage ich zurück, warum folgen wir nicht dem Beispiel Londons? In London arbeiten in den Hauptverwaltungen ganze 400 Beschäftigte, in Berlin sind 20.000 mit vergleichsweisen Aufgaben beschäftigt. In London gibt es seit etwa hundert Jahren Bezirke, jetzt sind es 33, die sogar eigenständige Gemeinden sind. Warum müssen wir in einer 3,6 Millionen Einwohnerstadt den Weg des Zentralismus einschlagen?

Zugegebenermaßen: manchem Besucher von Bezirksverordnetenversammlungen mögen die Diskussionen dort etwas kleinteilig vorkommen. Aber die Bezirksverordneten bringen die Anliegen der Menschen aus dem Kiez zur Sprache. Sie haben den Kontakt zur Bevölkerung nicht verloren, sondern sie bestehen zurecht darauf, dass die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks berücksichtigt werden, bevor Entscheidungen über ihre Lebensumwelt getroffen werden.

Das Problem ist dabei häufig, dass wir als Bezirksamt für viele Belange der Bürgerinnen und Bürger gar nicht zuständig sind: Für die Sauberkeit in den Straßen hat die Berliner Stadtreinigung zu sorgen, für die Straßenlaternen die AT Lux, für das Funktionieren der Öffentlichen Verkehrsmittel die BVG und für den Warmbadetag im Schwimmbad müssen die Berliner Bäder Betriebe sorgen.

Mit Zentralisierungen haben wir in Berlin häufig schlechte Erfahrungen gemacht. Nehmen Sie die KfZ-Zulassungsstelle in der Jüterboger Straße, das inzwischen wieder aufgelöste Landesschulamt oder die Berliner Bäder-Betriebe. In den Bezirken hören wir über diese zentralen Einrichtungen nur Klagen.

Die Reform der Berliner Verwaltung wurde in den letzten Jahren vor allem von den Bezirken vorangetrieben. Wir sind auf dem Weg, die Behörden zu kundenorientierten Dienstleistungsbetrieben umzubauen. Ohne auf längst überfällige Vorgaben des Senats zu warten nutzen wir seit langem vielfältige Möglichkeiten des Internet und der modernen Kommunikationstechnologien. Ein gutes Beispiel für gelungene Dezentralisierung in Berlin ist der Übergang der früheren Meldestellen in die Bezirke, wo sie den Bürgerämtern eingegliedert wurden.

Wir könnten längst weiter sein, wenn uns nicht Vorschriften, Einsprüche und Vorbehalte der Senatsverwaltungen daran hinderten. Schnelle, unbürokratische, sach- und bürgernahe Entscheidungen für Investitionen werden nicht von den Bezirken verhindert, sondern von Senatsverwaltungen, die auf ihr Mitspracherecht pochen und Verfahren an sich ziehen.

Aus mangelnder Detailkenntnis werden auf der Senatsebene nicht selten sachfremde Entscheidungen gefällt, die nicht nur Unmut von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern auslösen, sondern häufig zum Misserfolg führen.

Die Bezirksämter sollten als Reformmotoren der Berliner Verwaltung gestärkt und nicht geschwächt oder gar abgeschafft werden. Denn die Berliner Verwaltung ist zweifellos weiter reformbedürftig. Die Bezirke sind bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und damit auch eigenständige Beiträge zur Verbesserung der Finanzlage Berlins zu leisten. Bisher haben wir dazu kaum Möglichkeiten, weil wir finanziell vollständig am Gängelband des Senats geführt werden.

Ich komme also zu dem Ergebnis: Kommunale Demokratie ist nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen heraus geboten. Kommunale Demokratie führt auch zu besseren und damit letztlich kostengünstigeren Entscheidungen.

4. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Mit meiner vierten und letzten These will ich kurz in Ansätzen umreißen, wie ich mir eine Reform der Bezirksverwaltung vorstellen könnte. Ich behaupte: Mehr Eigenständigkeit der Bezirke schließt eine bessere Vergleichbarkeit der Bezirke nicht aus.

Meist wird die Errungenschaft der Einheitsgemeinde Berlin als Argument angeführt gegen eine größere Eigenständigkeit der Bezirke. Es könne nicht angehen, dass in Treptow-Köpenick andere Standards gelten als in Spandau oder Charlottenburg-Wilmersdorf. Nun gilt das sicher für die Höhe der Sozialhilfe, für die Kitabeiträge und für die Klassenfrequenzen in den Schulen.

Aber es gibt auch viele Bereiche, wo Gleichheit nicht vorhanden und auch beim besten Willen nicht herstellbar ist. Ein City-Bezirk wie Charlottenburg-Wilmersdorf unterscheidet sich grundlegend von einem Außenbezirk wie Reinickendorf und auch von einem City-Bezirk wie Mitte, der zugleich Regierungssitz ist. Den Reiz Berlins macht gerade aus, dass es seit mehr als 100 Jahren mehrere historisch gewachsene Citys und viele weitere Zentren in den Bezirken hat. Es gibt nicht das Einkaufs-, Kino-, Kultur- oder Kneipenzentrum Berlins, sondern es gibt viele davon, und alle sind anders. Diese historisch gewachsenen Besonderheiten sollten wir hegen und pflegen und nicht nivellieren.

Ein Rückfall in die sozialen Ungleichheiten der Kaiserzeit ist dabei nicht zu befürchten. Dafür sorgen schon die Bundesgesetze, denen wir alle unterliegen. Und für vergleichbare Standards beim Ausbau der Straßen und bei den kommunalen Einrichtungen können wir sorgen, indem wir gleichzeitig mit der Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung auch die Möglichkeiten zur bezirklichen Kooperation verbessern.

Der Rat der Bürgermeister als ‘Bundesrat’ der Berliner Bezirke könnte und müsste in viel stärkerem Maß als bisher dafür sorgen, dass die Bezirksverwaltungen für die Bürgerinnen und Bürger vergleichbar sind. Ich könnte mir durchaus einen starken, gesetzlich verankerten Druck vorstellen, dass die Bezirke sich in wichtigen Fragen einigen müssen.

Zu den neuen Namen der Bezirke nach der Gebietsreform hätte man beispielsweise im Rat der Bürgermeister festlegen können, dass sie überall nach dem gleichen Muster gebildet worden wären – nicht durch eine zentralistische Festlegung von oben, sondern durch eine Abstimmung der Bezirke untereinander, nachdem die Frage in den einzelnen Bezirken diskutiert worden wäre. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns durchaus auf vergleichbare Verwaltungsstrukturen und gleiche Ämterbezeichnungen einigen könnten, so dass die Bürgerinnen und Bürger nicht umlernen müssen, wenn sie von einem Bezirk in den anderen ziehen, wie es zum Teil gegenwärtig der Fall ist.

Der Rat der Bürgermeister ist das richtige Gremium, um festzulegen, in welchen Bereichen eine Einigung nötig ist und wo Unterschiede möglich, ja sogar wünschenswert sind.

Ich meine: Eine Eigenständigkeit der Bezirke und eine bessere Koordination ist kein Gegensatz, sondern in der Institution Rat der Bürgermeister durchaus vereinbar.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat in der Diskussion um die Bezirke von “organisierter Verantwortungslosigkeit” gesprochen. Wenn damit gemeint ist, dass wir mehr Verantwortung übernehmen könnten, durch die Organisation der Berliner Verwaltung aber daran gehindert werden, dann stimme ich der Diagnose zu. Wer am Gängelband gehalten wird, der kann keine Verantwortung übernehmen. Als Therapie schlage ich vor, die Berliner Bezirke von der Leine zu lassen.

Zur Übersicht über die Reden der Bezirksbürgermeisterin