Kinder im Exil

Eine Ausstellung der Akademie der Künste
von Gesine Bey, Kuratorin

In der Malwerkstatt „Spielende Kinder in der Stadt“ mit Dieter Goltzsche und der Willkommensklasse der Anne-Frank-Grundschule Berlin Tiergarten, April 2016

In der Malwerkstatt „Spielende Kinder in der Stadt“ mit Dieter Goltzsche und der Willkommensklasse der Anne-Frank-Grundschule Berlin Tiergarten, April 2016

In der Akademie der Künste wurde vom 16. Juni bis zum 20. Juli 2016 die Ausstellung Kinder im Exil gezeigt. Zu sehen waren Fotos, Dokumente, Briefe und Selbstzeugnisse von Kindern, die mit ihren Eltern in der Zeit von 1933–1945 von Deutschland ins Exil gehen mussten. Sie waren die Söhne und Töchter von Bertolt Brecht, Helene Weigel, Paul Dessau, George Grosz, Anna Seghers, Arnold Zweig, Walter Benjamin, Friedrich Wolf, Alfred Kerr, Jo Mihaly, Leonard Steckel und anderen Berliner Künstlern, Schriftstellern, Malern, Schauspielern und Musikern, die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bereits so verfolgt waren, dass sie sofort auf die Flucht gehen mussten. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft und so besonders gefährdet.

Die Nachlässe dieser Künstler befinden sich im Archiv der Akademie der Künste. Dass sich so viele Dokumente über das Leben ihrer Kinder darin fanden, bezeugt, wie wichtig ihnen ihre jungen Begleiter waren. Sie schickten sie schnell auf die Schulen des Gastlandes und versuchten damit, das Leid ihrer Entwurzelung zu lindern. Bedeutete anfangs den Eltern neben der künstlerischen Arbeit die Erziehung ihrer Kinder eine Sorge, so kehrte sich die Situation mit den Jahren um. Die Kinder konnten, wie es die Schriftstellerin Judith Kerr, Tochter von Alfred Kerr, in ihren autobiographischen Romanen Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (1972) und Warten, bis der Frieden kommt (1975) berichtet, durch ihre Sprachkundigkeit in der Fremde den Eltern bald auch eine Stütze werden. Sie kannten sich im Alltag besser aus. George Herzfelde, Sohn des Verlegers Wieland Herzfelde, begann in Prag mit dem Training des Kunsteislaufens. Das forderte den Eltern zunächst Opfer ab. Während der Vater den Malik-Verlag als ein Zentrum des antifaschistischen Exils betrieb, schuf sich George mit dem Sport ein eigenes Terrain für sein Leben. In den USA brachte es der Junge zu einer solchen Meisterschaft, dass er von Tourneen aus Geld schicken konnte. Er half damit, den kleinen New Yorker Briefmarkenladen des Vaters zu betreiben, bis 1944 ein neuer Verlag, der Aurora Verlag, gegründet werden konnte. Teilweise stammten auch die Briefmarken, die dort verkauft wurden, aus seiner Sammlung.

Die Ausstellung erzählt aus dem Leben von etwa 26 Kindern im Exil in der Tschechoslowakei, Dänemark, der Schweiz, Frankreich, England, Palästina, der Sowjetunion, Mexiko und den USA. Die Geschichten handeln vom überstürzten Aufbruch, den Stationen der Emigration, davon, was aus den Kindern später beruflich geworden ist. Einige kehrten mit ihren Eltern zwischen 1945– 1947 nach Berlin zurück, die meisten aber blieben dort, wo sie die Zeit ihrer Jugend verbracht haben.

Man erfährt Gemeinsamkeiten mit Flüchtlingskindern aus der ganzen Welt.

„Das Flüchtlingslager El Shatt (1943–46)“, Schreibwerkstatt zu Zeichnungen von Lea Grundig mit Assaf Gruber und Moabiter Schülern in der Kunstsammlung der Akademie der Künste, Februar 2016

„Das Flüchtlingslager El Shatt (1943–46)“, Schreibwerkstatt zu Zeichnungen von Lea Grundig mit Assaf Gruber und Moabiter Schülern in der Kunstsammlung der Akademie der Künste, Februar 2016

Die Abteilung KUNSTWELTEN – Kulturelle Vermittlung der Akademie der Künste organisierte ein Jahr lang, in dem auch die Ausstellung entstand, ein umfangreiches Programm mit dem Thema Kinder im Exil. Mitglieder und Stipendiaten der Akademie betreuten Schülerwerkstätten, in denen Dokumentationsfilme, ein Kriminalfilm, Zeichnungen, Theateraufführungen und musikalische Kompositionen entstanden, die in der Ausstellung auch präsentiert wurden. Sie hatten jeweils einen Ausgangspunkt – ein Exil-Objekt aus dem Archiv, eine Methode, die sich ein Künstler während des Exils entwickelte, so die Städtefotographie von Ellen Auerbach oder die Geschichte des Mädchens Mary Miller mit ihrem unsichtbaren Hund Yo-Yo. Bertolt Brechts Mitarbeiterin Margarete Steffin hatte sie für seine Tochter Barbara 1940 in Finnland geschrieben.

Marion Neumann, der Leiterin von KUNSTWELTEN, war es wichtig, dass an diesen Schülerwerkstätten auch Willkommensklassen beteiligt waren. „Diese besondere Aktualität durch die Auseinandersetzung der Flüchtlingskinder von heute mit den Archivdokumenten und den Erlebnissen der damals gleichaltrigen Exilkinder“, urteilte Torsten Musial, Leiter der Archivabteilung Film und Medienkunst, „hat zu beeindruckenden Ergebnissen geführt“.

Tänzerin im Archiv, Oktober 2015 „Erste Erkundungen“ einer Willkommensklasse in der Kunstsammlung der Akademie der Künste, nach einem Fotomotiv von Ellen Auerbach

Tänzerin im Archiv, Oktober 2015 „Erste Erkundungen“ einer Willkommensklasse in der Kunstsammlung der Akademie der Künste, nach einem Fotomotiv von Ellen Auerbach

Die Ausstellung Kinder im Exil ist inzwischen an andere Standorte gewandert. Sie war an der Staatlichen Ballettschule Berlin, in Zerbst (Sachsen-Anhalt) und in Ueckermünde in Mecklenburg-Vorpommern zu sehen, eröffnet an Gedenktagen, dem 9.11.2016 und dem 27.1.2017.

Wer das Foyer des Gebäudes der Akademie der Künste am Hanseatenweg 10 in Berlin-Tiergarten betrat, sah über dem Hinweis zur Ausstellung das große Foto eines kleinen Jungen, der mit einem türkischen Freund in Ankara auf einer Umzugskiste aus Hannover sitzt – Edzard Reuter. Sein Vater, der spätere Regierende Bürgermeister Berlins, Ernst Reuter, Regionalpolitiker und Kommunalwissenschaftler, musste 1936 in die Türkei fliehen, wo es damals ein für deutsche Künstler und Wissenschaftler aufgeschlossenes Klima gab. Edzard Reuter hat das Projekt mit einer Eröffnungsrede und durch die Helga und Edzard Reuter-Stiftung unterstützt.

  • Peter Dessau mit seinem Vater Paul Dessau in New York, um 1940

    Peter Dessau mit seinem Vater Paul Dessau in New York, um 1940

  • Anja Steckel im Zoo von Zürich, 1943

    Anja Steckel im Zoo von Zürich, 1943