„In diesem Haus lebte und wirkte Unsterbliches“

Ein Denkmal zu Ehren von Moses Mendelssohn

von Thomas Lackmann, Mendelssohn-Gesellschaft

Der Text der marmornen Gedenktafel von 1829: In diesem Hause lebte und wirkte unsterbliches Moses Mendelssohn, geb. in Dessau 1729, gest. in Berlin 1786

Der Text der marmornen Gedenktafel von 1829

„Ich sehe Schirme“, sagt Hermann Simon, der Gründungsdirektor des Centrum Judaicum, bei seinem Grußwort an diesem historischen Tag. In dieser Mittagsstunde des 14. Juni 2016 an der Ecke Spandauer/ Karl-Liebknecht-Straße vor dem Roten Rathaus hat zur Übergabe des Denkmals „Haus Mendelssohn“ mindestens dreimal das Wetter gewechselt: vom trüben Wolkenvorhang zur strahlenden Sonne zum Guss mit Blitz und Donner und wieder zum Licht.

Die Redner, darunter die Bauherrn des Kunstwerks, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und Kulturstaatssekretär Tim Renner, stehen auf dem Podium unter einem Zeltpavillon halbwegs trocken; das Publikum auf den Bierbänken am Rande der Bodenskulptur schützt sich mit Knirpsen und Plastikhäuten. Ins Pflaster eingelassene Granitplatten markieren die ins Erdreich umgeklappte Fassade eines Hauses aus der Barockzeit, das bis 1886 an diesem Ort gestanden hat. Zwölf dunkle Steine stellen Fenster, drei Stockwerke dar. Ein rosa getönter Granit ist die Tür, ein weißer darüber mit Bleibuchstaben erinnert an eine Zweimeter-Gedenktafel, die über der Tür des Hauses angebracht war. Nach dem Niederschlag ändert sich die Tönung, die Helligkeit der Steine. Das Wasser verwandelt den dunklen Granit der zwölf Fenster in graue Spiegel, die den Fernsehturm und die Marienkirche reflektieren.

Micha Ullman, der Bildhauer, bemerkt dazu, dass diese spiegelnden Fenster den höchsten zum tiefsten Punkt Berlins machen. Seine Ansprache erinnert an das Haus des Philosophen Moses Mendelssohn und seiner Familie. Genau auf dieser Parzelle trafen sich die intellektuellen Freunde der Berliner Aufklärung; hier lernten Menschen verschiedenster Religionen, Kulturen und Milieus, was es heißt, einen Dialog zu führen. Das Haus am Boden sieht Ullman als ein Gebäude, dessen Fassade sich, „mit etwas Fantasie“, um die eigene Achse dreht.

Künstler Micha Ullman und André Schmitz, Vorsitzender der Mendelssohn-Gesellschaft

Künstler Micha Ullman und André Schmitz, Vorsitzender der Mendelssohn-Gesellschaft

Der Text der alten Marmortafel von 1829, die hier bis zum Abriss des Blocks über dem Türsturz hing, hat den israelischen Künstler fasziniert: „In diesem Haus lebte und wirkte Unsterbliches Moses Mendelssohn. Geb. in Dessau 1729. Gest. in Berlin 1786“. In der „unendlichen Drehung“ dieses in den Boden versenkten, wieder aufsteigenden, unsichtbaren Hauses und seiner im Sonnenlicht verdampfenden Spiegelpfützenfenster findet er den Begriff des Unsterblichen. Das offene Haus Moses Mendelssohns beherbergt für ihn die „ökumenische Utopie einer universalen Freundschaft“. Er sagt: „Das Haus ist da und nicht da. Sein Material wandelt sich zu Geist. Ideen und Gedanken sind unsterblich, man kann sie auch nicht verbrennen, wie wir es in der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz gelernt haben.“ Dieser Platz, auf dem sich Ullmans berühmtestes Denkmal, die unterirdische „Bibliothek“, befindet, ist vom Mendelssohn-Haus Spandauer Straße 68 nur 900 Meter entfernt.

Historisch ist dieser Tag, weil es Berlin nun doch nach 230 Jahren erstmals schafft, den Emanzipationspionier Mendelssohn, mit dem die gemeinsame deutsch-jüdische Geschichte einst so hoffnungsvoll begonnen hatte, im öffentlichen Raum der Stadt zu ehren. 2007, als weltweit verstreute Nachkommen des Moses Mendelssohn auf Einladung des Senats in der Stadt ihres Vorfahren für ein Familientreffen zusammenkamen, war am Rand dieser Begegnung der Vorschlag aufgekommen: den Ort des Hauses der Berliner Aufklärung durch ein Denkmal zu markieren. Von der Mendelssohn-Gesellschaft, die sich für die Erforschung der Familie Mendelssohn engagiert, und vom damaligen Staatssekretär André Schmitz ging die Anfrage an Micha Ullman. Eine alte Fotografie des Hauses Spandauer Straße 68 inspirierte zur Idee von der in den Boden geklappten Fassade. Sieben Jahre dauerte es, bis in diversen Gremien auf Stadt- und Bezirksebene das Projekt diskutiert und befürwortet, die Planung des Architekten Gerhard Schlotter umgesetzt, die Baustelle eingerichtet worden war.

Reformations-Marienkirche und Fernsehturm spiegeln sich im regennassen Granit

Reformations-Marienkirche und Fernsehturm spiegeln sich im regennassen Granit

Jetzt, bei der Übergabe des Kunstwerkes an die Öffentlichkeit, spielt das Posaunen-Ensemble „Trombonata“ aus der „Reformations-Ouvertüre“ des Moses-Enkels Felix Mendelssohn Bartholdy ein feierliches Andante: das bis zur Luther-Skulptur im Schatten der Marienkirche weht, aus dem der Reformator zu seinem Ursprungsplatz, nahe dem Mendelssohn-Denkmal, zurückkehren soll. André Schmitz als Vorsitzender der Mendelssohn-Gesellschaft liest aus einem Brief Moses Mendelssohns an einen Politiker: Jeder Mensch müsse den Kampf für die Freiheit und gegen die Tyrannei selbst neu erlernen, auch wenn man gedacht habe, bestimmte Fortschritts-Errungenschaften seien der Gesellschaft nicht mehr zu nehmen. Marie von Mendelssohn, eine Urururur-Enkelin des Philosophen, liest dessen Übersetzung von „Seyn, oder Nichtseyn!“, Shakespeares Vorwurf gegen die lähmende Angst: „Wer litte sonst des Glückes Schmach und Geißel, der Stolzen Uebermuth, die Tyranney der Mächtigen, die Qual verschmähter Liebe, den Mißbrauch der Gesetze, jedes Schalks Verspottung der Verdienste, mit Geduld?“

Auf Hebräisch singen die „Drei Kantoren“ Psalm-Worte von dem „Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein wurde“. Micha Ullman sagt: „Das Kunstwerk integriert sich in das Alltagsleben der Stadt. Jeder Mensch kann auf dem Werk stehen oder gehen. Haus Mendelssohn ist offen für alle Menschen, die an dieses Werk herangehen.“ Man könne sogar an die Tür klopfen: Über das „Andachtshaus der Vernunft“ habe Moses Mendelssohn gesagt, niemandem dürfe der Zutritt dazu verweigert werden, auch dem Andersdenkenden und dem Irrenden nicht. Jeder, der dort ruhig zuschauen oder gar am Gebet teilnehmen wolle, sei in diesem Haus אבה ךורב baruch haba: „höchst willkommen“.