»Siyasi katılım« – Zuwendungsprojekte zur Erhöhung der politischen Teilhabe türkeistämmiger Berliner:innen

Politische Teilhabe war vor 2015 kein breit diskutiertes Thema der deutschen Migrationspolitik. 2020 hat der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) eine groß angelegte empirische Studie darüber vorgelegt, wie es um die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland bestellt ist 1. Eine der vier großen Gruppen, die dabei gesondert ausgewiesen ist, sind die sogenannten Türkeistämmigen. Insgesamt stellt die zentrale Botschaft des Berichts die bisherige deutsche Integrationspolitik vom Kopf auf die Füße: Politische Teilhabe darf nicht erst am vermeintlichen Ende eines Integrationsprozesses Thema werden.
Für Berlin sind die Türkeistämmigen eine große migrantisierte Bevölkerungsgruppe mit rd. 100.000 Menschen mit türkischem Pass und etwa ebenso vielen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Nicht nur aufgrund der Frage der Staatsbürgerschaft ist die Gruppe in sich sehr heterogen.

Durch das Projekt »Siyasi katılım« werden Selbstorganisationen unterstützt, passgenaue Angebote der politischen Bildung und Teilhabe für ihre Zielgruppe zu entwerfen und durchzuführen. Es werden (politische) Interessen erkundet und Angebote entwickelt, die sowohl inhaltlich als auch räumlich dem Alltag der Menschen entsprechen. Somit werden die Angebote selbstbestimmt innerhalb der Community durchgeführt und dabei bei Bedarf von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung begleitet.

Flankierend haben in den Jahren 2022 und 2023 je vier Themenwochen in Zusammenarbeit mit dem Radiosender metropol FM stattgefunden, in deren Rahmen für die Stadtgesellschaft wichtige Themen der politischen Beteiligung in türkischer und deutscher Sprache gesendet wurden. Die Reihe trug den Titel »Benim şehrim, benim politikam« (Meine Stadt, meine Politik). Eine Fortführung ist geplant.

Projekte:

Berlin Alevi Toplumu – Alevitische Gemeinde zu Berlin e.V.

Das Projekt mit dem Namen »Siyasette bende varım!« (In der Politik bin ich auch dabei!) geht davon aus, dass es an politischer Teilhabe in Teilen der türkeistämmigen Bevölkerung Berlins nicht wegen Politikverdrossenheit mangelt, sondern wegen fehlender Kenntnisse der Beteiligungsmöglichkeiten, auch ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Das Projekt stärkt Teilnehmende in ihren Handlungsmöglichkeiten und bietet unterschiedliche Formate an: Workshops zu verschiedenen Themen (z.B. NSU-Komplex, Beteiligung im Bezirk), Diskussionsveranstaltungen (z.B. im Vorfeld der Berliner Wahlen, zum Thema Engagement in Vereinen) und Exkursionen (z.B. in den Bundestag, in die Gedenkstätte Ravensbrück). Zu beobachten ist eine hohe Teilnahme von Frauen und jungen Menschen.

https://www.alevi.org/de
Berlin Alevi Toplumu
Alevitische Gemeinde zu Berlin K.d.ö.R.v
Waldemarstr. 20
10999 Berlin
Telefon: (030) 616 58 700
Fax: (030) 616 58 395

Menschengruppe in einem Seminarraum

Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) e.V.

Das Projekt mit dem Namen »Siyasi katılım« (Politische Beteiligung) hat Informationsangebote und -materialien zum Kern. Ein Teil der insbesondere älteren türkeistämmigen Bevölkerung besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft nicht. Das Projekt geht davon aus, dass durch die fehlende Möglichkeit zu wählen, das Interesse und somit auch die Kenntnis über die politischen Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik bzw. in Berlin nicht sehr ausgeprägt sind bzw. vorhandene Beteiligungsmöglichkeiten oft nicht in Anspruch genommen werden. In enger Kooperation mit den Mitgliedsvereinen des TBB werden bestehende Angebote wie Vereinsfrühstücke in aufsuchender Weise genutzt, um darüber zu informieren, wie und in welcher Form sich Menschen an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligen können – mit und ohne Staatsangehörigkeit. Es beginnt beim Engagement in der eigenen Schule oder Kita, im Quartiersmanagement, im Betriebsrat oder in bezirklichen Beiräten und zeigt auch Möglichkeiten auf, selbst aktiv zu werden mit Petitionen, Kundgebungen oder Demonstrationen oder als Bürgerdeputierte:r. Dazu ist ein begleitendes Informationsheft in deutscher und türkischer Sprache entwickelt worden. Im Projekt fällt auf, dass auch das Aufzeigen von Unterschieden in der Türkei und in Deutschland relevant ist (so müssen z.B. Demonstrationen in Deutschland angemeldet, nicht aber genehmigt werden).

https://www.tbb-berlin.de/
Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg e.V. Berlin-Brandenburg Türkiye Toplumu
Oranienstr. 53
10969 Berlin
Telefon: +49 (30) 623 26 24
E-Mail: info@tbb-berlin.de

Föderation türkischer Elternvereine in Deutschland (FÖTED) e.V.

Das Projekt mit dem Namen »Pro-Partizipation Plus PRO PART Plus« hat das Ziel, türkeistämmige Menschen und deren Nachkommen über das System der politischen Beteiligung in Deutschland, mit dem Schwerpunkt Berlin, zu informieren, Vorbehalte abzubauen, sie zu motivieren und darin zu stärken, sich aktiv auf verschiedenen politischen Beteiligungsebenen zu engagieren. Dabei spricht das Projekt folgende Ebenen an: Elternvertretungen, Quartiersbeiräte, Bürgerdeputierte, Engagierte in zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Elternvereinen, Migranten- und Wohlfahrtsorganisationen, politische Initiativen. Außerdem bietet es die Möglichkeit, im Austausch mit türkeistämmigen Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses und der Berliner Bezirke die politische Landschaft zu erkunden und Möglichkeiten wie Bürger:innensprechstunden und Ähnliches zu nutzen.

https://tuerkische-elternfoederation.de/
FÖTED-Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland
Almanya Türk Veli Dernekleri Federasyonu
Michaelkirchstr. 13, 10179 Berlin
Tel: +49 30 61291610
Fax: +49 30 61299403
Mobil: +49 (0)177 544 66 73
E-Mail: info@foeted.de

Menschengruppe an einem Seminartisch im Gespräch

Aufbruch Neukölln e.V.

Das Projekt mit dem Namen »Vorläufer« nutzt die bestehenden Strukturen innerhalb des Vereinsangebots, um mehrheitlich türkeistämmige Menschen zu politischer Teilhabe zu motivieren. Es geht dabei davon aus, dass viele Menschen zwar politische Interessen haben, jedoch aus mangelndem Zugang zu Beteiligungsmöglichkeiten diese nur privat und individuell ausdrücken. Es regt den Austausch zu politischen Vorgängen im Bezirk, im Land und auch bundesweit an und will Lust am Eintreten für die eigene Meinung wecken. Außerdem werden vorhandene Kompetenzen gestärkt und weitere Möglichkeiten aufgezeigt. Das Projekt fördert den Austausch zwischen aktiven Politiker:innen und den türkeistämmigen Bürger:innen in der Stadt. Besonders zu erwähnen ist, dass das Projekt in reinen Männergruppen auch viele Menschen erreicht, die in gemischten Gruppen zurückhaltend sind bzw. sich nicht beteiligen.

https://www.aufbruch-neukoelln.de/
Aufbruch Neukölln e.V.
Uthmannstrasse 17–19
12043 Berlin
Telefon: +49 30 60928104 | +49 30 60928103

Gruppenbild der Dersim Gemeinde mit Hakan Demir beim Besuch des Bundestags

Dersim Kulturgemeinde e.V.

Das Projekt mit dem Namen »Têdust ra – Gleichgewicht« hat zum Ziel, die Menschen, die die Gemeinde regelmäßig besuchen, und alle weiteren Interessierten Berliner:innen auf die Beteiligungsmöglichkeiten im Kiez, im Bezirk und im Land Berlin aufmerksam zu machen. Außerdem fördert es Begegnung und Austausch. Neben Informationsveranstaltungen bietet es Exkursionen an, wie zum Beispiel in den Bundestag oder die benachbarte Kirchengemeinde. Dabei sollen die Menschen ihre Stadt erkunden und ins Gespräch über Möglichkeiten der Mitbestimmung kommen. Außerdem werden ihre Anliegen, die sie als mehrheitlich kurdische Menschen haben, gehört und wertgeschätzt. Es gibt einen engen Austausch mit weiteren Vereinen und Initiativen in Berlin.

https://dersimkulturdernegi.com/de/
Dersim Kultur Gemeinde
Waterloo-Ufer 7
10961 Berlin
Tel: 030 61283113
Fax: 030 24358606

Person malt Schriftzug "BiZ DE VARDIK!" und Peace-Zeichen auf eine Mauer

Projekt »Duvar – orada bize vardık! Die Mauer – wir waren auch dabei«

Im Rahmen der regelmäßigen Trägertreffen im Projekt »Siyasi katılım« entstand die Idee, gemeinsam ein Vorhaben zur türkeistämmigen Berliner Bevölkerung rund um den Mauerfall zu realisieren. In diesem Projekt, das in 2024 startet, sollen die bestehenden Perspektiven und Narrative um diejenigen erweitert werden, die die sogenannten Gastarbeiter:innen und weiteren Menschen aus der Türkei einbringen können. Sie waren in den 1980er und 1990er Jahren bereits eine große und relevante migrantisierte Gruppe in Berlin. Viele ihrer Initiativen und Vereine befanden sich in Mauernähe, öffneten ihre Räumlichkeiten für DDR-Bürger:innen nach dem Mauerfall und waren hautnah dabei. Außerdem hatte der Fall der Berliner Mauer unmittelbare Konsequenzen für sie. Schon kurz nach Öffnung der Mauer begannen feindselige Diskurse gegen sie und ihre Geschäfte, gegen ihr Leben. Auch die türkischsprachige Presse begleitete diese Ereignisse eng. Über die Förderung durch die Berliner Landeszentrale für politische Bildung hinaus wird das Projekt aus Mitteln der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finanziert und von der Alevitischen Gemeinde federführend durchgeführt.

1 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Mitten im Spiel – oder nur an der Seitenlinie? Politische Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, SVR-Studie 2020-3, unter: https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2021/03/SVR-FB_Studie_Be-Part.pdf, zuletzt abgerufen am 03.01.2024