Stolperstein Joachim-Friedrich-Straße 57

Hausansicht Joachim-Friedrich-Str. 57

Dieser von den Nachkommen gewünschte Stolperstein zum Gedenken an Sophie Eichelbaum ist in Anwesenheit von Angehörigen, Freunden der Familie und Anwohnern am 14.4.2015 verlegt worden.

Stolperstein Sophie Eichelbaum

HIER WOHNTE
SOPHIE EICHELBAUM
GEB. SKLOWER
JG. 1862
VOR DEPORTATION
TOT 15.1.1943
IM SAMMELLAGER

Otto und Sophie Eichelbaum um 1930

Sophie Eichelbaum wurde in die Famile Sklower hineingeboren, eine bekannte jüdische Familie, die ihren Ursprung zurück zum Talmudisten Joseph May, einem berühmten Verleger hebräischer Schriften des 18. Jahrhunderts, verfolgen kann. Ursprünglich aus Breslau kommend, verlegten die Sklowers ihren Lebensmittelpunkt nach Ostpreußen.
Sophie Sklower wurde am 6. Juni 1862 als Kind von Joseph und Pauline Sklower, geborene Hurwitz in Tilsit geboren. Sie war die zweitälteste von acht Kindern. Ihr Vater war Holzhändler, offensichtlich wohlhabend, denn ihr Haus war das erste in Tilsit mit elektrischem Licht.

Im Alter von 22 Jahren heiratete Sophie Sklower 1884 den 26-jährigen Kaufmann Otto Eichelbaum in Tilsit und siedelte nach Insterburg über, wo Otto im gleichen Jahr Geschäftspartner der Firma S. Eichelbaum, einem im Getreidehandel tätigen Familienunternehmen wurde, gegründet von seinem Vater, Salomon Eichelbaum, im Jahr 1845.

Zwischen 1885 und 1895 wurden dem Paar fünf Kinder geboren: Helene, Else, Anne, Walter und Meta. Sophies Ehemann Otto war eine führende Persönlichkeit im städtischen und geschäftlichen Bereich in Insterburg. Nach dem Tod seines ältesten Bruders Adolf wurde Otto alleiniger Geschäftsführer der Handelsfirma.

Sophie hatte ein arbeitsreiches Leben, führte den Haushalt mit fünf Kindern und unterstützte die beruflichen Interessen und Aktivitäten ihres Mannes auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Aufgrund von Krankheit trat Otto 1922 aus dem Magistrat zurück. In Anerkennung seiner Verdienste für die Insterburger Gemeinde wurde ihm 1923 zu seinem 65. Geburtstag der Ehrentitel Stadtältester verliehen.

Thomas Eichelbaum, das einzige noch lebende Enkelkind, erinnert sich an Sophie und Otto in ihrem Insterburger Zuhause während seiner ersten sieben Lebensjahre, als ihn seine Eltern, die in Königsberg wohnten, häufig zu Besuch nach Insterburg mitnahmen. Seine Erinnerungen beschreiben ein gütiges, würdevolles, konservatives, betagtes Ehepaar.
Obwohl die Eichelbaums ursprünglich jüdischer Herkunft waren, ist ihm nicht bekannt, ob sie praktizierende Juden waren.

Ebenso wie bei zahllosen anderen Menschen zerfiel ihr bequemes Leben in den 1930er Jahren. 1932 wurde die Otto-Eichelbaum-Straße in Insterburg in Hafenstraße umbenannt. Der Familien- und Freundeskreis schrumpfte zusammen, da unzählige Bewohner jüdischer Herkunft Insterburg verließen, um der politischen Situation zu entkommen.
Nach Ottos Tod im Januar 1936 schrieb Sophie in ihrem einzig erhaltenen Schriftstück über den Verlust ihres Mannes ihrem Neffen Siegfried im fernen Neuseeland:

bq. Einliegend ein Bild meines lieben Mannes aus dem Jahr 1929, es ist die letzte Aufnahme eines Berufsfotografen u. anbei auch ein Erinnerungsblatt an ihn aus dem Du ersehen kannst, wie er geschätzt wurde u. wie groß die Lücke ist, die sein Tod gerissen hat. Am schwersten trifft mich natürlich der Verlust. Zwar stehen mir meine 5 Kinder liebevoll zur Seite, aber durch unser allgemeines Schicksal, sind sie alle schwer betroffen. (…) Es ist ein so schöner Gedanke in weiter Ferne Abkömmlinge desselben Namens zu wissen. Hoffentlich werden die Beziehungen weiter erhalten. –

Im Sommer 1936 zog Sophie nach Berlin-Charlottenburg, um näher bei ihren Töchtern und Angehörigen zu leben. Hier wohnte sie als Pensionärin in dem von Gertrud Adler eingerichteten Damenheim in der Joachim-Friedrich-Str. 57 in Halensee.

Sophies engste Familie löste sich um sie herum auf. Kurz vor Kriegsausbruch besuchte der Enkel Peter Brinkmann Sophie in der Joachim-Friedrich-Straße 57 und berichtete über eine kleine, verwirrte Dame; vielleicht war es ihr nicht mehr möglich, ihre veränderte Lebenssituation zu begreifen.

Ihr Schwiegersohn, Dr. med. Fritz Frensdorff, Facharzt für Kinderkrankheiten, ausgezeichnet im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz 2. und 1. Klasse, wurde 1934 wiederholt in Hannover von Nazi-Schergen angegriffen und misshandelt. Er verlor seine Arztpraxis und damit seine finanzielle Grundlage. Eine unheilbare Nierenerkrankung verschärfte seine Situation zusätzlich. Im Februar 1938 nahm er sich im Alter von 48 Jahren das Leben. Laut Überlieferung vergiftete sich Fritz in einem Berliner Hotelzimmer. Daraufhin zog Anne Frenzdorff mit ihren zwei Söhnen zu Sophie, bis es ihnen im Februar 1939 gelang, nach Palästina zu emigrieren.
Tochter Helene Meyerowitz und ihr Mann, Dr. Martin Meyerowitz, ein prominenter Jurist (1929 als Rechtsanwalt ans Reichsgericht Leipzig berufen), blieben ebenfalls zurück.
Inhaftiert im April 1942, wurde Martin im Konzentrationslager Flossenbürg im Juni 1942 ermordet. Er soll zu Tode geprügelt worden sein. Die durch eine Polioerkrankung seit vielen Jahren gehbehinderte Helene musste für die Überführung seiner sterblichen Überreste bezahlen.

Helene wurde am 17. Februar 1943 von Leipzig nach Berlin deportiert und wie ihre Mutter einige Monate zuvor, in die Sammelstelle Auguststraße 14-16 gebracht. Am 28. Mai 1943 wurde sie mit einem von den NS-Behörden als 90. Alterstransport registrierten Zug nach Theresienstadt deportiert und dort im Alter von 58 Jahren am 27. August 1944 ermordet.
Vier von fünf Kindern Sophies gelang mit ihren Familien die Flucht ins Ausland.
1936 emigrierten Tochter Meta nach England und 1938 der einzige Sohn Walter mit seiner Familie nach Neuseeland. Auch Tochter Else Ehrlich mit Familie gelang es rechtzeitig, sich in Palästina niederzulassen.

Über Sophies Schicksal nach Kriegsausbruch ist nichts weiter bekannt. Sie lebte mutmaßlich in der Joachim-Friedrich-Straße 57, bis Gertrud Adler das Damenheim am 1. Oktober 1939 aufgeben musste. Da die als Juden klassifizierte Bevölkerung auf die „J.-Lebensmittelkarten“ eine deutlich schlechtere Versorgung gegenüber der nichtjüdischen erhielt, konnte Gertrud Adler ihre Pensionsgäste und sich selbst nicht mehr vernünftig verpflegen und musste mit dem Verlust der Wohnung rechnen.
Sophies Verbleib zwischen dem 1.10.1939 und ihrem Tod ist bisher ein Mysterium. Irgendwann kam Sophie in das „Siechenheim“ Auguststraße 14/16 in Berlin-Mitte. Als jüdisches Krankenhaus gebaut, war es in den 1930er Jahren das Haus der Ahawa, ein Kinderheim mit außergewöhnlichem sozialem und pädagogischem Anliegen, bis es in eine Sammelstelle für den Abtransport jüdischer Menschen in die Konzentrationslager umfunktioniert wurde. Hier starb Sophie gnadenvollerweise vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager am 15. Januar 1943. Todesursache laut Todesurkunde ist Altersmyocarditis und Marasmus Senilis. Angezeigt wurde ihr Tod vom „Heiminsassen Julius Sinasohn, Berlin, Gormannstraße 3“, der sich am 28. Mai 1943 auf demselben Transport wie Helene Meyerowitz befand und am 1. Januar 1945 in Theresienstadt ermordet wurde.

„Man vergisst so leicht, und man wird so leicht vergessen“, schrieb Sophie Eichelbaums Schwester Lucie Russak 1923 in ihren Aufzeichnungen. Mit unserem Erinnern lassen wir das Vergessen nicht zu, auch wenn viele Fragen über Sophies letzte Jahre bleiben. Die Recherchen gehen weiter.

Quellen: Familiendokumente; Landeseinwohneramt Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam; Bundesarchiv.
Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover: Jüdische Ärzte in Hannover, Jüdische Konsulenten und Verdrängung jüdischer Rechtsanwälte in Leipzig

Privatfotos mit Genehmigung der Eichelbaum-Nachfahren
Fotos der Stolpersteinverlegung: Copyright Asaf Oren

Recherche und Text: Eichelbaum Nachfahren – mit großem Dank an Margit Rose-Schmidt und Klaus Schmidt, Hasloh

Siehe auch Stolpersteine in Berlin an der Mommsenstraße 4 für Elisabeth Herbst und an der Sybelstraße 45 für Walter und Anni Schreiber sowie Stolperstein in Hannover an der Langen Laube 18 für Dr. Fritz Frensdorff.